• 05.04.2008 21:59

  • von Dieter Rencken

Bourdais: "Dachte schon, es sei vorbei"

Sébastien Bourdais über seine schon verloren geglaubte Formel-1-Chance, seine ersten Rennen für Toro Rosso und das Verhältnis zu Sebastian Vettel

(Motorsport-Total.com) - Mit 29 Jahren ist Sébastien Bourdais der älteste Formel-1-Rookie seit langem - und sein Werdegang ist gleichermaßen ungewöhnlich: Nachdem er als Formel-3000-Champion bei einigen Teams in der Königsklasse abgeblitzt war, musste er erst vierfacher ChampCar-Meister werden, um in Europa wieder jemandem aufzufallen.

Titel-Bild zur News: Sébastien Bourdais

Der wahrscheinlich schnellste Brillenträger der Welt: Sébastien Bourdais

Die Rettung kam schlussendlich in Form von Nicolas Todt, denn der Sohn von Ferrari-Teamchef Jean Todt fädelte für seinen französischen Landsmann einen Formel-1-Test bei Toro Rosso ein. Gerhard Berger war von Anfang an von Bourdais begeistert. In Melbourne holte der Neuling dann auch prompt seine ersten WM-Punkte. Nach dem Qualifying in Bahrain, in dem er erstmals schneller war als sein Stallgefährte Sebastian Vettel, nahm er sich Zeit für ein Interview mit 'Motorsport-Total.com'.#w1#

Schöne Zeit in Nordamerika

Frage: "Sébastien, ich möchte, dass du etwas über deinen Wechsel von der Formel 3000 in die ChampCar-Serie und in die Formel 1 erzählst, und zwar weniger über die Autos, sondern mehr über die Kultur. Was waren da die größten Veränderungen?"
Sébastien Bourdais: "Von der Formel 3000 zur ChampCar hat sich nicht viel geändert, da war die Atmosphäre gleich. Natürlich war die ChampCar anders, denn da hatte ich einen Vertrag und ich bekam bezahlt - im Gegensatz zur Formel 3000 musste ich mich nicht mehr als Rennfahrer beweisen. Das war eine angenehme Situation. Dass ich doch noch die Chance bekommen habe, in die Formel 1 zu wechseln, war natürlich eine Riesenfreude."

"Ich habe immer gesagt, dass es mein Ziel ist, in die Formel 1 zu kommen." Sébastien Bourdais

Frage: "Warst du in der ChampCar-Serie glücklich?"
Bourdais: "Ja, absolut, aber ich habe immer gesagt, dass es mein Ziel ist, in die Formel 1 zu kommen, denn das ist die Königsklasse meines Sports. Da will jeder in seiner Karriere einmal hin. Das bedeutet aber nicht, dass ich in Amerika unglücklich war. Im Gegenteil: Es war eine wunderschöne Zeit mit aufregenden Rennen und einer klasse Atmosphäre. Wir waren alle Freunde. Ich habe es geliebt!"

Frage: "Was ist in der Formel 1 anders als in der ChampCar-Serie?"
Bourdais: "Es ist hier so stressig, dass man nie auch nur fünf Minuten Zeit hat, denn man macht dies und jenes. Wenn man fertig ist, geht man zum Schlafen ins Hotel. Genauso ist es bei den Tests: Man kommt um 7:00 Uhr an der Strecke an, wenn es noch dunkel ist, und wenn man ins Hotel fährt, ist es auch schon wieder dunkel. Dazwischen hat man nur gearbeitet."

Frage: "Wie nahe warst du davor schon an der Formel 1 dran?"
Bourdais: "Ungefähr 15 Mal! Ende 2005 dachte ich wirklich, es könnte bald vorbei sein, und Ende 2006 war ich sogar davon überzeugt. Aber dann hat mich Nicolas angerufen und mich gefragt, ob ich ein Formel-1-Auto testen möchte. Natürlich war ich daran interessiert, denn auf so eine Chance hatte ich jahrelang gewartet! Zuerst hatte ich einen Testtag in Paul Ricard, dann zwei Tage in Spa."

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Frage: "Beim Test in Spa-Francorchamps wurde die Sache dann ernst, nicht wahr?"
Bourdais: "So kann man es sagen. Toro Rosso wollte eine Veränderung - und ich war verfügbar. Natürlich habe ich mich über diese Chance gefreut!"

"Momentan können wir glaube ich nicht sehr viel mehr erwarten." Sébastien Bourdais

Frage: "Du hast im ersten Rennen gleich Punkte geholt und heute erstmals auch im Qualifying deinen Teamkollegen Sebastian Vettel geschlagen. Damit hast du deinen Wert unter Beweis gestellt. Aber was kannst du noch alles erreichen?"
Bourdais: "Momentan können wir glaube ich nicht sehr viel mehr erwarten. Sebastian hatte in Sepang ein perfektes Wochenende, aber er wäre nur 13. geworden. So schnell ist unser Auto derzeit eben auf diesen Strecken. In Melbourne lief es besser, aber das war eine andere Strecke. In Sepang waren wir über unsere Pace ein bisschen enttäuscht. Ich hätte uns auch hier etwas schneller erwartet, aber heute wäre nicht mehr drin gewesen als der 14. Platz, wenn ich eine absolut perfekte Runde hinbekommen hätte. Das ist, wo wir stehen, da gehören wir hin."

