Das große Interview mit Geoff Willis

Red-Bull-Designer Geoff Willis gibt Auskunft über die Schwächen des RB3, die Pläne für 2008, die Fahrer Coulthard und Webber und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Seit 23. Juli arbeitet Geoff Willis als Technischer Direktor bei der Firma Red Bull Technology in Milton Keynes. Damit bildet er gemeinsam mit Adrian Newey das vielleicht prominenteste Designteam der Formel 1 - und als solches wollen die beiden natürlich hoch hinaus: Schon 2008 soll mindestens der vierte Platz in der Konstrukteurs-WM her.

Titel-Bild zur News: Geoff Willis

Geoff Willis, einer der renommiertesten Designer, arbeitet seit 23. Juli für Red Bull

Im ausführlichen Interview mit 'Motorsport-Total.com' sprach Willis, dessen letzte Teams vor Red Bull Williams und Honda waren, unter anderem über die Schwächen des aktuellen RB3, die Pläne für den viel versprechende Evolution RB4 und die Neuauflage der Zusammenarbeit mit Newey, den er schon aus gemeinsamen Jahren bei Leyton House und Williams kennt. Außerdem kamen wir im Gespräch natürlich auch an der Spionageaffäre nicht ganz vorbei...#w1#

Kaum noch Chancen auf den vierten Platz

Frage: "Geoff, reden wir zunächst über die letzten drei Rennen. Ihr liegt momentan zehn Punkte hinter Williams, aber wenn man davon ausgeht, dass die drei Topteams immer durchkommen, sind nur noch neun Punkte verfügbar. Siehst du noch eine realistische Chance auf den vierten Platz?"
Geoff Willis: "Damit gibst du ja schon die mathematische Antwort. Zu diesem Zeitpunkt des Jahres ist es ziemlich schwierig, wenn bei den anderen die Zuverlässigkeit stimmt und sie ins Ziel kommen. Allerdings haben wir einen Vorsprung auf Toyota hinter uns. Darauf können wir uns nicht ausruhen, sondern wir müssen ihn verteidigen."

"Wir werden versuchen, in jedem der letzten drei Rennen so viele Punkte wie möglich zu sammeln." Geoff Willis

"Die schnelle Antwort ist: Wir werden versuchen, in jedem der letzten drei Rennen so viele Punkte wie möglich zu sammeln. Es ist immer wichtig, ein Jahr gut abzuschließen, denn wir wollen uns nächstes Jahr stark verbessern und wir wollen die Performance des Autos in den letzten drei Rennen sehen. Insofern müssen wir den Druck aufrechterhalten."

Frage: "Bekommt ihr für Fuji oder eines der Rennen danach noch neue Teile?"
Willis: "Ja. Wir hatten beim Test in Jerez einige Neuentwicklungen am Auto, die das Auto unserer Meinung nach ein bisschen besser gemacht haben, weil wir einige Aspekte nun besser verstehen. Das sind keine dramatischen Veränderungen, aber das geübte Auge wird kleine Modifikationen des Bodyworks erkennen. Das Auto lief beim Jerez-Test ja ganz gut, daher denke ich, dass wir im Vergleich zur Konkurrenz kleine Fortschritte gemacht haben."

Frage: "Fuji ist für alle neu, daher kannst du mir wahrscheinlich nicht sagen, ob euch die Strecke liegt, aber wie steht es mit China und Brasilien aus?"
Willis: "Fuji ist interessant, denn die Strecke hat eine ziemlich lange Gerade und einen ziemlich engen Infieldbereich, also sollte das Abtriebsniveau ähnlich sein wie in Indy. Das kann man schon ein bisschen abschätzen. China sollte für uns ein bisschen besser sein und auch Brasilien - unser Auto ist aerodynamisch gesehen recht effizient, daher freuen wir uns auf die letzten beiden Rennen. Fuji wird eine interessante Herausforderung, ein brandneues Rennen."

