"Der Wind dreht": Fliegt Christian Horner jetzt doch raus?

Gipfeltreffen in Dubai: Möglicherweise ändern jetzt auch die thailändischen Mehrheitseigentümer der Red Bull GmbH ihre Position in der Horner-Affäre

(Motorsport-Total.com) - Ungeachtet des Medientsunamis, der seit dem erstmaligen Auftauchen der Horner-Affäre am 5. Februar weltweit über Red Bull hinweggefegt ist, wurde Christian Horner bislang nicht aus seiner Position als Teamchef von Red Bull Racing suspendiert oder gar gekündigt. Doch jetzt könnte der Wind drehen und er seinen Job womöglich doch verlieren, haben Recherchen von Motorsport-Total.com ergeben.

Titel-Bild zur News: Christian Horner, Teamchef von Red Bull Racing, mit Franz Watzlawick und Oliver Mintzlaff, CEOs der Red Bull GmbH

Teamchef Christian Horner mit den CEOs Franz Watzlawick und Oliver Mintzlaff Zoom

Am Samstagabend, nach dem erneuten Doppelsieg beim Grand Prix von Saudi-Arabien, schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Die totale Eskalation der Red-Bull-internen Fronten, die am Freitag durch Interviews von Helmut Marko und Max Verstappen und am Samstagmorgen von Jos Verstappen öffentlich sichtbar wurde, konnte abgewendet werden.

Oliver Mintzlaff, bei der Red Bull GmbH CEO für Corporate Projects & Investments, hatte es geschafft, alle Beteiligten davon zu überzeugen, zumindest nach außen hin keine weitere Schmutzwäsche mehr zu waschen. "Wir haben nicht vor, vor der ganzen Welt unsere internen Personalthemen auszubreiten", diktierte er ein paar Reportern schon vor Rennbeginn in ihre Geräte.

Welche Rolle spielt Franz Watzlawick?

Eine Botschaft, die angekommen ist. Sowohl Marko und Verstappen als auch Horner wurden nach dem Rennen zwar auf den schwelenden Machtkampf angesprochen, gaben aber ausnahmslos diplomatische Antworten. "Meine Beziehung zu Helmut ist kein Problem. Er ist einer, der sagt, was er denkt. Aber so ist Helmut halt", sagte Horner zum Beispiel.

Mintzlaff, und das ist in dieser Geschichte ein signifikantes Detail, wurde in Saudi-Arabien von Franz Watzlawick begleitet, im Red-Bull-Konzern für "die Dose" verantwortlich, wie das intern flapsig formuliert wird (als CEO für Beverage Business, wie es offiziell heißt). Eine ungewöhnliche Maßnahme, denn Watzlawick ist für die Formel 1 weder zuständig noch ist er dort bisher öffentlich in Erscheinung getreten.

Doch jetzt haben Recherchen von Motorsport-Total.com ergeben, dass Watzlawick im Prozess, eine saubere Lösung im Sinne des gesamthaften Red-Bull-Konzerns zu finden, eine ganz entscheidende Rolle spielen könnte. Vor allem wenn es darum geht, die bisherige Unterstützung der thailändischen Mehrheitseigentümer für Horner ins Wanken zu bringen.

Horner selbst scheint von den Gesprächen in Saudi-Arabien eine ganz andere Wahrnehmung zu haben: "Oliver hat uns sehr unterstützt, aber auch der andere CEO, Franz Watzlawick. [...] Beide waren heute hier und haben uns sehr, sehr unterstützt. Es ist schön zu sehen, dass sie hierherkommen und das Team unterstützen."

Gipfeltreffen am Sonntag in Dubai

Am Sonntag findet in Dubai ein Meeting zwischen Watzlawick, Mintzlaff und Chalerm Yoovidhya statt, um das weitere Vorgehen der Red Bull GmbH in der Horner-Affäre zu besprechen. Ob das Meeting zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels schon beendet ist oder erst später stattfindet, ist unserer Redaktion nicht bekannt.

Inzwischen ist jedoch durchgesickert, was ein wesentlicher Punkt der Agenda des Meetings sein soll. Nämlich akute Bedenken auf der österreichischen Seite der Red Bull GmbH, dass eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Horner negative Auswirkungen auf Watzlawicks Geschäftsbereich, die Getränkeverkäufe, haben könnte.

Man muss wissen: Besonders in Nordamerika ist die Sensibilität für Themen wie sexuelle Belästigung extrem ausgeprägt. Nicht erst, aber vor allem seit der Weinstein-Affäre in Hollywood. Dass große Handelsketten wie Walmart die Red-Bull-Dosen in letzter Konsequenz aus dem Sortiment nehmen würden, sollte der Skandal noch weitere Kreise ziehen, ist nicht ausgeschlossen.

