Berger exklusiv: Past, Present & Future
Im Interview verrät Gerhard Berger, wie es um Toro Rosso bestellt ist, warum ihm der Abschied schwer gefallen ist und was er von Sebastian Vettel hält
(Motorsport-Total.com) - Im Büro in Monaco verschiedene Schreibtischaufgaben abarbeiten, die sich in den vergangenen Monaten angehäuft haben, in Tirol Skifahren, viel Zeit mit der Familie verbringen - wer noch im Sommer gesagt hätte, dass Gerhard Bergers Leben diesen Winter so aussehen würde, den hätten die meisten Insider wahrscheinlich für verrückt erklärt.

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An der Rennstrecke wird man Gerhard Berger in Zukunft seltener sehen
Doch rund ein halbes Jahr vor seinem 50. Geburtstag ist der Österreicher erst einmal raus aus der Formel 1. Seine 50 Prozent Anteile an Toro Rosso hat er gewinnbringend an seinen Partner Dietrich Mateschitz verkauft, der nun alleine entscheiden kann, wem er sein B-Team künftig überlassen will. Für Berger war das Abenteuer Toro Rosso ein erfolgreiches, speziell 2008 - gekrönt natürlich vom "Wunder von Monza", dem Sensationssieg von Sebastian Vettel beim Grand Prix von Italien.#w1#
Nun kann sich der zehnfache Grand-Prix-Sieger wieder anderen Dingen des Lebens widmen - eine Erfahrung, die nicht ganz neu für ihn ist: Ende 1997 war seine Fahrerkarriere zu Ende, ehe er nach einer Auszeit bei BMW als Sportdirektor ein- und 2003 wieder ausstieg, nur um 2006 die Hälfte von Toro Rosso zu übernehmen. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' zieht Berger Bilanz und spricht darüber, warum er ein viertes Leben in der Formel 1 haben könnte.
Viele andere Aufgaben
Frage: "Gerhard, was macht man um diese Zeit des Jahres, wenn man kein Formel-1-Team mehr besitzt?"
Gerhard Berger: "Ich habe jede Menge andere Aufgaben auf dem Tisch liegen, die ich neben der Formel 1 sowieso immer betrieben habe - sei es mein Unternehmen in Tirol oder andere Sachen, in die ich involviert bin. Bis jetzt habe ich genug Arbeit, aber es ist angenehm so, genau richtig. Jetzt freue ich mich auf das Skifahren!"
Frage: "Ist der Verkauf von Toro Rosso schon über die Bühne oder ist noch Papierkram zu erledigen?"
Berger: "Es geht eigentlich nur noch um die Zustimmung des Kartellamts. Das ist die einzige noch offene Formalität."
Frage: "Als du eingestiegen bist, war es ein Tauschgeschäft: die Hälfte deiner Spedition gegen die Hälfte von Toro Rosso. Ich nehme an, diesmal habt ihr das finanziell geregelt?"
Berger: "Es war nie ein Tauschgeschäft. Es war immer ein Einstieg von mir auf der einen und umgekehrt auch auf der anderen Seite."
Frage: "Aber damals ist kein Geld geflossen, oder?"
Berger: "Doch. Ins Team ist Geld geflossen und auch ins Transportunternehmen."
Frage: "Das heißt, deine Spedition war diesmal nicht involviert?"
Berger: "Nein, die läuft ganz normal weiter."
Frage: "Dietrich Mateschitz hat angekündigt, dass er seine Anteile an Toro Rosso verkaufen möchte. Wenn bei Verhandlungen nur ein Anteilseigner am Verhandlungstisch sitzt, macht das wahrscheinlich einiges einfacher. War das eines der Motive für eure Transaktion?"
Berger: "Absolut. Wenn alles in einer Hand ist, geht das viel einfacher. Für mich war klar, dass ich das Team ohne Didi Mateschitz nicht betreiben kann."
Red Bull als Partner unabkömmlich
Frage: "Damals hat es geheißen, das Team soll nur an einen Automobilhersteller verkauft werden. Das könnte in der aktuellen Wirtschaftslage schwierig werden, nicht wahr?"
Berger: "Das weiß ich nicht, dazu kann ich nichts sagen."
Frage: "Apropos Wirtschaftskrise: Wie steht Toro Rosso finanziell da?"