Frage: "Du sprichst mit der langen Geraden einen guten Punkt an, denn mir ist aufgefallen, dass der RB3 vom Topspeed her außergewöhnlich schnell war, als es dieses Gerede um die flexiblen Flügel in Barcelona gab, aber seither habt ihr dieses Mojo auf den Geraden ein bisschen verloren. Kannst du mir erklären, warum das so ist? Kommt das einfach vom Setup her? Was steckt dahinter?"
Willis: "Wir neigen dazu, das Setup für etwas mehr Abtrieb auszurichten, weil uns das die besten Rundenzeiten bringt. Manchmal fährt man im Rennen abhängig von der Startposition gegen die Uhr oder aber auch taktisch gegen die Fahrer um einen herum. In letzter Zeit neigen wir eben dazu, mit etwas mehr Flügel zu fahren, weil uns das die besseren Rundenzeiten bringt, bessere Qualifyings und weil es das Auto im Rennen konstanter macht. Ja, es hat Änderungen der Regeln hinsichtlich der Steifheit des Heckflügels gegeben. Dadurch sind die Topspeeds ein bisschen zurückgegangen, aber im Moment sind wir eher durch die von uns gewählte Abstimmung um ein paar km/h langsamer."

Kein Handicap durch das Flexibilitätsverbot

Frage: "Ich wollte mit meiner Frage eigentlich darauf hinaus, ob diese Regeländerung euch bei Red Bull mehr getroffen hat als andere Teams..."
Willis: "Nein, das glaube ich nicht. Wir haben uns mit unserer schlechten Zuverlässigkeit ins eigene Fleisch geschnitten und wir hatten gegen Saisonmitte einige Schwierigkeiten mit der Charakteristik des Autos, die wir langsam beginnen zu verstehen. Dadurch wird das Auto besser. Wir haben das Auto gegen Saisonmitte also schon verbessert, aber eben nicht so schnell wie manche unserer Konkurrenten. Ich hoffe aber, dass wir mit den jüngsten Entwicklungen wieder soweit aufholen werden, dass wir dorthin zurückkommen, wo wir zu einem früheren Zeitpunkt in der Saison schon waren."

"Es ist wirklich schon eine Weile her, dass ich mit Adrian zusammengearbeitet habe." Geoff Willis

Frage: "Reden wir über dich und Red Bull. Es ist ja eine Wiedervereinigung mit Adrian Newey nach so vielen Jahren. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit ihm und hat sich diesbezüglich seit euren Williams-Jahren etwas verändert?"
Willis: "Du hast Recht, es ist wirklich schon eine Weile her, dass ich mit Adrian zusammengearbeitet habe. Ich glaube, das letzte Jahr war 1996. Das wären elf Jahre. Ich habe schon immer gern mit ihm zusammengearbeitet, bereits bei Leyton House und dann später auch bei Williams. Insofern ist es ganz einfach, unsere Arbeit einfach weiterzuführen."

"Natürlich haben wir in den Jahren, in denen wir voneinander getrennt waren, jede Menge Erfahrung gesammelt, die wir in die Herausforderung des Designs des Autos einbringen können. Aber ich finde nicht, dass sich an der Art und Weise der Diskussionen etwas geändert hat. Es war immer ein geradliniges Verhältnis. Adrian hatte eindeutig eine sehr erfolgreiche Zeit in der Formel 1, also sind wir ganz schnell auf das Thema gekommen, wie wir das Auto schneller machen können. Da haben wir in den vergangenen paar Jahren wirklich großartige Ideen und Erfahrungen gesammelt."

Frage: "Du hast kürzlich gesagt, dass ihr in verschiedenen Bereichen tätig seid, dass sich Adrian Newey auf die Leistungsentwicklung konzentriert. Was ist also deine Aufgabe? Ich gehe davon aus, dass sich eure Bereiche überschneiden..."
Willis: "Ja, die überschneiden sich natürlich. Ich wollte in der Pressekonferenz meinen Aufgabenbereich erläutern. Die Position als Technischer Direktor ist ja die gleiche wie in meinem vorherigen Team, aber im Gegensatz zu früher, als ich die Leute in Richtung Leistungsentwicklung delegieren musste, macht das nun Adrian. Meine primäre Aufgabe war es anfangs, das Team dazu zu bringen, auf einem hohen Ingenieursstandard zu arbeiten. Damit meine ich eine Verbesserung der Designkultur, der Abläufe im Team, der Technologien, die wir in der Produktion einsetzen. Recht schnell wurde ich dann aber in die Ausführung von Adrians Designideen hineingezogen und ich wurde auch in die grundlegenden Diskussionen über die Leistungsentwicklung des Autos involviert."