Franz Watzlawick

Franz Watzlawick ist einer von drei CEOs der Red Bull GmbH, zuständig für Beverage Business Zoom

Das wäre für den Red-Bull-Konzern, für den der nordamerikanische Markt ein so wichtiger ist, eine mittlere Katastrophe. Ein Argument, mit dem Watzlawick jetzt offenbar auch bei Yoovidhya Gehör finden könnte. Der war bisher nicht davon zu überzeugen, Horner zu entlassen. Aber wenn's um harte Dollars geht, "dreht der Wind", sagt eine Quelle, die anonym bleiben möchte.

Mitarbeiterin plant öffentliches Statement

Dazu kommt: Laut Informationen von Motorsport-Total.com plant angesichts Horners jüngster Auftritte bei Medienterminen und Pressekonferenzen, von Sky-Experte Ralf Schumacher in ihrer Wirkung sinngemäß als Täter-Opfer-Umkehr bezeichnet, jetzt auch jene Frau aus der Deckung zu kommen, die jahrelang Horners persönliche Assistentin war und ihm sexuelle Belästigung vorwirft.

Offenbar bereitet die Frau für nächste Woche ein öffentliches Statement vor, um ihre eigene Perspektive darzulegen und Horners aus ihrer Sicht irreführenden Aussagen nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen. Sollte sie diesen Schritt wirklich gehen, wäre das die nächste Eskalationsstufe - und würde den Druck auf Horner und Red Bull deutlich erhöhen.

Ralf Schumacher glaubt, dass Horner nach dem Dubai-Meeting "auch intern eine ganz, ganz schwierige Position" haben wird - und er unterstreicht: "Ja, ich bin der Meinung, Christian Horner sollte zurücktreten, und ja, ich bin der Meinung, er wird auch zurücktreten. Ich glaube nicht, dass er das übersteht."

Der ehemalige Formel-1-Pilot geht davon aus, dass Yoovidhya angesichts des Drucks von Partnern wie Ford oder Honda oder auch potenzieller Risiken in der Zusammenarbeit mit Handelsketten wie eben Walmart ("einer der größten Kunden" von Red Bull) gar keine andere Wahl bleiben wird, als sich von Horner zu distanzieren.

Was McDonald's mit der Horner-Affäre zu tun hat

"Wir wissen, Amerika ist extrem kritisch in solchen Fragen. Da fragt man gar nicht, sondern da entlässt man gleich, wenn nachgewiesen werden kann, dass jemand unangemessene Beziehungen zu anderen Personen im Betrieb hat. Der weltweite McDonald's-Chef ist dafür ein sehr gutes Beispiel", sagt Schumacher.

Was er damit meint: McDonald's hat 2019 den damaligen CEO Steve Easterbrook entlassen, nachdem dieser zugeben musste, dass er einer Mitarbeiterin im Rahmen einer einvernehmlichen Beziehung sexuell anzügliche Nachrichten geschickt hatte. Easterbrook behauptete zunächst, es habe darüber hinaus keine weiteren Vorfälle dieser Art gegeben.


Ralf Schumacher: "Glaube nicht, dass Horner das übersteht!"

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McDonald's trennte sich trotzdem von ihm und erhielt später Hinweise darauf, dass Easterbrook mit weiteren Mitarbeiterinnen sexuelle Beziehungen gepflegt haben soll. Die Geschichte endete damit, dass Easterbrook 105 Millionen US-Dollar an den Fast-Food-Konzern zurückzahlen musste, weil ihm nachgewiesen werden konnte, im Compliance-Verfahren gelogen zu haben.

Ein Beispiel, das keinesfalls suggerieren soll, dass der Fall Easterbrook mit dem Fall Horner direkt vergleichbar ist. Aber eins, das gut belegt, wie hoch die Sensibilität in den USA bei solchen Themen liegt, und wie schnell solche Skandale auch wirtschaftliche Implikationen haben können. Für Horner gilt unverändert die Unschuldsvermutung.

"We move on", sagte Horner am Samstagabend nach dem Rennen in Saudi-Arabien. Sinngemäß: Wir ziehen weiter, wir schauen nach vorn. Einen Tag später erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass dieses "We move on" eine ganz andere Bedeutung bekommen könnte. Und er seinen Job als Teamchef von Red Bull Racing doch verliert.

Der Red Bull GmbH wurde dieser Artikel am Sonntagnachmittag vor Veröffentlichung mit der Bitte um Stellungnahme oder Kommentar zur Ansicht vorgelegt. Bisher hat das Unternehmen diese Anfrage unbeantwortet gelassen.