• 18.03.2005 14:33

Brawn: F2005 um "eine halbe bis eine Sekunde" schneller

Im großen PK-Interview spricht Ferraris Technischer Direktor unter anderem über neue Regeln, die Testbeschränkung und den F2005

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ross, was habt ihr heute und in Australien über die neuen Regeln gelernt?"
Ross Brawn: "Es ist noch zu früh, das zu beurteilen. Melbourne ist für die Reifen nicht besonders anspruchsvoll und auch sonst kein allzu schwieriges Rennen und wir hatten schlechtes Wetter im Qualifying. Die Regeln sind insofern ein Erfolg, als sie die Autos langsamer gemacht haben - trotz der Kritik der Medien. Man darf schließlich nicht vergessen, dass wir ohne die Änderungen zwei oder drei Sekunden schneller wären als letztes Jahr. Die Regeln haben die Fortschritte der Reifenfirmen und bezüglich der Autos eingebremst und ich glaube, dass das überfällig war. Was das Format der Wochenenden angeht, müssen wir erst eine Weile abwarten. Zwei Rennen mit einem Motor zu bestreiten, ist nicht einfach, und nicht alle haben schon die Lebensdauer erreicht. Im Laufe der Saison wird sich das aber von selbst regeln und dann werden wir auch am Freitag und Samstag wieder normalen Fahrbetrieb sehen."#w1#

Titel-Bild zur News: Ross Brawn

Ross Brawn ist gegen Tests am Montag und gegen ein drittes Freitagsauto

Frage: "Was habt ihr getan, um hier mit den Bedingungen zurechtzukommen, und ist Malaysia der ultimative Test für den Rest der Saison?"
Brawn: "Wir haben den Vorteil des Vorjahresautos, also müssen wir uns um die Kühlung und so weiter keine allzu großen Gedanken machen. Es ist das erste Rennen, bei dem der Reifenverschleiß eine Rolle spielen könnte, und das ist uns schon bewusst. Dieses Rennen hätten wir letztes Jahr nicht mit einem Reifensatz bestreiten können, während es in Melbourne wahrscheinlich sogar schon letztes Jahr möglich gewesen wäre. Wir blicken also zum ersten Mal der Akutsituation unter den neuen Regeln ins Gesicht und ich schätze, dass dies am Sonntag gegen Ende des Rennens zum Thema werden könnte. Ich bin nicht ganz sicher, wie konservativ es die Teams angehen werden, denn es ist am Freitag und Samstag schwer vorherzusagen, wie der Verschleiß am Sonntag sein wird. Das hängt von vielen Variablen ab, die man nicht vorhersagen oder kontrollieren kann. So gesehen wird es sicher ein interessantes Wochenende."

Frage: "Euer neues Auto soll beim Grand Prix von Spanien debütieren. Ist dieser Plan noch aufrecht?"
Brawn: "Wir haben die Möglichkeit, schon in Bahrain damit zu fahren. Viel wird von den Tests diese und nächste Woche abhängen. Von den Rennfahrern haben wir noch keine Meinung, denn bisher hat nur Luca Badoer den F2005 getestet. Das wird sich bei den Tests nächste Woche ändern. Luca ist sehr guter Dinge, was das Auto angeht, aber ich möchte gerne erst hören, was Michael und Rubens dazu sagen. Im Prinzip hängt alles davon ab, was für ein Resultat wir dieses Wochenende mit dem alten Auto erzielen und wie die Tests mit dem neuen Auto verlaufen."

Entscheidung über F2005 fällt Mitte nächster Woche

"Mitte nächster Woche müssen wir uns jedenfalls entscheiden, denn dann muss das Material für Bahrain per Flieger weggeschickt werden. Angenommen, wir sind dieses Wochenende nicht konkurrenzfähig, heißt es aber nicht automatisch, dass wir mit dem neuen Auto konkurrenzfähiger werden, denn hier spielen die Reifen eine enorm große Rolle. Wenn wir aber das Rennen hier verlieren und das Gefühl haben, dass das neue Auto einen Unterschied gemacht hätte, dann warten wir ab, was die Fahrer über den F2005 zu sagen haben, und bringen das Auto vielleicht schon in Bahrain."

Frage: "Ist das auch mit ein Grund dafür, dass ihr den Motor bei Michael Schumacher nicht gewechselt habt?"
Brawn: "Zum Teil, ja. Das ist ja offensichtlich, denn wenn wir den Motor nicht gewechselt hätten, wäre ein Debüt in Bahrain für uns schwieriger gewesen. Andererseits ist der Motor ein bisschen heiß gelaufen, als Michael im Kiesbett steckte, aber es war nicht allzu schwerwiegend. Außerdem sind sowieso alle Motoren wegen des Restarts heiß gelaufen, da machte das Stecken im Kiesbett auch keinen Unterschied mehr. Von daher machen wir uns nicht allzu viele Sorgen. Wir haben den Motor nicht gewechselt, um das neue Auto eventuell schon in Bahrain einzuführen."

