• 20.02.2003 15:39

Der McLaren/Williams-Brief an Max Mosley

'F1Total.com' bietet eine ins Deutsche übersetzte Originalversion des Schreibens von McLaren und Williams an FIA-Präsident Mosley an

(Motorsport-Total.com) - Lieber Max

Titel-Bild zur News:

Re: Vorgeschlagene neue Regeln für die FIA Formel 1 Weltmeisterschaft

Danke für Deinen Brief vom 7. Februar, in dem Du Deine Meinung über die Zukunft der Formel 1 Weltmeisterschaft kundgetan und uns eingeladen hast, dies zu kommentieren. Folgend Deiner Bitte nach einem konstruktiven Dialog haben wir die Ansichten von WilliamsF1 und McLaren im Folgenden zusammengefasst.

Wir wollen mit Nachdruck betonen, dass wir mit der einseitigen Weise, wie Du agiert hast, um die neuen Regeln für die Weltmeisterschaft 2003 einzuführen, nicht einverstanden sind. Wir stimmen einer Reihe von Veränderungen, die Du veranlasst hast, überhaupt nicht zu, weil wir glauben, dass sie der Formel 1 schädlich sind. Kritisch betrachtet haben beide Teams auch große Sorge, weil die Mitglieder der Technischen Arbeitsgruppe finden, dass die Änderungen das Sicherheitsrisiko für die Fahrer erhöhen.

McLaren und WilliamsF1 sind der Ansicht, dass sich die FIA vertragsbrüchig verhält. Folglich werden wir an der Weltmeisterschaft 2003 teilnehmen, aber wir werden auch die Einführung der neuen Regeln durch die FIA über die geeigneten Wege anfechten.

Die kombinierten Auswirkungen all Deiner Vorschläge werden die Werte der Formel 1 als Königsklasse im Motorsport und Schaufenster für Technologie und Fortschritt im Automobilbereich ernsthaft untergraben. Genau diese Werte haben zum Erfolg der Serie in den letzten 20 Jahren beigetragen. Man muss erwarten, dass die Vorschläge die Attraktivität des Sports für Sponsoren, Investment-Partner und Fans verringern würden. Es würde auch den Automobilherstellern keine andere Wahl lassen als ihr Engagement in unsere Serie zu überdenken.

Wir betrachten die bisherigen Ereignisse 2003 als schädlich für das Interesse des Sports. Wir ergreifen diese Maßnahme, um sicherstellen zu können, dass wir einen stabilen, gut geführten, professionell verwalteten und erfolgreichen Sport in den kommenden Jahrzehnten haben.

Derzeitige Herausforderungen in der Formel 1

Die Formel 1 Weltmeisterschaft muss sich ? genau wie andere Sportarten und Wirtschaftszweige ? gegenwärtig einer Reihe von schwierigen Herausforderungen stellen. Wir glauben, dass der Grund für diese Herausforderungen, die die Formel 1 beinträchtigen, zwei Quellen hat.

Der erste und offensichtlichste Grund war die augenscheinliche Dominanz von Ferrari in der Saison 2002 und der abträgliche Effekt auf das breite öffentliche Interesse an der Meisterschaft. Jedoch zeigt die Geschichte, dass so eine Dominanz nicht unendlich weitergehen wird. In der Tat ist es so, dass wir, wenn wir nicht daran glauben würden, den Wettbewerb aufnehmen zu können, nicht antreten würden. Daher sehen wir diese Sache als kurzfristiges Problem, das sich von selbst lösen wird.

Die zweite Herausforderung hängt mit der allgemeinen Verlangsamung der Weltwirtschaft zusammen und der substanziellen Verringerung der Ausgaben für Werbung. Das bedeutet für die Teams kurzfristig signifikante Probleme. Wieder jedoch sehen wir es als kurzfristiges Problem. Die Formel 1 bleibt eine exzellente Möglichkeit für Werbende und bietet eine hervorragende Markenpräsenz. Wenn die Werbeausgaben wieder steigen, steigt auch das Einkommen der Teams.

Wir alle mussten in den letzten Jahren eine schmerzliche Lernkurve durchwandern, aber hoffentlich sind auf diesem Weg auch einige wertvolle Lehren hängen geblieben. Der Sport wird von der finanziellen Zurückhaltung profitieren, an die sich die Teams gerne anpassen. Dies lässt sich jedoch nicht durch die Regeln steuern.

Deine Statements vermitteln den Eindruck, dass sich die Formel 1 in einer Krise befindet. Trotzdem bleibt es ein finanziell sehr erfolgreicher Sport, der mehr als genug Profit generiert, um alle Teams am Leben zu erhalten. Während der Fokus erfolgreich darauf gelegt wurde, die Kosten zu reduzieren, bleibt die Formel 1 ein erfolgreicher Sport und wir stellen in Frage, weshalb die FIA nicht über das FOM-Abkommen verhandelt und TV-Einnahmen und andere Einnahmequellen ausgewogener verteilt. Das wäre der zuverlässigste Weg, um das Überleben und den Erfolg der unabhängigen Teams zu garantieren.

