Nissan: Drei GT-R LM Nismo und ein Berg von Arbeit

Die (potenziellen) Vorteile und die nicht zu übersehenden Nachteile des Nissan GT-R LM Nismo - Warum schon die Ausfahrt aus der Boxengasse Probleme macht

(Motorsport-Total.com) - Nicht nur im Feld der LMP1-Boliden, sondern im gesamten Starterfeld der 24 Stunden von Le Mans 2015 ist Nissan mit den drei GT-R LM Nismo der Exot im Feld. Das für einen Le-Mans-Prototypen äußerst ungewöhnliche Konzept mit vorn liegendem Motor, vorn liegendem Getriebe und Frontantrieb sorgt für ein ganz eigenes Fahrverhalten. Die Fahrer erkennen hier und da Vorteile gegenüber den bewährten Konzepten. Die Nachteile aber überwiegen bei Nissan derzeit noch deutlich.

Titel-Bild zur News: Harry Tincknell, Michael Krumm, Alex Buncombe

Der GT-R LM Nismo von Nissan: Ein LMP1-Auto mit ganz eigenen Gesetzen Zoom

"In langsamen und mittelschnellen Kurven ist es ein typischer Fronttriebler. Er zieht raus und geht beim Beschleunigen nach rechts und links", beschreibt Michael Krumm. Der langjährige Nissan-Pilot teilt sich den GT-R LM Nismo #22 mit Harry Tincknell und Alex Buncombe. Das beim Beschleunigen auftretende Ziehen nach links und rechts sei "ganz normal und nichts wirklich Schlimmes".

"Es ist nicht so, dass das Auto abbiegen würde. Es zieht aber am Lenkrad", sagt Krumm und sieht das Differenzial als einen Bereich, in dem man ansetzen kann: "Wir hatten anfangs ein leichtläufiges Auto, da war es ein echtes Problem. Jetzt haben wir mehr Nachlauf, wodurch es sich stabilisiert hat."


Fotostrecke: Frontmotor-Autos: Vorgänger des Nissan

Allerdings hat das Nachbessern auch Grenzen. Die Lenkung des japanischen Fronttrieblers ist inzwischen so schwergängig, dass die Fahrer hin und wieder eine Hand vom Lenkrad nehmen. "Sonst könnte man das gar nicht durchhalten", gesteht Krumm. Die Vorstellung, dass die Nissan-Piloten womöglich auch im dichten Rennverkehr eine Hand vom Lenkrad nehmen müssen, ist alles andere als beruhigend...

Jann Mardenborough, der sich den GT-R LM Nismo #23 mit Olivier Pla und Max Chilton teilt, schildert das Fahrverhalten aus seiner Sicht. "In schnellen Ecken, wenn die Aerodynamik wirkt, fühlt es sich wie jedes Abtriebs-Auto an. In langsamen Kurven ist es anders. Da darf man von Eingang bis Kurvenmitte nicht so attackieren, aber kann entsprechend früher wieder auf das Gas", beschreibt der 23-jährige Brite und spricht für alle neun Nissan-Piloten, wenn er sagt: "Daran mussten wir uns alle gewöhnen."

Potenzielle Vorteile und augenscheinliche Nachteile

Abgesehen vom guten Top-Speed (im Freien Training gemeinsam mit Audi erster Porsche-Jäger) sind die Vorteile des Nissan derzeit nicht viel mehr als potenzielle Vorteile. "Es gibt Stellen, wo das Auto gut funktioniert", sagt Krumm und präzisiert: "Ich sollte potenziell zum Beispiel durch Mulsanne oder Arnage mit einem Fronttriebler schneller fahren können als mit einem normalen Auto mit Heckantrieb. Das ist das, was ich denke. Natürlich müsste das noch bewiesen werden."

Harry Tincknell, Michael Krumm, Alex Buncombe

Im Regen kann der GT-R LM Nismo die Schwächen etwas kaschieren Zoom

So wie jeder Fronttriebler sei der GT-R LM Nismo "bei Regen gut zu fahren", wie Krumm anmerkt. "Audi ist schneller, keine Frage, aber beim Vortest war ich bei halb nassen Verhältnissen hinter einem Audi und konnte durch die Schikane mithalten, weil ich eher wieder auf das Gas gehen konnte", so der langjährige Nissan-Werksfahrer aus Reutlingen.

Derzeit überwiegen beim GT-R LM Nismo aber die Nachteile - und zwar deutlich. "Beim Hybrid ist der Nachteil sehr groß", weiß Krumm und spielt damit auf den Umstand an, dass man beim Le-Mans-Vortest gänzlich ohne Hybrid-Power unterwegs war. Der japanische Fronttriebler ist zwar in der 2MJ-Klasse gemeldet, rekuperiert derzeit aber keine Energie.


Entwicklung des Nissan GT-R LM Nismo

Ein weiteres Problem betrifft das Bremsen. "Wir haben kein ABS im Auto. Außerdem ist es im Moment noch schwierig, das Auto sehr konstant zu fahren", gesteht Krumm und beschreibt die Problematik im Detail: "Wenn du an der Vorderachse den Grip verlierst, dann verliert das Auto den passenden Winkel. Dann muss man warten, warten, warten, bis der Grip wieder da ist." In solchen Situationen geht Nissan mit einem Schlag viel Rundenzeit verloren. "Die Differenzen in unseren Rundenzeiten sind dadurch deutlich größer als bei anderen", erklärt Krumm.

