Das war 2008: Lewis Hamilton

Wie Lewis Hamilton weniger perfekt als 2007 sein konnte und trotzdem Weltmeister wurde - Das Jahr des neuen Champions in der Analyse

(Motorsport-Total.com) - Viele trauern den "goldenen Jahren" der Formel 1 nach, dabei war die Saison 2008 so spannend wie kaum eine andere zuvor. Speziell das packende Herzschlagfinale in Brasilien ging in die Grand-Prix-Geschichte ein. 'Motorsport-Total.com' rollt die zurückliegenden Ereignisse in Form einer Artikelserie noch einmal auf. Den Anfang machen die elf Teams, dann folgen die fünf Deutschen und zum Abschluss am 1. Januar Weltmeister Lewis Hamilton. Heute: Lewis Hamilton.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Beim Grand Prix von China machte Lewis Hamilton den Fehler von 2007 wieder gut

Nach dem Wechsel von Fernando Alonso zurück zu Renault ging der Brite als inoffizielle Speerspitze von McLaren-Mercedes in die Saison 2008 und zählte damit neben den Ferrari-Piloten Kimi Räikkönen und Felipe Massa zum erlesenen Kreis der Titelfavoriten. Nach der sensationellen Premiere 2007, die wir an dieser Stelle nicht noch einmal aufwärmen wollen, war der Hamilton-Hype gigantisch - und die Erwartungen wuchsen in den Himmel.#w1#

Auftakt nach Maß

Doch der 23-Jährige, der den WM-Titel 2007 nur um einen einzigen Zähler verpasst hatte, blieb zunächst cool und eröffnete seine zweite Grand-Prix-Kampagne in Australien standesgemäß mit einem Sieg. Bereits am Samstag hatte sich Hamilton recht souverän die Pole-Position gesichert - eine halbe Sekunde vor den Ferraris - und am Sonntag war er unantastbar, weil sich die Ferraris bis auf die Knochen blamierten. Die silberne Welt war in Ordnung.

Lewis Hamilton

Auftakt nach Maß: In Australien sicherte sich Lewis Hamilton volle zehn Punkte Zoom

Doch die Freude sollte von kurzer Dauer sein, denn in den nächsten vier Rennen war der Ferrari F2008 eindeutig das schnellste Auto im Feld, sodass Massa und Räikkönen je zwei Siege feiern konnten. Hamilton sammelte in der gleichen Zeit gerade mal 18 Punkte und hatte nach dem Grand Prix von Spanien schon neun Zähler Rückstand auf den führenden "Iceman". Massa lag zwei Punkte hinter ihm an vierter Stelle. Dazwischen auf Rang drei: Robert Kubica.

"Man hat bei Hamilton ganz eindeutig die Nerven gesehen", erinnert sich 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Vergangenes Jahr war er ohne Druck unterwegs, denn alles, was er erreicht hat, wurde mit großem Erstaunen wahrgenommen. Wenn es nicht lief, war es als Neuling okay, wenn es lief, war er für alle der Held. Er saß in einem gemachten Nest und hatte keinen Druck. Dieses Jahr hatte er Druck, den er sich auch noch selbst gemacht hat - und das konnte man spüren."

Monaco: Wende dank Fahrfehler

Titelkonkurrent Massa mag 2008 einige Male gepatzt haben, doch das gilt auch für Hamilton: In Malaysia wurde er in der Startaufstellung wegen Blockierens von Nick Heidfeld zurecht um fünf Positionen nach hinten versetzt, in Bahrain fuhr er gleich in der ersten Runde seinem Ex-Teamkollegen Alonso hinten auf, in Monaco küsste er in der Anfangsphase die Mauer, was ihn wegen einer kaputten Felge zu einem Notstopp zwang.

Lewis Hamilton

Der Mauerkuss in Monaco sollte sich im Nachhinein als Segen herausstellen Zoom

Der sollte sich wegen eines günstigen Safety-Car-Timings jedoch im Nachhinein als Segen erweisen - und Monaco zur Wende der Saison werden: Hamilton gewann den Klassiker im Fürstentum vor Kubica und Massa und übernahm damit wieder die Führung in der Weltmeisterschaft - ein wichtiger Befreiungsschlag, denn: "Man hat im zweiten Jahr fünfmal mehr Druck, wenn man schon im ersten Jahr um den Titel mitgefahren ist", weiß unser Experte Sven Heidfeld.

