• 23.04.2009 10:37

Ceccarelli im Fitness-Interview: "Die Belastung ist gewaltig"

Toyota-Teamarzt Ricardo Ceccarelli im Interview über die außergewöhnlichen Anforderungen der Formel 1 an Piloten und Crew-Mitglieder

(Motorsport-Total.com) - Vielen anderen Rennserien hat die Formel 1 etwas voraus: Extrem hohe Geschwindigkeiten, große g-Kräfte, schwierige Kurse und äußerst heiße Temperaturen verlangen Teams und Fahrern bei einem Grand Prix alles ab. Wer unter diesen Bedingungen seine Leistung nicht absolut fehlerfrei abspulen kann, wird am Ende nicht zu den glücklichen Gewinnern zählen. Toyotas Teamarzt Ricardo Ceccarelli erläutert im Teaminterview, welchen Belastungen die Formel-1-Angestellten bewältigen müssen.

Titel-Bild zur News: Jarno Trulli, Timo Glock

Die Toyota-Piloten machen es vor: In Bahrain ist viel trinken einfach Pflicht...

Frage: "Ricardo, welche Arbeit verrichtest du im Team?"
Ricardo Ceccarelli: "Ich bin quasi der Hausarzt, der immer mit dem Team unterwegs ist und kümmere mich um alle Probleme, die dabei auftreten. Ich habe eine kleine Hausapotheke bei mir und behandle damit die Teammitglieder, dass sie schnell wieder gesund werden und bestmöglich ihrer Arbeit nachgehen können. Wenn ihr Zustand etwas ernster ist, dann entscheide ich, ob es nötig ist, das Medical Centre oder sogar ein Krankenhaus aufzusuchen. In jedem Fall bleibe ich bei meinen Patienten und stelle sicher, dass sie die richtige Behandlung erhalten."#w1#

Aufregung pur: 180 Herzschläge pro Minute

"Außerdem halte ich die Teammitglieder dazu an, sich um ihr eigenes Wohlbefinden zu sorgen. So bereite ich beispielweise einen speziellen Mineraldrink zu, den ich während des Rennens in der Garage verteile. So stelle ich sicher, dass die Crew genug Wasser zu sich nimmt. Das große Ziel dahinter ist: Alle Teammitglieder sollen möglichst fit sein, um ihren Job zu erledigen. Ein Fahrer kann am Sonntagnachmittag ja auch nicht im Hotel bleiben und sich ausruhen. Dasselbe gilt für die Crew."

"Kein anderer Sport sorgt für eine derart hohe Herzfrequenz." Ricardo Ceccarelli

Frage: "Du arbeitest sehr eng mit den Fahrern zusammen - wie fit muss ein Formel-1-Pilot sein?"
Ceccarelli: "Es gibt keine Sportart, die dem Herzen dermaßen viel abverlangt, wie es die Formel 1 tut. Das Herz eines Topfahrers schlägt während eines Rennens im Schnitt über 180 Mal pro Minute - und das über eine Distanz von 90 Minuten oder sogar noch länger. Das ist einfach gewaltig und kein anderer Sport sorgt für eine derart hohe Herzfrequenz in einem solchen Zeitraum."

"Dazu kommt, dass viele Muskeln am ganzen Körper aktiv sind: Vor allem die Nackenmuskulatur wird schwer beansprucht, denn sie muss mit den ganzen g-Kräften klarkommen. Dann wären da noch die Belastungen für Arme und Beine zu nennen, sowie eine gute Rumpfstärke, welche für die Stabilität des gesamten Körpers verantwortlich zeichnet. Eine normale Person könnte angesichts dieser Belastungen wahrscheinlich nur zwei oder drei Runden in einem Formel-1-Wagen drehen, ehe sie rein körperlich nicht mehr zum weitermachen in der Lage wäre."

Hohe Temperaturen beeinträchtigt die Fahrerleistung

Frage: "Wie ist es um den mentalen Aspekt des Fahrens bestellt?"
Ceccarelli: "Die Anforderungen an die Muskeln sind sehr wichtig, aber die Belastung des Gehirns ist schlichtweg beeindruckend. Die Formel 1 ist ein Sport, in dem das Gehirn während des gesamten Rennens ständig hervorragend mitarbeiten muss. Beim Tennis hast du immer wieder ein paar Sekunden Pause, beim Boxen folgt nach jeweils drei Minuten eine Unterbrechung und auch beim Schießen legst du dein Gewehr zwischendurch wieder beiseite. Das bedeutet, dass das Gehirn eines Formel-1-Fahrers ganz anders funktioniert. Wenn man das Gehirn eines Formel-1-Piloten mit dem einer normalen Person vergleicht, dann sind das zwei komplett unterschiedliche Funktionsweisen."

