Der silberne Albtraum von Indianapolis...

Juan-Pablo Montoya hat sich mit der Kollision mit Kimi Räikkönen keinen Gefallen getan, auch wenn er von seinem Team in Schutz genommen wird

(Motorsport-Total.com/Premiere) - So gerne hätte McLaren-Mercedes am wichtigen US-Markt zur europäischen Primtime zum zweiten Mal nach Mika Häkkinen 2001 gewonnen, doch die "Silberpfeile" waren gestern von einem Sieg in Indianapolis so weit entfernt wie schon seit Jahren nicht mehr. Genau genommen war der Grand Prix für Kimi Räikkönen und Juan-Pablo Montoya schon nach wenigen Metern vorbei.

Titel-Bild zur News: Räikkönen-Auto am Abschlepphaken

Bild mit Symbolkraft: Der MP4-21 von Kimi Räikkönen am Abschlepphaken...

Räikkönen fuhr unmittelbar vor Montoya in einem dicht beisammen liegenden Pulk die zweite Kurve an, dürfte sicherheitshalber einen Tick früher als sonst gebremst haben und wurde daraufhin prompt vom eigenen Teamkollegen von der Strecke geschoben. In den Zwischenfall waren mehrere Fahrzeuge verwickelt; rechts von den beiden McLaren-Mercedes-Boliden segelte Nick Heidfelds BMW Sauber F1.06 in einen spektakulären Mehrfachsalto.#w1#

Folgen für die Fahrersituation nicht ausgeschlossen

Das Team zeigte sich anschließend bemüht, mittels stark PR-kastrierter Aussagen in der üblichen Pressemitteilung Wind aus den Segeln zu nehmen, doch in Wahrheit könnte der Zwischenfall entscheidende Folgen haben: erstens für die Zukunft von Montoya, an dem die "Silberpfeile" nun wohl auch das letzte Fünkchen Interesse verloren haben dürften, und zweitens für jene von Räikkönen, dessen angeknackster Gemütszustand von Renault-Teamchef Flavio Briatore genau registriert wird.

"Es ist doch ziemlich offensichtlich, was passiert ist." Kimi Räikkönen

Der "Iceman" war unmittelbar nach dem Crash stinksauer, kühlte sich jedoch beim kurzen Fußmarsch zurück in die Boxengasse zumindest ein bisschen ab und kommentierte die Situation vor laufenden Kameras so: "Es ist doch ziemlich offensichtlich, was passiert ist. Ich bin enttäuscht, klar", sagte er verärgert. Auf die konkrete Frage, ob er sich von Montoya abgeschossen gefühlt habe, antwortete er nur: "Dazu möchte ich nichts sagen."

Montoya sah die Angelegenheit weniger tragisch: "Schwer zu sagen, was genau vorgefallen ist", nahm der 30-Jährige die Sache auf die leichte Schulter. "Kimi hat aus irgendeinem Grund sehr hart gebremst, ich habe ihn dadurch am Heck getroffen. Ich denke, das hat alles ausgelöst. Es war einfach ein normaler Rennunfall. Es ist eine Schande, wie viele Autos hier so früh ausgeschieden sind, aber das ist nun einmal der Rennsport."

Der Auffahrende hat nur im Straßenverkehr Schuld...

"Wenn jemand sagt, der Auffahrende hat Schuld - das ist im Straßenverkehr so." Norbert Haug

Mercedes-Sportchef Norbert Haug, dessen Kinnlade beim Beobachten der Kollision für einen kurzen Augenblick in fast schon ozeanische Tiefen abgesackt war, hütete sich vor einem vorschnellen Urteil und nahm seine beiden Fahrer in Schutz: "Wenn jemand sagt, der Auffahrende hat Schuld - das ist im Straßenverkehr so. Wir können das wegstecken", so der Deutsche. "Bei allem, was ich in der Formel 1 schon erlebt habe, ist das eine Premiere, auf die ich gerne verzichtet hätte."

"Es war eine typische Nadelöhrsituation", analysierte Haug einige Minuten nach dem Ende des Rennens. "Beide Autos hatten einen guten Start, aber es wollten zu viele Autos gleichzeitig durch die Kurve. Kimi hat gelupft, Juan-Pablo ist aufgefahren. Das sollte nicht passieren, ist aber passiert. Beide Autos in der ersten oder zweiten Kurve zu verlieren, das ist natürlich ein echter Albtraum. Gott sei Dank ist wenigstens nichts passiert."

