Das große Interview mit Mario Theissen - Teil drei

Der BMW Motorsport Direktor sprach mit 'F1Total.com' über seine Erwartungen für 2005, die Kommentare von "Schumi II" und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - BMW Motorsport Direktor Mario Theissen rechnet 2005 mit einem Fünfkampf an der Spitze, wie er im Interview mit 'F1Total.com' verrät, und er kündigt Konsequenzen für die Partnerschaft mit WilliamsF1 an, falls es mit den erwarteten Erfolgen wieder nicht klappen sollte. Außerdem gibt er Ralf Schumacher Konter und er spricht über Synergien zwischen Serienproduktion und Formel 1.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen will ein eigenes Team von BMW zumindest nicht ausschließen

Frage: "Herr Theissen, Sie haben gesagt, sie erwarten 2005 einen Fünfkampf an der Spitze. Ist das richtig?"
Mario Theissen: "Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass sich der Kreis der siegfähigen Teams von drei auf fünf erweitert hat. Zu Ferrari, dem BMW WilliamsF1 Team und McLaren-Mercedes sind BAR und Renault hinzugestoßen. Ich rechne auch in diesem Jahr diese fünf Teams zu den Sieganwärtern. Sauber hat in der zweiten Saisonhälfte 2004 eine gute Figur gemacht, weil sie durch die Aerodynamik einen Sprung nach vorne geschafft haben. Die könnten auch in diesem Jahr für die eine oder andere positive Überraschung sorgen."#w1#

Fishers Abstinenz hat sich offenbar nicht negativ ausgewirkt

Frage: "Gavin Fisher, der Chefdesigner von WilliamsF1, hatte nach Saisonende 2004 einen schweren Motorradunfall und war lange im Krankenhaus. Hat sich das auf die Entwicklung des Williams BMW FW27 negativ ausgewirkt?"
Theissen: "Nach Aussage von WilliamsF1 nicht. Ich selbst bin nicht nahe genug dran, kann aber nicht erkennen, dass die Entwicklung unterbrochen worden wäre. Inwieweit er in der reinen Tagesarbeit gefehlt hat, kann ich nicht beurteilen. Es war aber sicher kein Wunschszenario."

Frage: "Welches Gefühl hatten Sie, als Sie vor einem Jahr erstmals die 'Hammerhai'-Nase gesehen haben. Dachten Sie da sofort, dass das nicht klappen kann?"
Theissen: "Nein, überhaupt nicht. Ich habe das neutral gesehen von der Technik, es sogar als positiv gewertet, dass man ein neues Konzept bringt. Dass es sich dann als nicht zielführend erwiesen hat, war am Anfang nicht abzusehen. Die Fahrer haben sich positiv über das Auto geäußert - im Gegensatz zum Jahr davor. Bei den ersten Testtagen haben sie gesagt, das Auto fährt sich gut. Von daher habe ich das unterstützt."

Frage: "Gibt es eine konkrete Zielsetzung für die kommende Saison? Eine Frist für den WM-Titel?"
Theissen: "Es ist unser Anspruch, vorne mitzufahren. Wie oft wir dann gewinnen und ob wir Weltmeister werden, das hängt auch von Faktoren ab, die man nicht komplett in der Hand haben kann. Wir müssen aber siegfähig sein und vorne in der ersten Liga fahren."

"Mit einem vierten Platz sind wir nicht zufrieden"

Frage: "Wären Sie mit einem vierten Platz am Ende dieser Saison zufrieden?"
Theissen: "Mit einem vierten Platz sind wir nicht zufrieden. Das waren wir auch im letzten Jahr nicht und das haben wir auch klar gesagt."

Frage: "Die Fahrerentscheidung hat WilliamsF1 ohne BMW getroffen. Ist eine Zusammenarbeit, in der der Motorenhersteller eines Teams relativ wenig zu sagen hat, noch zeitgemäß?"
Theissen: "Das ist wahrscheinlich der Kern der Frage, ob man diese Partnerschaft noch einmal in der Form eingehen würde, in der sie jetzt existiert. Das betrifft aber nicht nur die Fahrerfrage. Kann ein Motorenhersteller überhaupt nur Motorenlieferant sein oder muss er zwingend mehr sein, um überhaupt seinem Anspruch gerecht zu werden? Ich denke schon. Früher war es natürlich so, dass der Motorenhersteller tatsächlich nur die Motoren geliefert hat, vor allem in der Zeit, als Cosworth praktisch das gesamte Feld ausgestattet hat. Aber von der Situation sind wir längst weg. Die Motorenhersteller sind heute mit großem Know-how auch in anderen Bereichen ausgestattet. Wenn das ein Team nicht nutzt, dann nutzt es vorhandenes Potenzial nicht aus."

