Das große Interview mit Paul Stoddart - Teil zwei

'F1Total.com'-Interview mit dem Minardi-Boss über die Sonderstellung Ferraris, die geplante Herstellerserie und die Favoriten für 2005

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 befindet sich in ihrem wahrscheinlich größten Machtkampf aller Zeiten - und Paul Stoddart steht mittendrin: Der Minardi-Teamchef hat zwar an und für sich recht wenig zu sagen in der Königsklasse des Motorsports, ist seit einigen Wochen aber als Sprachrohr der Anti-Ferrari-Fraktion eine der wichtigsten Figuren in der Debatte um die Zukunft des Grand-Prix-Sports.

Titel-Bild zur News: Paul Stoddart

Findet, dass Ferraris Verhalten der Formel 1 sehr schadet: Paul Stoddart

Im exklusiven Interview mit 'F1Total.com', von dem wir nun auch den zweiten Teil präsentieren, beleuchtete der Australier seine Sicht der Dinge im Streit zwischen Bernie Ecclestone, der FIA, Ferrari, den Herstellern und den restlichen neun Teams. Dabei ließ er kein gutes Haar an Ferrari und FIA-Präsident Max Mosley, während er Ecclestone sein volles Vertrauen aussprach. Außerdem äußerte er sich zur am Sonntag beginnenden Formel-1-Saison 2005.#w1#

Stoddart: Ferrari handelt "nicht im Interesse des Sports"

Frage: "Paul, du hast kürzlich in einem Interview über die Sonderstellung von Ferrari in der Formel 1 gesprochen. Was sind das für Vorteile, die du damit gemeint hast?"
Paul Stoddart: "Als ältestes Team hat Ferrari der Formel 1 viel gegeben und ihre Stellung ist in den letzten Jahren noch einmal bedeutender geworden. Sie gehören zur Formel 1. Man sollte aber nicht darauf vergessen, dass die Formel 1 umgekehrt auch Ferrari sehr gut getan hat. Es ist schon eine gewisse Verpflichtung da, Ferrari zu unterstützen, was ich auch einsehe, aber sie haben eine Mentalität, einfach alles nur zu nehmen und nichts zu geben. Das funktioniert einfach nicht. Wenn man einen Sport so dominiert, kann man nicht einfach so viel nehmen und verlangen. Sie haben den besten Fahrer aller Zeiten und sie sind das Team der Stunde, bei dem alles bestens läuft. Man muss ihnen dazu gratulieren, aber es gibt Grenzen. Im Moment sind sich neun Teams einig, neun Teams ziehen an einem Strang, aber ein Team blockiert all diese gut gemeinten Versuche. Das ist nicht im Interesse des Sports."

Würde Ferrari auch ohne Erfolge am meisten abkassieren?

Frage: "Ist es wahr, dass die anderen neun Teams Ferrari bezahlen?"
Stoddart: "Ja. Ferrari bekommt den größten Teil der Einnahmen. Minardi bekommt den kleinsten Teil der Einnahmen, aber die Wahrheit ist, dass Ferrari auch dann noch am meisten bekommen würde, wenn sie keine Weltmeisterschaften gewinnen würden."

Frage: "Was hast du gedacht, als du davon erfahren hast, dass Ferrari, die FIA und Bernie Ecclestone ein neues Concorde Agreement unterschrieben haben? Hast du vorher davon gewusst?"
Stoddart: "Nein. Als ich davon gehört habe, dachte ich sofort, 'Bernie hat sich wieder einmal zehn von zehn möglichen Punkten verdient', denn das ist ein großer Coup, ein wirklich bedeutender Deal. Man muss wirklich sagen, dass es Bernie versteht, solche Deals einzufädeln. Dann habe ich mich hingesetzt und analysiert, was da eigentlich passiert ist, und ich dachte mir, 'Mein Gott, wie muss sich die 'GPWC' jetzt fühlen', denn die haben ja auch nicht viel mehr als ich gewusst. Und dann fragt man sich, warum die FIA so schwerwiegend involviert ist, die ja eigentlich eine unabhängige Sporthoheit sein sollte. Wir alle hatten gemischte Gefühle, denn es gibt so viele Schwierigkeiten mit Instabilität und all den anderen Dingen, was ja hinlänglich bekannt ist."