Andere Rolle als bei den bisherigen Teams

"Es gibt hier eine Menge zu tun, unsere Rollen sind im Moment klar definiert. Ich muss sicherstellen, dass sich die anderen auf die Leistungsstrategie konzentrieren können, dass die Infrastruktur reibungslos funktioniert. Sobald das der Fall ist, werde ich mich auch in alle mir möglichen Bereiche einbringen, um die Leistung zu verbessern. Für mich ist das sehr interessant, denn es ist eine andere Gewichtung der Aufgaben als in meinem früheren Job, aber es ist eine interessante Herausforderung, die mir gefällt."

David Coulthard

Der RB3 war in dieser Saison bei weitem nicht so schnell und zuverlässig wie erhofft Zoom

Frage: "Du bist ja erst vor einigen Wochen zu Red Bull gekommen, aber der RB3 war ja weder so konkurrenzfähig noch so zuverlässig wie erwartet. Also könnte man als Außenstehender vermuten, dass ihr auf ein komplett neues Designkonzept setzen müsst. Ist das eine richtige Schlussfolgerung?"
Willis: "Nicht unbedingt, nein. Wenn ich mir das Auto mit meinen im Team noch neuen Augen anschaue, dann sehe ich einige gute Dinge am Auto, einige gute Konzepte, sehr gut umgesetzte Teile. Ich kann auch ein Design sehen, das nicht sehr gut integriert ist - hauptsächlich weil die Zeit gefehlt hat, schließlich war es ja ein großer Schnitt im Vergleich zum Designkonzept des vorherigen Autos."

"Es gibt einige Dinge, die wurden nicht sehr gut umgesetzt, was die Ursache für die Zuverlässigkeitsprobleme ist. Das Auto ist auch zu schwer, was uns in Sachen Adjustierung Grenzen auferlegt. Es gab einige Probleme mit der Aerocharakteristik, die das Team inzwischen aber gut versteht. Alles in allem war es einfach kein optimal umgesetztes Auto. Das Konzept des Autos ist also gut, aber wie das Konzept umgesetzt wurde, beeinträchtigt die schlussendliche Konkurrenzfähigkeit."

"Für nächstes Jahr planen wir also eine Evolution des bestehenden Konzepts, aber eine viel sorgfältigere Umsetzung mit einem kompakteren Packaging, einer besseren Gewichtsverteilung, einem niedrigeren Schwerpunkt, niedrigerer Bodenhöhe und so weiter. Wir werden die aerodynamischen Erkenntnisse dieses Jahres einfließen lassen und versuchen, einen höheren Standard in Design und Produktion zu erreichen, damit wir für nächstes Jahr im Endeffekt ein zuverlässigeres und schnelleres Auto bekommen. Darum bin ich so zuversichtlich, dass wir für nächstes Jahr Fortschritte machen werden: Den Schmerz, den ein Designkonzeptwechsel mit sich bringt, haben wir hinter uns, aber jetzt haben wir alle notwendigen Erfahrungen beisammen, um für 2008 ein gut durchdachtes und konkurrenzfähiges Auto zu entwickeln."