Frage: "Wie würden Sie den Status von BMW im BMW WilliamsF1 Team einordnen?"
Theissen: "Wir sind heute ein Partner im Team, der den Motor entwickelt, zur Strecke bringt und einsetzt und darüber hinaus gemeinsam mit WilliamsF1 das Getriebe entwickelt, die Elektronik entwickelt und auch an anderer Stelle Beiträge leistet und hilft. Tendenz zunehmend."

BMW steuert auch für das Chassis Ressourcen bei

Frage: "Gibt es auch im Chassisbereich Hilfestellungen?"
Theissen: "Ja. Wir liefern schon auch Beiträge zur Aerodynamik. Wir haben da Ressourcen und steuern auch einige Beträge bei, vorwiegend natürlich in der Simulation. Was den Windkanal angeht, ist WilliamsF1 mit dem neuen Kanal wirklich top ausgerüstet. In Sachen Computersimulationen können wir aber schon unseren Beitrag liefern."

Frage: "Ist der Plan so, dass der Einfluss von BMW im BMW WilliamsF1 Team immer größer werden soll?"
Theissen: "Das ist genau der Punkt, an dem wir seit Jahren arbeiten. Wir haben da einen Schritt geschafft mit dem Agreement im Jahr 2003 mit der Verlängerung und Erweiterung der Partnerschaft, aber ich muss schon sagen, dass ich mir die Einstiegsrate steiler vorgestellt hätte."

Frage: "Ist der Vertrag geändert worden?"
Theissen: "Nicht direkt, aber es wächst natürlich schon die Einsicht, dass wir ein Know-how bieten können, an dem man nicht vorbeikommt. Es ist noch immer die Frage, ob ich mein eigenes Know-how schützen oder einen größeren Nutzen daraus ziehen will, das Know-how mit dem Partner zu teilen und dadurch schneller voranzukommen. Nach unserem Verständnis funktioniert im Motorsport nur die letztere Variante. Know-how hat im Motorsport so eine kurze Halbwertszeit, dass man nach einem halben Jahr glatt alles vergessen kann."

Theoretisch könnte BMW ein eigenes Team betreiben

Frage: "Wäre es theoretisch möglich, dass BMW ohne Partner ein Formel-1-Team betreibt?"
Theissen: "Theoretisch ja, denn wir haben große Ressourcen, aber so etwas ginge natürlich nicht von heute auf morgen. Bis man an die Spitze fahren kann, würde es sicher ein paar Jahre dauern."

Frage: "Wenn Sie sagen, dass BMW immer mehr Hilfestellungen auch in anderen Bereichen leistet, sind das Schritte hin zum eigenen Auto?"
Theissen: "Nein. Es ist der Weg hin zur maximalen Nutzung der Beiträge, die die beiden Partner liefern können. Das muss sich auch nicht zwingend auf weitere Felder ausdehnen. Es gibt einfach ein bestimmtes Fachwissen und bestimmte Einrichtungen, zum Beispiel Prüfstände, die WilliamsF1 nicht hat und auch nicht haben kann. Den Getriebeprüfstand beispielsweise gibt es nur bei uns. Das muss hundertprozentig genutzt werden. Da sind wir inzwischen ordentlich vorangekommen. Die Getriebeerprobung läuft mittlerweile größtenteils in München. Am Ziel sind wir aber noch nicht."

Frage: "Ist es für einen Hersteller heute der richtige Weg, wie Ferrari, Renault oder Toyota ein eigenes Auto zu bauen?"
Theissen: "Die Zeiten, in denen man nur den Motor liefert und davon ausgeht, an die Spitze zu fahren, obwohl man alle anderen Bereiche dem Partner überlässt, sind schon lange vorbei. Man muss schon mindestens eine voll integrierte Kooperation eingehen, damit man das Potenzial ausschöpfen kann."

Frage: "Hat BMW heute mehr Mitspracherecht bei WilliamsF1 als vor einem Jahr?"
Theissen: "Ja. Wir haben im vorletzten Jahr eine Kooperation vereinbart, in der der Beitrag und der Einfluss von BMW höher ist als vorher. Die Umsetzung ist nicht von einen Tag auf den anderen erfolgt, sondern dieser Prozess läuft noch."

Keine erhöhten Zahlungen von BMW an WilliamsF1

Frage: "Muss man das Wort Beitrag in diesem Zusammenhang auch als finanziellen Beitrag definieren?"
Theissen: "Nein. Gewachsen ist der Beitrag in Form von Leistungen, die wir einbringen, aber nicht in Form von erhöhten Zahlungen an WilliamsF1."

