• 11.07.2004 18:36

Das große Siegerinterview mit Michael Schumacher

Der Silverstone-Sieger über seinen Triumph in Großbritannien und den Stolz, Teil dieser einzigartigen Ferrari-Ära zu sein

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, du hast ein breites Grinsen im Gesicht. Heute bist du zweimal an die Box gekommen, die meisten deiner Konkurrenten dreimal."
Michael Schumacher: "Ja. Ich bin erstaunt, wie das Rennen verlaufen ist. Ich hatte schon gedacht, dass unsere Rennstrategie sehr gut sein würde, aber dass ich so schnell in Führung gehen konnte, nämlich gleich nach dem ersten Boxenstopp, war nicht geplant, wenn ich ehrlich sein soll. Mein Auto ist in den letzten Runden des ersten Stints sehr gut gelaufen und ich konnte den Vorsprung, den Kimi in den ersten elf Runden herausgeholt hat, wieder aufholen. Das war phänomenal. Danach hatte ich alles unter Kontrolle, denn mit meiner Strategie war klar, dass Kimi hinter mir bleiben würde. Es war einige Male sehr knapp zwischen uns, aber nie zu knapp, und insgesamt sehr interessant."#w1#

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher feierte heute seinen 80. Grand-Prix-Sieg

Frage: "Nicht erwarten konntest du natürlich, dass das Safety-Car 20 Runden vor Schluss noch einmal rauskam, denn dann ging es Rad an Rad um den Sieg."
Schumacher: "Das hat mir natürlich den komfortablen Vorsprung geraubt, den ich zu dem Zeitpunkt hatte, aber zu meinem Glück waren zwei überrundete Fahrzeuge zwischen mir und Kimi, denn Kimis Reifen waren noch recht frisch und da funktionierten sie sensationell. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er direkt hinter mir gewesen wäre. Das Safety-Car fuhr sehr langsam, dadurch waren meine Reifen kalt und Kimi kam mir in den ersten Runden näher als mir lieb war. Ein paar Runden hatten wir einen netten Zweikampf, aber dann kamen meine Reifen zurück und ich baute mir wieder einen Vorsprung auf."

Schumacher überzeugt, dass er das beste Paket hatte

Frage: "Du hattest ein sehr gutes Wochenende, speziell in den schnellen Kurven. Hat das auch den Unterschied zu Kimi ausgemacht am Ende?"
Schumacher: "Naja, Kimi war im Infield, in den engen Kurven, sehr schnell, vor allem im letzten Sektor. Man muss aber auch sagen, dass wir auf verschiedenen Strategien waren, Kimi hatte ein leichteres Auto, als er direkt hinter mir war. Schwer zu sagen, wie die Situation sonst ausgesehen hätte, aber wir wissen, dass wir hier das beste Paket hatten."

Frage: "Es ist wirklich eine unglaubliche Saison für dich und heute hast du zum ersten Mal vom vierten Startplatz aus gewonnen."
Schumacher: "Ja, aber das bedeutet irgendwie nicht viel. Wir haben das Qualifying für die Rennstrategie geopfert und es hat sich gelohnt. Es ist schon unglaublich, was mir und dem Team dieses Jahr passiert. Ich denke, die harte Arbeit, die in der Fabrik geleistet wird, wird einfach belohnt. Wir haben nie nachgelassen. Vielleicht haben wir aus letztem Jahr gelernt, als wir es manchmal zu sehr auf die leichte Schulter genommen haben, aber dann gerade noch rechtzeitig die Kurve kratzten. Diesen Schmerz wollten bei uns niemand mehr erleben, daher haben wir alles gegeben. Ich sehe diese unglaubliche Motivation beim Testteam, die Jungs geben wirklich alles, und auch in der Fabrik sind sie hungrig. Es ist einfach fantastisch. Jeder treibt sich gegenseitig an und das geht immer so weiter. Ich bin so stolz darauf, zu diesem Team zu gehören und in dieser Ära für Ferrari zu fahren."

Frage: "Was hast du gedacht, als Kimi am Start auf und davon fuhr?"
Schumacher: "Nicht viel. Ich kannte ja meine eigene Strategie und habe mir daher nicht allzu viele Sorgen gemacht."

Frage: "Als er dann an die Box gegangen ist, hast du deine üblichen schnellen Runden auf die Strecke gebrannt."
Schumacher: "Ja. Ich hing hinter Jenson fest und wollte ihn angreifen, war aber an den Stellen, an denen es möglich gewesen wäre, nicht nahe genug dran. Also wartete ich einfach ab, denn mit meiner Strategie musste ich ja nichts übertreiben. Danach hatte ich eine freie Fahrbahn und ich nutzte einfach das Potenzial des Fahrzeugs und das hat sehr gut funktioniert."

Räikkönen war im Prinzip nie ein echter Gegner

Frage: "Du warst also nicht besorgt, als Kimi zweimal zu dir aufgeschlossen hat?"
Schumacher: "Nein, denn selbst wenn er mich überholt hätte, hätte er aufgrund meiner Strategie keinen Vorsprung herausfahren können, der groß genug gewesen wäre."

Frage: "Das Safety-Car war dann eigentlich unglücklich für dich und hat deinen Verfolgern geholfen, nicht wahr?"
Schumacher: "Ich weiß, so ist das eben. Ich hatte Glück, dass ein paar Autos zwischen mir und Kimi lagen, denn dadurch hatte ich ein wenig Zeit, um die Reifen wieder zum Funktionieren zu bringen, und dann konnte ich Kimi hinter mir halten."

