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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Bereits zu Saisonmitte lässt Audi die beiden Titelrivalen Rast und Müller nicht frei fahren: Wieso das abgeblasene Titelduell Gerhard Bergers DTM-Plan gefährdet

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Teamstrategie statt Rad-an-Rad-Duellen: Das kann Gerhard Berger nicht leiden Zoom

Liebe Leserinnen und Leser,

wer hat nach dem Großbritannien-Gastspiel der DTM in Brands Hatch am schlechtesten geschlafen? Vielleicht Audi-Sportchef Dieter Gass, nachdem nun alle über das von ihm offensichtlich verhinderte Duell zwischen den Titelrivalen Rene Rast und Nico Müller schimpfen, anstatt der beeindruckenden Audi-Dominanz am Sonntag zu huldigen?

Er hätte guten Grund dazu gehabt, doch vermutlich ist Gass davon überzeugt, die Interessen des Konzerns geschützt zu haben, indem er den Titel auf keinen Fall durch eine erneute Audi-Kollision wie auf dem Norisring aufs Spiel setzte.

Einer, der aber garantiert schlecht geschlafen hat, ist DTM-Boss Gerhard Berger. Denn der Österreicher hasst Stallorder. Und weiß genau, wie sehr sie der DTM schadet. Jetzt hat ihm Audi gute zwei Wochen vor seinem 60. Geburtstag - die Vorfreude hält sich ohnehin schon in Grenzen - ein besonders ungeliebtes Geschenk gemacht.

Bergers DTM-Plan

Denn seit er vor zwei Jahren die Leitung der DTM-Dachgesellschaft ITR übernommen hat, rackert sich Berger ab, um die einst aalglatte Herstellerserie in die letzte Bastion für echte Motorsportpuristen zu verwandeln.

Und er hat mit einer Serie von Änderungen vieles richtig gemacht: Das Funkverbot, die Abschaffung von Handbremse, Heizdecken und Performance-Gewichten, der spektakuläre Indy-Re-Start sowie der umfangreiche Einsatz von Einheitsbauteilen und stärkeren Motoren sorgen für mehr pures Spektakel und dafür, dass das Können der Fahrer im Vordergrund steht. Nicht alle Änderungen waren Bergers Ideen, aber er hat sie konsequent vorangetrieben.

Philipp Eng, Restart

Auch der spektakuläre Indy-Re-Start wurde von Berger eingeführt Zoom

Berger will die DTM auf die internationale Bühne bringen, nutzt sein riesiges Netzwerk, denkt laut über Rennen in Monaco oder auf der Nürburgring-Nordschleife nach. Und er versucht das scheinbar Unmögliche und bemüht sich um Superstars wie Valentino Rossi als Gaststarter.

MotoGP auf vier Rädern

"Ich glaube einfach, dass das Produkt DTM bei den Fahrzeugen mit vier Rädern das ist, was die MotoGP auf zwei Rädern ist", sagte mir Berger, der bei den Fans viel Rückhalt genießt, kürzlich. "Da geht es um Rad-an-Rad-Duelle, um Zweikämpfe."

Doch genau das hat Audi in Brands Hatch verhindert. Dabei ist ein Titelkampf, der bis zum letzten Rennen anhält, für die DTM gerade jetzt überlebenswichtig. Man muss R-Motorsport für den kurzfristigen Aston-Martin-Einstieg wirklich enorm respektieren, aber derzeit ist die DTM ein Duell zwischen nur zwei Herstellern - und selbst BMW hat im Titelkampf nur noch Außenseiterchancen.

"In der DTM geht es um Rad-an-Rad-Duelle, um Zweikämpfe. Sie ist die MotoGP auf vier Rädern." Gerhard Berger

Berger weiß: "Um den Titelkampf spannend zu halten, müssen die BMW-Fahrer Wittmann und Eng am Lausitzring reichlich Punkte einfahren." Die derzeit mangelnde Konstanz der Münchner deutet jedoch eher auf ein reines Audi-Stechen um den Titel hin.

Liegt das Problem in den DTM-Genen?

Wenn die Ingolstädter aber schon beim sechsten von neun Wochenenden anfangen, keinen Zweikampf zwischen Rast und Müller zuzulassen, dann fragen sich die Fans, wieso sie eigentlich zuschauen, und werden sich bald abwenden. Und Rast wird bereits vor dem wichtigen Saisonfinale in Hockenheim als Champion feststehen. Und dann droht ein Finale vor leeren Rängen - kein gutes Bild, um die Saison 2020 zu vermarkten.

Liegt das Problem nicht auch in der DNA der DTM, in der Hersteller je sechs Autos stellen und mit ihnen Schach spielen, wie es in anderen Serien wie der Formel 1, wo ein Team nur aus zwei Autos besteht, gar nicht auf diese Weise möglich ist?

Audi

Mehr Spielfiguren als in der Formel 1: Hersteller wie Audi setzen sechs Autos ein Zoom

Das mag sein. Aber trotzdem muss man einen Weg finden, um diesen Zustand zu ändern, will die DTM in Zukunft attraktiv sein. Berger weiß, dass die Teams unabhängiger von den Konzernen werden müssen.

Mehr Autonomie für die Teams!

Sein Versuch, Kundenteams wie WRT-Audi wie einst in den goldenen Jahren der DTM zu etablieren, geht in diese Richtung. "Die Teams sind über die Jahre unter den Schirm der Marken gekommen, aber ich denke, wir müssen sie da rausholen", meint Berger.

Wenn man weiß, dass gewisse Strategieentscheidungen während des Rennens nicht von konkurrierenden Herstellerteams wie Rosberg oder Abt getroffen werden, sondern von oben kommen, dann erscheint mehr Autonomie für die Rennställe dringend notwendig.

Denn die Stallorder ist seit vielen Jahren eines der größten Übel der DTM. Jetzt braucht es vielleicht mal eine - und zwar von ganz oben. Die Order ist kurz und präzise: Freie Fahrt!

Sven Haidinger