Vitantonio Liuzzi im großen 'F1Total.com'-Interview

Der wahrscheinlich selbstbewussteste Paradiesvogel der Formel 1 über seine ehrgeizigen Ziele, die alte und die neue Saison und Schumachers Rekorde

(Motorsport-Total.com) - Um 20:00 Uhr trifft man im Fahrerlager bei Wintertestfahrten eigentlich nur noch fleißige Ingenieure und Mechaniker sowie Presseleute an, die sich gerade in den Motorhomes ihrer Teams stärken und dann ins Hotel abreisen. Bei Red Bull kann es jedoch schon einmal passieren, dass David Coulthard plötzlich mit seinem Roller daherkommt, weil es ihm alleine in seinem Wohnmobil zu langweilig wird.

Titel-Bild zur News: Christian Nimmervoll und Vitantonio Liuzzi

'F1Total.com'-Chefredakteur Christian Nimmervoll im Gespräch mit Liuzzi

Für einen Smalltalk mit dem Schotten ist Vitantonio Liuzzi immer bereit, zumal er als Partylöwe der Red-Bull-Familie gilt und von seinem Teamkollegen Scott Speed als "wildestes Tier, das ich je erlebt habe" beschrieben wird. Der Italiener gilt als Paradiesvogel, wie er im Bilderbuch steht - ausgestattet mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein und jederzeit für ein Späßchen zu haben. Genau so präsentierte er sich kürzlich im Interview mit 'F1Total.com' in Spanien.#w1#

Liuzzi wäre lieber für Red Bull Racing gefahren

"Mein Abenteuer mit Red Bull in der Formel 1 geht weiter." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Vitantonio, du hast wahrscheinlich auf einen Stammplatz bei Red Bull Racing gehofft, aber am Ende ist es nur die Scuderia Toro Rosso geworden. Bist du trotzdem happy?"
Vitantonio Liuzzi: "Ja, natürlich. Mein Abenteuer mit Red Bull in der Formel 1 geht weiter. 2006 wird meine erste Saison in der Formel 1, und ich freue mich wirklich schon sehr darauf, mit dem Team zusammenzuarbeiten. Ende letzten Jahres war ich sehr nahe dran, bei Red Bull Racing zu landen, aber ich bin wie gesagt auch bei Toro Rosso glücklich. Es ist ein neues Abenteuer und eine neue Herausforderung für mich und das Team. Das wird bestimmt aufregend."

Frage: "Die Leute, mit denen du zu tun hast, sind sowieso zum Teil gleich geblieben, oder?"
Liuzzi: "Ja, irgendwie schon. Wir bei Red Bull sind eine große Familie. Die Arbeitsweise ist ein bisschen anders, aber es ist nett, wieder in einem italienischen Team zu sein und mit italienischen Freunden zu arbeiten. Ich freue mich darauf, dieses Jahr an der Weltmeisterschaft teilzunehmen."

Frage: "Du durftest vergangene Saison nur vier Rennen bestreiten. Wie siehst du das im Nachhinein?"
Liuzzi: "Natürlich wäre es mir lieber gewesen, die ganze Saison zu fahren, aber am Beginn des Jahres haben wir festgelegt, dass Christian (Klien; Anm. d. Red.) und ich uns ein Cockpit teilen müssen. Als dritter Fahrer hat alles sehr gut für mich begonnen. Dann kamen die vier Rennen, in denen es auch ganz gut lief. Leider hat das Team dann entschieden, dass es nicht sinnvoll sei, ständig den Fahrer zu wechseln - aus Fahrersicht ebenso wenig wie aus Teamsicht. Der Plan war, einen längeren Rhythmus einzuführen, um etwas mehr Stabilität zu erreichen. Das Team hat sich dann entschieden, Christians Fähigkeiten in seinem zweiten Jahr in der Formel 1 genau zu evaluieren, weshalb ich keinen Renneinsatz mehr zugesprochen bekam. Für mich war das natürlich nicht wünschenswert, aber okay, ich musste das akzeptieren. Umso mehr freue ich mich auf 2006."

