Das große Interview mit David Richards - Teil eins

Im 'F1Total.com'-Interview spricht der Ex-Formel-1-Teamchef über den Indy-Skandal, seine Benetton-Zeit und das anfängliche BAR-Chaos

(Motorsport-Total.com) - Im Dezember 2001 übernahm David Richards das BAR-Honda-Team auf Platz sechs der Konstrukteurs-WM - mit mageren 17 Punkten auf dem Konto. Als er sich samt seiner Managementfirma Prodrive Ende vergangenen Jahres auf Wunsch von Honda frühzeitig zurückzog, übergab er den neuen Teilhabern den mit 119 Punkten zweitbesten Rennstall der Formel-1-Saison 2004.

Titel-Bild zur News: David Richards

Richards hat schon zwei Engagements als Formel-1-Teamchef hinter sich

Obwohl sich der 53-Jährige seither wieder mit anderen Motorsportprojekten als der Formel 1 beschäftigt, ist sein Kontakt in die Königsklasse nie ganz abgerissen. Am Mittwochmorgen nahm er sich daher ausführlich für 'F1Total.com' Zeit. Richards sprach im ersten Teil des dabei aufgezeichneten Interviews unter anderem über den Skandal von Indianapolis, sein Jahr als Teamchef bei Benetton und seinen turbulenten Einstieg mit Prodrive bei BAR, wo es seine Hauptaufgabe war, das Team auf eine gesündere Basis zu stellen.#w1#

Richards macht für den US-Skandal Michelin verantwortlich

Frage: "David, obwohl du selbst vergangenes Wochenende in Le Mans beschäftigt warst, hast du sicher mitbekommen, was in Indianapolis passiert ist. Was hältst du von der ganzen Sache?"
David Richards: "Es ist eine schwierige Situation, aber Michelin hat ganz klar keine Reifen gebracht, die ihrer Aufgabe gewachsen gewesen wären. Das Reglement ist in so einem Fall ziemlich eindeutig: Es gibt zwei Reifentypen - quasi ein Leistungsreifen und ein Sicherheitsreifen. Wenn der erste Reifen einmal aus irgendeinem Grund nicht passen sollte, kann man immer noch auf den zweiten zurückgreifen."

"Mich wundert, dass - obwohl Michelin ganz klar den Fehler gemacht hat - alle zu denken scheinen, dass die FIA an allem schuld ist. Die Sportbehörde ist nur da, die Regeln aufzustellen. Wo würde es langfristig hinführen, wenn die Sportbehörde alle fünf Minuten die Regeln ändert, weil ein paar Teams beziehungsweise ein Reifenhersteller etwas falsch gemacht haben?"

Frage: "Du bist also der Meinung, dass man nicht die Regeln verbiegen kann, weil der Sport ansonsten an Glaubwürdigkeit verlieren würde, richtig?"
Richards: "Ja! Man kann nicht die Regeln einfach nach Lust und Laune ändern. Wenn alle zehn Teams zugestimmt hätten, wäre die Sache möglicherweise anders gelaufen. Es haben aber nicht alle zugestimmt. Dafür kann man der Sportbehörde nicht die Schuld geben. Ich bin der Meinung, dass man nur Michelin die Schuld geben kann. Sie haben einen Fehler gemacht. Sie waren zwar sehr ehrlich und offen, sie sind ein sehr professionelles Unternehmen - meiner Erfahrung nach ein erstklassiges -, aber dass die Teams jetzt einen anderen Schuldigen suchen und die Sache zu einer politischen Angelegenheit machen, ist völlig lächerlich."