Stabilität im Motorenbereich ein Vorteil

Frage: "Euer Renault-Motor wird nächstes Jahr ja wegen der Homologierung mehr oder weniger gleich sein. Wie groß schätzt du den Vorteil ein, den das in Bezug auf Packaging und so weiter bringt, oder findest du, dass die Motorenintegration schon beim diesjährigen Auto annähernd perfekt ist?"
Willis: "Du hast vollkommen Recht damit, dass die Stabilität im Motorenbereich für uns ein großer Vorteil ist. Die Motorenentscheidung für Red Bull wurde im Vorjahr zu einem sehr späten Zeitpunkt getroffen, daher mussten im Design aus Zeitmangel ziemlich viele Kompromisse eingegangen werden. Für 2008 können wir sicher eine viel bessere Installation umsetzen. Auch hier gilt wieder: An der derzeitigen Installation ist nichts grundlegend falsch, aber die Details haben zu Schwierigkeiten in der Produktion und in Sachen Zuverlässigkeit geführt und dazu, dass das Gewicht recht hoch ist. Der Vorteil, ins nächste Jahr mit dem gleichen Motor zu starten, ist recht groß. Wir wissen jetzt, wo die potenziellen Probleme liegen, und können in Sachen Installation des Motors einen viel besseren Job machen."

"Es gibt viele Teams, die Rennen gewinnen möchten, aber nur auf P3 oder P4 in der Weltmeisterschaft liegen." Geoff Willis

Frage: "Du hast von Dietrich Mateschitz sicher schon gehört, was er für nächstes Jahr als Ziel definiert. Ihr habt jetzt mit dir und Adrian Newey zwei große Namen im Designteam, der Windkanal in Bedford läuft endlich problemlos, also was erwartest du selbst und was ist das Ziel des Teams? Habt ihr darüber schon gesprochen?"
Willis: "Wir diskutieren, was das Ziel sein sollte. Es ist sehr schwierig, ein Ziel festzulegen. Es gibt viele Teams, die Rennen gewinnen möchten, aber nur auf P3 oder P4 in der Weltmeisterschaft liegen. Unterm Strich möchte ich ein konkurrenzfähiges Auto bauen, das ingenieursseitig durchdacht ist."

"Ein klares Ziel ist die hundertprozentige Zuverlässigkeit. Wir können kein ernsthafter Anwärter auf Siege oder Podestplätze sein, solange wir nicht die Zuverlässigkeit unter Kontrolle bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Sachen Performance im Vergleich zum Rest des Feldes nach vorne kommen werden, aber ich setze mir persönlich kein konkretes Ziel. Realistisch gesehen müssen wir als Team mit der Infrastruktur und den Ingenieuren von Red Bull in die Top 4 kommen. Damit sage ich nicht, dass ich mit P4 glücklich wäre, aber ich will damit sagen, dass P8, P7, P6 und P5 definitiv nicht akzeptabel sind."

"Wir müssen damit anfangen, Rennen weit vorne zu beenden, auf das Podium zu kommen und uns zu echtem Erfolg hinzuarbeiten. Wir sind nicht das größte Team, aber wir haben ausreichende finanzielle Mittel. In der Vergangenheit gab es relativ viele Veränderungen, daher sehe ich es als eine meiner Aufgaben, dabei mitzuhelfen, einen echten Red-Bull-Teamgeist entstehen zu lassen. Wir wollen über unserer Gewichtsklasse boxen, wie man so schön sagt, und das Team an der Spitze etablieren."

Andere Mentalität als bei Williams und Honda

Frage: "Du hast für Teams wie Williams, als sie noch gewonnen haben, und Honda gearbeitet. Gibt es da in puncto Ressourcen und Belegschaft Unterschiede zu Red Bull?"
Willis: "Da gibt es schon Unterschiede. Im Vergleich zu dem Williams, das ich kannte, und Honda haben wir hier ein sehr gutes Feeling. Es herrscht hier weniger Kontinuität als damals bei Williams, aber das hat seine Gründe. Die Designer und Ingenieure sind zum Teil recht bunt durcheinandergemischt und werden in den nächsten Jahren davon profitieren, dass wir versuchen, mehr Stabilität ins Team zu bringen."