Zweifel an Mosley, aber volle Unterstützung für Ecclestone

"Wir alle lieben Bernie. Okay, alle denken irgendwo, dass er zu viel Geld aus dem Sport herausnimmt, aber andererseits muss man sich fragen, wo die Formel 1 heute ohne Bernie Ecclestone stehen würde. Es gibt meiner Meinung nach niemanden, der nicht den allergrößten Respekt und die allergrößte Bewunderung vor Bernie hat. Leider Gottes ist Max (Mosley; Anm. d. Red.) in einer anderen Kategorie. Das ist wirklich traurig, denn ich bin der festen Überzeugung, dass er Besseres verdient als den Kurs, auf dem er momentan steuert. Ich hoffe wirklich, ganz fest, dass er eine Wende einlegt. Eine Position, die sich gegen eine 90-prozentige Mehrheit richtet, ist einfach nicht haltbar - zumindest nicht lange. Was Ferrari angeht, ist es traurig, dass sie den besten Fahrer aller Zeiten haben und ein so großartiges Team, aber aus irgendeinem Grund isolieren sie sich. Es will einfach nicht in meinen Kopf, warum sich so ein erfolgreiches Team vom Rest absondert. Vielleicht bekommt der Spruch, dass der Zweite der erste Verlierer ist, dieses Jahr eine neue Bedeutung. Vielleicht heißt es, dass der Zweite der erste Sieger ist, denn Ferrari testet unter anderen Bestimmungen als wir."

Testbeschränkung: "Ferrari-Siege wären nur ein Witz"

Frage: "Ist das euer Ziel - und mit euch meine ich die neun Teams -, medialen Druck auf Ferrari auszuüben, weil sie sich über das Gentlemen's Agreement bezüglich der Testfahrten hinwegsetzen wollen?"
Stoddart: "Ich glaube nicht, dass wir das müssen, denn ihr Jungs habt doch Ahnung von der Sache! In letzter Zeit sind einige deiner Kollegen zu mir gekommen und haben mir gesagt, dass jeder Ferrari-Sieg nur noch ein Witz sein wird. Ich habe auch gehört, dass Ferrari sogar Tests auf Strecken gebucht hat, auf denen Testfahrten bisher nicht gestattet waren. Oder in der Woche vor einem Rennen, auch das scheinen sie vorzuhaben. Sie tun jetzt so, als gäbe es überhaupt keine Regeln mehr. Vielleicht haben sie damit ja sogar Recht. Aber ich frage mich, in welchem Licht das ihre Siege erscheinen lässt. Sie gewinnen ja sowieso, also warum gehen sie so ins Extreme? Diese Siege wären doch nur ein Witz."

Frage: "Sie tun sich sicher nichts Gutes, denn die Medien werden ihre Siege auch in einem anderen Licht sehen als bisher..."
Stoddart: "Eben. Sie machen sich selbst kaputt. Ich möchte das Wort Arroganz nicht verwenden, aber mir fällt nichts Besseres ein. Sie verhalten sich nicht wie Leute, die sich für einen Sport verantwortlich fühlen, der ihnen so viel gegeben hat. Sie haben dem Sport ja auch so viel gegeben. Das alles ist verrückt."

"Sie haben das, was gerade geschieht, einfach nicht nötig"

Frage: "Findest du, dass sich ein Team, das schon so viel gewonnen hat, eigentlich von vornherein auf den Weg der größeren Herausforderung einlassen müsste, speziell unter solchen Umständen?"
Stoddart: "Sie haben das, was jetzt gerade geschieht, einfach nicht nötig. Darum geht es mir. Ich glaube, Ron Dennis hat kürzlich gesagt, dass Ferrari-Siege nur noch ein Witz sein werden, weil sie sowieso gewonnen hätten, aber jetzt muss Ferrari damit rechnen, dass alle sagen, 'Sie haben es ja nur wegen der Ignoranz der Testbeschränkung geschafft'."

