Das große Interview mit Scott Speed (1)

Amerikas erster Formel-1-Export seit 13 Jahren im ausführlichen Interview über Vorbereitungen, Erwartungen, Hoffnungen und Ziele im Grand-Prix-Sport

(Motorsport-Total.com) - Scott Speed - bei dem 23-jährigen Kailfornier ist der Name Programm - ist der erste US-Amerikaner seit Michael Andretti 1993, der in der Formel 1 an den Start gehen wird. Diese Woche stellte er sich einer ausführlichen Telefonkonferenz mit zahlreichen Journalisten, deren Transkript nun in voller Länge bei 'F1Total.com' nachgelesen werden kann.

Titel-Bild zur News: Scott Speed mit seiner Freundin Valentina

US-Formel-1-Hoffnung Scott Speed mit seiner österreichischen Freundin Valentina

Frage: "Scott, der Grand Prix von Bahrain, dein erster Auftritt als Formel-1-Rennfahrer, ist nur noch ein paar Tage entfernt. Wie fühlst du dich im Moment? Bist du aufgeregt, nervös, beides?"
Scott Speed: "Wenn ich ehrlich sein soll, ist es wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Ich bin schon ganz aufgeregt, aber auch ein bisschen nervös. Einerseits versuche ich, meine Erwartungen niedrig zu halten, weil ich nicht viel Erfahrung habe, aber andererseits liegt es in meiner Natur als Rennfahrer, dass ich gut abschneiden möchte. Ich versuche, möglichst konzentriert und auf dem Boden zu bleiben, und ich wünsche mir ein gutes erstes Rennwochenende."#w1#

Am interessantesten ist das Duell mit Liuzzi

Frage: "Womit wärst du am Sonntagabend in Bahrain zufrieden?"
Speed: "Schwer zu sagen. Natürlich möchte ich im Vergleich zu meinem Teamkollegen gut aussehen, aber man kann jetzt noch nicht sagen, wo wir als Team im Vergleich zur Konkurrenz stehen werden. Nach Bahrain kann man dazu schon viel mehr sagen, aber bis dahin können wir nur die Daumen drücken, dass es gut laufen wird."

"Diese Lackierung wird im Fahrerlager für eine gewaltige Überraschung sorgen, das kann ich versprechen!" Scott Speed

Frage: "Wie hast du dich auf den Beginn deiner Formel-1-Karriere vorbereitet?"
Speed: "Zum Glück konnte ich noch ein paar Mal mit dem neuen Auto testen, wir waren ja sogar schon direkt in Bahrain. In den vergangenen Wochen saß ich eigentlich fast nur im Flugzeug. Ich komme gerade aus Paul Ricard, wo wir einen PR-Tag mit der neuen Lackierung des Autos hatten, die übrigens wirklich sensationell aussieht. Diese Lackierung wird im Fahrerlager für eine gewaltige Überraschung sorgen, das kann ich versprechen! Ansonsten saß ich wie gesagt viel im Auto, aber ich bereitete mich auch mit dem normalen Fitnessprogramm vor."

Frage: "Du bist zwar Teil der Red-Bull-Familie, fährst aber für das B-Team, für die Scuderia Toro Rosso. Sind deine Ziele für 2006 dennoch die von Red Bull?"
Speed: "Schon, ja, denn in unserem Team hat sich seit der Übernahme eine Menge getan. Bei uns sind ziemlich viele Italiener, was schön ist, denn sie arbeiten sehr hart und haben eine genaue Vorstellung davon, was sie wollen. Sie sind sehr leidenschaftlich - und das passt wunderbar zu der Red-Bull-Einstellung. Und was die Red-Bull-Ziele angeht: Ich denke, dass es der erfolgreichste von ihren Fahrern irgendwann ganz an die Spitze schaffen wird."

Frage: "Glaubst du, dass ihr es mit eurem V10-Motor ein bisschen leichter haben werdet als die Konkurrenz, weil die anderen Teams aus dem Nichts einen Motor entwickeln mussten?"
Speed: "Nein, ich sehe das eher als Nachteil, denn der V8 ist die Zukunft der Formel 1. Wir verlieren ein wertvolles Entwicklungsjahr. Wir haben auch keinen Leistungsvorteil, aber es stimmt, dass wir zu Beginn des Jahres von der Zuverlässigkeit her besser aussehen könnten als die anderen. Die V8-Motoren werden aber Ende des Jahres genauso zuverlässig sein - Streckenrekorde aus der V10-Ära brechen sie ja schon jetzt, wie man bei den Tests gesehen hat. Wir hoffen nur, dass wir mit dem V10 nicht auf völlig verlorenem Posten stehen werden, aber im Moment sieht es nach einem recht ausgeglichenen Kräfteverhältnis aus."

Scuderia Toro Rosso ist das ideale Einstiegsteam

Frage: "Kommt dir die vor dir liegende Aufgabe wie ein Ankommen vor oder eher wie die erste Stufe auf einer noch sehr langen Karriereleiter?"
Speed: "Das ist eine gute Frage! Ich glaube, dass die Scuderia Toro Rosso genau der richtige Platz ist, um in die Formel 1 einzusteigen. Es ist für jeden jungen Fahrer im ersten Formel-1-Jahr sehr schwierig, denn die Formel 1 ist ein ganz anderes Kaliber als jede andere Rennserie, in der man antreten muss, um dorthin zu gelangen. Man muss erst einmal lernen, der Anführer eines Teams zu sein, von dem 20 Mechaniker an deinem Auto schrauben, für das 100 Ingenieure neue Teile bauen. Die Scuderia Toro Rosso ist eines der kleineren Teams und damit ideal für mich, um mal beide Füße vorsichtig in die Formel-1-Tür zu stellen. Nach dem ersten Jahr kann man sich dann ehrgeizigere Ziele setzen."

