• 10.07.2005 19:14

Das große Siegerinterview mit Juan-Pablo Montoya

Nach seinem ersten Sieg im "Silberpfeil" zeigte sich Juan-Pablo Montoya erleichtert - WM-Titel aus seiner Sicht noch nicht ganz verloren

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Juan-Pablo, zuerst gestern eine großartige Runde im Qualifying, jetzt heute ein gutes Manöver vorbei an Fernando Alonso nach der ersten Kurve..."
Juan-Pablo Montoya: "Wenn man im Qualifying als eines der ersten Autos raus muss, ist das sehr schwierig, dennoch hatten wir das Potenzial für eine gute Runde. Das konnte ich umsetzen. Ich glaube, da habe ich das Rennen gewonnen. Ich hatte einen guten Start. Ich wusste, dass Fernando nicht allzu viel riskieren kann, daher war ich bereit, etwas mehr als er zu riskieren - und das hat sich gelohnt."

Titel-Bild zur News: Juan-Pablo Montoya

Juan-Pablo Montoya heute in Silverstone mit seinem ersten Siegerpokal 2005

"Im ersten Abschnitt des Rennens hat das Auto untersteuert und ich konnte nicht wirklich attackieren, also habe ich mich dazu entschlossen, die Reifen zu schonen, denn wenn die Reifen einmal hinüber sind, ist alles gelaufen. Die Strategie des Teams war großartig. Sie haben mich eine Runde früher als geplant reingeholt, um einigen Überrundeten auszuweichen, auf die Fernando statt mir aufgelaufen ist. Das hat gerade gereicht."#w1#

"Das Auto hat im ersten Sektor stark übersteuert"

Frage: "Es war sehr knapp zwischen euch, aber Fernando Alonso war eher im ersten Sektor schneller, du meistens im zweiten und dritten."
Montoya: "Das Auto hat im ersten Sektor stark übersteuert. Ein paar Mal hätte ich es beinahe verloren, vor allem in Becketts. Ich weiß, dass es dort immer in einem gewaltigen Abflug endet, wenn etwas passiert. Für eine halbe Zehntel wollte ich dieses Risiko einfach nicht jede Runde eingehen. Als ich dann pushen musste, um einen Vorsprung aufzubauen, hat sich das gelohnt. Fernando hatte Verkehr, denke ich."

Frage: "Nach deinem ersten Boxenstopp fuhrst du wieder Seite an Seite mit ihm in Becketts..."
Montoya: "Das war klasse, guter Rennsport! Ich möchte jedem bei McLaren und Mercedes danken. Ich war am Donnerstag bei 'Mercedes Performance Engines'. Da haben sie mir gesagt, ich soll mit diesem Motor das Rennen gewinnen. Dass mir das wirklich gelungen ist, ist erstaunlich."

Frage: "Es ist dein erster Sieg für dein neues Team, noch dazu beim Heimrennen von McLaren in Großbritannien. Ein großer Tag, nicht wahr?"
Montoya: "Es war ein großartiges Rennen, es war das Heimrennen des Teams. Genau genommen sind ja beide Teile in England zu Hause, daher ist das fantastisch. Es ist großartig für die Mitarbeiter. Ich freue mich!"

Montoya "nicht überrascht" über ersten Saisonsieg

Frage: "Bisher war es eine schwierige Saison für dich. Fällt dir jetzt ein Stein vom Herzen?"
Montoya: "Ich weiß, dass ich Rennen gewinnen kann, aber es war trotzdem eine sehr frustrierende Saison. Ich habe mich gefreut, als ich über die Ziellinie gefahren bin, aber überrascht war ich nicht. Es war gut. Das Team hat hart gearbeitet. Mein Fahrstil ist ganz anders als der von Kimi (Räikkönen; Anm. d. Red.), und wenn wir neue Teile bekommen, dann bringen die für mich meistens überhaupt nichts. Inzwischen haben wir das etwas besser im Griff."

Frage: "Wie zuversichtlich warst du von deiner dritten Startposition aus?"
Montoya: "Ich wusste, dass ich Fernando vor Becketts überholen muss. Das ist mir gelungen. Von da an war es eine Frage der Strategien und dessen, wie hart man pushen konnte."

Frage: "Wie war das Auto?"
Montoya: "Es hat vor allem zu Beginn stark übersteuert. Die Balance wurde dann ein bisschen besser, sodass ich mich im zweiten Stint leicht von Fernando absetzen konnte."

Handling des MP4-20 war nicht immer optimal

Frage: "Und danach?"
Montoya: "Es war schon okay. In den letzten beiden Kurven hatte ich immer Übersteuern, aber ich musste halt Runde für Runde versuchen, dort brauchbar durchzukommen."

Frage: "Du hast gewonnen, obwohl du im Qualifying einer der ersten Fahrer auf der Strecke warst. Glaubst du, dass um die Startreihenfolge im Qualifying zu viel Wirbel gemacht wird? Oder hast du jetzt für Hockenheim einen Riesenvorteil?"
Montoya: "Ich glaube, dass zwischen den ersten und letzten Gruppen im Qualifying schon mindestens drei bis vier Zehntel liegen, um ehrlich zu sein. Wenn ich mir anschaue, wie schnell ich im Freien Training war, dann hätte ich im Qualifying mindestens Dritter werden müssen. Ich fuhr raus und qualifizierte mich nur als Vierter, war um drei Zehntel langsamer als im Training mit derselben Benzinmenge. Das war frustrierend, aber andererseits bin ich jetzt in Hockenheim zum Glück in einer besseren Position."