F2005 um eine halbe bis eine Sekunde schneller als der F2004M

Frage: "Wie groß schätzt du den Unterschied zwischen dem F2004M und dem F2005 ein?"
Brawn: "Wenn man die Simulationen und die Tests auf der Strecke in Betracht zieht, dann um eine halbe bis eine Sekunde. In etwa in diesem Bereich."

Frage: "Michael Schumacher hatte keinen guten Saisonstart in Melbourne. Traust du ihm zu, das Feld in den nächsten 18 Rennen trotzdem zu jagen und noch einmal zuzuschlagen?"
Brawn: "Ja, Ich bin sicher, dass er dadurch sogar zusätzlich angespornt ist. Man sieht es in seinen Augen. Während der Tests mit dem neuen Auto hat er mich ständig angerufen, um Informationen zu sammeln. Einmal hat er mich angerufen, da war es bei ihm in Thailand gerade 02:00 Uhr morgens oder so ähnlich, aber er wollte unbedingt alles erfahren. Dieses Wochenende geht er sehr selbstbewusst an, denn er will unbedingt wieder punkten. Michael ist genauso motiviert wie immer, gar keine Frage. Natürlich kann man die äußeren Umstände nie beeinflussen, aber wenn er auch dieses Wochenende wieder punktelos ausgeht, dann liegt es sicher nicht an seiner Einsatzbereitschaft."

Brawn ist für weniger Abtrieb und größere Reifen

Frage: "Der Präsident der FIA hat eine 90-prozentige Beschneidung des aerodynamischen Abtriebs und eine Rückkehr zu großen Hinterreifen vorgeschlagen. Glaubst du, dass es zeitgemäß ist, zum Zustand von vor 30 Jahren zurückzukehren, oder würdet ihr Ingenieure den verlorenen Abtrieb sowieso wieder finden?"
Brawn: "Ich glaube nicht, dass man den Zustand von vor 30 Jahren wiederherstellen sollte, denn es ist nicht der richtige Weg, zu sagen, 'Wie schön war es damals nicht?', und dafür alles andere fallen zu lassen. Es ist bewiesen, dass das Überholen deswegen so schwierig ist, weil ein hinterher fahrendes Auto im Windschatten des Vordermannes aerodynamischen Abtrieb verliert. Das ist einleuchtend. Folglich gibt es Diskussionen, den Abtrieb zu reduzieren beziehungsweise minimieren. Durch ein Aufstocken des Grips der Reifen wären die Autos aber immer noch schnell. Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass die Autos bei einem Dreher schneller abgebremst würden, schließlich wäre der Grip nicht mehr nur von der Aerodynamik abhängig."

"Die Schwierigkeit ist jedoch, dass die Aerodynamik in der Formel 1 wie ein Heiligtum behandelt wird und so ein Schritt ein großes Umdenken aller Beteiligten erfordern würde. Wir alle haben gigantische Summen in Windkanäle und aerodynamische Simulationsprogramme investiert und da ist es klarerweise nicht besonders schmackhaft, just diesen Bereich abzurüsten. Andererseits müssen wir den Fans etwas bieten und vielleicht sind drei oder vier Jahre für eine so gravierende Umstellung der Philosophie ja ausreichend. Es gibt jedenfalls einige Gründe, warum weniger Abtrieb bei mehr mechanischem Grip einen besseren Rennsport machen würde."

Drei-Auto-Regel ist für Ferrari ein großer Nachteil

Frage: "Ihr dürft kein drittes Auto einsetzen. Worin besteht für euch der Sinn des Freitags und was sollte daran in Zukunft geändert werden?"
Brawn: "Die ursprüngliche Idee dahinter war, dass die kleinen Teams das dritte Cockpit verkaufen könnten, um so an Sponsorengelder zu kommen. Dass ein Team vom Kaliber von BAR-Honda letztes Jahr oder McLaren-Mercedes dieses Jahr ein drittes Auto einsetzen darf, ist schwachsinnig. Das gefällt mir nicht. Vor allem beim derzeitigen Reglement ist das ein gewaltiger Vorteil. Ich weiß nicht genau, wie viele Runden McLaren heute absolviert hat, aber sie haben einen Motor, auf den sie nicht achten müssen, und sie können fast beliebig viele Reifensätze ausprobieren. Darin kann ich keine Logik erkennen. Das ist einfach nur unsinnig."