"Angesichts meiner Krankheit und all der anderen Stolpersteine ist es unglaublich, dass ich das geschafft habe." Scott Speed

Frage: "Du bist mit 23 Jahren in der Königsklasse des Motorsports angekommen. Hattest du angesichts der vielen Rennen überhaupt schon einmal Zeit, darüber dezidiert nachzudenken, was du da eigentlich erreicht hast?"
Speed: "Manchmal, wenn ich mit meiner Freundin oder mit meiner Familie beisammen sitze, denke ich schon darüber nach, aber wirklich Zeit hatte ich für solche Gedanken noch nicht. Angesichts meiner Krankheit und all der anderen Stolpersteine ist es unglaublich, dass ich das geschafft habe, und ich bin ungemein glücklich darüber."

Frage: "Apropos Krankheit: Kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen?"
Speed: "Mir wurde eine Krankheit mit dem Namen Ulcerative Colitis diagnostiziert, eine Darmerkrankung. Diese beeinflusst die Ernährungszufuhr und führte bei mir dazu, dass ich viel zu wenig rote Blutkörperchen hatte und 2003, in meinem ersten Jahr in Europa, keine Rennen mehr fahren konnte. Wegen der Krankheit verlor ich zum Teil meine Blasenkontrolle, musste Windeln tragen. Es ist wirklich nicht einfach, mit Windeln Rennen zu bestreiten und den Stolz nicht zu verlieren. Meine Rennfahrerkarriere wäre beinahe zu Ende gewesen, aber dann traf ich auf einen Arzt aus Wien, der mir weiterhelfen konnte. Ich hatte jetzt seit mehr als einem Jahr keine Probleme mehr mit der Krankheit."

Frage: "Wie schwierig ist es, wenn man in deinem noch jungen Alter plötzlich ein Formel-1-Team anführen soll?"
Speed: "Sehr schwierig, aber so ist das eben im Motorsport: Man kann sich auf diese Erfahrung nicht vorher vorbereiten. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Manager in einem Großkonzern, wie der Typ, der sicherstellen muss, dass alle in die richtige Richtung arbeiten. Ich versuche daher, so viel wie möglich zu lernen."

Erst körperliche, jetzt auch mentale Belastung

Frage: "Ist im Zuge deines Aufstiegs in die Formel 1 eigentlich die körperliche Herausforderung oder die mentale größer? Die Formel 1 ist ja ein anderes Kaliber als die GP2-Serie..."
Speed: "Anfangs habe ich mich in erster Linie körperlich vorbereitet, denn die Kräfte, die in der Formel 1 wirken, sind mit nichts anderem vergleichbar. Vor allem die Nackenmuskulatur musste trainiert werden. Jetzt ist mein Hals so muskulös, dass er gar nicht mehr zum Rest des Körpers passt! Jetzt, wo ich schon oft im Auto gefahren und körperlich auf der Höhe bin, kommt die mentale Sache als nächster Schritt. Man muss sicherstellen, dass im Team alle am selben Strang ziehen."

"Am wichtigsten ist der Vergleich mit dem Teamkollegen, denn das ist in der Formel 1 der einzig nachzuvollziehende Anhaltspunkt." Scott Speed

Frage: "Hast du dir für 2006 ein konkretes Saisonziel gesetzt oder legst du mehr Wert darauf, dich als Fahrer und innerhalb des Teams weiterzuentwickeln?"
Speed: "Mir ist schon eher meine Weiterentwicklung wichtig, denn ob man einen Punkt holt oder zwei, ist von vielen anderen Faktoren abhängig, nicht nur von der eigenen Leistung. Am wichtigsten ist aber der Vergleich mit dem Teamkollegen, denn das ist in der Formel 1 der einzig nachzuvollziehende Anhaltspunkt. Zwischen den einzelnen Teams sind die Unterschiede so groß, dass man nur Teamkollegen untereinander ernsthaft miteinander vergleichen kann. Ich muss also als Fahrer dazulernen - und je mehr ich lerne, desto rosiger sieht meine Zukunft aus!"

Frage: "Wie kommst du eigentlich mit Vitantonio Liuzzi aus?"
Speed: "Sehr gut! Er ist ein sehr entspannter Kerl, mit dem sich alle gut verstehen. Ich kenne jedenfalls niemanden, der mit ihm ein Problem hat."

Frage: "Als die GP2-Serie 2005 in die Türkei kam, auf eine neue Strecke, warst du auf Anhieb am schnellsten. Das scheint eine deiner Stärken zu sein, nicht wahr? Und welche anderen Stärken hast du noch?"
Speed: "Das stimmt. Schon seit meiner Kartzeit ist Anpassungsfähigkeit meine größte Stärke - ob nun an neue Strecken, neue Autos, neue Techniken. Darin war ich schon immer sehr gut. Ich hoffe, dass mir das in der Formel 1 helfen wird, denn in der Formel 1 gibt es jedes Jahr ein neues Auto und auch das Reglement ändert sich ständig. Es kann sogar vorkommen, dass man zwischen zwei Rennen einen neuen Frontflügel bekommt, der um zwei Prozent mehr Downforce produziert. Mit solchen Dinge komme ich aber sehr gut zurecht."

Teil zwei des Interviews mit Scott Speed wird am morgigen Freitag auf 'F1Total.com' veröffentlicht.