• 26.09.2008 10:08

  • von Dieter Rencken

Byrne: 2009 eine gigantische Aufgabe

Ex-Ferrari-Konstrukteur Rory Byrne über die Auswirkungen des neuen Reglements für 2009: "Überholen wird ganz sicher einfacher"

(Motorsport-Total.com) - Rory Byrne gilt als ehemaliger Ferrari-Konstrukteur als unumstrittener Technik-Fachmann in der Formel 1. Entsprechend naheliegend war seine Mitarbeit am neuen Reglement für 2009. Byrne war über viele Monate in der so genannten "Overtakting Group" federführend engagiert. Diese Arbeitsgruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, neue Lösungen zu suchen, damit in der Formel 1 wieder mehr Spektakel inklusive Überholmanövern stattfinden kann. Im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport-Total.com' erklärte der Südafrikaner, wie sich die Formel 1 im kommenden Jahr darstellen wird.

Titel-Bild zur News: Rory Byrne

Rory Byrne sieht das Reglement für 2009 als riesige Aufgabe für die Techniker

Frage: "Rory, eure Zielsetzung war ursprünglich, dass der Abtrieb der Fahrzeuge um 50 Prozent reduziert werden sollte. Ich habe mit mehreren Technikern gesprochen, die mir sagten, dass der Abtriebsverlust deutlich geringer Ausfallen wird. Wie stehst du zu solchen Äußerungen?"
Rory Byrne: "Zunächst einmal ist es richtig, dass wir die Reduzierung des Abtriebs um 50 Prozent zunächst als Marke genannt hatten. Uns war aber von vornherein klar, dass die Teams einen Teil davon wieder wettmachen werden. Aber insgesamt wird es immer noch eine deutliche Einbusse beim aerodynamischen Abtrieb geben."#w1#

Spannung durch verstellbaren Frontflügel

"Es wird aber allein schon durch die Wiedereinführung der Slicks eine Verschiebung in Richtung des mechanischen Grip geben. Außerdem werden durch die kleineren Heckflügelmaße weniger Verwirbelungen erzeugt, sodass es einfacher sein wird, einem anderen Auto dicht zu folgen und danach vielleicht zu überholen. Hinzu kommt noch, dass der Frontflügel verstellbare Elemente haben soll. Das bedeutet, dass man das Auto im Windschatten auf mehr Stabilität trimmen und so besser folgen kann. Das Folgen eines anderen Autos und letztlich auch das Überholen wird definitiv deutlich einfacher sein im Vergleich zur jetzigen Situation. Ich habe daran nicht den geringsten Zweifel."

"Ich bin sicher, dass man zu Anfang den Eindruck bekommen könnte, dass mehr Frontflügel beschädigt werden." Rory Byrne

Frage: "Wie oft wird man den Frontflügel pro Runde verstellen dürfen?"
Byrne: "Zweimal pro Runde. Die Prämisse war eindeutig: Wenn du deinen Frontflügel im Windschatten verstellst, um mehr Stabilität zu bekommen, dann musst du ihn nach dem Überholen auch wieder zurückstellen können. Man muss daher zwei Vorgänge pro Runde erlauben."

Frage: "Kann der Pilot frei wählen, wann er diese Justierung vornimmt?"
Byrne: "Ja, das kann er. Es gibt eben nur die Beschränkung, dass er es zweimal pro Runde darf. Das war es dann. Er kann also einmal eine Einstellung wählen, um zu folgen und danach wieder in die Ausgangsposition zurückstellen. Er kann aber auch zum Beispiel erst justieren und wenn er merkt, dass es zu wenig war, kann er noch einmal nachregeln. Aber dann kann er in der gleichen Runde eben nicht wieder in die Ausgangsposition zurück. Dann muss er bis zur nächsten Runde warten. Das ganze wird kontrolliert über die Einheitselektronik der FIA."

Einheitselektronik als Regelwächter

Frage: "Kann die FIA das dann Runde für Runde überprüfen, oder wird erst am Ende des Rennens sichtbar, ob jemand dreimal pro Runde seinen Frontflügel verstellt hat?"
Byrne: "Da bin ich zurzeit überfragt. Ich bin mit den Details der Elektronik und Datenaufzeichnung nicht so vertraut. Sicherlich wird man das spätestens vor dem Saisonstart in den Griff bekommen haben. Es gibt zurzeit ohnehin noch einige Aufgaben zu erledigen. Es gibt überall noch Details, die geklärt werden müssen. Die Teams arbeiten alle professionell und die wissen alle, dass man nur zweimal pro Runde verstellen darf. Ich denke, es wird elektronisch in der Form kontrolliert, dass ein dritter Verstellvorgang innerhalb einer Runde einfach blockiert wird."

