Debatte im Fahrerlager: Darum war der Red-Bull-Tausch richtig

Während Romain Grosjean und Sergio Perez aus eigener Erfahrung mit Daniil Kwjat mitfühlen, stimmt Ex-Pilot Martin Brundle Red Bull in ihrer Fahrer-Entscheidung zu

(Motorsport-Total.com) - Im Fahrerlager von Barcelona gab es am Donnerstag nur ein Thema: der Fahrertausch bei Red Bull und Toro Rosso. Nachdem die Pressekonferenz mit Daniil Kwjat, Max Verstappen und Carlos Sainz bereits für Aufmerksamkeit sorgte, wurde auch unter den anderen Piloten im Fahrerfeld darüber diskutiert. Viele waren von der Entscheidung ebenso überrascht wie die Betroffenen selbst. Sky-Experte Martin Brundle kann den Tausch aus Sicht der Bullen aber gut nachvollziehen - es löse gleich mehrere Probleme auf einen Schlag.

Titel-Bild zur News: Daniil Kwjat, Carlos Sainz, Max Verstappen

Kwjat raus, Verstappen rein: Diese beiden Piloten dominieren die Debatten in Spanien Zoom

Schon Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko hat nach dem Entschluss im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' erläutert, dass dieser Schritt sowohl bei Toro Rosso für Beruhigung sorgt, als auch Druck von Daniil Kwjat nimmt und Max Verstappen im Gegenzug eine große Chance ermöglicht. Ex-Formel-1-Pilot Martin Brundle stimmt dem Österreicher gegenüber 'Sky Sports F1' in allen Punkten zu.

"Es löst viele Probleme für sie. Es nimmt viel Spannung aus der Sainz-Verstappen-Situation, es macht die Verstappen-Familie glücklich. Er wäre sowieso im Red Bull gesessen im nächsten Jahr. Das bringt ihn weiter. Sie werden herausfinden, wo er im Vergleich zu Daniel Ricciardo steht", so Brundle.

Brundle: "Sotschi war der Katalysator"

Außerdem: "Der Druck ist weg von Daniil Kwjat. Er muss nichts beweisen." Laut dem Briten wäre dieser Schritt von Seiten des Getränkekonzerns früher oder später sowieso eingeleitet worden. Die chaotische erste Runde von Russland hat ihnen aber bereits früh in der Saison einen Anlass dazu gegeben. "Der Zwischenfall in Sotschi war ein Katalysator."

Gefasst, aber sichtlich gebrochen, so saß der 22-jährige Russe am Donnerstag in der Pressekonferenz neben Max Verstappen. Brundle lobt dessen Umgang mit der Situation: "Es ist hart für Daniil Kwjat, und ich denke, er ist damit toll umgegangen. Ich hoffe, er hat eine kometenhafte zweite Saisonhälfte. Aber es löst viele Probleme für Red Bull. Was für ein schönes Problem, dass man vier so gute Fahrer hat." Der Russe erklärt im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' allerdings auch, dass er diese Entscheidung so schnell nicht vergessen werde.

Eine Anmerkung von Sky-Experte Marc Surer auf 'Sky Deutschland' veranschaulicht die Situation zwischen Red Bull, Kwjat und Verstappen: Nachdem Helmut Marko im ersten Freien Training am Freitag in Spanien nur in der Red-Bull-Garage an der Seite des 18-Jährigen gesichtet wurde, merkt Surer an: "Ihm wird das Händchen gehalten."


Fotostrecke: Der Vettel/Kwjat-Crash in Sotschi

Brundle bringt außerdem ein: "Sie glauben, dass Verstappen und Ricciardo mit einem sich verbessernden Auto eine mächtige Kombination sind. Mit wem ich in dieser Geschichte wirklich Mitleid habe, ist nicht Kwjat sondern Carlos Sainz." Der zweite Toro-Rosso-Pilot wurde bei der Personalentscheidung nicht berücksichtig und war dementsprechend enttäuscht. "Ich denke, er hat genau den gleich guten Job abgeliefert wie Max Verstappen. Er hat einen sensationellen Job gemacht. Er könnte ein guter Teamleader sein. Es scheint, als wäre er ein bisschen links liegengelassen worden", glaubt der gut informierte Brite.

Verstappens Vorteile: Jung, schnell, reif

Ob es von anderen Teams Interesse an Max Verstappen gegeben hat, was Druck auf Red Bull erzeugte? "Natürlich gibt es Verträge, und das Contract Recognition Board (Ausschuss für Vertragsbestätigungen), um diese Sachen zu stabilisieren. Das wäre eher für die Zukunft. Jedes etablierte Team hat ohne Zweifel herausfinden wollen, wie die vertragliche Situation von Verstappen in Zukunft aussieht."

Dabei spielen gleich mehrere Faktoren bei Verstappen eine wichtige Rolle, die ihn für Topteams so interessant machen: "Aufgrund seines Alters, des Speeds, seiner Reife, der Qualität seiner Leistungen in Qualifying und Rennen. Jeder möchte ein Stückchen von ihm haben. Red Bull weiß, dass sie die Verstappen-Familie überzeugen müssen, dass sie der richtige Ort für ihn sind."

