Das große 'F1Total.com'-Interview mit Christian Horner

Der Red-Bull-Racing-Teamchef über die Neuerungen vor der Saison 2006, Hoffnungen auf Podestplätze, den Visionär Mateschitz und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Nach der viel versprechenden Premierensaison erwarten von Red Bull Racing alle den nächsten Schritt - vor allem natürlich die beiden Fahrer David Coulthard und Christian Klien, die neuerdings auf den Rückhalt von Ferrari-Motoren und die genialen Einfälle von Stardesigner Adrian Newey zählen können. 2006 ist die Erwartungshaltung dementsprechend höher als 2005.

Titel-Bild zur News: Christian Horner

Christian Horner will Red Bull Racing schon 2006 zu ersten Erfolgen führen

Christian Horner, übrigens der jüngste Teamchef der Formel 1, traut seiner österreichisch-britischen Truppe mehrere Podestplätze zu. Im Interview mit 'F1Total.com' sprach der 33-Jährige vergangenen Donnerstag unter anderem über den bevorstehenden Testauftakt mit dem neuen RB2, aber auch über seine eigenen Ambitionen in der Königsklasse des Motorsports und jene von Konzernchef Dietrich Mateschitz, den er bewundernd als "Visionär" bezeichnete.#w1#

Wiederaufnahme des Testprogramms diese Woche in Jerez

David Coulthard

Ab Dienstag beginnen die Testfahrten des Jahres 2006 Zoom

Frage: "Christian, nächste Woche werden in Jerez die Wintertestfahrten wieder aufgenommen. Wie läuft es bisher mit eurem neuen Auto?"
Christian Horner: "Ich denke, es war sehr positiv, dass wir das Auto noch vor Weihnachten erstmals testen konnten. Für das Team gibt es ja mit dem Ferrari-Motor, einer neuen Elektronik und einem komplett neuen Auto eine beträchtliche Veränderung. Insofern war es wichtig, einen Shakedown und einen Systemcheck durchzuführen, um sicherzustellen, dass alles korrekt und wie erwartet funktioniert, bevor wir nächste Woche in Jerez unser reguläres Testprogramm aufnehmen."

Frage: "Nach außen macht das Team den Eindruck, dass durch die Ferrari-Motoren ein Motivationsschub durch die Mannschaft geht. Kann man schon Vergleiche zu Cosworth anstellen, was die Leistung angeht, oder ist es dafür noch zu früh?"
Horner: "Zunächst einmal sind wir sehr glücklich mit unserer Beziehung zu Ferrari. Es ist sehr angenehm, mit ihnen zu arbeiten, und wir sind sehr zufrieden damit, wie sich die Dinge bisher entwickeln. Vergleiche anzustellen, wäre erstens unprofessionell und zweitens praktisch nicht möglich, weil sich der V8 gerade am Anfang seiner Entwicklungskurve befindet, während der V10 schon recht ausgereift war. Das sind völlig unterschiedliche Kaliber mit unterschiedlichen Philosophien, die hinter den beiden Motoren stecken. Insofern ist es unmöglich, da irgendwelche Vergleiche anzustellen."

Frage: "Wie geht es euch mit den Vibrationen und diversen anderen Schwierigkeiten, über die die meisten anderen Teams nach den ersten V8-Tests geklagt haben?"
Horner: "Natürlich verursacht der V8 stärkere Vibrationen, die wir handhaben müssen. Unser Designteam hat aber einen guten Job gemacht, und ihre Berechnungen haben sich als richtig erwiesen. Bis jetzt sind wir glücklich damit, wie alles funktioniert."

Heute ist Adrian Neweys erster Arbeitstag in Milton Keynes

Adrian Newey und David Coulthard

Zwei alte Bekannte treffen heute offiziell wieder aufeinander: Newey und Coulthard Zoom

Frage: "Adrian Newey wird schon am Montag seine Arbeit in der Fabrik in Milton Keynes aufnehmen. Das Auto wurde aber von Mark Smith konstruiert, und mit Günther Steiner gibt es noch einen weiteren hochrangigen Ingenieur. Wie sehen die technischen Verantwortungsbereiche dieser drei Herren aus?"
Horner: "Das diesjährige Auto ist das erste Produkt von Red Bull Racing. Das vorherige Auto war ein Überbleibsel von Jaguar, welches wir übernommen und im Verlauf des Jahres weiterentwickelt haben. Der RB2 wurde quasi von einem weißen Blatt Papier aus gebaut. Mark hat mit seinem Team einen sehr guten Job gemacht. Auf dem Papier sieht alles sehr gut aus. Nächste Woche werden wir dann auch auf der Strecke sehen, wie es um die Performance tatsächlich bestellt ist."