Frage: "Du hattest die weicheren Reifen, wenn unsere Informationen stimmen. Wie haben sie funktioniert?"
Schumacher: "Die Reifen haben fantastisch funktioniert, muss ich sagen - mit Ausnahme vielleicht der jeweils ersten Runden und nach der Safety-Car-Phase. Dafür hatten wir am Ende des Stints eine sehr gute Performance. Da muss man eben das Eine gegen das Andere eintauschen. Man hat selten Safety-Cars, man hat nur einen Start, aber es gibt viele letzte Runden und daher denke ich, dass wir für das Rennen und in Sachen Konstanz am besten sortiert waren."

Frage: "Ab und zu hast du einmal ein schlechtes Rennen. Planst du auch dieses Jahr eines und wann können wir damit rechnen?"
Schumacher: "Wünscht ihr euch denn etwa eines?"

Frage: "Ich hoffe es nicht, aber normalerweise kommt es manchmal vor."
Schumacher: "Ich hoffe es auch nicht."

Frage: "Wann habt ihr euch in Sachen Strategie festgelegt und was war die Überlegung dahinter?"
Schumacher: "Gestern haben wir die Strategie entschieden. Wir dachten, zwei Stopps sind die beste Strategie und bekamen das Auto vor dem Qualifying nicht mehr ganz hin, hatten angesichts der Zeiten der vielen Konkurrenten nicht das Gefühl, dass wir auf die Pole fahren könnten. Also dachten wir, es sei besser, eine andere Vorgehensweise zu wählen."

Vierter Startplatz war "besser als erwartet"

Frage: "War der vierte Startplatz mehr oder weniger das, was du erwartet hast?"
Schumacher: "Das war sogar besser als erwartet. Wir haben eine sehr saubere Runde hinbekommen. Wir haben das Auto im Endeffekt für das Qualifying halbwegs hinbekommen, aber das wussten wir im Vorhinein nicht, denn es war in gewissem Sinn ein ungewöhnliches Qualifying. Ich hätte mit dem sechsten oder siebenten Platz gerechnet."

Frage: "Jede Strecke, zu der wir kommen, bietet eine andere Herausforderung für Ferrari, aber am Ende gewinnt ihr doch immer. Wie ist die Atmosphäre im Team, was motiviert euch und wie haltet ihr diese Motivation aufrecht?"
Schumacher: "Das zu erreichen, was wir erreichen, bedeutet natürlich harte Arbeit, so ein Auto zu haben, wie wir es haben. Letztes Jahr haben wir sehr gelitten, als wir die Meisterschaft beinahe verloren hätten, aber das war ein großer Antrieb für uns, es dieses Jahr besser zu machen. Was passiert ist, hat also unsere Einstellung ein wenig verändert, auch wenn sie nie schlecht war, aber sie kann eben immer noch besser sein. Das haben wir gezeigt. Seit das passiert ist, sind alle unglaublich motiviert. Wenn ich nach einem Rennen wieder testen gehe, freuen sich alle und alle arbeiten unglaublich hart und die Erfolge sind ihr gerechter Lohn. Die Freude dieser Jungs zu sehen, ist einfach herausragend. Es ist einzigartig, in so einer Ära zu sein, und wir wollen sie natürlich so lange wie möglich aufrecht erhalten."

Frage: "Wie geht es Ralf?"
Schumacher: "Sein Zustand verbessert sich - fast zu schnell, denn man kann ihn kaum noch zurückhalten. Am liebsten würde er schon wieder im Auto sitzen, aber man muss ihm sagen, dass er locker sein soll."

"Die Anderen haben vielleicht nicht 100 Prozent gegeben"

Frage: "In den letzten vier Rennen hast du dreimal mit unterschiedlicher Strategie gewonnen. Ist das ein Zeichen, dass die Konkurrenz aufholt?"
Schumacher: "Definitiv. Zu Saisonbeginn in Australien hätten wir wahrscheinlich mit jeder Strategie gewinnen können. Das ist jetzt nicht mehr möglich, weil die anderen Teams aufgeholt haben. Gleichzeitig muss man aber sagen, dass wir zu Saisonbeginn nicht damit gerechnet hätten, so überlegen zu sein. Bei den Wintertests hätte Kimi sicher geglaubt - genau wie viele Journalisten -, dass er manchmal eine Chance haben würde, und wir hatten das Gefühl, es würde das schwierigste Jahr werden. Jetzt sieht es doch sehr gut aus und das kommt daher, dass wir 100 Prozent gegeben haben, die Anderen aber vielleicht nicht."

Frage: "Warst du zufrieden mit der Geschwindigkeit des Safety-Cars?"
Schumacher: "Ich finde, es hätte schneller fahren sollen."

Frage: "Wegen der Sicherheit?"
Schumacher: "Nein, aber wenn man mit einem Formel-1-Auto hinter einem Straßenauto fährt, ist es nicht einfach, die Reifen aufzuwärmen."

Frage: "Das ist dein 80. Sieg. Fühlt er sich irgendwie anders an als die anderen?"
Schumacher: "Es ist einfach ein bisschen anders, ehrlich gesagt."

Frage: "Es ist möglich, dass hier nicht mehr gefahren wird. Würdest du das bedauern?"
Schumacher: "Ja, natürlich."

Frage: "McLaren bringt wohl in nächster Zeit einige Verbesserungen. Können wir auch bei Ferrari mit neuen Teilen rechnen?"
Schumacher: "Natürlich schlafen wir nicht und wir arbeiten an neuen Projekten, aber wir arbeiten auch an dem alten Auto weiter, denn wir mögen es, weiterhin zu gewinnen."