Nicht nur ehemalige Formel-1-Piloten habe sich zu dem überraschenden Personalkarussell geäußert. Auch aktive Fahrer, wie etwa Romain Grosjean, haben dazu eine klare Meinung. Der Franzose erlebte 2012 einen harten Dämpfer in seiner Karriere. Nachdem er einen heftigen Startunfall in Spa-Francorchamps verursacht hatte, wurde der Franzose für das darauffolgende Rennen in Monza gesperrt. Sein damaliges Team Renault hat dennoch an dem Franzosen festgehalten. Heute ist er ein Anwärter auf ein Topcockpit bei Ferrari in der kommenden Saison. Er habe aus dieser schweren Zeit viel gelernt, so Grosjean im Vorjahr.


Fotostrecke: Vom Bubi zum Weltmeister: Die Formel-1-Karriere des Max Verstappen

Belgien 2012 als Vorlage für Red-Bull-Entscheidung?

Aktuell meint der Haas-Pilot: "Ich finde, das ist eine ziemlich harte Entscheidung. Daniil war auf dem Podest in China. Beim folgenden Rennen war er unter Druck und sicherlich etwas aufgeregt. Er hat die ersten beiden Kurven verhauen. So etwas passiert. Ich finde, es ist ganz schön hart für ihn." Auf der anderen Seite bekommt eben nun Verstappen eine tolle Chance: "Er darf jetzt in einem Topteam zeigen, was er kann. So ist es halt manchmal in der Formel 1."

Ob der Fall Belgien 2012 als Vorlage für die Red-Bull-Entscheidung gedient hat? Das kostet den 30-Jährigen ein Lächeln: "Mir ist nie so etwas passiert!" Aus seiner Sicht ist es einfacher, wenn man sich in einem kleinen Team erst einmal entwickeln darf. Ein weiterer aktiver Formel-1-Pilot, der von einem Topteam bereits unsanft vor die Tür gesetzt worden ist, heißt Sergio Perez. Der Mexikaner wurde in seinen beiden Anfangsjahren 2011 und 2012 bei Sauber bejubelt, 2013 bei McLaren konnte er allerdings nicht aufzeigen. So wurde er nach nur einer Saison schon wieder entlassen.

"Als ich von McLaren fallengelassen wurde, da hörten einige auf, an mich zu glauben. So geht es auch Kwjat. Seine Leistungen früher von Toro Rosso sind vergessen, es zählte jetzt nur noch die Performance in diesem Moment", kann er mit dem Russen mitfühlen. "Da haben sie ihn weggeschickt. Wenn er seine Leistung jetzt konsequent bringt, dann baut er seine Reputation wieder auf. Es gibt andere Teams als Red Bull. Vielleicht landet er irgendwann in einem anderen Topteam. In der Formel 1 kann alles passieren." Perez konnte sein Standing in seinen drei Jahren bei Force India wieder aufbauen.


Fotostrecke: Startunfall Belgien-Grand-Prix

Perez: Passiert nicht nur bei Red Bull

Er weiß, dass solche Entscheidungen nicht nur bei den Österreichern getroffen werden: "Das läuft nicht nur bei Red Bull so. In der Szene sind alle extrem erfolgsorientiert, alle stehen unter Druck. Da passiert so etwas." Der 26-Jährige hält zu seinem jüngeren Kollegen: "Es wird sich zeigen, ob es die richtige Entscheidung war. Ich halte Kwjat für einen starken Fahrer, auch für mental stark. Für ihn ist das sicherlich ein Schlag. Ich hoffe, dass er gut damit zurechtkommt. Außerdem ist Toro Rosso nicht schlecht, die haben ein gutes Auto."

Für Max Verstappen werde dies nun "der Moment der Wahrheit" bei Red Bull, glaubt Perez. "Es könnte ein Risiko sein. Daniel Ricciardo ist ein starker Fahrer. Er tritt nun also gegen einen der besten Fahrer in der Formel 1 an. Da wird er es nicht leicht haben." Er weiß, dass für junge Fahrer die Unterstützung von Herstellern oder Sponsoren sehr wichtig ist: "Es war früher mal einfacher, als mehr Hersteller zugegen waren, die viel investiert haben. Die Magnussens und Vandoornes sind durch McLaren hereingekommen. Die haben alles bezahlt. Bei Ocon ist es ähnlich. Man braucht als Fahrer irgendeine Hilfe - von Herstellern oder Sponsoren."

Williams-Pilot Valtteri Bottas merkt in der Debatte an, dass sich vor allem Verstappen nun auf einige Arbeitsprozesse komplett neu einstellen muss: "Das Lenkrad, das Handling - alles ist neu. Es ist so, als würdest du eine neue Saison mit einem neuen Auto beginnen. Letztendlich gewöhnst du dich aber schnell daran." Für dessen Teamkollegen Felipe Massa ist es ein merkwürdiger Zeitpunkt, mitten in der Saison die Fahrer zu tauschen. Er sieht die Sache aus seiner Sicht aber auch positiv: "Wenn das bei Red Bull für Probleme sorgt, dann ist das gut für uns (lacht)."