Das war 2008: Timo Glock

Timo Glock war 2008 der Beweis dafür, dass man sein Stallduell 4:14 verlieren und trotzdem als Aufsteiger gehandelt werden kann

(Motorsport-Total.com) - Viele trauern den "goldenen Jahren" der Formel 1 nach, dabei war die Saison 2008 so spannend wie kaum eine andere zuvor. Speziell das packende Herzschlagfinale in Brasilien ging in die Grand-Prix-Geschichte ein. 'Motorsport-Total.com' rollt die zurückliegenden Ereignisse in Form einer Artikelserie noch einmal auf. Den Anfang machen die elf Teams, dann folgen die fünf Deutschen und zum Abschluss am 1. Januar Weltmeister Lewis Hamilton. Heute: Timo Glock.

Titel-Bild zur News: Timo Glock

Timo Glock konnte speziell in der zweiten Saisonhälfte sein Talent aufzeigen

Als Glock am 16. März beim Opener in Australien an den Start ging, war es nicht sein erster, sondern bereits sein fünfter Renneinsatz in der Formel 1. 2004 war er als Ersatzmann von Giorgio Pantano viermal zum Zug gekommen: Beim Debüt in Kanada wurde er durch die Disqualifikation mehrerer Fahrzeuge auf Platz sieben nach vorne gespült, in China, Japan und Brasilien wurde er jeweils 15. Damit sollte die Königsklasse für ihn vorerst erledigt sein.#w1#

Teamkollege als Maßstab

Timo Glock

Timo Glock in Australien: Comeback nach mehr als drei Jahren Pause Zoom

Nach über drei Jahren oder 1.239 Tagen Abstinenz trat der 26-jährige Wersauer also zu seiner ersten vollen Grand-Prix-Saison an. Vor ihm lag eine schwierige Aufgabe: Der Toyota gilt seit Jahren als schwierig zu fahrendes Auto, Teamkollege Jarno Trulli als einer der besten Qualifyer im Feld - und dass der 34-jährige Italiener auch Rennen fahren kann, weiß man spätestens seit seinem Sieg in Monaco 2004.

Rein nach Zahlen musste sich Glock im Stallduell klar geschlagen geben: Bei den Qualifyings unterlag er mit 4:14, bei den Punkten hatte er mit 25:31 das Nachsehen. Allerdings zog er gleich in den ersten sechs Qualifyings den Kürzeren, ehe er sich in Kanada erstmals durchsetzen konnte. Anschließend sollte es besser laufen - an den Samstagen wie auch an den Sonntagen. Das lag nicht zuletzt daran, dass er mit den eigenwilligen Fahreigenschaften des TF108 so seine liebe Mühe hatte.

Konkret ging es um folgendes Phänomen: Sobald der Fahrer auf die Bremse stieg und sich das Gewicht folgerichtig von hinten nach vorne verlagerte, die Hinterachse leicht wurde, büßte der TF108 an Stabilität ein - ein Graus beim Bremsen. Ab dem Kurvenscheitelpunkt jedoch setzte ein Untersteuern ein, sprich das Auto schob nach außen - eine denkbar ungünstige Kombination, die Trullis Fahrstil aber nicht allzu stark beeinträchtigte.

Schwieriger Saisonbeginn

Timo Glock

In Kanada hatte Timo Glock seinen Teamkollegen erstmals richtig im Griff Zoom

Glock hingegen musste sich darauf erst einstellen, was eine Zeit lang dauerte. In den ersten drei Qualifyings fehlten ihm 1,066, 2,945 und 0,369 Sekunden auf den Teamkollegen, in den schnellsten Rennrunden 0,248 und 0,603 Sekunden. In Malaysia gab es durch den frühen Ausfall keinen Vergleichswert. Schon damals zeichnete sich ab, dass der Deutsche im Rennen viel besser zurechtkommt als im Qualifying. Das wusste man bereits aus seiner GP2-Zeit.

Die Wende kam in Kanada: Erst knackte er Trulli im Qualifying um drei Zehntelsekunden, dann holte er im Rennen als Vierter seine ersten WM-Punkte nach vier Jahren. Es folgten zwei Nullnummern in Frankreich und Großbritannien, ein schwerer Unfall beim Heimrennen in Deutschland - und dann das nächste Highlight in Ungarn: Auf dem Hungaroring bei Budapest zeigte Glock seine bisher stärkste Performance überhaupt.

Fünfter in der Startaufstellung, dann im Rennen sensationell, aus eigener Kraft auf Podiumskurs, schlussendlich dank des späten Motorschadens von Felipe Massa sogar Zweiter, elf Sekunden hinter Premierensieger Heikki Kovalainen im McLaren-Mercedes, 25 Sekunden vor dem Teamkollegen - besser geht's nicht! Gar nicht auszudenken, was möglich gewesen wäre, wenn die Toyota-Crew den ersten Tankstopp nicht verpatzt hätte...