"Alle ziehen in verschiedenen Richtungen am Strang"

Frage: "Aber es ging natürlich auch um Politik, wie du schon ansprichst. Wie ernst ist die Situation in der Formel 1 wirklich? Steuert sie auf zwei voneinander unabhängige Meisterschaften zu? Du warst lange in diesem Geschäft und kannst das sicher beurteilen..."
Richards: "Nein, das glaube ich nicht. Wenn man sich genauer mit der Materie beschäftigt, kommt man zum Schluss, dass die Hersteller die Formel 1 nicht selbst betreiben wollen. Das glaube ich zumindest. Alle sind im Moment einfach auf der Suche nach einem Mittelweg. Alle ziehen in verschiedenen Richtungen am Strang, aber es muss jetzt bald einmal ein Resultat dabei herauskommen."

Frage: "Ein denkbares Szenario wäre, dass die Hersteller die Anteile der drei Banken an der Formel-1-Holding übernehmen. Stimmst du da zu?"
Richards: "Ich weiß es nicht. Diese spezielle Situation habe ich noch nicht in Betracht gezogen, um ehrlich zu sein."

Frage: "Hast du eine Art magische Lösung für alle Probleme der Formel 1?"
Richards: "Wenn irgendjemand so eine magische Lösung haben würde, dann wäre die Sache doch längst vom Tisch. Es ist eben ein Verhandlungsprozess. Dass das Technische Reglement für 2008 jetzt etwas klarer geworden ist, ist schon einmal ein Schritt nach vorne. Die finanzielle Situation von Bernie Ecclestone wird der nächste Schritt sein, und hoffentlich sehen wir dann endlich Licht am Ende des Tunnels. Es ist aber ein sehr, sehr schwieriges Arbeitsumfeld für all die verschiedenen Beteiligten."

Durch BAT kam Richards mit Benetton in Berührung

Frage: "Darüber könnte man natürlich endlos diskutieren, aber wir wollen uns ja auch über dich unterhalten. Wie ist 1998, als du zum ersten Mal Teamchef in der Formel 1 wurdest, der Kontakt zur Benetton-Familie entstanden?"
Richards: "Ich habe zu dem Zeitpunkt BAT (British American Tobacco; Anm. d. Red.) repräsentiert, die damals darüber nachgedacht haben, in die Formel 1 einzusteigen. Sie haben mich um Rat gebeten. Ich habe ihnen gesagt, dass meiner Meinung nach der einzige Weg, wie das klappen kann, der Kauf eines etablierten Teams mit den richtigen Ressourcen ist. Sie wollten nicht einfach als Sponsor in ein Team investieren und keinen Gegenwert aufbauen, sondern sie wollten ein Investment in ein Team mit einem Gegenwert."

"Ich habe BAT dann empfohlen, über einen Kauf von Benetton nachzudenken. Also habe ich Kontakt zur Benetton-Familie aufgenommen und mit ihnen diskutiert, was man alles machen könnte. Dabei ging es vor allem um die langfristigen Pläne. Ich habe mich damals auch mit Ford über eine Motorenlieferung unterhalten. Als ich mit den ausgearbeiteten Vorschlägen zu BAT zurückgekommen bin, hat BAT entschieden, dass sie doch lieber bei Null beginnen möchten. Die Vorschläge, die ich ihnen präsentiert habe, waren aber auch nicht geradlinig und klar, weil die Benetton-Familie die Kontrolle über das Team noch etwas länger behalten wollte. Ich habe BAT dann gesagt, dass ich an so einem Projekt nicht interessiert sei, wenn sie tatsächlich etwas komplett Neues aufbauen möchten. Ich hielt es einfach nicht für machbar, ein Team aus dem Nichts aufzubauen und kurzfristig konkurrenzfähig zu werden. Dadurch sind die Gespräche ins Stocken geraten."

Anruf von Ecclestone führte zu weiteren Gesprächen

"Einen Monat später hat mich dann Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.) angerufen. Er sagte mir, dass die Benettons ihr Team reorganisieren wollen und dass sie jemanden suchen, der das für sie macht, und ob es mich interessieren würde. Ich bin dann nach Italien geflogen, habe mich mit der Benetton-Familie getroffen und mit ihnen diskutiert, wie man ihre Wünsche am besten anpacken könnte. Das Team war in den frühen 90ern sehr erfolgreich gewesen und hatte mit Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) auch Weltmeisterschaften gewonnen, aber zu dem Zeitpunkt hatte es eigentlich keinen Erfolg mehr. Es wurde aber auch nicht viel Geld investiert. Daran fehlte es einfach. Und dann haben mich eben die Benettons gebeten, das für sie in Ordnung zu bringen."