Trotzdem war Hamilton weit von jener Perfektion entfernt, die ihn 2007 neunmal in Folge auf das Podium gebracht hatte, denn nach Monaco schrieb er in Kanada und Frankreich zwei Nullnummern en suite: In Montréal krachte er auf dem Weg zum Sieg am Ausgang der Boxengasse Räikkönen ins Heck, was ihm für Magny-Cours eine Rückversetzung um zehn Positionen in der Startaufstellung bescherte - objektiv betrachtet völlig zurecht.

Immer wieder von Strafen gebremst

Im Rennen war der Brite dann höchst aggressiv unterwegs, sodass er beim Überholen von Sebastian Vettel von der Strecke abkam. Die Rennleitung ahndete dies mit einer weiteren Strafe, was Hamilton endgültig aus den Punkterängen warf. Erst zwei Wochen später brachte er seine WM-Kampagne mit dem triumphalen Heimsieg im britischen Regen und anschließend mit einem weiteren Triumph beim Mercedes-Heimspiel in Deutschland wieder auf Kurs.

Lewis Hamiltons und Kimi Räikkönens Auto

Peinlich: In Kanada übersah Lewis Hamilton die Ampel in der Boxengasse Zoom

Aber die Silberpfeile wirkten dennoch weniger souverän als 2007: "Ich meine, da hat Alonso gefehlt", analysiert Surer. "Vorher hat Alonso gesagt, wo es lang geht, und Hamilton hat profitiert, aber jetzt musste Hamilton plötzlich in seinem zweiten Jahr ein Team führen und die Richtung vorgeben. Dass er gerudert hat, hat man gesehen, denn er hat Fehler gemacht und war unkonzentriert. Da hat er gespürt, was es heißt, Teamleader zu sein. Hamilton war zumindest eine Weile lang verunsichert."

Denn der perfekte Rennfahrer ist auch Hamilton nicht: "Er hat mit Sicherheit Schwächen, denn es wird nie den perfekten Rennfahrer geben. Er war in einigen Rennen zu aggressiv, zum Beispiel in Monza, als er Timo Glock abgedrängt hat. Aber vielleicht kann er diese Schwäche mit dem ersten Titel im Rücken ablegen", sagt Heidfeld und erinnert an Flüchtigkeitsfehler wie etwa am Start in Japan, durch den die Weltmeisterschaft erst wieder spannend wurde.

Das umstrittene Manöver von Belgien

Auch das umstrittene Überholmanöver gegen Räikkönen in Belgien, für das er wegen Abkürzens der Bus-Stop-Schikane im Nachhinein vom ersten auf den dritten Platz zurückversetzt wurde, hätte sich der Youngster schenken können - den Ferrari-Piloten hätte er wahrscheinlich so oder so geknackt. Doch Hamilton wäre nicht Hamilton, wenn nicht manchmal die Nerven mit ihm durchgehen würden. Die Leidenschaft eines Ayrton Senna ist ihm näher als die Coolness eines Alain Prost.

Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton

Das Überholmanöver gegen Kimi Räikkönen in Belgien hatte ein Nachspiel Zoom

"Er ist ein totaler Racer. In dem Moment, wo es Rad an Rad geht, will er nur den Gegner schlagen. Er hat nicht immer die Übersicht, die ein Champion haben muss", kritisiert Surer. "Ein paar Mal hat er sich unnötig in Schwierigkeiten gebracht. Ich glaube, das wäre einem souveränen Fahrer wie Alonso nicht passiert. Der hätte gesagt: 'Fahr du doch, dann schnappe ich dich eben anschließend!' Da muss Hamilton noch ein wenig Distanz bekommen."

Heidfeld nimmt den McLaren-Mercedes-Fahrer ein wenig in Schutz: "Diese Aggressivität kommt durch sein tiefes Selbstvertrauen, denn er geht immer davon aus, dass Überholmanöver und andere Dinge klappen werden. Manchmal geht halt auch etwas schief. Außerdem hat selbst ein Schumacher auch Fehler gemacht, wenn er unter Druck war. Schumacher hatte halt in den meisten Jahren hinter sich erstmal lange nichts. Das war 2008 anders."