Schlechtes Timing für die vier Renneinsätze

"In Imola war ich sehr gut unterwegs und ich holte einen Punkt, und am Nürburgring war ich nahe dran." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Waren deine vier Renneinsätze wegen des Qualifikationsformats noch schwieriger? Schließlich musstest du zunächst von der schlechtesten Ausgangsposition aus beginnen..."
Liuzzi: "Sicher, da hast du Recht. Aber noch etwas hat mir nicht gerade geholfen: Ich durfte in Imola, Barcelona, Monaco und am Nürburgring fahren, doch die Saison befand sich gerade in einem Umbruch und wir waren nicht mehr so konkurrenzfähig wie in den ersten drei Rennen. Zu dem Zeitpunkt konzentrierten wir uns schon auf 2006, also hatten wir ein paar schwierige Wochenenden wie Monte-Carlo oder Barcelona. In Imola war ich aber sehr gut unterwegs und ich holte auch einen Punkt, und am Nürburgring war ich zumindest nahe dran."

"Aber um zu deiner Frage zurückzukommen: Natürlich ist das Einzelzeitfahren im Qualifying so eine Sache, denn ich war nicht daran gewöhnt. In den Nachwuchsserien dauert das Qualifying immer eine halbe Stunde, und da musste ich mich erst einmal umstellen. Man kommt nicht einfach so in die Formel 1 und gewinnt Rennen, sondern man braucht Zeit und muss Erfahrung sammeln. Insofern verspreche ich mir viel von der Saison 2006."

Frage: "Du weißt jetzt, dass du dein Cockpit dieses Jahr nicht mit einem anderen Fahrer teilen musst. Ist das motivierend?"
Liuzzi: "Natürlich. Wie gesagt: Es war für niemanden einfach, nicht für Christian und auch nicht für mich. Dass ich jetzt selbst Rennen fahren darf, ist klarerweise schön, denn es war schon hart, an den Sonntagen zuschauen zu müssen. Jetzt schauen wir einmal, wozu wir als Team in der Lage sind."

Frage: "Was erwartest du dir realistisch betrachtet von dieser Saison? Ich meine, gegenüber der Minardi-Zeit sollte ja schon eine Steigerung drin sein..."
Liuzzi: "Natürlich ist die Erwartungshaltung eine andere, denn Red Bull investiert viel mehr in das Team und erhofft sich daher viel mehr - und das gilt für mich genauso. Das Budget ist viel höher als früher und die Leute machen einen motivierteren Eindruck. Man darf das nicht falsch verstehen: Die Minardi-Jungs haben angesichts ihrer Mittel einen tollen Job gemacht, aber jetzt stehen eben andere Mittel zur Verfügung, also ist der logische Schluss, dass wir in der Weltmeisterschaft nach vorne kommen müssten. Ich glaube, dass wir das mit der Unterstützung von Red Bull schaffen können."

Zuverlässigkeit soll am Saisonbeginn Punkte einbringen

Vitantonio Liuzzi

Vitantonio Liuzzi hat sich für seine zweite Formel-1-Saison viel vorgenommen Zoom

Frage: "Bei den Wintertests hattet ihr noch kein eigenes Auto zur Verfügung, aber welche Eindrücke konntest du bisher gewinnen?"
Liuzzi: "Über die Tests etwas zu sagen, ist immer besonders schwierig, weil man nie genau weiß, wer mit welcher Konfiguration unterwegs ist. Einige haben noch einen V10 drin, einige schon den V8 und so weiter. Ich denke, dass man das erste Rennen abwarten muss, um das Kräfteverhältnis einschätzen zu können. Was uns selbst angeht, legen wir größten Wert auf Zuverlässigkeit, um am Saisonbeginn vielleicht ein paar Punkte abstauben zu können. Alle sind sehr motiviert, weshalb ich uns eine gute Saison zutraue."

Frage: "Euer regulierter V10-Motor ist immer noch ein großes Thema. Du hast gesagt, der V10 sei ein gewaltiger Nachteil, aber es wäre ja auch dumm von euch, einen eventuellen Vorteil öffentlich preiszugeben..."
Liuzzi: "Ich schätze, dass da alle ein bisschen politisieren. Beim ersten Test in Barcelona konnte ich den anderen Autos nicht einmal im Windschatten folgen. Das war schon ein Rückschlag. Natürlich sagen die anderen Teams, dass der V10 zu schnell ist, aber ich kann ehrlich sagen, dass das nicht der Fall ist. Von der Zuverlässigkeit her haben wir natürlich einen Vorteil, aber hinsichtlich der Leistung sicher nicht. Die V8-Motoren machen einen sehr starken Eindruck auf mich."