Unsere Sorgen

Unsere Sorge ist, dass die FIA versucht, unseren Sport zu "beschneiden". Sie hat umfassende neue Regeln beschlossen ohne vorher mit den Teams zu beraten oder um Zustimmung zu bitten. Wir wollen, dass die Vorschläge der FIA angemessen in Betracht gezogen werden, so dass alle Teams die Möglichkeit haben, die Zukunft des Sports zu beeinflussen, wie es Ihnen laut Concorde Agreement auch zusteht.

Wir vertreten die Ansicht, dass Du einen unnötig negativen Standpunkt hinsichtlich der Zukunft der Meisterschaft hast und dass Deine Vorschläge viele Aspekte und Facetten des Sports zerstören werden, durch die er in den letzten 30 Jahren so aufblühen konnte. Alle Initiativen zur zwanghaften Reduktion der Kosten und zum Wegbringen technischer Unterschiede werden dem Geist der Formel 1 schaden und die Unterschiede zu weniger erfolgreichen Formen des Motorsports geringer werden lassen.

Die von Dir vorgeschlagenen Änderungen sind gegen den Geist der Formel 1, gegen das rastlose Streben nach Fortschritt im Automobilbereich und gegen das Bedürfnis, sich am Limit, am schmalen Grat der Technologie zu bewegen. Die Änderungen werden wichtige Förderer des Sports vergrämen und das Spektakel in weiterer Folge verringern. Außerdem glauben wir nicht, dass irgendein Motorenhersteller aus der Formel 1 Dein Konzept von Motoren für zwei oder sechs Rennen attraktiv findet. Wir müssen daher in dieser Frage mit besonderer Vorsicht vorgehen, wenn wir diese wichtigen Teilnehmer der Formel 1 nicht vertreiben wollen. Gerade in einer Zeit, in der mehr Hersteller als je zuvor in die Formel 1 investieren, werden Maßnahmen ergriffen, die den Automobilherstellern feindselig erscheinen mögen. Das ist schlicht und einfach nicht im besten Interesse des Sports und muss dringend ausdiskutiert werden.

Wir glauben außerdem, dass das Geschäftsmodell, welches Du für die Formel 1 vorgeschlagen hast, strukturell defekt ist. Es basiert auf der Schlussfolgerung, dass die Automobilhersteller die Formel 1 nicht immer unterstützen werden und dass die zwei nicht so gut finanzierten Teams wahrscheinlicher bleiben werden. Jedoch sind die Hersteller engagiert genug, um anzubieten, eine Teilhaberschaft an der kommerziellen Seite der Formel 1 zu übernehmen. Dies deutet auf einen willkommenen und signifikanten Richtungswechsel ihrer Einstellung der Formel 1 gegenüber hin.

Wir sehen keinen Sinn im Risiko, stabile und gut finanzierte Mitspieler zu verlieren und sie durch weniger stabile Teams zu ersetzen.

Wenn die Formel 1 weiterhin die Königsklasse des Motorsports sein kann, wird die Anhängerschaft auch bleiben und dann wird sie eine sehr geschätzte Plattform für Sponsoren und Investment-Partner sein.

Sicherheitsbedenken

Wie Du weißt hat die Technische Arbeitsgruppe ausgesagt, dass die vorgeschlagenen Regeländerungen den Sport unsicherer machen werden und diese Bedenken wurden während Deiner Minuten bei jenem Meeting auch kundgetan. Vor allem glauben die Mitglieder der Arbeitsgruppe, dass die Parc-Ferme-Regel, die den Teams nur noch ermöglicht, die Autos während 2,5 anstatt 18,5 Stunden auf das Rennen vorzubereiten, und das Verbot der Telemetrie, welches verhindert, dass sich abzeichnende Schäden oder Defekte frühzeitig am Monitor erkannt werden können, einen ernsthaften negativen Einfluss auf die Sicherheit der Autos aller Teams nehmen wird, wie das die Teams auch über ihre jeweiligen Vertreter in der Technischen Arbeitsgruppe mitgeteilt haben.

Einführung der Veränderungen

Wir glauben, dass es in den meisten Vierteln gängige Meinung ist, dass die angeordneten Veränderungen die Meisterschaft bedauernswerterweise destabilisiert haben und unterm Strich nur den Abstand zwischen kleinen Teams und denen, die größer sind und daher besser mit kurzfristigen Veränderungen umgehen können, vergrößern werden.