Frage: "Warum kauft ein Weltkonzern wie BMW ein Team wie WilliamsF1 nicht einfach auf? Am Geld kann es ja nicht liegen, aber man könnte dann Erfolge als eigene Erfolge verkaufen. Umgekehrt hat man jetzt noch die Möglichkeit, Misserfolge auf WilliamsF1 abzuschieben..."
Theissen: "Wir wollen unsere Misserfolge ja nicht auf WilliamsF1 abschieben, sondern sie nicht erleben. Wenn man die Übernahme eines Unternehmens und die Integration ins eigene überlegt, muss man viele Faktoren berücksichtigen. Am Ende muss das Ganze zu einer harmonischen Einheit werden. Um das zu schaffen, muss man die Kultur des Partnerunternehmens umdrehen. Man kann mit externen Ressourcen auf zwei Arten verfahren: Entweder man erhält den Partner als eigenständige Firma mit einer eigenen Kultur, vernetzt die beiden Unternehmen aber bis zu einem gewissen Grad, oder man übernimmt den Partner einfach und sieht ihn als Abteilung der eigenen Firma. Das muss man sich gut überlegen, denn ob das mit dem Umdrehen der Kultur klappt, das ist nicht garantiert."

Frage: "Ist es eine richtige Beobachtung, dass die Firmenkulturen von BMW und WilliamsF1 weiter auseinander liegen als bei anderen Herstellern und ihren Partnerteams?"
Theissen: "Das kann ich überhaupt nicht beurteilen."

Theissen über das "Umdrehen der Kultur" der Partnerfirma

Frage: "Aber hat es BMW schwerer, auf Frank Williams Einfluss zu nehmen, als andere Hersteller bei ihren Partnerteams, zum Beispiel Mercedes bei McLaren?"
Theissen: "Ich kann das so nicht bestätigen. Aber es gibt anhand des Beispiels von McLaren-Mercedes einen wesentlichen Unterschied, nämlich den, dass Mercedes an McLaren nicht unwesentlich beteiligt ist. Mercedes ist sogar Mehrheitseigentümer von Ilmor (Motorenschmiede; Anm. d. Red.). Das heißt, dort befindet man sich gerade mitten in dem Prozess, die Kultur des Partners umzudrehen. Dort ist die Entscheidung für das Umdrehen der Kultur gefallen, wenn man so will. Wie schnell das geht, das muss man sehen."

Frage: "Muss es nicht trotzdem langfristig auch das Ziel von BMW sein, ein eigenes Team zu haben, denn dann könnte man etwaige Erfolge als eigene vermarkten?"
Theissen: "Es ist wahr, man hat sich darüber schon Gedanken gemacht bei uns. Wir gehen davon aus, dass ein Titelgewinn BMW gutgeschrieben wird, auch in der heutigen Konstellation. Die nationale Presse macht den Unterschied. In England ist natürlich genau das Gegenteil der Fall, da reden alle nur von WilliamsF1. Das ist aber eine Ausnahmesituation."

Frage: "Sind für einen Konzern wie BMW Niederlagen gegen Ferrari leichter zu verkraften als gegen Mercedes und Renault, die auf dem Automobilmarkt unmittelbare Konkurrenten sind?"
Theissen: "Vermutlich sagen die Kollegen aus dem Vertrieb, dass das einen Unterschied macht, während es den Ingenieuren egal ist, gegen wen man verliert."

"BMW ist ein technologiegetriebenes Unternehmen"

Frage: "Im Endeffekt entscheidet aber der Vorstand, nicht die Technikabteilung..."
Theissen: "BMW ist ein technologiegetriebenes Unternehmen."

Frage: "Angenommen, BMW wäre mit WilliamsF1 dieses Jahr nicht mehr zufrieden, könntet ihr euch dann einen anderen Partner suchen?"
Theissen: "Jetzt malen wir aber mal nicht gleich den Teufel an die Wand! Warten wir ab, wie es läuft, und dann schauen wir weiter. Ich will nicht spekulieren. Unser Anspruch ist, ein Top-Team zu sein. Dem sind wir letztes Jahr erstmalig nicht gerecht geworden. Wenn sich herausstellt, dass wir in dieser Konstellation auf Dauer kein Top-Team sein können, dann müssen wir die Strategie überdenken."

Frage: "Wird es zunehmend schwieriger, mit Frank Williams zu verhandeln? Viele haben den Eindruck, dass er immer mehr verknöchelt..."
Theissen: "Das gilt doch für uns alle, nicht wahr (lacht)?"

