• 15.05.2002 10:35

  • von Marcus Kollmann

Brawn: Wollten die Fans nicht täuschen

Der Technische Direktor der Scuderia bezieht im Interview Stellung zur Stallregie beim Großen Preis von Österreich

(Motorsport-Total.com/Haymarket) - Es hätte eigentlich ein Wochenende des Triumphes für die Scuderia Ferrari auf dem A1-Ring sein sollen, doch die umstrittene Stallregie in der letzten Runde, als der im Rennen klar schnellere Rubens Barrichello wieder einmal seinem Teamkollegen den Vortritt hatte lassen müssen, sorgte schlussendlich dafür, dass sich niemand selbst aus den Verantwortlichen des Traditionsrennstalls über den zweiten Doppelsieg in dieser Saison freuen konnte. Ross Brawn, über die Jahre hinweg zum cleversten Strategen in der Boxengasse aufgestiegen, verteidigte nach dem Rennen die Entscheidung der Teamleitung und nahm im nachfolgend veröffentlichten Interview Stellung zu den Gründen für das in den Augen der Fans und Medien unnötige Eingreifen des Teams zu solch einem frühen Zeitpunkt in der Meisterschaft.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn

Brawn findet, dass Ferrari im Interesse der Titelverteidigung gehandelt hat

Frage: "Ross, wann wurde die Entscheidung [,dass Rubens Michael vorbeilassen muss, d. Red.] getroffen?"
Ross Brawn: "Diese Entscheidung wurde vor einigen Jahren schon getroffen - mit dem Hintergedanken, sicherzustellen, dass wir das Beste für Ferrari tun das in unserer Macht steht. Ich denke, dass die Leute nicht verstehen können, dass wir das Rennen kontrolliert haben. Wir hatten das Glück, dass wir hier so im Vorteil waren, dass wir die Fahrer gar nicht gegeneinander das Rennen fahren lassen haben. Zum jetzigen Zeitpunkt der Saison besteht kein Grund die Fahrer das Auto bis ans Limit treiben zu lassen. Also sagten wir ihnen, dass sie es locker angehen sollen. Und wenn man diese Entscheidung getroffen hat, dann kann man hinterher nicht wirklich davon sprechen, dass es ein Rennen in dem herkömmlichen Sinne war. Rubens war sehr schnell und fuhr ein fantastisches Rennen, doch als Team wollten wir, dass Michael die Punkte mitnimmt, was für uns wichtig ist."

Frage: "Und was werden Sie zu Rubens nach dieser Entscheidung sagen?"
Brawn: "Dass er einen fantastischen Job erledigt hat. Er holte die Pole Position am Samstag und kontrollierte das Rennen, also hat er absolut alles richtig gemacht. Deshalb haben wir ihm ja auch einen neuen Vertrag gegeben. Wir hatten immer das Vertrauen in ihn und durch unsere Entscheidung wird sich daran nichts ändern. Rubens weiß auch um die Situation..."

"Es war ein fantastischer Tag"

Frage: "Wenn man die Form von Michael und dem Auto bedenkt, hätten Sie dann nicht doch besser Rubens siegen lassen sollen?"
Brawn: "Nun, man weiß natürlich nie wie lange so etwas anhält. Man muss sich nur an die Saison 2000 erinnern. Damals hatte Michael 22 Punkte Vorsprung, doch dann hatte er zwei Unfälle und einen Motorschaden und wir lagen plötzlich hinten in der Meisterschaft. Man muss deshalb sich jede bietende Gelegenheit ausnutzen. Wenn wir uns jedoch in einer Situation befinden in der wir mathematisch gesehen die Meisterschaft schon gewonnen haben, ist es natürlich eine andere Situation. Aber am Sonntag war die Situation so, dass wir die Chance, mit Michael Punkte zu holen, auch ausnutzen mussten. Ferrari fuhr einen Doppelsieg ein und es war ein fantastischer Tag."

Frage: "Aber warum wurde de Stallregie gerade in der letzten Runde durchgeführt? Warum nicht 20 oder 30 Runden vorher, um so das Publikum nicht offensichtlich zu beschummeln?"
Brawn: "Ich weiß nicht, wo der Unterschied liegt ob man es nun in der letzten Runde oder meinetwegen 20 Runden vor Rennende macht."

"Wollten die Fans nicht täuschen"

Frage: "Nun, die Allgemeinheit hat in Rubens den verdienten Sieger gesehen. Auch wenn beide Fahrer auf der Strecke nicht gegeneinander fahren durften, so war es doch Rubens der in der Qualifikation und beim Start besser als Michael gewesen war..."
Brawn: "Wir wollten die Zuschauer nicht hinters Licht führen was die wahre Situation anbetraf. Wir haben gezeigt wie die Situation ist, ohne den Leuten etwas vorzugaukeln."

Frage: "Doch am Ende finden die Fans, dass Ferrari genau das gemacht hat..."
Brawn: "Ich kann das verstehen, doch ich weiß, dass die Leute nicht verstehen warum wir unseren Fahrern nicht erlaubten ein Rennen gegeneinander zu fahren und die Autos ans Limit zu treiben. Wer weiß passiert wäre, hätte Michael sich ein Rennen mit Rubens geliefert? Wir mussten dieses Risiko nicht eingehen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Saison werden wir das auch nicht tun."

Frage: "Hätten Sie den 'Positionswechsel' nicht praktisch zu jeder Zeit vornehmen können?"
Brawn: "Nun ja, ich hätte bei der Rennstrategie schon irgendetwas machen können, etwas wodurch Michael auf Platz eins vorgefahren wäre. Doch so etwas wollen wir nicht tun. So etwas wäre für mich ganz klar eine Täuschung. Wir haben nie unsere Politik diesbezüglich verschwiegen und genau danach haben wir uns auch gerichtet."