Ganz abgesehen von der Effektivität der Veränderungen, die kurzfristig eingeführt werden, finden wir, dass Du überhastet gehandelt und den Teams nicht die Möglichkeit gegeben hast, ihre eigenen Vorschläge vollständig auszuarbeiten. Viele hatten daher den Eindruck, dass der Ausgang des Meetings vom 15. Januar vorbestimmt war, ohne vorher darüber beraten zu haben.

Die Vorgehensweise, wie die FIA die neuen Regeln für die Weltmeisterschaft 2003 eingeführt hat, ist von den Bestimmungen des Concorde Agreements nicht gedeckt. Wir halten Deine Behauptung, wonach die Regeln eingeführt wurden, "um die bestehenden Regeln besser anwenden zu können", für schlichtweg falsch. Unter anderem wurde das Concorde Agreement beschlossen, um "stabile technische und sportliche Regeln" zu haben und wir glauben, dass die FIA diesen Vertrag gebrochen hat.

Der Bedarf nach Veränderung

Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Formel 1 verändern und anpassen muss, und wir glauben, dass McLaren und WilliamsF1 immer eine unterstützende Rolle gespielt haben, wenn es darum ging, sinnvolle Maßnahmen in den Sport einzuführen. Wenn wir sagen, wir wollen unser Niveau steigern, um gegen Ferrari antreten und sie sogar besiegen zu können, glaubst Du uns sicher. Wir halten fest, dass das die Show verbessern wird und wir betonen auch, dass wir das neue Format der Qualifikation unterstützt haben, weil dadurch das Spektakel während der kommenden Saison zweifelsohne angehoben wird.

Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Bei einem Meeting am 4. Dezember 2002 haben die Teams einer Reihe von Maßnahmen zugestimmt, mit der die Kosten gesenkt und die Weltmeisterschaft 2003 verbessert werden sollen. Diese Maßnahmen beinhalten das Verbot von Qualifikationsautos, das Akzeptieren von standardisierten Materialien und Ausstattung und ein Arrangement mit den Herstellern, auch unabhängige Teams mit kostengünstigen Motoren zu beliefern. Die Teams haben sich auch verpflichtet, sich in regelmäßigen Abständen zu treffen, um Kosten zu reduzieren und den Sport zu verbessern.

Wie Du weißt haben die Teamchefs darüber hinaus ein Abkommen mit Bernie Ecclestone getroffen, wonach bei stabilem Reglement mehr TV-Gelder an die Teams weitergegeben werden sollen, um sicherzustellen, dass alle Teams die Saison 2003 überleben.

McLaren und WilliamsF1 verhalten sich extrem kooperativ, wenn es darum geht, die gegenwärtigen finanziellen Schwierigkeiten einiger Teams aus der Welt zu schaffen. Um Missverständnisse zu vermeiden, würden wir gerne das Protokoll der Ereignisse und der Maßnahmen, die lange vor dem FIA-Meeting am 15. Januar diskutiert wurden, noch einmal festhalten.

Die Teamchefs und Technischen Delegierten sind am 4. Dezember 2002 zusammengekommen und haben im Sinne der Zusammenarbeit und des Pragmatismus eine Reihe von Maßnahmen zur Kostenreduktion in der Formel 1 beschlossen. Die FIA war bei diesem Meeting nicht vertreten, erhielt aber im Vorhinein die Tagesordnung und nach dem Meeting eine Zusammenfassung der Beschlüsse. Diese Zusammenfassung der Beschlüsse aller Teamchefs und Technischen Delegierten wurde auch den Teams ausgehändigt und in Umlauf gebracht.

Die folgenden Auszüge befassen sich dabei mit der Kostenreduktion:

Kostenreduktion

Qualifikations-Autos

Die Teamchefs haben vorgeschlagenen Anpassungen des technischen Reglements, die den Einsatz von spezifischen Benzintanks, Auspuff- oder Kühlsystemen in der Qualifikation untersagen, zugestimmt.

Standardisiertes Material bei den Unterböden

Die Teamchefs haben einem Vorschlag der Technischen Delegierten, standardisierte Unterbodenmaterialien einzusetzen, zugestimmt.

Standardisierte Spezifikation der Felgen

Es wurde beschlossen, dass die Teams ernsthaft in Betracht ziehen sollen, ein wichtiges Element der Felgen oder die gesamten Felgen standardisieren zu lassen, um manchen oder allen Teams den Wettbewerb zu erleichtern.

Ballastreduktion

Die Teamchefs haben einen Vorschlag der Technischen Delegierten akzeptiert, wonach das Mindestgewicht der Autos bis 2005 auf 550 Kilogramm gesenkt werden soll, einhergehend mit einem Gesamtpaket an Revisionen, welches die Leistungsfähigkeit der Autos kontrollierbar gemacht oder verringert hätte.