"Unsere Simulationen zeigten, dass wir bei rund zwei bis drei Sekunden höheren Rundenzeiten lagen." Rory Byrne

Frage: "Es gab einige Bedenken, dass der untere Teil dieser neuen Frontflügel zu tief sein könnte und daher schnell beim Überfahren von Kerbs zerstört würde. Ist das tatsächlich so?"
Byrne: "Die Unterkante ist kaum tiefer als bei den aktuellen Flügeln und deutlich höher als Ende der 80er. Ich glaube, dass wird kein großes Problem sein. Die Fahrer werden wissen, was sie machen können und was nicht. Auf der anderen Seite ist der neue Flügel auch breiter und insgesamt voluminöser, also auch anfälliger bei Kontakt mit anderen Fahrzeugen. Ich bin sicher, dass man zu Anfang den Eindruck bekommen könnte, dass mehr Frontflügel beschädigt werden. Es dauert nur eben eine kurze Zeit, bis sich die Fahrer an die neuen Maße gewöhnt haben werden. Wenn du von einem Kleinwagen in ein großes Auto einsteigst, ist das beim Einparken zuerst auch seltsam, aber du wirst dich daran gewöhnen."

Frage: "Nun einmal Klartext: Wird es in der kommenden Saison für ein Auto - welches zwei Sekunden pro Runde schneller ist als der Vordermann - ganz einfach und sicher sein, zu überholen?"
Byrne: "Ja, das war eindeutig am McLaren-Simulator so abzulesen. Und ich bin sicher, dass man das auch auf der Strecke sehen wird."

Frage: "Wenn man sich die neuen Flügel nimmt und dann dazu die Slicks - wie wird sich das alles in etwa auf die Rundenzeiten auswirken?"
Byrne: "Das lässt sich zurzeit schwierig einschätzen. Unsere ursprüngliche Vorgabe war, dass die Rundenzeiten um nicht mehr als fünf Sekunden langsamer werden sollten. Es wird sicherlich nicht so viel sein. Unsere Simulationen, die wir auf Grundlage von 50 Prozent Abtriebsverlust gefahren haben zeigten, dass wir bei rund zwei bis drei Sekunden höheren Rundenzeiten lagen."

Neues Reglement als gigantische Herausforderung

Frage: "Werden die Topspeeds auf den langen Geraden steigen?"
Byrne: "Nein, ich denke nicht. Jedenfalls werden sie nicht signifikant ansteigen. Es ist ja nicht so, dass wir den gesamten Abtrieb weggenommen hätten. Wir brauchen Downforce, haben es nur eben etwas reduziert. Ich glaube zwar nicht, dass die Topspeeds viel langsamer sein werden, aber besonders viel schneller wird es sicher auch nicht."

Kazuki Nakajima

Kleiner Vorgeschmack: Williams testete in Jerez einen 2009er Heckflügel Zoom

Frage: "Wie wirkt sich die Entwicklung von KERS aus deiner Sicht aus?"
Byrne: "Das ist ganz sicher eine große Herausforderung für die Ingenieure und für alle Teams. Man hat viel mehr Komponenten, es wird alles noch komplexer. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die 2009er Autos eine deutlich größere technische Herausforderung sind als die Fahrzeuge des vergangenen Jahrzehnts. Man hat eine große aerodynamische Veränderung, dazu andere Reifen und dann auch noch KERS."

"Ich kann mich nicht daran erinnern, dass man seit dem Verbot des Groundeffects oder der Abschaffung der Turbomotoren solche tiefgreifenden Veränderungen hatte. Man kann hier über eine fundamentale Veränderung sprechen. Bei solchen Veränderungen verlierst du im Grunde einen Großteil deiner Basis, die du dir erarbeitet hast. Das Reglement war jetzt viele Jahre von Kleinigkeiten abgesehen sehr stabil."

Frage: "Es gibt Leute, die behaupten, dass die Autos zu Beginn der Saison 2009 in Melbourne recht verschieden aussehen, weil die alle die Regeln unterschiedlich interpretieren. Dann marschieren die Techniker durch die Boxengasse und schauen sich die Lösungen der anderen an. Dann wird wieder kopiert und nach und nach gleichen sich die Autos dann wieder mehr. Kann das so passieren?"
Byrne: "Ja. Lass uns das aber mal abwarten. Aber ich denke, so könnte es sein. Natürlich haben alle Teams erstklassige Simulatoren und die werden ihnen den Weg zur guten Lösung zeigen. Das spricht eigentlich wiederum dafür, dass sich die Autos vielleicht doch ähneln werden. Bei KERS ist das natürlich etwas anders, aber das kann man natürlich nicht äußerlich erkennen."