• 08.04.2015 21:13

  • von Bernd Mayländer

Bernd Mayländer: Anekdoten aus dem Reich der Mitte

Die Schanghai-Kolumne des Safety-Car-Piloten: Von Schreiduellen nach Taxi-Crashes, Wolkenkratzer-Spotting bei Smog und Eco-Flügen mit allen Formel-1-Stars

Titel-Bild zur News: Bernd Mayländer

Bernd Mayländer war bei allen Grands Prix von China in Schanghai dabei Zoom

Hallo, liebe Leser,

in meiner letzten Kolumne habe ich euch erzählt, dass mein Reisepass gestohlen wurde (beziehungsweise auf dem Postweg verloren gegangen ist). Das hätte theoretisch ein Problem mit dem Visum für China geben können, gerade weil Ostern dazwischen war. Aber ich kann Entwarnung geben: Wenn ihr diese Kolumne lest, bin ich wahrscheinlich gerade auf den letzten Kilometern meines Fluges von Dubai nach Schanghai. Ist also nochmal alles gut gegangen!

Meine Vermutung, dass der Reisepass durch die Post verloren gegangen ist, hat sich bestätigt. Zwei Tage nach der Ankunft aus Malaysia habe ich meinen neuen Pass bekommen - und den alten gleich mit dazu! Jetzt bin ich im Besitz von zwei Pässen, aber den alten musste ich klarerweise ungültig stempeln lassen. Jedenfalls habe ich aus der Sache wieder was gelernt: Um das China-Visum kümmere ich mich nächstes Jahr früher - und am besten selbst.

Vor meinem Abflug hatte ich einen stressigen Zeitplan. Am 22. Mai um 20:15 wird im SWR ein Beitrag ausgestrahlt, für den wir am Dienstag gedreht haben. Ich bin mit einem historischen Mercedes-Benz SL Pagode (Baujahr 1968) bei AMG in Affalterbach vorgefahren, habe dort das Safety-Car erklärt und bin dann ins Remstal weitergefahren, wo ich wohne. Wir waren beim Daimler-Geburtshaus, über den Dächern, dort gibt's eine tolle Lounge. Und wie es bei Filmemachern halt so ist: Der Dreh war auf dreieinhalb Stunden angesetzt, gedauert hat's aber fünf...

Wie ein harmloses Abendessen enden kann...

Aber jetzt zu meinen Anekdoten aus Schanghai. Vor ein paar Jahren - ich glaube, es muss 2006 gewesen sein, im Jahr von Michael Schumachers letztem Sieg in der Formel 1 - war ich am Bund (das ist eine Uferpromenade am Huangpu-Fluss) essen. Ich habe mir zu späterer Stunde ein Taxi genommen und zum Fahrer gesagt: "Mal flott ins Hotel, bitte." Aber der hat kein Wort verstanden und ist mit seinem alten VW Santana in Richtung Hotel losgeschossen.

Ich glaube, er war auf der richtigen Seite unterwegs. Dann fahren wir über eine Kreuzung - und plötzlich sehe ich von rechts ein Auto herandonnern! Es macht bumm, wir drehen uns zwei-, dreimal, ich fliege quer durchs Auto. Wir waren zum Glück alle wohlauf, weil wir nicht richtig schnell unterwegs waren. Ich schätze mal Tempo 50, und dann noch das Bremsmanöver - das andere Auto hat ja auch gebremst. Dann Schleudern - und dann musste ich mich erst mal sammeln.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in China

"Gut, jetzt wird logischerweise gleich die Polizei kommen", dachte ich mir. Aber Fehlanzeige! Die beiden haben sich nur auf Chinesisch angeschrien. Da dachte ich mir: "Okay, die reden nicht mit dir, du kannst nicht mit ihnen reden." Um mich hat sich kein Mensch gekümmert. Also bin ich zügigen Schrittes in die nächste Ecke gebogen, zum Hotel gelaufen und habe mich vom Acker gemacht. Von den beiden Fahrern habe ich nie wieder was gehört...

Entwicklung der Verkehrssicherheit schreitet langsam voran

Die Chinesen haben sich extrem positiv entwickelt, was Verkehrsregeln und -sicherheit betrifft, das muss man ihnen lassen. Vor zehn Jahren war das noch ganz anders. Aber es gibt immer noch ein paar ganz Wilde, die die Straße zur Rennstrecke zu machen, und wenn du da als Passagier drin sitzt, ist das nicht angenehm. Vor allem versucht man denen was zu sagen, aber die verstehen dich ja nicht. Für einen Europäer sind die Fahrzustände dort immer noch fremd.