Frage: "Also hatte dein Einstieg als Teamchef bei Benetton mit BAT überhaupt nichts mehr zu tun, richtig?"
Richards: "Überhaupt nichts. Das war ein persönlicher Job von mir. Ich habe gegen Jahresmitte 1998 dann einen umfangreichen Vorschlag präsentiert, wie man das Team in den darauf folgenden fünf Jahren voranbringen könnte. Damit wären natürlich sehr hohe Investitionen verbunden gewesen. Die Benetton-Familie hat dieser Philosophie aber nicht zugestimmt."

Benetton-Erfolge: "Michael hat den Unterschied gemacht"

Frage: "1998 war nur drei Jahre nach dem Weggang Michael Schumachers von Benetton. Hat er damals ein großes Loch hinterlassen?"
Richards: "Ja, schon. Der Erfolg mit Michael ist damals wohl ein wenig früher als von der Benetton-Familie erwartet gekommen. Michael ist einfach außergewöhnlich, er hat den Unterschied gemacht. Auch als das Team mit Michael Weltmeister wurde, wäre es nicht in einer Position gewesen, auch ohne ihn Weltmeister zu werden."

Frage: "Du hast vorhin erwähnt, dass du der Benetton-Familie Mitte 1998 einen Kurswechsel vorgeschlagen hast. Was waren das für Ideen?"
Richards: "Es war einfach eine gravierende Neuorganisation des Teams, eine Restrukturierung der Geschäftsbereiche. Ich wollte viele Veränderungen für das Team, wollte höhere Investitionen seitens der Benetton-Familie und ich wollte Ford als starken Partner ins Team bringen. Ich habe mich damals öfter mit Jac Nasser von Ford unterhalten, aber die Benettons standen zu dem Zeitpunkt schon Renault sehr nahe. Es wären natürlich gravierende Veränderungen gewesen, denen die Benettons aber nicht zustimmen wollten. Sie dachten, sie könnten so weitermachen, dann würde es schon irgendwie klappen. Dieser Ansicht war ich nicht."

Frage: "Jetzt, sieben Jahre später, scheint es mit dem Erfolg aber doch zu klappen..."
Richards: "Aber erst nachdem sie viele Dinge umgesetzt haben, die ich damals vorgeschlagen hatte. Vieles davon ist erst nach dem Verkauf an Renault geschehen. Es waren einfach Investitionen in die Firma notwendig. Renault hat das erreicht."

"Bin mit einem Fünfjahresplan zu BAT gegangen"

Frage: "Nach Benetton konntest du dich ein paar Jahre auf deine Firma Prodrive konzentrieren, ehe du bei BAR angeheuert hast. Wenn du jetzt auf deine Zeit dort zurückblickst, wie würdest du sie zusammenfassen?"
Richards: "Durch meine erste Periode in der Formel 1 habe ich viel gelernt. Als ich zu BAR kam, passierte das aber unter ganz anderen Umständen als beim ersten Mal. Ich kam mit einem klaren und langfristig angelegten Plan. Ich habe den Posten des Teamchefs gar nicht angenommen, bevor sie nicht meinen Plänen zugestimmt hatten. Ich bin mit einem Fünfjahresplan zu BAT gegangen, habe den Plan auf den Tisch gelegt und ihnen gesagt, dass ich mir das nur so vorstellen kann."