Ralf Schumachers Kommentare will Theissen nicht überbewerten

Frage: "Ralf Schumacher hat gesagt, dass er sich in den letzten Jahren nicht wie in einem Top-Team gefühlt hat. Wie werten Sie diese Worte?"
Theissen: "Ich weiß nicht genau, in welchem Zusammenhang er sich geäußert hat. Ich habe immerhin gehört, dass er sich über den Motor positiv geäußert hat. Aber wenn er sagt, dass wir kein Top-Team gewesen sind, dann meint er wahrscheinlich auch sich selbst, denn er war ja Mitglied in diesem Team. Man sollte so etwas nicht überbewerten. Wir fahren diese Saison, er fährt sie auch. Danach ziehen wir einen Strich und schauen, wer besser abgeschnitten hat."

Frage: "Sehen Sie sich denn nach dem schlechten Resultat im Vorjahr selbst als Top-Team?"
Theissen: "Ja. Wir haben im vergangenen Jahr kein Top-Resultat erzielt, ganz klar, aber das ändert nichts an unseren Zielen oder an unserem Anspruch."

BMW wird ab 2006 wahrscheinlich auch mit Sauber kooperieren

Frage: "Es hat in den letzten Wochen Verhandlungen mit potenziellen Kundenteams gegeben. Wie ist da der Stand der Dinge?"
Theissen: "Richtig ist, dass wir uns vorstellen können, ein zweites Team mit Motoren zu beliefern, obwohl wir bis vor einem Jahr noch gesagt haben, dass das nicht möglich ist. Wir haben die Möglichkeit erst seit dem letzten Jahr, seit weniger Motoren benötigt werden. Seitdem sind unsere eigenen Kapazitäten nicht mehr ausgeschöpft, weil wir pro Jahr weniger Motoren bauen müssen. Im Zusammenschluss mit den anderen Herstellern haben wir uns dazu bereiterklärt, ein zweites Team auszustatten. Wir könnten das ab 2006. Mehrere Teams sind an uns herangetreten. Sauber ist eines davon und wir sprechen mit Sauber offen darüber. Es gibt aber bisher keine Entscheidung."

Frage: "Ist es richtig, dass auch Red Bull Racing an BMW herangetreten ist?"
Theissen: "Ja. Ferrari jedoch nicht (lacht)."

Frage: "Und ist es auch richtig, dass Gerhard Berger da die Rutsche gelegt hat?"
Theissen: "Nein. Man kennt sich, das ist alles. Wir kennen aber auch Dietrich Mateschitz, daher ist kein Vermittler notwendig, um über solche Themen zu reden."

Rückkehr von Werner Laurenz ist kein Thema mehr

Frage: "Euer ehemaliger Motorenbauer Werner Laurenz ist nicht mehr bei Mercedes. Gibt es Überlegungen, ihn wieder an Bord zu holen?"
Theissen: "Nein. Das spielt in unseren Überlegungen keine Rolle. Wir haben in unserem Team sehr früh eingeführt, dass wir uns von innen heraus entwickeln und dem Nachwuchs eine Chance geben. Wir holen die Leute zum Teil direkt von der Hochschule und ziehen sie heran. Dieses Prinzip funktioniert aber nur, wenn man diesen Leuten dann auch eine Chance bietet. Das haben wir beim Weggang von Laurenz schon umsetzen können, denn wir haben aus den eigenen Reihen nachbesetzt. An diesem Prinzip wollen wir festhalten."

Frage: "Die Formel 1 wird immer weiter abgerüstet. Bringt die Serienproduktion inzwischen mehr für die Formel 1 oder ist es schon noch so, dass der Motorsport mehr für die Serienentwicklung bringt?"
Theissen: "Sowohl als auch. Bei uns ist beides der Fall, aber das hängt damit zusammen, dass die beiden Bereiche eng miteinander verzahnt sind. Unsere Motorenelektronik wird komplett in unserem Haus gebaut, Hard- und Software. Diese Formel-1-Elektronik haben jene Leute entwickelt, die vorher die Elektronik für den M5 gemacht haben. Wir haben natürlich in der Formel-1-Elektronik Elemente verbaut, die vorher noch nirgendwo gelaufen sind. Damit ist automatisch der Rückfluss wieder da, denn was sich in der Formel 1 bewährt hat, geht in die nächste Serienproduktion. 5er, 6er und 7er haben heute schon Bauelemente in der Elektronik, die aus der Formel 1 kommen."

Frage: "Wie steht es da mit Sicherheitskomponenten?"
Theissen: "Man beginnt in der Serienproduktion damit, sich mit Kohlefaserstrukturen zu befassen. Da ist einiges an Know-how vorhanden, das man aus der Formel 1 verwenden kann."