Frage: "Was hältst du von Bernie Ecclestones Vorschlag, am Montag nach einem Rennen an der Strecke zu bleiben und dort zu testen?"
Brawn: "Ich habe den Bauch am Sonntagabend nach einem Rennen voll genug mit Formel 1 (lacht)! Wenn wir die Testfahrten eingrenzen, dann geht das auch ohne Montagstests. Die Fahrer wären an einem Montag arme Hunde. Als wir noch ständig an Montagen getestet haben, waren die Rennfahrer jeweils zum Vergessen. Als wir uns vor ein paar Jahren auf eine Testbeschränkung geeinigt haben, war das der erste Tag, den wir gestrichen haben."

Costa löst Byrne als Designer bei Ferrari ab

Frage: "Das 2005er-Auto wurde erstmals nicht von Rory Byrne gebaut. Wie meistert ihr den Übergang und ändert sich dadurch etwas in der Arbeitsweise des Teams?"
Brawn: "Es macht keinen großen Unterschied. Aldo Costas Einbeziehung war ein stufenloser Übergang. Aldo war an allen Ferraris beteiligt, seit ich hier angefangen habe. Rory hat immer ein fantastisches Konzept hingestellt und Aldo hat es feingetunt. Dieses Jahr hatte Aldo erstmals viel größeren Einfluss auf das Konzept, während Rory damit nichts mehr zu tun hatte. Rory hat nur noch ein Sicherheitsnetz gespannt, damit sich Aldo nicht irgendwo verirren kann. Das hat er aber ohnehin nicht. Er hat einen sehr guten Job gemacht und Rory kann sich in die Rente verabschieden. Ich glaube nicht, dass er Ferrari je ganz verlassen wird. Sein Herz wird immer an uns hängen. Wir wünschen uns, dass er in irgendeiner Form involviert bleibt, aber wie das aussehen soll, müssen wir uns erst überlegen. Aldo und Rory kommen gut miteinander aus. Sie haben dieselben Philosophien und dadurch wird man den Übergang kaum merken."

Frage: "Im Vorfeld dieser Saison gab es Diskussionen um die Testbeschränkung, weil ihr mehr testet als der Rest. Wie groß ist der Vorteil, den ihr daraus schöpft?"
Brawn: "Das ist ein großes Thema. Wir wollen nicht den anderen Teams ans Bein pinkeln, sondern wir befinden uns in der schwierigen Lage, dass wir das einzige große Bridgestone-Team sind und wir noch dazu viel Geld in Testanlagen investiert haben. Wir haben zwei Teststrecken, die viel Geld gekostet haben. Niemand sonst hat solche Voraussetzungen, also befinden wir uns in einer einzigartigen Position. Da ist es uns nicht gelungen, einen Kompromiss zu finden. Wir haben einen Kompromiss angeboten, aber der war für die anderen Teams nicht akzeptabel, und deren Kompromiss war für uns nicht akzeptabel. Wir würden gerne eine Lösung finden."

Tests: "Jordan und Minardi können uns nicht helfen"

"Wir haben bei Bridgestone 20 Prozent der Testkilometer von Michelin zurückgelegt und befinden uns noch mitten in der Lernkurve. Wenn sich alles einmal ein bisschen eingerenkt hat und die Situation wieder alltäglich ist, nivellieren sich die Unterschiede von selbst, aber im Moment machen die Testkilometer einen Riesenunterschied, weshalb auch so viel darüber geschrieben wird. Wir sind das einzige Team, das für Bridgestone testet, denn - bei allem Respekt - Jordan und Minardi können uns nicht helfen. Ich weiß, dass die anderen Teams das anders sehen, aber wir wünschen uns einen fairen Kompromiss, denn wir sind das einzige Team, das für Bridgestone testen kann."

Frage: "Was hältst du von Red Bull Racing in der Formel 1?"
Brawn: "Es ist eine gute Sache für die Formel 1. Jaguar hatte Probleme und nun sind sie eingesprungen. Ich glaube, dass es sehr schwer zu kontrollieren ist, was die Top-Teams ausgeben, weil sie immer alles ausgeben werden, was sie haben. Am wichtigsten ist daher, dass die Formel 1 für Teams wie Red Bull oder Minardi leistbar bleibt, damit sie sich mit beschränkten Ressourcen auch achtbar verkaufen können. Das ist Red Bull zweifellos gelungen. Sie bringen einen frischen Wind in die Formel 1, der nur gut tun kann. Interviews mit David Coulthard sind jetzt jedenfalls unterhaltsamer als früher. Daher halte ich das für eine positive Sache."

Frage: "Es wird jetzt am Sonntag viel mehr gefahren als bisher. Beeinflusst das die Arbeitsorganisation?"
Brawn: "Es war schon ein bisschen schwierig, obwohl wir in Suzuka vergangenes Jahr schon einmal dazu gezwungen worden sind, aber wir werden damit umgehen lernen. Es ist keine große Sache und es ist nicht so viel anders als damals, als wir noch ein Aufwärmtraining hatten."