Sympathien eingebüßt

Durch seine zum teil doch recht aggressiven Überholmanöver eckte Hamilton bei einigen Fahrerkollegen an, doch auch in der Öffentlichkeit sanken seine Sympathiewerte im Vergleich zur ersten Saison - von Großbritannien einmal abgesehen. Das ist kaum nachvollziehbar, denn im Paddock gibt es kaum einen anderen Topstar, der sich immer noch so viel Zeit für seine Fans nimmt und so sympathisch auftritt.

Lewis Hamilton

Verkannt: Lewis Hamilton nimmt sich immer noch viel Zeit für seine vielen Fans Zoom

"Er nimmt sich immer noch Zeit, um Autogramme zu schreiben, und wenn du ihm die Hand hinstreckst, dann gibt er sie dir - ob er dich nun kennt oder nicht. Das macht kaum ein anderer", bestätigt Surer, als TV-Experte bei allen Grands Prix vor Ort, diesen Eindruck. "Da sieht man die gute Kinderstube. Er ist freundlich und hat ein Auftreten, das andere, die schon jahrelang dabei sind, nie hinbekommen haben."

Aber: "Es ist für so einen jungen Mann schwierig, es allen recht zu machen. Wenn du neu in die Formel 1 kommst und einen zweifachen Weltmeister schlägst, gibt dir das das Gefühl, dass du der Beste bist. Das muss man auch glauben", so der Schweizer, der meint, dass dadurch einige umstrittene Kommentare zustande gekommen sind. Und: "Man kann einen jungen Fahrer zu Aussagen treiben, die er gar nicht sagen will. Ich glaube, da wurde er ein paar Mal schlecht zitiert."

Unbeliebt durch zu viel Erfolg?

Gewinne einmal und alle lieben dich, aber gewinne zweimal und alle hassen dich. Steckt darin ein wahrer Kern? "Ich glaube nicht, dass das nur an seinem Erfolg liegt, dass er weniger gemocht wird, sondern eher an ein paar Aussagen, die er von sich gegeben hat, wenn er von der Presse oder von anderen Fahrern in die Enge gedrängt wurde. Da hat er halt mal die Krallen gezeigt und sich damit keinen Gefallen getan", winkt Heidfeld ab.

Lewis Hamilton

Oftmals wurden Lewis Hamilton von den Medien Aussagen in den Mund gelegt Zoom

Unabhängig davon, was man von Hamilton auch halten mag, steht eines fest: Er hat das spannendste WM-Finale aller Zeiten gewonnen! Zwar musste er den Sieg im Rennen in Brasilien seinem Widersacher Massa überlassen, doch den WM-Titel nahm er selbst mit nach Hause. Bezeichnend für eine über weite Strecken zittrige Saison wurde auch der Kampf um den rettenden fünften Platz zu einer nicht für möglich gehaltenen Zitterpartie.

Drei Runden vor Schluss war die silberne Welt noch in Ordnung, als Hamilton trotz des einsetzenden Regens vor Vettel an fünfter Stelle lag. Doch dann rutschte der Brite in der letzten Kurve ein paar Meter nach außen, der Toro-Rosso-Pilot schlüpfte durch - und plötzlich fehlte in der Gesamtwertung ein Punkt! Toyota-Fahrer Glock hatte sich nämlich durch den Verzicht auf einen Wechsel von Trocken- auf Regenreifen klammheimlich vor das Duo gesetzt.

Dramatischer Showdown in Brasilien

Was dann passierte, ist Geschichte: Es begann in der letzten Runde stärker zu regnen, Glock rutschte mit seinen Trockenpneus wie auf Glatteis, Vettel und Hamilton gingen in der letzten Kurve noch an ihm vorbei - Weltmeister! Dabei hatte sich Massa nach seiner Zieldurchfahrt schon 20 Sekunden lang als Champion fühlen dürfen. McLaren-Mercedes sagte anschließend: "Wir haben von Anfang an nicht auf Vettel, sondern auf Glock geschaut."

Sebastian Vettel und Lewis Hamilton

Schrecksekunde: Drei Runden vor Schluss schlüpfte Sebastian Vettel vorbei Zoom

"Das nehme ich ihnen nicht ab, denn das hätte auch gewaltig ins Auge gehen können. Ein Quersteher mehr oder weniger, dann wäre er nicht Weltmeister geworden. Aber letztendlich tut das nichts mehr zur Sache", meint Heidfeld, der nachvollziehen kann, warum es trotz der sieben Punkte Vorsprung so spannend geworden ist: "Man hat alles zu verlieren, es lastet viel Gewicht auf den Schultern. Da wird man behäbig. Ich glaube, dass das der Fall war."