"Adrian stößt am Montag zu uns. Er hatte keine Chance, sich in den RB2 einzubringen, aber er wird in der Weiterentwicklung des Autos im letzten Teil des Jahres sicher eine Rolle spielen. Sein erstes Ziel ist aber, sich in die Firma einzufügen, zu verstehen, wie sie funktioniert, um die Struktur zu verinnerlichen - und von dem Punkt an weiterzumarschieren."

Frage: "David Coulthard und Christian Klien haben in den vergangenen Wochen verdeutlicht, dass sie 2006 mehrere Podiums einfahren möchten. Es ist immer schwierig, ein Saisonziel in der Formel 1 in Zahlen festzumachen, aber was wäre für euch ein zufrieden stellendes Resultat?"
Horner: "Es ist schwierig, das zu quantifizieren, aber unser Ziel ist, unsere derzeitige Position zu verbessern. Das Team hat 2005 einen guten Job gemacht. Wir haben 34 Punkte geholt, was wesentlich mehr ist als Jaguar in all den Jahren davor. Von dieser Plattform aus, die wir für uns selbst geschaffen haben, wollen wir uns weiterentwickeln. Ich denke, dass wir dazu in der Lage sein sollten, Teams wie Williams, BAR - an denen wir Ende letzten Jahres sehr knapp dran waren - und auch Toyota herauszufordern. Wir möchten um gute Startpositionen und hoffentlich auch um einen Platz unter den besten Fünf der Konstrukteurs-WM kämpfen."

Kann Newey dem Auto schon 2006 Speed einhauchen?

Frage: "2005 seid ihr während der Saison eher zurückgefallen. Kann man realistischerweise erwarten, dass ihr euch mit Adrian Newey 2006 eher fortlaufend weiterentwickeln werdet?"
Horner: "Wir hatten 2005 einen sehr guten Saisonbeginn. Mitte des Jahres sind wir ein wenig zurückgefallen, aber Ende des Jahres kamen wir wieder stark zurück. Adrian war nicht am RB2 beteiligt, denn er soll sich in erster Linie auf den RB3 für 2007 konzentrieren, aber natürlich wird er sich auch in die Weiterentwicklung des RB2 einbringen. Ich bin sicher, dass wir seinen Einfluss in der zweiten Hälfte des Jahres spüren werden."

Christian Klien und David Coulthard

Christian Klien und David Coulthard sind auch dieses Jahr Teamkollegen Zoom

Frage: "Reden wir über die Fahrer. Es ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass David Coulthard für den Aufbau des Teams der richtige Mann ist. Er hat die Erwartungen im ersten Jahr auch weitgehend erfüllt, nicht wahr?"
Horner: "David hat das Team letztes Jahr sehr gut geführt. Er ist unglaublich erfahren und einer der weltweit besten Piloten. Wir sind sehr zufrieden mit der Arbeit, die er für Red Bull Racing geleistet hat und immer noch leistet. Er ist extrem motiviert, sehr hungrig nach mehr Erfolg. Das Fahren macht ihm auch Spaß, denke ich."

Frage: "Kannst du ein konkretes Beispiel nennen, wie er sich an einem Rennwochenende oder bei einem wichtigen Test mit neuen Teilen einbringt?"
Horner: "Eine seiner bedeutendsten Eigenschaften ist, dass er erfahren und bisher in seiner Karriere nur für Topteams gefahren ist, nämlich Williams und McLaren. Dadurch bringt er ungemein viel Wissen und Erfahrung mit. Insofern kann er das Team hinsichtlich der Weiterentwicklung in die richtigen Richtungen lenken. Er ist immer noch sehr motiviert und erfolgshungrig. Ich hoffe natürlich, dass er 2006 ein sehr starkes Jahr haben wird."

Klien muss sich erst noch hundertprozentig beweisen

Christian Klien

Christian Klien hat laut Horner noch viel Verbesserungspotenzial Zoom

Frage: "Ich weiß, dass es für einen Teamchef immer schwierig ist, seine beiden Fahrer miteinander zu vergleichen, aber kannst du David Coulthard und Christian Klien, die sich ja in sehr unterschiedlichen Stadien ihrer Karriere befinden, dennoch gegenüberstellen?"
Horner: "Wie du sagst befinden sie sich in sehr unterschiedlichen Stadien ihrer Karriere. Christian nimmt nun sein drittes Jahr in der Formel 1 in Angriff. Ich finde, dass er sich letztes Jahr enorm weiterentwickelt hat. Hoffentlich gelingt ihm 2006 noch einmal so ein Schritt. Er ist ein Fahrer mit viel Können, aber er ist noch dabei, sein Potenzial voll zu entfalten, denn er ist ja noch sehr jung. Mit David als Maßstab innerhalb des Teams hat er sich in den vergangenen zwölf Monaten sehr gut entfaltet. Wir erwarten von ihm, dass er auf seine Leistungen von 2005 aufbaut."