Berger: "Solange Red Bull dahinter steht: immer gut."
Frage: "Worauf ich damit hinaus will: Ist die Umwandlung von Kundenteam in eigener Konstrukteur im derzeitigen Wirtschaftsklima für ein so kleines Team überhaupt zu stemmen?"
Berger: "Nein, aber ich glaube auch nicht, dass es passieren wird. Ich glaube, dass die anderen Teams - oder das Reglement - einen Rückzieher machen werden. Es ist total unlogisch, in einer solchen Situation die eigentlich perfekten Synergien, wie Red Bull sie hat, nicht zu erlauben. Das ist total irrwitzig. Ich glaube, dass diese Synergien weiter genutzt werden können, weil es das einzig Richtige und Logische ist."
Frage: "Wenn ich richtig informiert bin, müsste dafür Frank Williams seine Meinung ändern..."
Berger: "Es gibt nur einen, der das Reglement macht, und das ist die FIA. Es kommt ganz darauf an, was die sagen. Alles andere ist irrelevant."
Frage: "Wie signifikant ist der finanzielle Beitrag, den Red Bull 2008 im Vergleich zu den Sponsoreneinnahmen geleistet hat?"
Berger: "Über Geld mag ich nicht reden."
Frage: "Du hast bei Toro Rosso viele Vertraute, die du schon lange kennst, um dich versammelt, zum Beispiel Franz Tost oder Giorgio Ascanelli. Hast du das Gefühl, diese Leute im Stich zu lassen?"
Berger: "Emotionell war das sicherlich der schwierigste Punkt, diese Leute, die mit mir zusammen in den Kampf gegangen sind, zu verlassen. Wir haben dieses Jahr viel erreicht. Andererseits habe ich kein schlechtes Gewissen, denn ich habe sie nicht im Stich gelassen, sondern sie sind mit Red Bull zusammen. Ein besseres Backing als Red Bull kann ihnen in der Formel 1 momentan niemand geben. Ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft sind sehr gut gesichert. Toro Rosso ist in guten Händen."
Vettel-Verbleib hätte nichts geändert

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Sternstunde im Königlichen Park: Mit Sebastian Vettel nach dem Sieg in Monza Zoom
Frage: "Auch Sebastian Vettel hat Toro Rosso verlassen. Hätte es an deiner Entscheidung etwas geändert, wenn er geblieben wäre?"
Berger: "Nein."
Frage: "Was hätte passieren müssen, damit du nicht verkauft hättest?"
Berger: "In erster Linie hätte das Konstrukteursthema so bleiben müssen, wie es ursprünglich geplant war und wie es ursprünglich auch gewesen ist. Ich bin nicht der Meinung, dass es nicht ohnehin wieder so kommen wird, aber das ist momentan halt offen. Das hätte dann automatisch nach sich gezogen, dass Red Bull voll dahinter gestanden wäre. Für mich war das Um und Auf, dass Red Bull voll hinter der Sache steht, weil es sonst relativ wenig Sinn macht."
Frage: "Das Timing deines Verkaufs war perfekt, denn sportlich kann es ohne Vettel und unter neuen Rahmenbedingungen kaum noch bergauf gehen und finanziell gesehen war der Zeitpunkt auch nicht der schlechteste..."
Berger: "Ich würde das Team nicht unterschätzen. Das Team besteht noch aus vielen guten Leuten, die dieses Jahr dabei waren. Sebastian Vettel ist weg, das ist richtig, aber das heißt nicht, dass man nicht wieder einen neuen Sebastian Vettel finden kann. Ich traue dem Team auch in Zukunft gute Resultate zu, gar keine Frage."
Frage: "Wie schaut deine Planung für die nächsten Monate aus? An Unterbeschäftigung leiden wirst du wohl kaum..."
Berger: "Nein, aber ich bin froh, einmal Skifahren zu können, wenn der Schreibtisch sauber ist. Dann schaue ich, was auf mich zukommt."
Frage: "Geht es irgendwann wieder zurück in die Formel 1?"
Berger: "Das kann durchaus sein, ist aber kein Muss."