Über die Heimreise aus Schanghai im Jahr 2010 habe ich bereits vor einem Jahr in meiner Kolumne geschrieben. Wegen des Vulkanausbruchs in Island - den Namen "Eyjafjallajökull" musste ich ehrlich gesagt von meinem Ghostwriter recherchieren lassen ;-) - wussten wir damals schon am Freitag, dass wir am Montag wahrscheinlich nicht wegkommen würden. Also hat sich die Formel-1-Community nach dem Rennen erst mal in diversen Bars und Clubs getroffen, um dort die Zeit totzuschlagen.

Skyline von Schanghai

In Schanghai und Umgebung wachsen Wolkenkratzer rasant aus dem Boden Zoom

Es wurde dann ein Flug nach Dubai gechartert, alle auf den gleichen Sitzen, ein kompletter Eco-Flug. Daran erinnere ich mich immer wieder gern. Es war ein bunt durchgemischter Haufen: vom Teamchef über den Ingenieur und den Mechaniker bis hin zum berühmten Rennfahrer. Ein paar Leute von der FIA waren auch drin. Da war jeder mit jedem froh, dass man dann doch so schnell aus Schanghai weggekommen ist.

Der unaussprechliche Vulkanflug

Im Flieger haben alle gefeiert, auf ganz unterschiedliche Art. Der eine oder andere sah schon ein bisschen angeschlagen aus. Und es wurde natürlich geblödelt. Zum Beispiel: Bei den Nackenstützen hängt immer so ein Tuch dran. Das wurde gern als Frisbee-Scheibe verwendet. Ich kenne das auch von den Mercedes-DTM-Flügen, dass die bei keinem Flug lang dran sind. Man hat nicht immer den Richtigen getroffen, aber es haben alle mitgemacht!

Danach bin ich von Dubai nach Nizza weitergeflogen und mit FIA-Inspektor Jo Bauer im Mietwagen bis Stuttgart gefahren. In Summe ein 30-Stunden-Trip. Um ganz ehrlich zu sein: Ich bin immer froh, wenn ich nach Schanghai wieder im beschaulichen Schondorf ankomme. Nicht falsch verstehen: Schanghai ist immer eine Reise wert, eine Stadt der Superlative, eine Stadt der Extreme. Sie ist phänomenal groß und wächst phänomenal schnell.

Von "Relox"-Uhren und "Prado"-Mode

Nicht dass ich dort schon jemals ein Navi in Verwendung gehabt hätte (in Schanghai fährt sowieso niemand selbst, weil es dafür einen chinesischen Führerschein braucht), aber selbst wenn: Das wäre wahrscheinlich völlig nutzlos, weil sich die Stadt rasend schnell verändert und neue Gebäude entstehen. Man kann sehr viel erleben, dauernd werden neue Restaurants eröffnet. Mit tollen Aussichten über die Stadt, aber auch Geheimtipps mit einem speziellen Publikum.

In einer so großen Stadt gibt es alles - und ich bin mir sicher: In Schanghai gibt's wirklich alles! Auch Viertel, in denen man "Relox"-Uhren und "Prado"-Mode kaufen kann. Ich bin da vor Jahren einmal hingegangen. Aber ich habe Angst bekommen, weil zu viele Menschen auf mich zugekommen sind und mir was andrehen wollten. Was in Schanghai wirklich rentabel ist, ist das Anfertigen von maßgeschneiderten Anzügen. Das geht innerhalb von zwei, drei Tagen - und ich kenne einige, die das jedes Jahr machen lassen.


BBC-Dokumentation: Das ist Schanghai

Und dann ist da natürlich noch der Smog, der im Fernsehen immer so aussieht, als habe es dort permanent Nebel. Den gibt's in Schorndorf auch nicht... ;-) Früher sind wir im Herbst nach Schanghai gekommen. Im Herbst ist es meistens ein bisschen wärmer und die Luft dafür schlechter. Das drückt wirklich, dann riechst du, dass das keine saubere Luft ist. Abends eine Runde um die Strecke joggen möchte ich jedenfalls nicht - das kann nicht gesund sein.

