• 29.08.2023 11:55

  • von Norman Fischer, Co-Autoren: Adam Cooper, Matt Kew

"Dann mach doch eine Schlagzeile draus!": Harter Funkdisput bei Norris

Lando Norris hat während des Rennens in Zandvoort einen Disput mit seinem Renningenieur: McLaren gibt Fehlentscheidung in der Startphase zu

(Motorsport-Total.com) - "Bist du dumm?" - So knallhart ist Lando Norris seinen Renningenieur Jose Manuel Lopez in der Anfangsphase des Formel-1-Rennens von Zandvoort angegangen. Denn eigentlich wollte McLaren den Briten auf seinen Slick-Reifen draußen lassen, während viele Konkurrenten auf nasser Strecke auf Intermediates gegangen waren.

Titel-Bild zur News: Lando Norris im Gespräch mit seinem Renningenieur Jose Manuel Lopez

Lando Norris vor dem Rennen mit seinem Renningenieur Jose Manuel Lopez Zoom

Erst nach drei Runden kam Norris an die Box - deutlich zu spät. Zwar war er damit besser dran als die Fahrer, die gar nicht zum Stopp kamen, trotzdem fiel er von seinem dritten Platz vorerst auf den vorletzten Platz zurück. Norris selbst forderte den Reifenwechsel vehement und beleidigte seinen Ingenieur in der Diskussion sogar.

Lopez ist selbst erst seit einigen Rennen in dieser Rolle und war zuvor Performance-Ingenieur bei McLaren. Doch das Team rotiert aufgrund der hohen Anzahl an Rennen seine Mitarbeiter und lässt Lopez seit Silverstone die Aufgaben von Norris' eigentlichem Renningenieur Will Joseph übernehmen.

Nach dem Rennen auf den Disput angesprochen, winkt Norris ab: "Ich werde dazu nicht so viel sagen, sonst wird wieder eine Schlagzeile daraus gemacht, und ich bin wirklich schlecht darin", so der Engländer.

Als ihm daraufhin gesagt wird, dass man sich jeden Funk im Nachhinein noch einmal anhören kann, reagiert er etwas genervt: "Ja, dann mach doch eine Schlagzeile aus dem Funk!"

Tatsächlich fördert der Funk in der Anfangsphase des Rennens eine pikante Unterhaltung zu Tage. Los geht es, als Norris bemerkt, dass Max Verstappen und Fernando Alonso vor ihm nach der zweiten Runde an die Box kommen, um sich Intermediates abzuholen.

Norris: "Sie fahren an die Box."
Ingenieur: "Haben wir gesehen. Wir bleiben draußen, wenn du das Auto auf der Strecke halten kannst."

Doch schnell dämmert es dem Briten, dass es wohl besser gewesen wäre, auch zum Reifenwechsel reinzukommen.

Norris: "Es ist Full-Wet-Wetter. So schnell wird es nicht abtrocknen."
Ingenieur: "Verstanden."
Ingenieur: "Der Regen hat aufgehört. Wir erwarten keinen Regen mehr in den nächsten Minuten, Lando."
Norris: "Ich weiß. Aber ich sage auch, dass es in nächster Zeit nicht abtrocknen wird."
Ingenieur: "Brauchst du die Inters? Wenn wir das Auto in den Kurven nicht halten können, fahren wir an die Box."
Norris: "Box, Kumpel. Wir sind zu langsam."

Doch wenig später fährt Norris ziemlich aus der Haut, als ihm sein Ingenieur sagt, dass er schneller sei als die Konkurrenten auf Intermediates, während diese an Norris scheinbar mühelos vorbeifliegen.

Ingenieur: "Wir sind schneller als die Autos auf Inters."
Norris: "Was zur Hölle? Bist du verdammt noch mal dumm? BOX!"

"Klar, dass wir eine falsche Entscheidung getroffen haben"

Als Norris wieder aus der Box kommt, liegt er auf dem vorletzten Platz und hat bereits 38 Sekunden Rückstand auf Sergio Perez, der deutlich hinter ihm gestartet war, aber als erster Fahrer die Chance zum Reifenwechsel nutzte.

"Ich denke, es ist klar, dass wir eine falsche Entscheidung getroffen haben", sagt er nach dem Rennen. "Das ist etwas, das wir überprüfen und besprechen werden, denn ich denke, wir haben in dieser Saison schon ein paar davon getroffen, und ja, wir haben in diesem Jahr zu viele Positionen und viele Punkte durch ein paar dieser Dinge verloren."

Ein wenig erinnert es an das Rennen in Sotschi 2021, als Norris auf dem Weg zu seinem ersten Formel-1-Sieg war, bevor es in der Schlussphase anfing zu regnen. Weil die Zielflagge nah war, wollte Norris nicht noch einmal in die Box kommen, während Lewis Hamilton hinter ihm reinfuhr und das Rennen gewann.