Frage: "Siehst du in Christian Klien möglicherweise einen angehenden Weltmeister?"
Horner: "Es ist noch zu früh, darüber etwas zu sagen. Wir werden uns erst einmal ansehen, wie er sich in den nächsten zwölf Monaten entwickelt."

Frage: "Die britischen Medien hätten gerne Vitantonio Liuzzi im zweiten Auto gesehen. Warum habt ihr euch schlussendlich gegen ihn und für Christian Klien entschieden?"
Horner: "Christian hat 2005 einen sehr guten Job gemacht. Tonio, ein weiteres Produkt des Red-Bull-Juniorteams mit enormem Talent, hat 2005 nur an vier Rennen teilgenommen. Allerdings hat er in den Freitagstrainings einen sehr guten Job gemacht. Unser Gefühl war schon immer, dass er noch mehr Rennerfahrung braucht, also wird er für die Scuderia Toro Rosso fahren. Er hat dort auch einen für ihn sehr gesunden Teamkollegen neben sich (Scott Speed; Anm. d. Red.). Ich denke, dass unsere Fahrerentscheidung natürlich und normal war."

Echter Konkurrenzkampf mit der Scuderia Toro Rosso

Christian Horner

Horner: Die beiden Red Bull-Teams werden auf der Strecke Gegner sein Zoom

Frage: "Die Scuderia Toro Rosso wird zwar als unabhängiges Team geführt, aber es wird sicher Synergien zwischen den beiden Red-Bull-Rennställen geben. Wie wird das an den Rennwochenenden aussehen? Wird es einen Datenaustausch geben?"
Horner: "Die Teams haben dieselbe Mutterfirma, aber am Sonntagnachmittag treten wir im Rennen gegeneinander an. Beide Teams haben unterschiedliche Zielsetzungen. Mein Ziel für Red Bull Racing ist klar: Wir wollen uns nach vorne orientieren, wir wollen um die vorderen fünf Positionen in der Konstrukteurs-WM mitkämpfen und uns gegenüber letztem Jahr steigern. Ich denke, dass wir das schaffen können."

Frage: "Wenn wir schon von der Scuderia Toro Rosso und Red Bull Racing sprechen: Es ist ziemlich außergewöhnlich, was Red Bull in so kurzer Zeit in der Formel 1 auf die Beine gestellt hat. Man hat das Gefühl, dass da etwas Großes aufgebaut wird. Du bist sicher ganz aufgeregt darüber, Teil davon zu sein..."
Horner: "Red Bull ist eine unglaublich dynamische und aufregende Firma. Was sie in der Formel 1 erreicht haben, ist typisch für die Dynamik der Firma. Ich denke, die Zukunft von Red Bull Racing, der Scuderia Toro Rosso und Red Bull insgesamt in der Formel 1 sieht rosig aus. Man sieht, dass wir uns fortbewegen. Ja, es ist eine Freude, Teil davon zu sein."

Frage: "Dietrich Mateschitz hat keine besonders revolutionären Ideen, aber den Mut, seine Schiene konsequent durchzuziehen. Stimmst du zu, dass es einfach gewesen wäre, so etwas auch schon früher aufzuführen, wenn sich nur jemand getraut hätte?"
Horner: "Dietrich ist ein gewaltiger Visionär. Was er in der Formel 1 erreicht hat, ist bemerkenswert. Das ist niemandem entgangen. Wir sind schon gespannt, wie die Leute auf das reagieren werden, was in den nächsten Jahren noch kommt."

Neuer Windkanal wird demnächst in Betrieb genommen

Red Bull Racing

Red Bull Racing investiert derzeit massiv in Personal und Technik Zoom

Frage: "Wie steht es um den Ausbau der Fabrik in Milton Keynes? Es wird ja gerade ein Windkanal gebaut und auch sonst rüstet ihr einigermaßen auf. Wie ist die derzeitige Situation?"
Horner: "Der neue Windkanal in Bedford wird noch im Januar in Betrieb genommen. Der geht gerade durch die Schlussphase der Kommissionierung. Dann haben wir noch den Windkanal in Bristol, der rund um die Uhr genutzt wird. Die Fabrik wurde aufgerüstet. Ich denke, wir sind sehr gut ausgestattet, um unsere Ziele erreichen zu können."