"Aber wir warten auf das neue Auto. Mit dem alten haben wir noch zwei Rennen zu fahren, hier und Spanien. Danach erwarte ich einen großen Schritt, denn unseren 'Brüdern' bei Red Bull geht es viel besser. Von dem, was wir bis jetzt wissen, sollte das neue Auto einen großen Fortschritt bringen. Vom ersten Testtag in Vairano an war es ein Fortschritt, aber wir müssen abwarten, wie es damit dann im Rennen läuft."

Frage: "Werdet ihr mit dem neuen Auto locker in die Punkte fahren?"
Bourdais: "Na, mal runter vom Gas (verdreht die Augen; Anm. d. Red.)! Es war in Sepang ein großartiges Rennen von Webber notwendig, um das Auto in die Punkte zu bringen. Hoffentlich können wir mit Red Bull Racing dann mithalten, aber sie zu schlagen, wird natürlich schwierig. Sie sind eine viel größere Organisation, sie kennen das Auto schon. Wir haben zum Kennenlernen nicht viel Zeit, sondern wir müssen das Auto während der Rennsaison kennen lernen, was nie einfach ist. Speziell am Anfang könnten wir also ein Stückchen hinten liegen, aber ich hoffe, dass wir dann aufholen werden."

Frage: "Aber ihr habt den Vorteil, dass ihr von den Erfahrungen eures anderen Teams lernen könnt, oder?"
Bourdais: "Ja und nein. Natürlich haben wir technologisch einen gemeinsamen Ansatzpunkt, aber es sind zwei voneinander getrennte Programme. Die Autos sind auch unterschiedlich. Zum Beispiel ist die Installation des Motors ganz anders."

Atmosphäre bei Toro Rosso stimmt

Frage: "Wie kommst du mit Sebastian Vettel aus?"
Vettel: "Sehr gut. Das ist auch der Grund für die insgesamt positive Atmosphäre im Team. Es muss jeder an einem Strang ziehen. Wenn auch nur eine Person wie ein Virus in einem System ist, dann wird jeder davon angesteckt."

Sébastien Bourdais

In der ChampCar-Serie war Sébastien Bourdais der große Dominator Zoom

Frage: "Ich frage deshalb, weil eure beiden Wege ins gleiche Team gar nicht unterschiedlicher hätten sein können..."
Bourdais: "Das stimmt. Es ist auch eine ganz andere Generation. Ich bin ein paar Jahre älter als er. Sebastian hat eine Freundin, aber ich bin verheiratet und habe Kinder. Wir befinden uns an unterschiedlichen Punkten in unserem Leben und in unserer Karriere."

Frage: "Wo lebst du jetzt eigentlich?"
Bourdais: "In der Schweiz. Es wäre auch interessant gewesen, nach Großbritannien zu ziehen. An der Sprache wäre es nicht gescheitert, denn wir kommen ja aus den USA. Es gefällt uns aber gut in der Schweiz. Wir wussten nicht, was uns dort erwarten würde, aber die Lebensqualität ist sehr hoch und wir haben ein schönes Haus am See gefunden. Ideal für eine Familie. Und steuerlich ist es auch nicht schlecht."

Frage: "Toro Rosso steht ja zum Verkauf. Macht dir das Sorgen?"
Bourdais: "Ich habe keine Ahnung, was ich in sechs Monaten machen werde, also zerbreche ich mir nicht den Kopf darüber, was in drei Jahren sein wird. Ich kümmere mich nicht darum. Diese Entscheidungen treffen andere Leute. Natürlich kann es meine Zukunft beeinträchtigen, aber ich kann es sowieso nicht kontrollieren, also bringt es nichts, darüber nachzudenken. Das Gute ist, dass Dietrich (Mateschitz; Anm. d. Red.) gesagt hat, dass er sich darum kümmern wird, die Zukunft des Teams in jedem Fall abzusichern. Jeder Käufer, der es sich leisten kann, könnte ab 2010 an Bord kommen. Das muss keine schlechte Situation sein."

Frage: "Meine letzte Frage ist: Was musst du deiner Meinung nach noch tun, um dich wirklich in der Formel 1 zu etablieren?"
Bourdais: "Konstanz. Das ist entscheidend. Es gibt Fahrer, die bringen es in einem Rennen, aber im zweiten stehen sie auf verlorenem Posten. Bis jetzt war ich glaube ich recht konkurrenzfähig, speziell in Malaysia im Vergleich zu den Umständen, wie sich das Wochenende entwickelt hat. Hier bin ich auch gut unterwegs. So muss ich einfach weitermachen und da und dort noch Kleinigkeiten verbessern. Ich werde die Formel 1 besser kennen lernen. Nach einer vollen Saison kenne ich dann alle Strecken. Das wird auch noch einmal helfen."

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