Frage: "Kommen wir zurück auf das Concorde Agreement. Bernie Ecclestone hat Teams, die jetzt schon unterschreiben, mehr Geld geboten. Ist das für ein Team wie Minardi nicht eine große Verlockung?"
Stoddart: "Das ist sehr verlockend, da hast du schon Recht. Bernie hat sich in letzter Zeit mit allen - oder fast allen - Teams unterhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand diesen Deal überhastet unterschreiben wird. Dabei geht es nicht darum, dass jemand ein Problem mit Bernie hat, denn meiner Meinung nach kommen alle gut mit ihm aus - vor allem ich. Aber solange das Thema mit Max nicht aussortiert ist und solange die Rufe der Hersteller nach mehr Stabilität und einem besseren Reglement - was wirklich nicht besonders viel verlangt ist - nicht gehört werden, wird niemand bei niemandem unterschreiben. Niemand hat ein Problem mit Bernie, wirklich nicht, aber alle wünschen sich, dass die Schwierigkeiten mit Max endlich vom Tisch gewischt werden können. Solange der Kampf mit Max nicht beendet ist, wird nichts passieren."

Geteilte Rennserien: "Das Schlimmste, was passieren kann"

Frage: "Vor allem würde auch eure Allianz der neun Teams auseinander brechen, wenn einer das Concorde Agreement unterschreiben würde, nicht wahr?"
Stoddart: "Nicht unbedingt. Wir haben damit gerechnet, dass so etwas passieren wird, aber damit sind wir wieder bei meiner größten Angst, nämlich einer geteilten Rennserie. Das wäre das Schlimmste, was passieren kann. Dazu stehe ich. Wenn irgendjemand glaubt, dass zwei Serien überleben können, dann schaut euch doch nur Nordamerika an!"

Frage: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zwei Serien geben wird?"
Stoddart: "Das ist absolut realistisch. Auf der einen Seite gibt es Bernie, die Banken, Ferrari, die FIA und Max, und auf der anderen Seite stehen fünf der weltweit größten Automobilhersteller, die schwer verärgert darüber sind, wie die Regeländerungen eingeführt worden sind. Das darf man nicht mehr mit der 'GPWC' verwechseln. Die 'GPWC' ist tot. Wir reden hier von einer Gruppe von fünf Herstellern, die es todernst meinen, ihre eigene Serie zu gründen."

Ecclestones Verträge für die Hersteller "kein Problem"

Frage: "Aber das wird doch schwierig, oder nicht, denn Bernie hat Verträge mit Rennstrecken, TV-Stationen und so weiter?"
Stoddart: "Das ist überhaupt kein Problem. Die kombinierte Stärke dieser fünf Hersteller ist in Summen ausgedrückt schon sehr beeindruckend. Sie haben jetzt eine Marketingfirma beauftragt, die nahezu alle sportlichen Großereignisse auf der ganzen Welt organisiert. Man darf nicht darüber hinwegsehen, wie sehr der Ärger über die Regeln die fünf Hersteller zusammengeschweißt hat. Wenn die Leute glauben, dass sie es nicht durchziehen werden, dann ist das schade, denn glaube mir, sie werden es tun. Es wäre nicht richtig, weil es die Formel 1 umbringen könnte, aber das ist nicht die Sorge der Hersteller."

Frage: "Stimmt mein Eindruck, dass alles als ein unbedenkliches Säbelrasseln begonnen hat, jetzt aber der 'Point of no Return' überschritten ist?"
Stoddart: "Niemand will diesen Zug aufhalten, denn die Hersteller sind unglaublich verärgert über die Art und Weise, wie man sie behandelt hat."