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Norris wurde nur Siebter und wartet immer noch auf seinen ersten Erfolg. "Ich denke, man erinnert sich immer eher an die Dinge, wo man verloren hat, als wo man gewonnen hat", sagt Norris. "Ich denke nicht, dass es das Gleiche ist, und wir haben seitdem einige gute Fortschritte gemacht. Aber heute hat sich gezeigt, dass wir lange nicht da sind, wo wir sein müssen."

Stella will Kommunikation prüfen

Teamchef Andrea Stella erklärt, wie es zu der Fehlentscheidung in Zandvoort kommen konnte, denn Teamkollege Piastri gehörte zu den Piloten, die nicht an die Box geholt wurden, und noch mehr Zeit verloren.

"Die beste Herangehensweise war die mit ein Glücksspiel, nämlich sofort reinzukommen", sagt er. Das hatten vor allem Piloten aus dem Hinterfeld gemacht. Stella weiß: "Dieser Ansatz ist einfacher, wenn man nicht viel zu verlieren hat. Oder?"

Allerdings sei es logisch gewesen, dann in der zweiten Runde reinzukommen, wie es etwa Verstappen und Alonso gemacht hatten. "Bei Lando haben wir in dieser Phase gezögert und sind in der Runde danach reingekommen, wobei wir ziemlich viel Zeit verloren haben", gibt er zu.

Stella will die Kommunikation noch einmal überprüfen, denn eigentlich müsse der Fahrer im Regen realisieren, dass er in die Box kommen muss. "Auf der anderen Seite müssen wir genau überprüfen, was wir ihm gesagt haben, was ihn vielleicht davon abgehalten hat", so Stella.


Fotostrecke: Zandvoort: Die Fahrernoten der Redaktion

Allerdings lobt Norris, dass McLaren es beim zweiten Regenschauer nach 60 Runden richtig gemacht hat und im erstbesten Moment an die Box gekommen ist: "Im zweiten Teil des Rennens haben wir das wieder wettgemacht", sagt er. "Nun ja, nicht ganz wettgemacht, aber wir haben die richtige Entscheidung getroffen und waren einer der Ersten an der Box, und wir haben etwas Zeit gewonnen."

Dort hatte Norris selbst offensiv gesagt, dass er an die Box kommen möchte, und kam so auch an George Russell vorbei, der hinter seinem Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton auf seinen Service warten musste.

Pace "ziemlich furchtbar"

Mit seinem Landsmann legte sich der McLaren-Pilot später nach dem Neustart aber noch einmal zu hart an: Nach einer Berührung in der Schikane fing sich Russell einen Reifenschaden ein und wurde als Letzter im Ziel gewertet.

"Die Autos sind heutzutage so scharfkantig, dass du sie nur ein klein wenig berühren musst, und schon hast du vier Reifenschäden", sagt er. "Es war gutes, enges Racing und wir waren Seite-an-Seite. Ich fühle mich schlecht, dass es für ihn so geendet ist", so der McLaren-Pilot. "Aber ich hätte nichts anders machen sollen."

Für Norris selbst wurde es am Ende der siebte Platz, was für McLaren im Grunde eine verpasste Gelegenheit war. "Es gibt Zeiten, in denen es auf die Pace ankommt, und Zeiten, in denen es auf die Strategie ankommt, und die Strategie hat uns heute im Stich gelassen", sagt Norris.

Die Pace in Zandvoort sei aber auch nicht gut gewesen, sondern im Vergleich zu Aston Martin und Mercedes sogar "ziemlich furchtbar", wie Norris meint. "Unsere Pace war weit entfernt von unserer Pace, die wir im Qualifying gezeigt haben."

"Wir tun alles, was wir können, um das Problem zu beheben und einen Schritt nach vorne zu machen, aber im Moment reicht das bei weitem nicht aus."

Schwieriges Wochenende in Monza erwartet

Für das anstehende Rennen in Monza erwartet McLaren ein schwieriges Wochenende, denn schon in Spa war man auf den langen Geraden im Grunde nur Kanonenfutter, weil der Topspeed des MCL60 nicht mit der Konkurrenz mithalten kann. Und bekanntlich ist Speed auf den Geraden in Monza sehr wichtig.

"Ich weiß nicht, ob Monza mit Spa vergleichbar ist, aber ich denke, es wird ein sehr schwieriges Wochenende", sagt Norris. "Die Geraden sind im Moment noch unsere Schwachstelle, und wir werden sehen, was wir uns einfallen lassen können."

Doch Norris sagt auch, dass er es gerne hinnimmt, wenn das Team manche Dinge am Auto vernachlässigt hat, um es dahin zu bringen, wo es nach dem schwachen Saisonstart aktuell steht.


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"Es gibt noch ein paar Dinge, wo wir hinterherhängen, aber ich habe lieber 80 Prozent gute und 20 Prozent schlechte Rennen als umgekehrt", so der Brite. "Wir wissen das, was immer gut ist, aber wir wissen auch, dass uns vermutlich ein ziemlich schwieriges Rennen bevorsteht."