Frage: "Langsame Strecken müssten euch dennoch entgegenkommen, nicht wahr?"
Liuzzi: "Klar! Man muss aber auch sagen, dass es nur ein Monte-Carlo gibt. Doch ich finde, dass wir mit unserem Auto insgesamt nicht so schlecht aufgestellt sind. Was den Motor angeht, stimmt es, dass wir im unteren Drehzahlbereich sehr stark sind, aber dafür fehlt es uns massiv an Topspeed. Daran müssen wir arbeiten, sofern das überhaupt geht. Vor uns liegt in dieser Hinsicht kein einfaches Jahr, aber ich glaube trotzdem, dass wir ein paar Mal in die Punkte oder vielleicht sogar einmal auf das Podium fahren werden."

Eigenes Auto der Scuderia Toro Rosso noch nicht fertig

Vitantonio Liuzzi und Christian Nimmervoll

Locker und lässig: Vitantonio Liuzzi beim Interviewtermin mit 'F1Total.com' Zoom

Frage: "Bisher seid ihr nur mit einem Interimsauto von Red Bull Racing gefahren, richtig?"
Liuzzi: "Genau, aber im Hintergrund arbeiten unsere Leute schon am neuen Auto, dem STR1. Die Ingenieure sind wirklich mit Hochdruck dran, aber wir testen trotzdem schon jetzt mit dem RB1, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln."

Frage: "Die Scuderia Toro Rosso ist auf dem Papier von Red Bull Racing unabhängig, aber in der Praxis gibt es natürlich enge Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Glaubst du, dass ihr davon profitieren werdet?"
Liuzzi: "Wie gesagt: Wir sind eine große Familie. Alle bei Red Bull arbeiten hart dafür, es an die Spitze zu schaffen. Es wäre einfach, vier gleiche Autos hinzustellen, aber Red Bull nimmt die Formel 1 sehr ernst. Unsere Ingenieure bei Toro Rosso werden erst einmal ein gutes Auto hinstellen, aber dann werden wir sicher auch mit Red Bull Racing zusammenarbeiten. Toll ist natürlich, dass Adrian (Newey; Anm. d. Red.) neu zu uns gestoßen ist. Der RB2 sieht schon jetzt sehr konkurrenzfähig aus, auch wenn wir es auf der Strecke erst noch umsetzen müssen. Jedenfalls kommen auf Red Bull Racing große Veränderungen zu, und auch bei uns, bei Toro Rosso, tut sich einiges."

Frage: "Wo liegen die Unterschiede zwischen der Scuderia Toro Rosso und Red Bull Racing?"
Liuzzi: "Nun ja, im Moment fahren wir ja noch mit dem RB1, aber wir werden demnächst auch unser eigenes Auto bekommen. Das ist der wichtigste Punkt. Es gibt aber auch bei Red Bull eine Menge zu tun, denn die Basis des Autos ist aufgrund der neuen Regeln ganz anders. Aerodynamisch sind die Daten des neuen Autos viel besser als im Vorjahr, und ich denke daher, dass sie eine gute Saison vor sich haben. Sie arbeiten auch mit Ferrari eng zusammen und müssen sich während der Saison kontinuierlich steigern. Ich hoffe klarerweise, dass das auch ein bisschen auf uns abfärbt."

Liuzzi strotzt regelrecht vor Selbstvertrauen

"Vom Speed her muss ich mich vor niemandem verstecken. Das werden die Leute schon noch früh genug erkennen." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Jeder Fahrer ist überzeugt, dass er selbst der Beste ist und von niemandem - außer vom Material - geschlagen werden kann. Jetzt erklärst du mir bitte, warum Vitantonio Liuzzi der beste Rennfahrer der Welt ist!"
Liuzzi: "Ich bin auf der Strecke sehr schnell. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich jetzt schon der Beste bin. Ich sehe das ganz realistisch: Ich habe noch viel zu lernen, weil es mir an Erfahrung fehlt, aber vom Speed her muss ich mich vor niemandem verstecken. Das werden die Leute schon noch früh genug erkennen."