Surer findet eher, dass das Team das Wochenende falsch angegangen ist: "Vielleicht haben sie zu sehr auf den Computer gehört und dabei das normale Gefühl außer Acht gelassen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass es besser gewesen wäre, ihn mit einem leichten Auto vorne starten zu lassen. So war es ein Risiko, ihn von dieser Startposition losfahren zu lassen. Zum Glück ist es gut gegangen", bemängelt der Schweizer die konservative Strategie im Qualifying.

Lob von Surer für die Finalleistung

Das gelte jedoch nur für das Team, denn der Fahrer habe perfekt agiert: "Hamilton hat alles richtig gemacht - man kann ihm nichts vorwerfen. Dass er sich unter diesen rutschigen Bedingungen von Vettel überholen lässt, kann passieren, denn wenn er sich gedreht hätte, hätte er wie ein Idiot ausgesehen. Ansonsten hat er das Ding genauso nach Hause gefahren wie zwei Jahre zuvor Alonso. Er hat seine Aufgabe sehr professionell gelöst", so der Ex-Grand-Prix-Pilot.

Lewis Hamilton

Verdienter Weltmeister: Lewis Hamilton sicherte sich im zweiten Jahr den Titel Zoom

Die Story ging um die Welt: WM-Sieg im Stile eines Hitchcock-Thrillers, erster dunkelhäutiger Champion der Formel-1-Geschichte, noch dazu der Freund von Popstar Nicole Scherzinger, der Sohn des leidenschaftlichen Managervaters Anthony, der sportliche Ziehsohn von Ron Dennis, den er im Alter von gerade mal zehn Jahren angesprochen hatte: "Mr. Dennis, ich will für ihr Team Formel-1-Weltmeister werden!" 14 Jahre später ist der Traum Wirklichkeit.

Was kommt da noch? "Wir hatten die Ära Senna, die ich noch miterlebt habe, dann kam die Ära Schumacher und jetzt haben wir die Ära Hamilton", so Surer. "Ich finde es unfair, die drei miteinander zu vergleichen - jeder war auf seine Weise speziell. Hamilton wird nie sein wie Schumacher und Schumacher war nie wie Senna. Man muss ihn also als Lewis Hamilton akzeptieren und anerkennen, dass er in Zukunft für alle der Maßstab sein wird."

Mit 23 Jahren ist noch lange nicht Schluss...

Heidfeld sieht ebenfalls noch viele Hamilton-Erfolgskapitel auf die Formel 1 zukommen: "Ich glaube auch, dass er das Potenzial hat, die Rekorde von Schumacher anzugreifen, wenn alles gut läuft, aber man muss auch eines sagen: Er ist der bestvorbereitete Formel-1-Fahrer aller Zeiten. Er hatte Gelder von McLaren, von Mercedes, er hatte Fitnessprogramme und so weiter - das war alles optimal. Aber man muss es eben auch umsetzen."

Lewis Hamilton

In Singapur fuhr Hamilton mit einem überlegten Rennen wichtige Punkte ein Zoom

"Im Gegensatz zu Schumacher, Alonso oder Räikkönen hatte Hamilton von Anfang an ein Topauto. Deswegen hat er alle Chancen, die Rekorde zu brechen. Der erste WM-Titel ist mit Sicherheit einer der schwierigsten. Ich denke, jetzt wird Druck von ihm abfallen", ergänzt er. Zur Erinnerung: Schumacher begann seine Karriere auf Jordan, Alonso auf Minardi, Räikkönen auf Sauber. In ihre späteren Topteams mussten sie sich erst hocharbeiten.

Wir haben Hamilton einmal - nicht unprovokant - als "Weltmeister aus dem Reagenzglas" bezeichnet. Das Supertalent wurde bereits in jungen Jahren von McLaren unter Vertrag genommen und ganz gezielt an die Formel 1 herangeführt. Kein anderer Nachwuchspilot hatte in den vergangenen Jahren so gute Voraussetzungen wie er. Mit dem WM-Titel für seine "Erfindung" hat sich McLaren-Boss Dennis vielleicht den letzten großen Traum seiner Karriere erfüllt.

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 1. (98 Punkte)
Siege: 5
Pole-Positions: 7
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 3,9
Bestes Ergebnis Qualifying: 1.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Ausfallsrate: 5,6 Prozent (2.)

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