• 26.06.2004 08:48

Das sitzt! Der sichere Formel-1-Arbeitsplatz

Wie an fast jedes Teil eines Formel-1-Autos werden auch an den Sitz hohe Anforderungen an die Sicherheit gestellt

(Motorsport-Total.com) - Neben der Faszination schneller Autos und spannender Rennen ist es vor allem der hohe Sicherheitsstandard, der die Formel 1 zur Königsklasse des Motorsports macht. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der Fahrersitz, der in den Bemühungen um noch mehr Sicherheit eine große Rolle spielt.

Titel-Bild zur News: Giancarlo Fisichella

Der Kunststoff in der Folie härtet aus und passt sich der Körperform an

Stillstand ist Rückschritt - das gilt in der Formel 1 nicht nur für die technische Ent-wicklung zur Verbesserung der Performance auf der Rennstrecke. Auch das Sicherheitskonzept wird ständig optimiert. "Wir setzen uns bei der Entwicklung eines Autos zwei Ziele", unterstreicht Brian O'Rourke, Leiter der Abteilung für Verbundwerkstoffe bei WilliamsF1. "Wir wollen einen schnellen Rennwagen bauen und dem Fahrer dabei so viel Schutz wie möglich bieten."#w1#

Der Sitz muss aus dem Auto zu nehmen sein

Das wichtigste Teil in diesem Sicherheitspuzzle ist zweifellos das Monocoque, die aus dem Kohlefaserverbundwerkstoff Karbon gefertigte Sicherheitszelle eines Formel-1-Boliden. Neben dieser schützenden Hülle ist es die Sitzschale, die dem Fahrer nicht nur einen gewissen Komfort, sondern auch die größtmögliche Sicherheit an seinem Arbeitsplatz garantieren soll.

Der Sitz darf nicht fest im Monocoque installiert sein, sondern muss laut Technischem Reglement der Fédération Internationale de l'Automobile (FIA) mit höchstens zwei senkrecht angebrachten Bolzen befestigt werden. Diese Bolzen müssen für die Rettungskräfte deutlich gekennzeichnet, leicht zugänglich und bei allen Autos mit demselben Werkzeug zu entfernen sein.

Standardisierte Sicherheitswerkzeuge

Durch diese 1999 eingeführte Neuerung kann der noch angeschnallte Fahrer nach einem Unfall von den Rettungskräften mitsamt der Sitzschale aus dem Auto geborgen werden. Der Sitz muss außerdem über eine Vorrichtung verfügen, an der bei der Bergung das so genannte KED (Kendrick Extrication Device) zum besonderen Schutz von Rücken und Nacken montiert werden kann. Dadurch werden Verletzungen der Wirbelsäule vermieden, die früher bei der Bergung des Piloten riskiert wurden. Die Befestigung des Fahrersitzes im Monocoque ist standardisiert, sodass die Rettungskräfte an den Rennstrecken in aller Welt seine Entfernung trainieren können. Eine sinnvolle und weitsichtige Maßnahme, die zusätzliches Vertrauen schafft.

Wie eine zweite Haut

Im engen Cockpit eines Formel-1-Boliden sind die Piloten extremen Belastungen ausgesetzt. Um ihre Performance mit dem bestmöglichen Komfort zu unterstützen, unternehmen die Teams große Anstrengungen bei der Konstruktion der Sitze. Jeder Sitz wird individuell auf den jeweiligen Fahrer zugeschnitten. Mit Hilfe eines Körperabdrucks des Fahrers entwerfen die Ingenieure einen Sitz, der einerseits den Komfort für den Piloten so weit wie möglich berücksichtigt, sich andererseits aber auch unter Berücksichtigung der für die Balance des Rennwagens optimalen Gewichtsverteilung bestmöglich in das Cockpit integrieren lässt.

Hergestellt werden die anatomisch geformten Sitze aus einem Kohlefaser-Epoxy-Verbundstoff und zusätzlich mit Polyester ausgeschäumt, um dem Fahrer eine optimale Sitzposition zu bieten. Bei WilliamsF1 werden die Sitze zusätzlich mit einem weichen und sehr bequemen Alcantara-Wildleder überzogen. Bei allen verwendeten Materialien ist es wichtig, dass sie nicht brennen, den Sitz nicht aufheizen und trotz der durch die Bewegungen des Fahrers im Sitz entstehenden Reibungen möglichst wenig statische Elektrizität erzeugen.

Auch im PKW dient der Sitz der Sicherheit

Auch in einem Serienauto ist der Sitz nicht nur für den Komfort und die Optik relevant. "Autositze sind ein Hauptelement der Sicherheit in modernen Pkw", sagt Dr. Hartmuth Wolff vom 'Allianz Zentrum für Technik'. "Sie unterstützen die Schutzwirkung von Gurten und Airbags bei Frontal- und Seitenkollisionen und stellen das wesentliche Rückhaltesystem beim Heckaufprall dar." Anders als in der Formel 1 müssen Pkw-Sitze an unterschiedliche Benutzer anpassbar sein. Diese Verstell-möglichkeiten sollte der Fahrer unbedingt nutzen, denn nur bei korrekter Einstellung sind optimale Schutzwirkung, Komfort und Ergonomie gewährleistet.

Gurte wie im Kampfjet

Im Gegensatz zu Sitzen in Serienautos schränken die Sitzschalen der Formel-1-Rennwagen die Bewegungsfreiheit des Fahrers sehr ein. Wie der Pilot eines Kampfjets wird auch Formel-1-Pilot von einem Fünf- bzw. Sechs-Punkt-Gurt in der Sitzschale festgehalten. Die Einzelgurte lassen sich mit einem Handgriff lösen, denn der Fahrer muss laut Reglement in der Lage sein, das Auto innerhalb von fünf Sekunden aus der normalen angeschnallten Position zu verlassen.

Je tiefer desto besser

Eines der wichtigsten Kriterien für die Performance eines Formel-1-Boliden ist die optimale Lage seines Schwerpunkts. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Sitzposition des Fahrers. Der leistet seinen Beitrag zur optimalen Gewichtsverteilung, indem er in seiner möglichst tief am Fahrzeugboden angebrachten Schale mehr liegt als sitzt. Die Anforderungen der Aerodynamik haben mit der Einführung der hochgezogenen Fahrzeugnasen zudem dazu geführt, dass die Füße des Fahrers bei der Arbeit höher liegen als sein Hinterteil. Umso wichtiger ist es, dass der Sitz individuell auf den Fahrer zugeschnitten ist.

In der Formel 1 ist jeder Fahrersitz ein wertvolles Unikat. Wenn es sein muss, können Teamkollegen das Auto tauschen, aber nie den Sitz. Muss ein Fahrer zum Beispiel ins Ersatzauto umsteigen, nimmt er seinen Sitz immer mit.