Frage: "Dein Auftakt mit McLaren-Mercedes war schwieriger als erwartet. Hing das nur mit der Schulterverletzung zusammen oder auch mit anderen Faktoren?"
Montoya: "Wir bekamen nach den ersten zwei Rennen eine neue Radaufhängung für Imola, aber als die wirklich griff, saß ich wegen der Verletzung nicht mehr im Auto. Das war nicht großartig. Ich kam dann ohne Tests oder Training zurück und hatte in den ersten Rennen danach Schwierigkeiten, mich im Cockpit zurechtzufinden. Ich habe zwar Injektionen bekommen, um die Schmerzen zu lindern, aber das ist auch keine hundertprozentige Lösung. Selbst wenn man nicht daran denkt, spürt man den Schmerz immer. Das war nicht fantastisch. Alles, was schief gehen konnte, ging tatsächlich schief."

Pleiten, Pech und Pannen: "Mir sind ständig solche Dinge passiert!"

"Am Nürburgring ist es dann zum Beispiel ganz gut gelaufen, meine ich. Ich war Dritter nach der ersten Kurve, wurde aber abgeschossen und verlor dabei die Hälfte des Unterbodens. Dann war Kanada, wo mich das Team zu spät in die Boxen geholt hat. Das gehört zum Rennsport dazu, aber mir sind ständig solche Dinge passiert. Schaut euch Magny-Cours an: Ich musste im Qualifying früh raus und war am Arsch. Dennoch wäre ich auf das Podium gekommen. So ist das eben, schätze ich. Das Team macht einen fantastischen Job und unterstützt mich sehr. Wir machen definitiv Fortschritte. Ich bin glücklich. Es ist toll, dass ich den Leuten zeigen kann, dass ich noch immer ein Siegfahrer bin, genau wie früher beim BMW WilliamsF1 Team."

Frage: "Wenn du es schon ansprichst: Was sind die größten Unterschiede zwischen deinem früheren und deinem heutigen Team?"
Montoya: "Ich denke nicht, dass der Teamwechsel eine große Sache war. Ich sitze jetzt halt in einem anderen Auto. Wenn man sich die Cockpitkameras von Kimi und 'DC' (Coulthard; Anm. d. Red.) anschaut, dann sieht man, dass sie sich vom Stil her recht ähnlich sind. Sie fahren sanfter als ich. Ich bekam schnell eine gute Runde hin, aber wenn ich mal wirklich mehr herausholen wollte, ging das nicht. Das war der größte Unterschied, aber es wird immer besser."

Überrundungen: "Flaggen habe ich keine gesehen"

Frage: "Warum war es mit den Überrundungen heute deiner Meinung nach so schlimm?"
Montoya: "Ich kenne diese Situation schon eine ganze Weile. Es ist furchtbar. Jedes Mal, wenn ich auf überrundete Fahrzeuge aufgelaufen bin, wusste ich, dass ich zwei oder drei Sekunden verlieren würde. Ich habe einfach gehofft, dass es Fernando nicht anders gehen würde. Ich schätze aber, wir hatten dieselben Probleme. Ich habe in den Funk geschrieen. Das Team meinte darauf: 'Wir sagen es Charlie (Whiting, FIA-Rennleiter; Anm. d. Red.)!' Die Botschaft ist wohl zu ihm durchgedrungen, Flaggen habe ich aber trotzdem keine gesehen."

Frage: "Glaubst du, dass es jetzt für dich bei McLaren-Mercedes besser laufen wird? Und wenn ja, gehst du dann 2006 auf den WM-Titel los?"
Montoya: "Ich sage euch: Dieses Jahr ist noch nicht ganz vorbei! Kimi und Fernando fighten gegeneinander. Sie könnten sich einmal in zwei Rennen von der Bahn schießen - und schon wäre ich wieder dran. Andererseits ist es hier gut für mich gelaufen, aber beim nächsten Rennen kann das schon wieder ganz anders sein. Ich weiß es also nicht. Wir müssen sicherstellen, dass ich nun keine Probleme mehr habe, dann können wir immer so viele Punkte wie möglich sammeln."

Montoya für einen Kompromiss im Technischen Reglement

Frage: "Laut FIA-Umfrage wünschen sich mehr als 90 Prozent der Fans mehr Überholmanöver. Die Technischen Direktoren sagen, dass dafür die Autos langsamer werden müssen. Möchtest du als Fahrer in den schnellsten Autos sitzen oder ist dir das Überholen wichtiger?"
Montoya: "Meiner Meinung nach sollte es einen Kompromiss geben. Eines der Probleme ist der Abtrieb. Man müsste wieder breitere Slicks einführen. Jetzt sind die Turbulenzen hinter einem anderen Auto so groß, dass man in schnellen Kurven kaum folgen kann. Das Gripniveau wird aber gleichzeitig immer niedriger. Dadurch ist das Überholen so schwierig."

Frage: "Der Start war heute besonders entscheidend. Hattest du im Kopf, dass Fernando Alonso wegen der WM-Situation eventuell zurückstecken würde?"
Montoya: "Hat er wirklich zurückgesteckt? Wir fuhren Seite an Seite in Becketts. Entweder würde einer zurückstecken - oder es kracht eben! Die Chancen, dass er früher vom Gas gehen würde als ich, waren groß. Er steckt im Titelkampf, ich aber nicht. Ich wollte einfach das Rennen gewinnen. Es war ziemlich knapp, aber es hat gereicht. Einmal dachte ich sogar, wir würden uns berühren, aber er ist ausgewichen. Mein Auto war im ersten Stint aber übersteuernd und nicht schnell genug."