Frage: "War es psychologisch schwierig für dich, als Formel-3000-Seriensieger in die Formel 1 zu kommen und dort eine doch eher unglückliche Saison zu erleben?"
Liuzzi: "Ich finde es heutzutage wirklich schwierig, aus einer Nachwuchsformel in die Formel 1 aufzusteigen, denn inzwischen liegt der Unterschied nicht mehr nur in der Geschwindigkeit der Autos, sondern es gibt auch im Umfeld so manches, mit dem man erst einmal zurechtkommen muss. Ich denke, dass sich die Leute immer noch an meine Formel-3000-Saison erinnern können, in der ich ja wirklich bewiesen habe, dass ich sauschnell bin. In der Formel 1 lebe ich jetzt einen Traum, denn es ist eine Weltmeisterschaft für nur 20 Fahrer (eigentlich 22; Anm. d. Red.) - da dabei zu sein, macht mich sehr glücklich. Andererseits ist dabei sein natürlich nicht alles, aber man kann den Erfolg nicht erzwingen, sondern man muss geduldig sein und einsehen, dass Erfahrung enorm wichtig ist."

Frage: "Nenne eine deiner Schwächen!"
Liuzzi: "Hm..."

Liuzzi glaubt, keine großen Schwächen zu haben

"Niemand ist perfekt, aber ich denke schon, dass ich nicht allzu viele Schwächen habe." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Willst du sagen, dass du keine hast?"
Liuzzi: "Ja. Ich meine, niemand ist perfekt, aber ich denke schon, dass ich nicht allzu viele Schwächen habe, wenn ich das Visier runterklappe und auf die Strecke gehe."

Frage: "Und was sind deine Stärken?"
Liuzzi: "Ich denke, dass ich sehr gut darin bin, jederzeit das Maximum aus dem Team und dem Auto herauszuholen. Eine Formel-1-Saison umspannt inzwischen nicht weniger als 19 Rennen, und da halte ich es für besonders wichtig, dass man an jedem Rennwochenende sein Maximum abrufen kann."

Frage: "Bevor du in die Formel 1 gekommen bist, haben sich alle gefreut, einen guten Typen ins Fahrerlager zu bekommen, der ein bisschen lockerer ist als die meisten anderen Fahrer. Nach deiner ersten Saison, in der es nicht ganz so gelaufen ist, fällt dir das aber ein bisschen auf den Kopf, denn genau dein Partyimage ist nun für die Kritiker gefundenes Fressen. Kümmerst du dich um solche Dinge?"
Liuzzi: "Ich kümmere mich nicht darum, nein, aber ich denke, dass die Leute die Leistung im Auto bewerten sollten und nicht wie oft ich lache! Ich genieße mein Leben in der Formel 1 und finde, dass eine gute und entspannte Atmosphäre im Team sehr wichtig ist. Auch die Mechaniker haben dann viel mehr Freude an ihrer Arbeit. Sind wir doch mal ehrlich: Die Formel 1 ist ohnehin ein viel zu spießiges Business. Die Fans sollen doch Spaß haben, wenn sie uns zuschauen, und dann sollten wir uns wenigstens bemühen, dass wir wie Racer aussehen und nicht wie irgendwelche Bankangestellten mit einem braunen Sakko."

Einbremsung der Formel 1 geht Liuzzi gegen den Strich

"Die Autos werden immer langsamer, was ich nicht gut finde." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Wenn du eine Sache an der Formel 1 verändern könntest, was wäre das?"
Liuzzi: "Die Autos werden immer langsamer, was ich nicht gut finde. Die Zuschauer sind interessiert an der Technik, also denke ich, dass die Formel 1 immer die stärksten und besten Autos haben muss. Jetzt versuchen sie, die Autos mit schwächeren Motoren einzubremsen, aber so gewinnen wir bestimmt keine Fans zurück. Ich finde sowieso, dass wir die Zuschauer besser unterhalten müssen."

Frage: "Gibt es irgendetwas, wonach du noch nie gefragt wurdest, was du aber gerne einmal beantworten möchtest?"
Liuzzi: "Nein, eigentlich nicht. Ich bin ziemlich natürlich, auch im Umgang mit den Medien. Ich hoffe natürlich, dass du mich nächstes Jahr um diese Zeit fragen wirst, wie es war, die Weltmeisterschaft zu gewinnen, aber im Moment denke ich an so etwas noch nicht..."

Frage: "Noch eine letzte Frage: Mit welchen Erfolgen wärst du am Ende deiner Formel-1-Karriere zufrieden?"
Liuzzi: "Natürlich will ich Weltmeister werden, aber mein Lebensziel ist, die Rekorde, die Schumacher aufgestellt hat, zu brechen. Das ist doch mal ein Ziel, oder?"