Kein Interesse an Ferrari-Posten
Frage: "Vor deinem Einstieg bei Toro Rosso gab es Gerüchte, du könntest bei Ferrari Teamchef werden. Du bist sechs Jahre für Ferrari gefahren, hast zu diesem Mythos als letzter von Enzo Ferrari verpflichteter Fahrer eine ganz besondere Beziehung. Würde dich diese Aufgabe reizen?"
Berger: "Ich glaube nicht. Mich interessiert keine Aufgabe als Teamchef. Mich interessiert die unternehmerische Seite, zu versuchen, einen Firmenwert zu schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich eine Aufgabe als Teamchef übernehme. Daher würde ich sagen: eher nein."
Frage: "Du hast einmal gesagt, dass dich Sebastian Vettel vor allem mit der Geschwindigkeit seiner Entwicklung überrascht hat. Er ist auch der jüngste Fahrer im Feld. Glaubst du, dass er der Fahrer mit dem größten Steigerungspotenzial in der Formel 1 ist?"
Berger: "Ja, so würde ich ihn einschätzen."
Frage: "Was unterscheidet ihn von anderen jungen Fahrern?"
Berger: "Er ist sehr intelligent - kombiniert mit einem unglaublichen Commitment."
Frage: "Die Supertalente wie Michael Schumacher oder Ayrton Senna, zu denen man ihn vielleicht auch irgendwann zählen darf, waren nicht überall beliebt. Das ist bei Sebastian anders - den mag ihm Fahrerlager jeder..."
Berger: "Darum schätze ich ihn sogar noch gefährlicher ein! Er hat diesen Egoismus, den man haben muss, aber er bringt das so rüber, dass man ihn als den Jungen von nebenan sieht, den man nur mögen kann. Er hat die Schlitzohrigkeit mit vollem Umfang."
Frage: "Euer zweiter Fahrer war Sébastien Bourdais, unter anderem auch eine Idee von dir. Hat das Projekt Bourdais funktioniert?"
Berger: "Nein. Ich hatte mir von ihm mehr erhofft."
Lob für Neuzugang Buemi
Frage: "Sébastien Buemi kommt neu ins Team..."
Berger: "Das macht Sinn. Erstens ist er Red-Bull-Mann, zweitens glaube ich, dass er schon talentiert ist. Man sieht sowieso erst in der Formel 1, wie sich einer entwickeln kann, wie man bei Vettel gesehen hat. Bei BMW war man sich da noch gar nicht so sicher, sonst hätten sie ihn gleich behalten. Man sieht erst, wie stark jemand wirklich ist, wenn er unter Druck eingesetzt wird. Ich glaube, Buemi bringt die Voraussetzungen mit und verdient die Chance, dass man sich einmal anschaut, wie er sich entwickelt."
Frage: "Angesichts der Wirtschaftskrise sagen viele - nur BMW nicht, wie man hört -, die Einführung von KERS sollte wegen der hohen Kosten verschoben werden. Wie stehst du dazu?"
Berger: "Das kann man aus verschiedenen Gesichtspunkten sehen. BMW hat KERS aufgebaut und sieht das System als Vermarktungsidee und als Synergie zum Serienauto. Sie haben sich sehr gut vorbereitet und stehen natürlich dahinter. Andere Teams haben gehofft, dass es wieder von der Bühne kommt und haben sich mit der Vorbereitung Zeit gelassen. Die sind dagegen. Und dann gibt es noch die Frage: Sieht man kurzfristig die riesigen Kosten oder sieht man langfristig die Chance, die Formel 1 als Trendsetter für Zukunftstechnologien zu positionieren?"
Frage: "Du bist ja inzwischen heraus aus dem Business. Was ist deine persönliche Meinung?"
Berger: "Das kommt drauf an, ob ich bei BMW bin oder bei Toro Rosso. Bei Toro Rosso ist es ein Kostenblock, den ich überhaupt nicht gebrauchen kann, und bei BMW würde ich es als interessantes Tool bezeichnen."
Frage: "Wann werden wir dich das nächste Mal bei einem Grand Prix sehen?"
Berger: "Keine Ahnung. Da ist noch nichts geplant."
Frage: "Du hast mit vielen Teams im Fahrerlager schon einmal zusammengearbeitet. Wem wirst du 2009 die Daumen drücken?"
Berger: "Überhaupt keine Frage: Toro Rosso."