Frage: "Wann werden diese Maßnahmen endgültig abgeschlossen sein?"
Horner: "Ich denke, wir sind von diesem Zeitpunkt nicht mehr weit entfernt. Innerhalb von ein bis zwei Monaten werden alle Arbeiten abgeschlossen sein. In der Fabrik wird momentan rund um die Uhr am RB2 gearbeitet."

Frage: "Ich möchte noch kurz über das neue Reglement sprechen. Red Bull steht Bernie Ecclestone und der FIA sehr nahe, aber das heißt ja nicht, dass ihr deswegen all deren Ansichten teilen müsst. Was hältst du generell von den Regelvorschlägen für 2008?"
Horner: "In vielerlei Hinsicht halte ich sie für sehr vernünftig - Stichwort Kostenreduktion, Stichwort Spektakel. Der durchschnittliche Fan auf der Tribüne kann sowieso nicht sehen, wie die Elektronik oder ein ähnlicher Bereich funktioniert. Eine Senkung der Kosten ist eines der Ziele der FIA, und an dieses Thema gehen sie sehr vernünftig heran. Ich finde den Reglementvorschlag sehr interessant. In den nächsten ein bis zwei Monaten werden wir darüber sicher ausführlich diskutieren."

Horner verteidigt die Regelvorschläge der FIA

Frage: "Ein meiner Meinung nach diskutabler Punkt ist, dass neue Teile, die einem einzelnen Team einen Vorteil bringen, nach einem Jahr wieder verboten werden sollen. Das ist doch eine Innovationsbremse, nicht wahr?"
Horner: "Die Formel 1 hat es so an sich, dass immer wieder neue Ideen auftauchen, mit denen die Regeln umschifft werden. Man kann die Kreativität in der Formel 1 nie aufhalten. Das zählt zu ihren Kerneigenschaften und zu ihren größten Stärken. Die Position der FIA ist ziemlich eindeutig: Sie wollen die Kosten reduzieren, was sehr bedacht und vernünftig ist. Gleichzeitig kann man wie gesagt den derzeit elf Teams ihre Kreativität sowieso nicht wegnehmen."

Frage: "Das neue Qualifying gilt als kompliziert. Die Medien machen sich schon jetzt Gedanken, wie sie es im Fernsehen präsentieren sollen. Alle haben gesagt, dass jede Änderung gut durchgedacht werden sollte, aber jetzt gibt es wieder einen Schnellschuss, über den schon vor dem ersten Rennen diskutiert wird. Das kann doch nicht gut für die Formel 1 sein..."
Horner: "Diese Änderung ist von den Teams ausgegangen. Ich denke schon, dass alles gut abgewogen worden ist, dass viele Gedanken hineingeflossen sind. Daraus werden sich sehr aufregende Qualifyings mit immer weiter zunehmender Spannung am Ende ergeben. Ich bin sicher, dass das aufregend anzusehen sein wird."

Rückkehr der Reifenwechsel wird von Horner begrüßt

David Coulthard (Red Bull-Cosworth RB1)

Horner freut sich auf die Rückkehr der Reifenwechsel Zoom

Frage: "Das Comeback der Reifenwechsel: einerseits sicher eine gute Sache für die Sicherheit, andererseits aber auch einer der Faktoren, die Michelin zum Ausstieg bewogen haben. Was sagst du dazu?"
Horner: "Ich denke, dass Reifenwechsel zum Spektakel und zum Teamsport dazugehören. Das wird einem auch jeder Fan auf der Straße sagen. Das ist eine positive Sache, ein weiteres Element, das die Strategie für die Rennen leicht verändern wird. Ich denke, es ist gut für die Formel 1 - und die Teams sind dadurch wie gesagt wieder voll ins Renngeschehen integriert."

Frage: "Letzte Frage: Wer wird 2006 um die Weltmeisterschaft kämpfen?"
Horner: "Natürlich wird Fernando Alonso hart dafür arbeiten, seinen Titel zu verteidigen. Wenn man sich McLarens Entwicklung im letzten Jahr ansieht, machen sie auch einen sehr starken Eindruck. Kimi Räikkönen ist sicher einer der Favoriten. Ferrari wird - da bin ich mir sicher - nach einem Krisenjahr zurückkehren, und Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) wird sehr motiviert sein, sich einen weiteren WM-Titel zu sichern. Das sind die drei Hauptfavoriten. Dann gibt es aber auch noch Außenseiter wie Montoya - und wer weiß, welche anderen Überraschungen noch auf uns zukommen?"