"Ich hoffe für 2008 auf eine markante Verbesserung, die wir dann ins Jahr 2009 mitnehmen und ausbauen können." Geoff Willis

"Was die Ressourcen angeht, sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben eine neue Produktionsanlage bekommen, die gerade eingeführt wird. Für das neue Auto, den RB4, ist das ein bisschen knapp, aber in den nächsten Wochen sollte das fertig werden. Verglichen mit der Gruppe, die ich bei Honda aufgebaut habe, gibt es schon Unterschiede, denn die technische Gruppe bei Honda wurde nach den großen Änderungen von 2001 aus dem Nichts aufgebaut. Es hat ein paar Jahre gedauert, ein sehr starkes technisches Team auf die Beine zu stellen. Aber wir haben hier bei Red Bull die Möglichkeiten, ein sehr starkes technisches Team aufzubauen. Ich denke, es wird einfach ein bisschen dauern. Ich hoffe für 2008 auf eine markante Verbesserung, die wir dann ins Jahr 2009 mitnehmen und ausbauen können."

"Du hast vorhin große Namen wie Adrian angesprochen. Das ist natürlich wichtig für uns, aber die Formel 1 ist heutzutage eine Herausforderung für das gesamte Team. Die Autos sind heute mit mehr als 6.000 Zeichnungen pro Modell so komplex, dass natürlich viele Ingenieure daran arbeiten. Außerdem brauchen wir nicht nur Leute, die das Auto designen, sondern auch Leute für die Simulationsläufe, für den CFD-Bereich, für Belastungsanalysen. Das alles müssen wir auf ein sehr hohes Niveau bringen. Wir haben gute Leute, wir müssen nur das Niveau anheben und auch die Kommunikation verbessern. Nur so kann man ein integriertes Design entwickelt - und das dauert eben seine Zeit."

"Bei Red Bull hat es viele Veränderungen gegeben, erst jetzt bleibt es langsam stabil. Wir sehen Kontinuität bei den technischen Leuten, bei den wichtigsten Ingenieuren, beim Motor, wir genießen gute Unterstützung von der Mutterfirma Red Bull - das sind alles wichtige Dinge, auf die wir aufbauen müssen."

Willis arbeitet für beide Red-Bull-Teams

Frage: "Läuft dein Arbeitsvertrag eigentlich auf Red Bull Racing oder auf Red Bull Technology?"
Willis: "Ich bin bei Red Bull Technology angestellt."

Frage: "Das bedeutet also, dass deine Ideen auch Toro Rosso zur Verfügung stehen werden, richtig?"
Willis: "Die Red-Bull-Designabteilung wird von Toro Rosso und Red Bull Racing genutzt, daher sind die Designlösungen der beiden Autos natürlich ähnlich. Aber weil die zwei Teams unterschiedliche Motorenhersteller haben, sind die Autos doch sehr unterschiedlich."

Vitantonio Liuzzi

Die "Jungbullen" von Toro Rosso liefern auch Daten an Geoff Willis und sein Team Zoom

Frage: "Wie wertvoll ist es für einen Designer, sich auf Daten von zwei Teams verlassen zu können? Ihr habt ja nicht nur doppelt so viele Testkilometer, sondern auch doppelt so viel Gelegenheit, in den Rennen Erfahrungen zu sammeln..."
Willis: "Dazu muss man den Zusammenhang verstehen, in dem die Tests absolviert werden. Natürlich ist es sehr nützlich, Zugang zu den Daten - nicht allen, aber manchen - von zwei Autos zu haben. Es sind zwei unterschiedliche Autos, die unterschiedlich gefahren werden, mit einem geringfügig anderen Setup und verschiedenen Motoren. Es gibt also gewisse Schwierigkeiten, beides miteinander zu vergleichen."

"Sobald die Voraussetzungen des Concorde Agreements klarer werden, werden wir uns natürlich überlegen, wie man das Beste aus zwei Teams herausholen kann. Ich denke, es gibt einige Konstellationen, die diesen Vorteil nutzen wollen - Honda und Super Aguri zum Beispiel. Jeder hat natürlich eine Idee, wie man das langfristig nutzen kann, aber es könnte ein bisschen dauern, bis es wirklich etwas bringt."