Olivier Pla, Jann Mardenborough, Max Chilton

Nicht nur gegen die LMP1-Konkurrenz sieht der Nissan derzeit keinen Stich Zoom

Laut Nissan-Motorsportchef Darren Cox wurde bezüglich des kritischen Verhaltens beim Bremsen bereits gearbeitet, sodass der GT-R LM Nismo beim Verzögern nun nicht mehr so stark zu den Seiten zieht. "Jetzt ist der Kurvenausgang unsere Baustelle", bestätigt Cox das, was Krumm aufgefallen ist, gibt sich aber ausgesprochen optimistisch: "Wenn wir alles mal im Griff haben, dann werden wir die Porsche-Kurven genauso schnell nehmen können wie die anderen. Es wird so sein, dass wir in einigen Bereichen Vorteile haben werden und die anderen sind woanders schneller."

Die Krux mit der Ausfahrt aus der Boxengasse

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Der erste Stolperstein wartet auf die Nissan-Fahrer schon bevor es auf eine schnelle Runde gehen kann: Die Ausfahrt aus der Boxengasse. "Wir müssen sehen, dass wir da ordentlich rauskommen. Das ist alles nicht ganz so ohne, denn man darf die Räder nicht durchdrehen lassen. Das steht so im Reglement", verweist Krumm auf die Vorgaben des ACO. Aber: Am Ende der Boxengasse geht es recht steil bergauf. Dies führt dazu, dass die Nissan-Piloten ihr Auto schon mal abwürgen. "Das ist nicht so einfach mit unserem lang übersetzten ersten Gang", so Krumm.

Michael Krumm

Michael Krumm lässt sich nicht entmutigen: "Wir machen normal weiter" Zoom

"Wenn bei uns die Räder leicht durchdrehen, dann kommen wir ganz gut weg. Das liegt daran, dass wir dann mit der Drehzahl ausreichend hoch sind, dass der Turbo passend Druck hat. Wenn ich den Ladedruck habe, kann ich ohne abzuwürgen wegfahren. Dann drehen aber die Räder durch, was halt verboten ist", so Krumm.

Deshalb hat man den Ladedruk für das Losfahren soweit heruntergeregelt, um durchdrehende Räder möglichst zu vermeiden. Das Problem dabei: "Jetzt kommt so wenig Drehmoment, dass es den Berg hinauf schwierig ist, den Motor nicht abzuwürgen", sagt Krumm bezeichnet das Problem als "eine Kleinigkeit, aber eine, die auffällt".

Um ein Abwürgen zu vermeiden, muss der Ladedruck im Fall der Fälle doch wieder etwas nach oben korrigiert werden. "Dann kommt es darauf an, wie genau der ACO es nimmt", spricht Krumm auf die durchdrehenden Räder an, die per Definition eigentlich verboten sind. "Wenn ich deswegen eine Fünf-Minuten-Strafe bekomme, dann hilft es nichts. Dann würge ich lieber ein paarmal ab", meint der Nissan-Werksfahrer.

Nissans Hoffnung für das Rennen: "Am besten, es schneit"

Alles in allem fällt Krumms Urteil über den GT-R LM Nismo wie folgt aus: "Wir sind aerodynamisch sehr effizient, haben einen sehr niedrigen CW-Wert und somit die besten Top-Speeds. Wenn wir jetzt auch noch wie Porsche mit 8MJ-Hybrid beschleunigen könnten, dann sähe die Welt ganz anders aus. Regen käme uns im Rennen gelegen. Am besten schneit es sogar."

Das Nissan-Aufgebot für die 24 Stunden von Le Mans 2015

Nissans Aufgebot für Le Mans 2015: Drei GT-R LM Nismo und jede Menge Marketing Zoom

Krumm ist es gewohnt, ungewöhnliche Autos zu fahren. In Le Mans 2012 war der Deutsche einer der Piloten des DeltaWing. Die aktuellen Probleme mit dem GT-R LM Nismo will er nicht überbewerten: "Wir machen unser Ding, machen normal weiter. Ich bin das Auto am 18. November als erster Pilot gefahren. Was seitdem alles passiert ist.. es ist schon ein Wunder, dass wir hier jetzt mit drei Autos sind. Jetzt machen wir das Beste daraus." Das volle Potenzial des Autos werde man in dieser Woche ohnehin nicht sehen.

Auch Mardenborough macht sich nichts vor. "Unser Ziel kann es nur sein, überhaupt ins Ziel zu kommen. Wenn wir das sogar mit allen drei Autos schaffen, dann wäre es ein enormer Erfolg. Dann haben wir viel gelernt und können das Auto umso schneller verbessern. Bis wir uns auf dem Niveau der Besten befinden, wird es aber seine Zeit dauern."

Welche Ziele setzt man sich bei Nissan in puncto Rundenzeiten? "Wir werden schneller als die LMP2-Autos sein. Mal sehen, wie nahe wir an die anderen LMP1-Jungs herankommen können", hält Motorsportchef Cox an der ursprünglichen Vorgabe fest. Le Mans 2015 ist für die Truppe aber nichts anderes als ein Lernprozess. "Im kommenden Jahr wird es dann ein ganz anderes Spiel", kündigt Cox an und insistiert: "Es ist ein Sportprogramm mit gutem Marketing und kein Marketingprogramm im Sport."