"In der Qualifikation bewegt sich der Fahrer stets am Limit." Ricardo Ceccarelli

Frage: "Reagiert ein Fahrer in der Qualifikation anders als im Rennen?"
Ceccarelli: "Ja. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Fahren im Rennen und dem Fahren auf einer schnellen Runde im Qualifying. Letzteres setzt den Piloten einfach deutlich mehr körperlichem Stress aus. In der Qualifikation bewegt sich der Fahrer stets am Limit und ist quasi immer an der Schwelle, einen Fehler zu begehen. Dabei kann sein Herz bis zu 50 Mal mehr schlagen, als das in einer normalen Rennrunde der Fall ist. Das zeigt ganz klar, dass der Körper eine riesige Aufgabenstellung bewältigt. Das kann man über ein paar Minuten hinweg aufrecht erhalten, aber eben nicht über eine komplette Renndistanz."

Frage: "Welchen Einfluss hat enorme Hitze auf Teammitglieder und Fahrer?"
Ceccarelli: "Es ist eine Tatsache, dass man sich schwächer fühlt, wenn man ein Fieber hat, denn dann arbeitet der Körper einfach nicht richtig. Das ist wie mit einem Auto, bei dem der Motor überhitzt - die Leistung geht in den Keller. Wenn man unter heißen Bedingungen arbeitet - wie wir sie in Bahrain antreffen - und keine Kühlmöglichkeit hat, dann steigt die Temperatur des Körpers unweigerlich an."

"Das ist geradeso, als hätte man ein Fieber, es handelt sich dabei um die gleiche Reaktion. Sobald sich die Körpertemperatur erhöht, leiden das Gehirn und die Muskeln darunter. Schwitzen ist das körpereigene Kühlungssystem, also verliert man durch den Schweiß zudem an Flüssigkeit. In extremer Hitze fühlt man sich schwächer, weil einerseits hohe Temperaturen vorherrschen und weil man andererseits eine Menge Flüssigkeit verliert."

Bei großer Hitze: trinken, trinken, trinken...

Frage: "Welchen Effekt hat ein solcher Flüssigkeitsverlust?"
Ceccarelli: "Wenn du nur zwei Prozent deines Körpergewichts als Flüssigkeit verlierst, dann geht damit ein erheblicher Verlust deiner psychischen und physischen Fähigkeiten einher. Bei 60 Kilogramm Körpergewicht bedeutet das etwa ein Kilogramm an Schweiß. Manchmal verlieren die Fahrer während eines Rennens bis zu drei Kilogramm Gewicht - und wenn du vier Prozent verlierst, dann büßt du damit zugleich 40 Prozent deiner psychisch-physischen Leistung ein. Es ist also vollkommen normal, dass ein Fahrer unter heißen Bedingungen etwas weniger Performance an den Tag legt, wenn er nichts gegen die Auswirkungen der Hitze unternimmt."

"Man isst am besten einfache Gerichte, die man sehr leicht verdauen kann." Ricardo Ceccarelli

Frage: "Was kann man dagegen tun?"
Ceccarelli: "Da helfen schon einige Kleinigkeiten, wenn man diese alle zusammen anwendet. Zunächst einmal sollte man viel trinken und jederzeit eine Flasche mit Flüssigkeit bei sich haben. Dabei handelt es sich meist um normales Wasser, das aber auch einige Mineralstoffe beinhalten kann. Außerdem sollte man vor allem bei der Nahrung sehr vorsichtig sein. Man isst am besten einfache Gerichte, die man sehr leicht verdauen kann."

"Früchte und Gemüse sind in diesem Fall ideal. Was den Fahrer anbelangt, so versucht man immer, ihn vor einem Rennen so gut wie möglich abzukühlen. Das heißt, man versieht seinen Helm mit Eis und packt seine Schuhe in den Kühlschrank, um einmal ein paar Beispiele zu nennen. Das wird gemacht, damit der Pilot nicht sofort überhitzt, wenn er in den Wagen steigt."

Frage: "Wenn ein Fahrer nicht vollkommen fit wäre, hätte das dann einen Einfluss auf seine Leistungsfähigkeit?"
Ceccarelli: "Die Auswirkungen auf die Fahrer sind sehr gering und kaum zu erkennen. Bevor ich zu Toyota gekommen bin, habe ich einmal einen Piloten gesehen, der vier Tage nach einer sehr heftigen Infektion in ein Rennen gegangen ist. Er hat unglaublich viel Flüssigkeit verloren und kam am Sonntag schließlich mit einem sehr schlechten Gefühl an die Rennstrecke."

"Nichtsdestotrotz musste er an den Start gehen. Nach dem Rennen hat er mir erzählt, dass es sich angefühlt habe, als würde er in jedem Augenblick kollabieren - dennoch ist er in den Top 6 ins Ziel gekommen, weil er ein richtig gutes Auto hatte. Wenn ein normal sehr fitter Fahrer krank ist, dann ist er im Rennen ungefähr vier bis maximal fünf Zehntelsekunden langsamer als sonst."