Frage: "Nächstes Jahr solltet ihr aber dazu in der Lage sein, die Informationen 1:1 umzusetzen, denn dann werden die Autos ja identisch sein, oder?"
Willis: "So wie wir das verstehen, gibt es zwischen 2007 und 2008 keine signifikanten Unterschiede. Uns stehen einige Daten zur Verfügung, aber nicht alle."

Frage: "Du hast dich kürzlich sehr lobend über Mark Webber geäußert. Ist es technisch gesehen hilfreich, zwei so erfahrene Piloten wie ihn und David Coulthard an Bord zu haben? Zieht ihr daraus einen echten Nutzen?"
Willis: "Da, wo wir im Moment stehen, ist es sicherlich nützlich, zwei erfahrene Piloten zu haben, denn das Auto ist nicht optimal und wir brauchen Feedback. Ich arbeite das erste Mal mit Mark zusammen, David kenne ich schon von 1994. Natürlich hat er in all den Jahren viel Erfahrung angehäuft und ein gutes Verständnis für das Auto. Er kann genau sagen, was er will. Er ist in Siegerautos gesessen und weiß, was notwendig ist, um erfolgreich zu sein."

Webber ein anderer Charakter als Coulthard

"Mark ist ein anderer Charakter, sehr ehrgeizig, will mehr als nur das Auto fahren, sondern auch in der Fabrik involviert sein. Er ist sehr darauf versessen, die Ingenieure anzutreiben, dass sie die Probleme lösen, die er im Auto hat. Er denkt an die Zukunft, zum Beispiel hinsichtlich der elektronischen Abrüstung, denn nächstes Jahr wird es keine Traktionskontrolle mehr geben und andere Restriktionen. Als Fahrer macht er sich jetzt schon Gedanken, welche Probleme da zu erwarten sind, und er treibt uns an, jetzt schon Lösungen zu entwickeln. Es ist gut, Piloten zu haben, die nicht nur erfahren sind, sondern die auch enthusiastisch genug sind, um ihre Erfahrung im Team einzubringen."

"Ich bin froh, dass wir nicht in der Position sind, einen Fahrer zu haben, der nie gewinnen wird." Geoff Willis

Frage: "Mir ist klar, dass das eine eher heikle Frage für dich ist: Du hast in der Vergangenheit schon mit einigen sehr erfolgreichen Piloten zusammengearbeitet. Wie schätzt du im Vergleich dazu euer gegenwärtiges Duo ein?"
Willis: "Das ist eine schwierige Frage, nicht (lacht; Anm. d. Red.)? Es gibt Fahrer, die Rennen gewonnen haben, die Rennen gewinnen werden und die nie Rennen gewinnen werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir einen Fahrer haben, der Rennen gewonnen hat, und einen, der Rennen gewinnen wird. Ich bin froh, dass wir nicht in der Position sind, einen Fahrer zu haben, der nie gewinnen wird."

"Haben wir einen der Fahrer, die allgemein als die besten Vier anerkannt werden? Nein. Damit sind Hamilton, Massa, Räikkönen und Alonso gemeint, die in den besten Positionen sind. Aber dahinter gibt es einige sehr fähige Fahrer, die gewinnen können, und ich denke, dass unsere Fahrer im Moment stark genug sind, um das Beste aus dem Auto herauszuholen, das wir momentan haben und das wir nächstes Jahr haben werden. Was langfristig passieren wird, ist nicht meine Entscheidung, aber ich bin sehr glücklich darüber, dieses und nächstes Jahr mit David und Mark zusammenzuarbeiten."

