Das Interview zur Ferrari-Krise mit Jean Todt
Vier Punkte waren die magere Ferrari-Ausbeute aus Hockenheim - Ferrari schreibt den Titel ab und übt erstmals Kritik an Bridgestone
(Motorsport-Total.com) - Nachdem Michael Schumacher gestern in Hockenheim als Fünfter und Rubens Barrichello als Zehnter die Zielflagge sahen, stellte sich Ferrari-Teamchef Jean Todt wie an jedem Rennsonntag tapfer den Medien. Der kleine Franzose wirkte dabei frustriert über die anhaltende Krise seiner Mannen und übte erstmals relativ offen Kritik an Reifenpartner Bridgestone. Er nahm die Japaner zwar grundsätzlich in Schutz, deutete aber zwischen den Zeilen an, was die wirklichen Ursachen für Ferraris Probleme sind. Außerdem sprach der 59-Jährige über das V8-Programm und über die Regelvorschläge der Hersteller, die demnächst präsentiert werden sollen.

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Schumacher zu Todt: "Du, Jean, die Karre ist momentan nicht schnell genug..."
Frage: "Jean, Michael Schumacher wurde heute mit Mühe Fünfter, Rubens Barrichello kam nicht einmal in die Nähe der Punkte. Wie würdest du die aktuelle Situation bei Ferrari am ehesten beschreiben?"
Jean Todt: "Es ist frustrierend, aber wir wissen, dass es in diesem Geschäft Höhen und Tiefen gibt. Wir hatten jetzt einige Tiefen, aber wir hatten auch viele Höhen. Jetzt sind wir eben gerade in einem Tief, aber das ändert nichts an unserer Motivation. Die ist klar. Wenn man sich Michaels Rennen von heute anschaut, dann war es eines seiner besten. Er hat ständig gekämpft, aber das Problem in diesem Geschäft ist, dass man nur mit den Waffen kämpfen kann, die einem zur Verfügung stehen. Da ist für ihn im Moment einfach nicht mehr drin."#w1#
Schumacher nur gut 20 Runden konkurrenzfähig
"Es ist leicht, das Rennen zu analysieren. Für die ersten 20 bis 22 Runden konnte man einen vernünftigen Trend erkennen. Dann büßte er ein bisschen ein. Als Button an ihm vorbeiging, war er schon deutlich langsamer, und am Ende verlor er gar 28 Sekunden in 23 Runden. Es ist also offensichtlich, dass uns Grip fehlt, aber nicht in jeder Phase des Rennens. Das ist ein sich entwickelndes Abbauen, aber bei uns ist es stärker ausgeprägt als bei der Konkurrenz."
Frage: "Michael Schumacher und Rubens Barrichello waren auf völlig unterschiedlichen Strategien. Warum?"
Todt: "Die waren doch gar nicht so unterschiedlich, nur die Reifenwahl war anders. Einer hatte die weichen Reifen, einer die harten, einer hatte Benzin für 22 Runden, einer für 26. Das ist kein gravierender Unterschied. Uns war nur klar, dass wir mit dem weichen Reifen relativ ans Limit kommen würden, was dann auch der Fall war. Wir dachten, über weite Strecken des Rennens besser abschneiden zu können. Die ersten 22 oder 23 Runden ist es auch ganz gut gelaufen, aber dann kam der Einbruch. Und Rubens hätten wir speziell im Rennen viel schneller erwartet, aber das war leider nicht der Fall."
Frage: "Vor Hockenheim war bei euch Zuverlässigkeit in Bezug auf die neuen Reifen zu spüren. Die hat sich nun aber nicht bestätigt, oder?"
Todt: "Ich würde sagen, dass das so ist, als würde man einen kräftigen Tritt in den Hintern bekommen. Wir sind inzwischen schon recht dickhäutig, denn es hat bereits so viele Enttäuschungen gegeben. Vielleicht ist es besser, wenn wir von jetzt an einfach alles negativ anstatt positiv sehen, damit wir am Ende nur positiv überrascht werden können. Wir stellen uns also auf negative Überraschungen ein."
"Sind auch im Rennen nicht mehr konkurrenzfähig"
"Einen Teil dieser Saison über hatten wir offensichtlich ein Problem mit dem Grip im Qualifying. Wir konnten diese Situation durch Michaels Reifenwahl für dieses Rennen verbessern, denn im Rennen waren wir meistens ohnehin stark. Jetzt sind wir aber auch im Rennen nicht mehr konkurrenzfähig. Wenn unser Auto Achter oder Neunter ist, dann erwartet man, dass es durch das Feld pflügt - genau so, wie es Montoya heute vorgemacht hat. Aber genau das Gegenteil ist der Fall."
Frage: "Es ist klar, dass ihr zu wenig Grip habt, aber woher kommt das - von der Mechanik, der Aerodynamik oder von den Reifen?"
Todt: "Wir haben die Aerodynamik während des Rennens nicht verändert, daher ist es offensichtlich, dass die einbrechenden Rundenzeiten nur vom Reifenverschleiß kommen können. Manchmal haben wir auch zu wenig Grip im Qualifying und manchmal ist der Verschleiß im Rennen so stark, dass man nicht einmal mehr weiterfahren kann."
Frage: "Ferrari ist ja nicht am Gentlemen's Agreement bezüglich der Testfahrten beteiligt. Bedeutet das, dass ihr auch während der bevorstehenden Sommerpause nach dem Grand Prix von Ungarn testen werdet?"
