• 28.05.2004 19:30

Brawn: "Hätten in Monaco gewinnen können"

Der Ferrari-Technikchef über das Rennen in Monaco, den Auftakt am Nürburgring und einige weitere aktuelle Themen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ross, du hast Juan-Pablo Montoya wegen des Zwischenfalls im Tunnel unmittelbar nach dem Rennen in Monaco recht scharf angegriffen. Siehst du das heute noch genauso?"
Ross Brawn: "Ich bin mir nicht sicher, wie scharf ich gegen ihn geredet habe. Ich war nur sehr frustriert, ein Auto unter solch dummen Umständen zu verlieren. Meine Frustration hat sich darauf bezogen, wie wir das Auto verloren haben. Ich denke, wir hätten mit dem Rennverlauf Glück haben können, denn das Safety-Car hat uns eine Tür aufgestoßen, die es wert war, einen Versuch zu wagen, wobei Jarno und Renault natürlich würdige Sieger sind. Ich war nur frustriert über den Ausfall unter solchen Umständen."

Titel-Bild zur News: Ross Brawn

Ross Brawn überraschte heute mit einem interessanten Vorschlag

Frage: "Was sagst du zu eurer Performance am Nürburgring? Ziemlich interessant bisher, nicht wahr?"
Brawn: "Wir hatten einen unsauberen Tag heute. Am Nachmittag haben wir Michaels Auto mit einem Hydraulikleck verloren. Nach dem Unfall in Monaco haben wir das Chassis ausgetauscht und das neue Chassis hatte heute dieses Problem. Zum Glück ist es jetzt passiert. Daher konnte er nicht wirklich das Programm absolvieren, dass er sich vorgenommen hatte. Rubens hatte einen brauchbaren Nachmittag, aber leider begann seine erste Runde mit den Reifen, die wir wahrscheinlich im Rennen verwenden werden, mit einem Fehler in der ersten Kurve, also haben wir nicht das wahre Potenzial dieser Reifen gesehen. Der Vormittag war gut, der Nachmittag ein bisschen verkorkst."#w1#

Nur Daten von Barrichello - Reifenwahl schwierig

Frage: "Glaubst du, dass ihr deswegen morgen Aufholbedarf habt?"
Brawn: "Es macht uns die Reifenwahl schwieriger, denn Michael hatte nicht die Gelegenheit, beide Typen gegeneinander zu vergleichen, sondern nur Rubens, aber es ist natürlich besser, wenn beide Fahrer das tun."

Frage: "Die Reifenwahl ist also nur Schätzarbeit?"
Brawn: "Auf Daten basierende Schätzarbeit."

Frage: "Weißt du schon genau, was das Problem an Rubens' Fahrzeug in Monaco war?"
Brawn: "Nein, nicht wirklich, obwohl wir uns das Auto genau angesehen haben. Aus den Daten konnten wir ablesen, dass es inkonstant war. Was Rubens aus der Fassung gebracht hat, war, dass das Problem unberechenbar aufgetreten ist. Eine Runde konnte er eine Kurve fahren und er hatte keine Probleme und in der nächsten Runde musste er an derselben Stelle mit einem ganz anderen Auto umgehen und das ist das Letzte, was du in Monaco brauchst. Solche Dinge sind aber eine Kombination aus verschiedenen Einstellungen und dem Setup. Das Differenzial reagiert auf verschiedene Faktoren wie Bremsdruck und die Art und Weise, wie man eine Kurve anfährt, und Rubens hatte nie ein konstantes Auto. Es gab aber kein physisches Problem, das wir am Auto hätten finden können. Es ist nur eine Frage, wie wir mit dem Auto angekommen sind. Das war zu kritisch."

Frage: "Verwendet er hier dasselbe Auto?"
Brawn: "Ja."

Frage: "Zu Saisonbeginn hieß es, dass Giancarlo Fisichella einmal für euch testen darf, aber jetzt sieht es so aus, als würde das an einem Problem mit dem Overall scheitern. Kann es sein, dass so etwas wegen des Overalls platzt?"
Brawn: "Ich bin mir dessen nicht bewusst. Vielleicht kann Peter Sauber Licht in diese Angelegenheit bringen. Ich habe zwar von der Geschichte gehört, kenne aber die Hintergründe nicht. Bisher hat es einfach noch keine Gelegenheit für ihn gegeben, es war einfach nie dafür Zeit, aber was die kommerziellen Hintergründe angeht, bin ich nicht informiert."