Materialdichte

Es wurde beschlossen, dass Materialien mit besonders hoher Dichte ab 2005 nicht mehr eingesetzt werden.

Standardbremsen

Es wurde beschlossen, Vorschläge für eine standardisierte, aber hochtechnologische Einheitsbremse für den Einsatz in der Formel 1 zwischen 2004 und 2006 zu prüfen. Ein solches System muss ein ganzes Grand-Prix-Wochenende halten.

Zwei-Wege-Telemetrie

Es wurde beschlossen, dass sich die Teams auf ein einheitliches Sprach/Daten-Telemetriesystem einigen sollten, welches ab 2004 eingesetzt werden kann.

Initiativen zur Unterstützung der kleineren Teams

Zusätzlich zu diesen Initiativen hat DaimlerChrysler einen Brief an alle Hersteller in Umlauf gebracht, in dem angeboten wurde, ein zweites Team mit Motoren auszurüsten, die weit unter dem Marktpreis liegen. Ohne Zögern haben Toyota und Renault diesen Vorschlag begrüßt und angekündigt, ähnliche Arrangements oder Angebote zu veranlassen. Andere Hersteller wären möglicherweise noch gefolgt, wenn diese Vorschläge nicht von der FIA am 15. Januar untergraben worden wären. Dieser Plan hätte die Verfügbarkeit billiger Motoren bedeutet, mit denen die derzeitige Größe des Starterfeldes beibehalten hätte werden können.

Außerdem haben sich die Teamchefs und Bernie Ecclestone in einem Treffen am Morgen des 15. Januar darauf verständigt, dass es ? vorausgesetzt, die Regeln bleiben stabil ? eine neue Aufteilung der TV-Einnahmen geben wird, um sicherzustellen, dass alle Teams durchgehend an der Weltmeisterschaft 2003 teilnehmen können. Dies beinhaltet substanzielle Summen, zu denen McLaren und WilliamsF1 beitragen würden.

Dies, kombiniert mit den billigeren Motoren unter Initiative von DaimlerChrysler, hätte jedes gut geführte Team auf eine solide Basis gehoben.

Vor dem Hintergrund der oben genannten Initiativen kommt es überraschend, dass die FIA sagt, die Teams hätten "nichts produziert", speziell weil die derzeitigen Initiativen laut mehrheitlicher Ansicht der Teams und Hersteller die Kosten nicht reduzieren.

Engagement der Automobilhersteller

Die Automobilhersteller wünschen sich eine stabile Meisterschaft und sie sind darauf vorbereitet, ein signifikantes und langfristiges Investment in die Formel 1 zu tätigen. Ihre Vorschläge innerhalb der GPWC liegen begründet im Streben nach Stabilität. Sie haben großes Engagement in die Formel 1 gesteckt und den Willen gezeigt, den Sport weiter wachsen zu lassen.

Die FIA hat das Angebot der Hersteller nicht angenommen, was zur Gründung der GPWC geführt hat. Die Haltung der FIA gegenüber diesen Bemühungen ist nicht hilfreich, aber wir hoffen sehr, dass die FIA in Zukunft einen akzeptablen und konstruktiven Weg finden wird, um mit den Herstellern zu kooperieren.

Weitere Schritte

Inzwischen steht die Saison 2003 vor der Tür und wir sind der Ansicht, dass die fundamentalen Änderungen ohne angemessene Beratung eingeführt wurden und ohne Deckung durch das Concorde Agreement. Unter diesen Umständen haben wir keine andere Wahl als unter dem neuen Reglement weiterhin an der Weltmeisterschaft teilzunehmen, aber wir behalten uns auch das Recht vor, diese Änderungen über die im Concorde Agreement dafür vorgesehenen Prozesse anzufechten.

Um es noch einmal zu betonen, sind viele der vorgeschlagenen Maßnahmen unserer Meinung nach ? und wir glauben, dass wir damit eine mehrheitliche Ansicht der Teams und Hersteller vertreten ? der Zukunft der Formel 1 ernsthaft unzuträglich, genau wie die Vorschläge für 2004 und danach. Laut der Technischen Arbeitsgruppe bergen die Maßnahmen das Risiko einer reduzierten Sicherheit und die fundamentalen Werte der Formel 1 werden angegriffen sowie die Automobilhersteller aus dem Sport gedrängt.

Daher ersuchen wir Dich, in Zukunft einseitige Aktionen zu unterlassen und stattdessen den Dialog mit den Teams zu suchen, um die Stabilität und laufende Verbesserung der Formel 1 zu gewährleisten.

Wir sind natürlich nach wie vor jederzeit zu Meetings bereit, in denen Verbesserungsmaßnahmen diskutiert werden können.


Mit freundlichen Grüßen

Ron Dennis und Frank Williams


Weitere Empfänger: Bernie Ecclestone und alle Teamchefs