"Ich bin nicht alleine als Teamchef hinzugestoßen, sondern mit meiner Firma Prodrive, daher hatte ich all meine Mitarbeiter und meine Ressourcen für die Arbeit zur Verfügung. Das waren die Hauptunterschiede zu Benetton. Dadurch gewinnt man Vertrauen und man kann langfristige Entscheidungen treffen und nicht nur kurzfristig die Löcher stopfen. Das ist eines der größten Probleme im Motorsport: So viele Leuten sind zu kurzsichtig und denken nur an kurzfristige Lösungen für ihre Probleme, machen sich aber keine Gedanken darüber, wo sie damit in drei Jahren stehen werden."

Frage: "Was hast du bei BAR vorgefunden? War es ein totales Chaos?"
Richards: "Wenn ein neues Unternehmen gegründet wird, dann passiert das manchmal ohne eine angemessene Struktur um die Firma herum. Das war bei BAR der Fall. Es ist wie bei einer neuen Fußballmannschaft: Wenn man einen Tag lang die elf besten Fußballspieler der Welt auf den Platz stellen würde, wären sie sicher nicht automatisch das beste Team. Das muss sich erst einspielen. Mit Firmen ist es genau dasselbe. Es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass die großen Investmentgruppen und Fonds nur selten in Startup-Unternehmen investieren. Stattdessen kaufen sie sich erfahrene Management-Teams, weil die in der Regel erwiesenermaßen erfolgreicher sind."

"Keine Führung und keine Struktur innerhalb des Unternehmens"

"Als ich zu BAR gekommen bin, fand ich großen Enthusiasmus und sehr talentierte Mitarbeiter vor, aber es gab keine Führung und keine Struktur innerhalb des Unternehmens. Sie lebten einen Traum. Irgendwie haben sie einfach nur dadurch, dass sie in der Formel 1 waren, ein paar gute Resultate erzielt. Von selbst wäre aber nie etwas passiert. Es war eine signifikante Neuorganisierung notwendig. Es wurde viel Geld - in vielen Fällen unangemessen viel - ausgegeben. Unsere Aufgabe bestand also zum Teil auch im Controlling. Das Einzige, was BAT damals davon abgehalten hat, Rennen zu gewinnen, war, dass sie so viel Geld und so viele Mitarbeiter in das Team steckten. Das Erste, was ich dann getan habe, war eine Kürzung des Budgets und des Personalstands. Dadurch wurde das Team zu einer kompakteren und effizienteren Organisation."

"Als wir hinzugestoßen sind, haben wir 90 Tage lang die Situation evaluiert und dann präsentiert, wie man es besser machen könnte. Wir haben 20 Prozent der Mitarbeiter gestrichen und das Budget sortiert, denn die einzige Alternative aus BAT-Sicht dazu wäre gewesen, das Formel-1-Projekt zu beenden. Ich glaube nicht, dass die Leute in der Firma realisiert haben, wie nahe sie diesem Punkt schon gekommen waren."

Frage: "Fand die angesprochene Evaluierungsperiode von 90 Tagen vor deinem eigentlichen Eintritt ins Team statt oder unmittelbar danach?"
Richards: "Ich kam im Dezember zum Team und hatte wie gesagt diesen Fünfjahresplan. BAT hatte zu diesem Zeitpunkt drei Anliegen: Erstens und vor allem wollten sie die Ausgabenseite besser in den Griff bekommen. Das Budget wurde jedes Jahr ohne irgendwelche Kontrollen überschritten. Die Finanzleute bei BAT wussten nicht einmal, wie viel ihnen das Team im nächsten Jahr kosten würde, denn sie haben nie selbst ein Budget gemacht. Kostenkontrolle und Budget hatten daher oberste Priorität. Zweitens sollte ein glaubwürdiges Team aufgebaut werden, welches BAT angemessen repräsentieren würde. Dazu gehören natürlich auch Resultate auf der Strecke. Drittens sollte der Verkauf des Teams für die Zeit nach der Zigarettenwerbung vorbereitet werden."

Teil zwei des großen Interviews mit David Richards wird am Sonntag auf 'F1Total.com' veröffentlicht.