Brawn ist für Offenheit in technischen und strategischen Fragen

Frage: "Es wurde viel geredet über eine bessere Show, mehr Spektakel. Wenn du eine Sache ändern könntest, was würde das sein?"
Brawn: "Ich bin natürlich voreingenommen, aber ich denke, die ganze technische Seite kann für die Leute interessant sein. Ich finde, die Spritmenge sollte öffentlich zugänglich gemacht werden, damit jeder weiß, wie jemand gerade steht. Ich meine, wenn jemand mit mir gewettet hätte, wie viel Benzin wir in Monaco nach dem Safety-Car noch im Tank hatten, wären sicher alle falsch gelegen, und das ist nicht richtig, denn man sollte wissen, was sich im Rennen noch entwickeln kann. Wir hatten in Monaco noch für 17 Runden Benzin im Tank und das hätte uns eine gute Chance ermöglicht, das Rennen zu gewinnen. Das hat aber niemand gewusst. Es gibt die ganze Technik der Formel 1, die man der Öffentlichkeit präsentieren könnte, und auch die ganze Sache mit der Rennstrategie wäre viel interessanter, wenn jeder wüsste, wer wie viel Benzin an Bord hat. Es gibt genug clevere Kommentatoren, die präsentieren könnten, was gerade geschieht. In Barcelona hatten wir Rubens auf zwei Stopps und Michael auf drei und es war sehr knapp, dass Rubens das Rennen gewinnen hätte können. Das ist aber niemandem aufgefallen und das finde ich bedauernswert. Die ganze Sache ist natürlich sehr komplex, aber ich finde, dass man die technischen Informationen öffentlich darlegen sollte und ich finde auch, dass man den Boxenfunk mithören sollte können."

Frage: "Genau mit dieser Idee ist eine Gruppe Journalisten vor einem Jahr zur FIA gegangen, der Vorschlag wurde aber abgelehnt mit der Begründung, dass einige Teams - darunter auch deins - dagegen waren. Hast du jetzt deine Meinung geändert?"
Brawn: "Meiner Ansicht nach hing das damals mit kommerziellen Beweggründen zusammen und es ging nicht um Geheimniskrämerei oder dergleichen, denn wir wären bereit, die Show zu verbessern. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr genau erinnern, was damals Ferraris Position war, aber ich kann mir vorstellen, dass es an der Zusammenarbeit zwischen den Teams und den Promotern gescheitert ist, denn zwischen diesen beiden Parteien herrscht nicht unbedingt ein Geist der guten Zusammenarbeit. Daran scheitern sicherlich einige Ideen, die man ansonsten zur Verbesserung der Show umsetzen könnte. Ich weiß, dass das aussieht, als würden wir in die Hand beißen, die uns füttert, aber es ist wirklich ein ernstes Problem, denn die kommerziellen Bereiche verursachen so viele Schwierigkeiten. Für mich wäre es aber eine Bereicherung, wenn man die technischen Hintergründe der Formel 1 öffentlich darlegen müsste, die Boxenkommunikation und all diese Dinge. Man würde manchmal ein Lautstärken-Messgerät benötigen, aber es wäre faszinierend. Man muss sich ja nur einen Sport wie Cricket anschauen, der eigentlich ziemlich ermüdend ist, aber mit der Technologie, die in den letzten Jahren eingeführt wurde, ist alles recht unterhaltsam geworden. Ich denke, in diesem Bereich sind wir wirklich zurückgeblieben. Wir müssen einmal die kommerziellen Belange klären und dann müssen alle Teams kooperieren, um eine bessere Show aufzusetzen, vom reinen Rennformat ganz abgesehen."

Frage: "Du sagst, Michael hätte noch für 17 Runden Benzin an Bord gehabt in Monaco. Trulli und Button sind aber während dem Safety-Car reingekommen, während Michael ohne Safety-Car-Phase hätte stoppen müssen..."
Brawn: "Genau. Michael hatte wahrscheinlich um 15 Runden weniger Benzin an Bord als Jarno, was in etwa sechs Zehnteln entspricht. Er wäre also pro Runde um 0,6 Sekunden schneller gewesen, weil er weniger Benzin an Bord hatte als Jarno. Am Ende des ersten Stints war Michael um vier Zehntel schneller als Jarno, was also ein Potenzial von einer Sekunde pro Runde ergibt, die wir schneller hätten sein können. Das macht 17 Sekunden auf 17 Runden, die Boxengasse in Monaco ist 13 Sekunden lang und wir hätten nur einen sehr kurzen Stopp benötigt - das macht 17 Sekunden. Also hatten wir eine Chance, das Rennen zu gewinnen. Deshalb finde ich, solche Informationen sollten zugänglich sein, damit die Menschen so etwas genießen und kapieren können. Darum war ich so frustriert, denn ich dachte, wir hätten eine Chance. Es war nur eine kleine Chance, denn alles hätte perfekt laufen müssen, aber wenn jemandem so etwas zuzutrauen ist, dann ist Michael der Mann dafür."

Frage: "Fallen dir irgendwelche Anekdoten zu Patrick Head ein, der ja bekannt gegeben hat, dass er aus der vordersten Reihe verschwinden will?"
Brawn: "Es gibt da schon ein paar, aber ich bin nicht sicher, ob ich die hier erzählen kann! Patrick war mein Mentor, denn ich habe in der Formel 1 mit ihm begonnen. Eigentlich hat er mir sogar meinen ersten Job in der Formel 1 verschafft. Patrick hat den Job damals jemandem angeboten, der abgelehnt hat, und dann nahm ich die Aufgabe an. Ich habe die Person, die abgelehnt hat, nie ausfindig gemacht, sonst würde ich ein Bier zahlen! Patrick war für viele Personen in der Formel 1 ein Referenzpunkt - für mich, Adrian (Newey; Anm. d. Red.), jetzt Sam (Michael; Anm. d. Red.) - und er ist ein großer Typ in der Formel 1."