Bei Smog werden Wind und Regen zum Segen

Das Schönste ist dann, wenn ein bisschen frischer Wind aufkommt und es geregnet hat, denn dann wird durchgesiebt, die Luft wird frisch (zumindest frischer) und man kann deutlich besser atmen. Das spürt man. Die Fernsicht ist durch den Smog natürlich auch eingeschränkt. Kann vorkommen, dass du oben auf einem Wolkenkratzer stehst und sogar den benachbarten Wolkenkratzer nicht mehr deutlich siehst.

Was das Rennen angeht und das Zuschauerinteresse, muss ich sagen: Im ersten Jahr, 2004, waren unglaublich viele Fans dort, aber dann ist es dramatisch abgeflaut. Jetzt zieht das Interesse wieder an. Im Vorjahr waren meine FIA-Kollegen und ich richtig baff, wie voll die Tribünen waren. Da werden Fanplakate geschrieben, da wird gegrölt, da hat sich richtig was entwickelt. Die Fans warten vor den Hotels auf die Fahrer, wissen genau, wann wir am Flughafen ankommen.

Safety-Car: Mercedes-AMG GT S

Das neue Safety-Car ist deutlich schneller als das alte, trotz weniger PS Zoom

In einer gigantischen City wie Schanghai gehen 150.000 Formel-1-Fans ziemlich unter, aber die Hersteller halten die eine oder andere Veranstaltung ab und in den Hotels merkt man, dass der Grand Prix in der Stadt ist. Und am Mittwoch nach dem Rennen findet die Laureus-Gala in Schanghai statt, sodass viele prominente Sportler da sein werden. Nominiert sind auch ein paar Vertreter aus der Formel 1: Lewis Hamilton (Sportler des Jahres), Mercedes (Team des Jahres) und Daniel Ricciardo (Durchbruch des Jahres).

Gigantismus pur im Paddock

Gigantisch ist aber nicht nur die City mit ihren Wolkenkratzern, die wie Pilze aus dem Boden schießen, sondern auch die Rennstrecke selbst. Wenn du den Paddock diagonal durchquerst und dabei alle Hospis der Teams abläufst, brauchst du dafür - ich schätze mal - eine halbe Stunde. Und da bist du mit großem Schritt unterwegs und nicht mit High-Heels. Es verläuft sich alles. Allein der Abstand vom Boxengebäude zu den Hospis sind gefühlte 150 Meter.

Alles extrem groß, deswegen kommt nicht so richtig Atmosphäre auf. Was schade ist, denn die Anlage ist wunderschön. Da kann Bernie ruhig mal ein paar Paddock-Pässe mehr ausgeben! Die Strecke macht aber Spaß und ich freue mich schon auf meinen Track-Test mit dem Safety-Car, dem Mercedes-AMG GT S. Es ist 2015 ein neues Auto und es macht extrem viel Spaß, es um die Ecken zu werfen, weil es sich ganz anders bewegen lässt.

Neues Safety-Car schneller als das alte

Wir haben ein Prozedere, ein paar Runden mit einer Qualifying-Lap, um mit dem Vorjahr vergleichen zu können. Je nach Strecke sind wir zwischen eineinhalb und zweieinhalb Sekunden schneller. In Malaysia waren wir mit den Reifentemperaturen am Limit, aber da hatten wir über 60 Grad heißen Asphalt. Das Ding geht jetzt spürbar schneller um die Ecken und bremst besser. Nur auf den Geraden sind wir gleich schnell oder sogar leicht drunter, weil wir weniger Leistung haben.

In Malaysia habe ich Mercedes mit meinem Safety-Car-Einsatz wahrscheinlich den Sieg gekostet. Als ich Sebastians roten Ferrari im Rückspiegel gesehen habe, weil Lewis und Nico an die Box gekommen sind, war mir sofort klar: Das kann für Mercedes jetzt gefährlich werden! Sebastian und Ferrari waren in Malaysia top. Das hat mich wahnsinnig gefreut, weil es nach dem Auftakt in Melbourne so nicht zu erwarten war.

Ich bin mir aber sicher, dass Mercedes weiß, dass sie zu konservativ und vorsichtig unterwegs waren - und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dadurch jetzt die große Trendwende eingeleitet ist. Nur: Wenn ein Fehler passiert, kann es auch mal anders ausgehen. Das war vergangenes Jahr mit Ricciardo und Red Bull so, jetzt ist es mit Vettel und Ferrari so. Man darf sich in der Formel 1 nie zu sicher fühlen.

Euer

Bernd Mayländer

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