Lob von den Experten

Timo Glock

Bravo, Timo: In Ungarn fuhr der Deutsche erstmals auf ein Formel-1-Podium Zoom

"Für Timo musste das Ziel sein, Trulli zu schlagen", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Das hat er ein paar Mal souverän geschafft - nicht jedes Mal, aber man darf nicht vergessen, dass Trulli Ralf Schumachers Formel-1-Karriere beendet hat. Wenn dann ein junger Deutscher mit wenig Erfahrung kommt und sich an seiner Seite etablieren kann, dann ist der Zweck erfüllt. Das hat er mit Bravour geschafft."

Hätte die Weltmeisterschaft erst in Kanada begonnen, dann wäre Glock in der Gesamtwertung vor seinem Teamkollegen gelandet. Daher sagt auch Sven Heidfeld, unser zweiter Experte: "Timo hat die Erwartungen mehr als erfüllt. Trulli ist in meinen Augen der meistunterschätzte Formel-1-Fahrer. Er kennt jede Strecke und auch die Abläufe bei Toyota schon seit Jahren, aber Timo ist ihm als Neuling doch manchmal um die Ohren gefahren. Das fand ich beachtlich."

Noch ein Highlight gelang Glock beim Chaos-Grand-Prix in Singapur, als er Vierter wurde und das Podium nur um gut zwei Sekunden verpasste - zugegeben durch für ihn günstiges Safety-Car-Timing. Aber er fuhr durchschnittlich in jedem dritten Rennen in die Punkteränge und kam insgesamt auf 25 Zähler, womit er sein selbstauferlegtes Saisonziel von 20 Punkten übertroffen hatte. Damit ist er im Team nun etabliert.

Das Gegenteil von Ralf Schumacher

Timo Glock

In Deutschland hatte Timo Glock bei einem schweren Unfall großes Glück Zoom

Dazu trug auch bei, dass er - ganz anders als sein Vorgänger Schumacher, wie man hört - Dauergast in der Toyota-Fabrik in Köln-Marsdorf war und sich sogar eine Wohnung in der Nähe genommen hat, um mehr Zeit bei den Ingenieuren verbringen zu können. Daran alleine liegt es freilich nicht: "Er ist ein ganz anderer Typ als Ralf, aber schlussendlich zählt die Leistung auf der Piste und nicht, dass er in Köln vorbeikommt und Händchen schüttelt", meint Surer.

Doch Glock ist auch außerhalb des Teams beliebt, etwa bei den Journalisten, denen er immer offen Rede und Antwort steht: "Timo ist ein sympathischer Typ, der beim Team mit seiner Art sehr gut ankommt", betont Heidfeld, der das aber nicht zwingend im Gegensatz zu "Schumi II" verstanden wissen will: "Auf Ralf hacken viele immer wieder ein, aber er hat der Formel 1 auch gut getan und hat in seiner Karriere einige gute Rennen gezeigt."

Es war eine lange Premierensaison für Glock: Vom spektakulären Ausfall in Australien, wo er auf einer Bodenwelle wie ein Streetfighter abhob und zum Glück mit ein paar Prellungen davonkam, über die ersten Punkte in Kanada, den Crash beim Heimspiel und die Sensation in Ungarn bis hin zum Saisonfinale in Brasilien. Dort hätte er beinahe das WM-Duell zwischen Sieger Massa und dem späteren Champion Hamilton entschieden.

Die Verschwörungstheorie von Brasilien

Lewis Hamilton und Timo Glock

Beinahe hätte Timo Glock in Brasilien die Weltmeisterschaft entschieden Zoom

Denn während all seine direkten Konkurrenten in der verregneten Schlussphase auf Regenreifen wechselten, pokerte Glock hoch, blieb auf normalen Rillenpneus und schlüpfte dadurch an Sebastian Vettel und Hamilton vorbei. Letzterer war damit plötzlich nur noch Sechster - und in der virtuellen WM-Wertung hinter Massa. Erst als der Regen in der letzten Runde zunahm, fiel Glock in der letzten Kurve noch auf Rang sechs zurück.

Brisant war diese Konstellation insofern, als es ein paar Wochen zuvor zu einer kritischen Begegnung zwischen dem Deutschen und Hamilton gekommen war, als der McLaren-Mercedes-Pilot seinen Gegner relativ frech von der Strecke abdrängte. Glock war nach dem Rennen verständlicherweise sauer, kündigte sogar vor laufenden TV-Kameras Rache an. Wer jedoch daraus eine Verschwörungstheorie konstruiert, der liegt schlicht und einfach falsch.

Nun geht der Blick nach vorne, denn 2009 muss sich Glock steigern: "Er sollte auf jeden Fall der Bessere der beiden Toyota-Piloten sein, um seine Karriere zu festigen", findet Surer. "Wie schwierig es ist, Trulli immer zu schlagen, hat selbst ein Fernando Alonso schon feststellen müssen." Heidfeld legt die Latte etwas weniger hoch, erwartet sich aber auch einiges von seinem Landsmann: "Er muss mindestens gleichwertig sein."

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 10. (25 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 11,1
Bestes Ergebnis Qualifying: 5.
Bestes Ergebnis Rennen: 2.
Ausfallsrate: 22,2 Prozent (12.)