Stoddart trauert um seinen Weggefährten Eddie Jordan

Frage: "Eddie Jordan hat sein Team verkauft. Bist du traurig, dass er nicht mehr in der Formel 1 ist?"
Stoddart: "Er wird mir fehlen. Er war mein bester Kumpel unter den Teamchefs. Wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, aber wir hatten auch viel Spaß gemeinsam. Ich werde ihn ehrlich vermissen. Ich verstehe aber voll und ganz, dass er das Team verkauft hat, und ich verstehe besser als jeder andere Teamchef, wie schwierig dieses Geschäft geworden ist. Die Formel 1 ist ein traurigerer Platz ohne Eddie Jordan, das kann man so sagen. Eddie ist aber nicht der Einzige, der gegangen ist, denn auch Tony Purnell und Dave Richards sind nicht mehr da. Dieses Jahr gibt es einige Veränderungen."

Frage: "McLaren-Mercedes und Renault waren bei den Tests sehr stark. Wie wird die Saison 2005 deiner Meinung nach verlaufen?"
Stoddart: "McLaren und Renault sind sicherlich die Teams der Stunde. Die sind bei den Tests förmlich geflogen! Ich persönlich würde mir wünschen, dass Mark Webber gut abschneiden kann, aber danach sieht es im Moment nicht unbedingt aus. BAR darf man auch nicht vergessen, aber traurigerweise bin ich mir trotz allem ziemlich sicher, dass es wieder ein Ferrari-Jahr wird. Betonung auf traurig..."

"In den nächsten drei Jahren hört Michael sicher nicht auf"

Frage: "Michael Schumacher ist 36 und wird nicht ewig weiterfahren. Siehst du jemanden, der sein Nachfolger werden könnte?"
Stoddart: "Mark Webber. Außer Michael gibt es nur einen, der jede Sekunde seines Lebens 110 Prozent für die Formel 1 gibt. Das ist eben Mark. Er lebt, schläft, atmet und isst die Formel 1. Beide sind Supertalente, beide verfügen über olympische Fitness und beide sind hungrig genug. Kann es Mark schaffen? Wir werden dieses Jahr einen guten Eindruck davon bekommen, denke ich. Ich traue es ihm zu. Ich sehe aber Michael noch lange nicht im Ruhestand, um ehrlich zu sein. Ich habe vor ihm als Fahrer mehr Respekt als ich mit Worten ausdrücken kann. In den nächsten drei Jahren hört er sicher nicht auf."

Frage: "Du hast sicher mitbekommen, dass Kimi Räikkönen zweimal wegen seines öffentlichen Verhaltens in den Medien gelandet ist. Manche sagen, das ist okay und bringt Leben ins sterile Image der Formel 1, andere finden es völlig unangebracht. Wie siehst du die Angelegenheit?"
Stoddart: "In all den Jahren haben sich Fahrer auf so viele verschiedene Arten falsch verhalten (lacht). Ich habe mich mit der Geschichte zwar nicht allzu genau beschäftigt, aber ich sehe das nicht so tragisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendetwas gemacht hat, was nicht davor schon einmal passiert wäre."

Stoddart an Dennis: Ein paar Flaschen 'Johnny Walker', bitte!

Frage: "Witzig nur, dass McLaren-Mercedes gerade einen Sponsoringvertrag mit 'Johnny Walker' gemacht hat..."
Stoddart: "Ich hoffe, Ron schickt mir auch ein paar Flaschen rüber, denn ich trinke das Zeug ganz gerne (lacht)..."

Frage: "Du bist jetzt schon seit ein paar Jahren in diesem Geschäft. Wie lange wirst du noch weitermachen und macht es dir auch heute noch Spaß?"
Stoddart: "Das sind zwei verschiedene Fragen. Es macht mir keinen Spaß, wie sich die Formel 1 entwickelt hat. Als ich damals eingestiegen bin, hatte ich dafür zwei Gründe: Erstens liebte ich diesen Sport und zweitens sah ich es als gute Gelegenheit, ein bisschen Geld zu machen. In den letzten fünf Jahren war es nur leider so, dass die Politik das Geschäft kaputt gemacht hat. Ich hoffe, dass ich trotz der Politik in diesem Sport bleiben kann. Uns steht ein Kampf bevor, auf den ich mich nicht freue, aber er muss gekämpft werden."

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