Frage: "Soweit zu Red Bull, kommen wir zu einem anderen Thema. Ist es für dich eine innere Befriedigung, wenn du siehst, wie schlecht es Honda geht, nachdem sie dich nicht so behandelt haben, wie du es erwartet hättest?"
Willis: "Ich bin sehr überrascht über die Honda-Performance, hätte nicht gedacht, dass sie solche Probleme haben würden. Man kann natürlich sagen, dass man daraus ein bisschen Genugtuung zieht, aber sie haben auch ein gutes Ingenieursteam, das ich gut kenne und mit dem ich viele Jahre zusammengearbeitet habe. Ich bin sicher, dass es ihnen schwer fällt, ihre Probleme zu identifizieren. Ich selbst habe bei Red Bull eine Herausforderung vor mir, so dass ich dem nicht allzu viel Beachtung schenke. Ich bin sicher, dass Honda irgendwann in Zukunft stark zurückkommen wird. Ich muss nur sicherstellen, dass Red Bull noch stärker sein wird."

Verwunderung über Hondas Abstieg

Frage: "Für dich persönlich muss es aber doch befriedigend sein, dass es mit dem Team ab dem Moment, ab dem du es verlassen hast, abwärts gegangen ist, nicht wahr?"
Willis: "Persönlich gesehen ist es natürlich schön zu wissen, dass sich etwas verändert hat (lacht; Anm. d. Red.)! Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn es sich nicht ausgewirkt hätte. Aber gleichzeitig muss ich sagen: Wenn man in einem Team eine Konstellation erstellt und alle Abläufe gut funktionieren, dann hofft man eigentlich, dass man selbst nicht jeden Tag gebraucht wird. Bei Honda ist eindeutig etwas gewaltig schief gegangen. Da ich selbst nicht mehr dort bin, kann ich darüber nur spekulieren."

"Natürlich packen die Leute manchmal ein altes Notebook aus und zeigen dir ein Diagramm oder eine Skizze." Geoff Willis

Frage: "Ich will dich gar nicht groß mit Fragen zur Spionageaffäre belästigen, das kann sowieso keiner mehr hören. Aber eine Frage nur: Warst du je - ohne im Detail darauf einzugehen - in einer Position, in der dir geistiges Eigentum von einem anderen Team angeboten wurde?"
Willis: "Nein. Natürlich packen die Leute manchmal ein altes Notebook aus und zeigen dir ein Diagramm oder eine Skizze, aber es ist nie jemand zu mir gekommen, der mir systematisch einen Satz an Informationen über ein anderes Team angeboten hätte. Ich würde mich in dem Fall auch sehr unwohl fühlen, denn erstens würde ich die Legalität dieser Informationen in Frage stellen und zweitens würde ich jemanden, der so etwas getan hat, nicht einstellen wollen, weil man damit rechnen muss, dass er mit dir genauso umgehen wird. Das wäre für mich als Arbeitgeber also nicht sehr verlockend."

"Natürlich hat es immer Leute gegeben, die sagen: 'Schau, ich habe hier ein Diagramm, ich habe eine halbe Skizze, Fotos und ein paar Notizblöcke.' Das ist schon immer passiert, aber es war noch nie relevant, denn jeder, der gut ist und den man anstellen möchte, hat die Informationen sowieso in seinem Kopf. Dafür bezahlt man ja. Aber ein systematisches Vorgehen mit einer CD voller Daten, das ist mir nie untergekommen."

Frage: "Das ist ja alles nicht ungewöhnlich. Aber ich frage mich: Ist es für einen Ingenieur nach dieser ganzen Sache nicht fast ein komisches Gefühl, wenn man das Team wechselt? Wird man übervorsichtig?"
Willis: "Es wird interessant. Es gibt einige Leute, die eher unbekümmert damit umgegangen sind, Daten von den Teams mitzunehmen. Ich denke, die Mehrheit kennt das Geschäft aber. Vielleicht geht man irgendwann zum alten Team zurück und man trifft sich ja auch oft bei einem anderen Team wieder, daher ist die Reputation, die man hat, wichtig. Natürlich gibt es in den Teams viele Informationen, aber die sind geistiges Eigentum der Teams. Das sollte man nicht mitnehmen, das sollte man zurückgeben. Logischerweise versucht man, im Kopf so viel wie möglich davon abzuspeichern, was ja auch als legitim akzeptiert wird. Von den Leuten, mit denen ich zusammenarbeiten möchte, erwarte ich mir, dass sie derartige Informationen nicht mitbringen."