Dennis mit diplomatischer Kollisionsanalyse

Teamchef Ron Dennis empfand das doppelte Aus als "enttäuschend, weil wir zu Rennen fahren, um zu gewinnen. In der ersten Kurve kamen mehrere Autos mit hohen Benzinlasten zusammen. Es war eine Sequenz von Ereignissen, für die man nicht ausschließlich unsere Fahrer verantwortlich machen kann. Kimi wurde eingeklemmt und bremste etwas früher, Juan-Pablo wurde von Button abgedrängt - und das ergab eine Kettenreaktion, bei der sieben Autos aus dem Rennen geworfen wurden", erklärte er.

Juan-Pablo Montoya und Kimi Räikkönen

Hand aufs Herz, lieber Norbert: Sehen so zwei richtig dicke Freunde aus? Zoom

Mit dem Schicksal haderte der Brite trotz des unglücklichen Verlaufs des US-Grand-Prix' keineswegs: "So ist der Motorsport", gab Dennis achselzuckend zu Protokoll. "Man muss das professionell analysieren und man muss professionell darauf reagieren. Man sollte sich nicht zu verfrühter Kritik hinreißen lassen. Es ist keine Frage von Schuldzuweisungen, sondern es geht darum, die Situation basierend auf Daten und nicht auf Emotionen auszuwerten."

Auch Geschäftsführer Martin Whitmarsh äußerte sich zum Startunfall: "Wir haben die Daten genau analysiert und ich habe mir die Videos genau angesehen und mit den beiden Fahrern gesprochen. Es tut ihnen Leid. Juan-Pablo war Seite an Seite mit Button und findet, dass Kimi unerwartet früh gebremst hat. Hat jemand Schuld? Ja, aber so ist der Motorsport eben manchmal. Sobald wir mehr Daten haben, können wir die Schuldfrage eindeutiger klären, aber das wird am Ausgang nichts mehr ändern", teilte er mit.

Was wäre ohne Doppelausfall möglich gewesen?

"Wir waren auf einer Einstoppstrategie unterwegs." Norbert Haug

Wären die "Silberpfeile" im Rennen weiter gekommen, hätten sie durchaus Chancen auf ein solides Punkteresultat gehabt, denn dass man von weit hinten einiges ausrichten konnte, bewies Jarno Trulli, der nach Start aus der Boxengasse Vierter wurde: "Wir waren auf einer Einstoppstrategie unterwegs. Trulli hat gezeigt, was mit einer Einstoppstrategie möglich gewesen wäre. Deshalb ist das doppelt ärgerlich, aber dem können wir nicht nachtrauern", seufzte Haug.

Der Deutsche nahm übrigens auch Reifenpartner Michelin trotz konservativer Vorstellung in Schutz: "Michelin hat das Richtige getan, auf Nummer sicher zu gehen - keine Kritik daran! Wir hatten eine völlig andere Konstruktion als alle anderen. Schade, dass wir nicht gesehen haben, was daraus hätte werden können. Der Speed war im Renntrimm gut genug da. Wenn man die Qualifikationszeit mit der Spritmenge sieht, sieht das alles wieder ein bisschen freundlicher aus", sagte er.

Langer erster Stint wäre geplant gewesen

"Michelin brachte einen sehr sicheren Reifen hierher." Ron Dennis

Auch Dennis ist der festen Überzeugung, dass seine "Silberpfeile" weit vorne gelandet wären: "Unsere Startpositionen reflektierten die Notwendigkeit, einen langen ersten Stint zu fahren, denn Michelin brachte einen sehr sicheren Reifen hierher. Es ist auch verständlich, dass ihre Herangehensweise in diesem Jahr sehr vorsichtig war. Das wollten wir uns zunutze machen, indem wir einen langen ersten Stint gefahren wären", relativierte der Brite nachträglich das sehr mäßige Qualifying.

In der Weltmeisterschaft steckt McLaren-Mercedes nach zehn von 18 Rennen im Niemandsland fest, denn nach vorne fehlen 40 Punkte auf Ferrari, nach hinten hat man 33 Zähler Guthaben auf Honda. Sprich: Die "Silberpfeile" sind 2006 nicht so konkurrenzfähig wie die beiden Topteams, bilden aber quasi das Bindeglied zwischen absoluter Spitze und vorderem Mittelfeld - eine Basis, auf die nun möglichst rasch aufgebaut werden muss...