Todt: "Wir müssen herausfinden, wie wir mehr Grip finden können. Das wird uns entweder gelingen oder nicht. Ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird, aber ich weiß nicht wann. Wir müssen uns also konzentrieren und richtig an das Problem herangehen, dann werden wir diese Situation lösen. Mir wäre lieber gewesen, das schneller in den Griff zu bekommen, aber das ist uns leider nicht gelungen. Manchmal fallen einem bei Testfahrten Dinge, die im Rennen auftreten können, gar nicht auf, weil die Temperaturen und die Bedingungen insgesamt anders sind. Es liegt im Rennen auch mehr Gummiabrieb auf der Strecke. Da gibt es viele Parameter."
Todt übt erstmals öffentlich Kritik an Bridgestone
Frage: "Werdet ihr in der Sommerpause eine neue Reifengeneration testen, um den Anschluss wieder zu finden?"
Todt: "Das müssen wir gemeinsam mit unseren Freunden von Bridgestone entscheiden, denn wir testen so viele Reifengenerationen, dass wir uns mit ihnen zusammensetzen und das mit den Ingenieuren besprechen müssen. Bridgestone hat außergewöhnlich gut mit uns zusammengearbeitet. Wir haben ihnen viel zu verdanken. Jetzt müssen wir ihnen etwas davon zurückgeben, was keine allzu angenehme Situation für uns ist, aber so ist es nun mal. Es ist ein Geben und ein Nehmen, ein Nehmen und ein Geben. Im Moment müssen wir mehr geben als nehmen."
Frage: "Pierre Dupasquier von Michelin will, dass Bridgestone künftig mehr Teams ausrüstet. Wäre das auch in eurem Interesse?"
Todt: "Zu sagen, was sie wollen oder nicht wollen, liegt nicht nur an Pierre Dupasquier. Wenn man den besten Reifen hat, wie es in den vergangenen Jahren bei uns immer der Fall war, bin ich lieber alleine auf Bridgestone. Wenn man hingegen reifenseitig einen Nachteil hat, dann wäre es hilfreich, weitere Teams zu haben, aber das zu entscheiden ist weder meine, noch Pierre Dupasquiers Aufgabe. Das muss Bridgestone gemeinsam mit den anderen Teams entscheiden."
Frage: "Glaubst du noch immer, dass Ferrari 2005 beide Weltmeisterschaften gewinnen kann?"
Todt: "Bei den Fahrern wird es sehr, sehr schwierig. Da gibt es einen klaren Trend, wenn man sich die ersten zwölf Rennen anschaut. Mathematisch ist es noch möglich, aber es wird alles andere als einfach. Bei den Konstrukteuren hängt alles davon ab, ob und wie schnell wir auf die gegenwärtige Situation reagieren können. Gelingt uns das schon beim nächsten Rennen, dann ist es noch möglich, aber wenn nicht, dann wird es von Rennen zu Rennen immer schwieriger."
Jeder Schritt in dieser Saison ist auch gut für 2006
Frage: "Seid ihr schon nahe an dem Punkt, die Entwicklung in dieser Saison zu stoppen und alle Ressourcen auf 2006 zu konzentrieren?"
Todt: "Noch nicht. Wir haben die Entwicklung des Autos, die Entwicklung des Motors. Alles, was uns dieses Jahr noch gelingt, hilft uns auch für nächstes Jahr."
Frage: "Stimmt es, dass ihr bisher euren V8-Motor nur in einem V10-Block getestet habt?"
Todt: "Ja, das stimmt."
Frage: "Warum?"
Todt: "Weil das einfacher ist. Im Moment ist die Entwicklung des V8 noch nicht ganz abgeschlossen, also ist es nahe liegend, dass man erst einmal einen Zwischenschritt macht, um ein paar Dinge zu verstehen und zu lernen. Wir haben ja noch kein Auto für den V8 fertig, also dient dies erst einmal dazu, grundlegende Informationen zu sammeln."
Frage: "Welche Fortschritte macht ihr mit dem V8?"
Todt: "Es ist ein komplett neues Projekt, ein komplett neues Programm, aber im Moment müssen wir uns noch stark verbessern."
Frage: "Ein V8 vibriert viel stärker als ein V10..."
Todt: "Da sind unsere Motorenleute dran."
Ferrari war nicht beim Meeting der EMA in Hockenheim
Frage: "Die Hersteller und die betroffenen Teams hatten hier in Hockenheim ein Meeting und werden bald ihre eigenen Vorschläge für das künftige Reglement vorlegen. War Ferrari daran beteiligt und warst du zu dem Meeting eingeladen?"
Todt: "Ich habe von dem Meeting gehört, aber eingeladen waren wir nicht, nein."
Frage: "Wärst du gerne dabei gewesen?"
Todt: "Das ist eine sehr eigenartige Frage. Du fragst mich, ob wir eingeladen waren. Das habe ich beantwortet: nein. Was bedeutet das, ob wir gerne gekommen wären oder nicht? Du wolltest eine präzise Antwort haben. Die habe ich gegeben! Ich kann das auch gerne auf ein Blatt Papier schreiben..."
Frage: "Was hältst du von den Vorschlägen der Hersteller und der Teams?"
Todt: "Ich kenne das Dossier nicht, aber ich schätze, wir werden sehen."
Frage: "Wäre es eine gute Idee, einige Vorschläge der FIA/Ferrari-Seite heranzuziehen und einige der anderen Seite, also der Hersteller und der Teams?"
Todt: "Warum nicht? Je mehr Leute sich darüber den Kopf zerbrechen, desto besser. All diese Leute sind sehr kompetent und kennen dieses Geschäft sehr gut. Wenn man an das Problem also mit 20 anstatt nur mit fünf Leuten herangeht, dann kann das nur eine gute Sache sein."

