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Enzinger exklusiv (5/6): Die Motorsport-Synergien im VW-Konzern

Fritz Enzinger ist im Volkswagen-Konzern dafür zuständig, Motorsport-Synergien zu finden, und erklärt im Interview, wie er das anstellen will

(Motorsport-Total.com) - Seit 2011 ist Fritz Enzinger bei Porsche. Er hat dort das LMP-Programm aus Porsche Motorsport ausgegliedert und mit seinem eigenen Team dreimal Le Mans gewonnen. Als Motorsportchef der Marke ist er jetzt dafür zuständig, die LMP- und die GT-Abteilung, die er einst selbst getrennt hat, wieder zusammenzuführen.

Titel-Bild zur News: Fritz Enzinger

Enzinger ist Porsche-Sportchef und Leiter VW-Konzern-Motorsport in Doppelrolle Zoom

Es ist eine Rolle, die Enzinger eigentlich gar nicht geplant hatte. Andreas Seidl war dafür vorgesehen, wechselte aber stattdessen zu McLaren in die Formel 1. Enzinger, eigentlich Leiter Konzern-Motorsport bei Volkswagen, kümmert sich voraussichtlich noch bis Jahresende auch um Porsche. Erst danach konzentriert er sich auf die übergeordnete Rolle.

Was momentan seine wichtigsten Aufgaben sind und wie er diese wahrnehmen möchte, das erklärt er im fünften (vorletzten) Teil unserer großen Interview-Serie "Enzinger exklusiv". Der sechste und letzte Teil wird am 8. Juni in voller Länge veröffentlicht.

Frage: "Herr Enzinger, reden wir über Ihre persönliche Rolle im Volkswagen-Konzern. Sie sind Vice President Motorsport der Porsche AG und Senior Vice President Motorsport der Volkswagen AG. Was bedeutet das konkret?"
Fritz Enzinger: "Ich berichte bei Porsche als Hauptabteilungsleiter an Entwicklungsvorstand Michael Steiner. Im Volkswagen-Konzern berichte ich an Oliver Blume, den für den Konzern-Motorsport verantwortlichen Vorstand. Dort ist mein Thema die strategische Motorsport-Ausrichtung der acht Konzernmarken."

Wie sich die Volkswagen-Marken unterscheiden

"Jede dieser Marken hat nach ihrer DNA entschieden, welchen Motorsport sie betreibt. Es gibt die Autohersteller und Ducati im Motorradbereich, und es gibt Rallye- und Rundstreckenprogramme. Skoda ist historisch im Rallyesport zu Hause und war die vergangenen Jahre in der WRC2 extrem erfolgreich. Außerdem bedient Skoda den weltweiten Kundensport mit Rallyeautos."

"Die anderen sechs Marken sind auf der Rundstrecke aktiv, und hier differenzieren sich die Engagements weiter. Elektrischen Motorsport betreiben ab Ende des Jahres Porsche und Audi in der Formel E sowie Volkswagen Motorsport mit dem vollelektrischen Prototypen I.D. R. Pikes Peak. Diese drei Marken - Audi, Porsche und Volkswagen - sind gleichzeitig die einzigen im Konzern, die Werks-Motorsport betreiben."

"Parallel gibt es umfangreiche Kundenprogramme mit Verbrennungsmotoren. Volkswagen Motorsport bietet zum Beispiel den Polo GTI R5 für Kunden an. Im GT-Kundensport sind auch die Marken Lamborghini und Bentley vertreten. Es gibt ein ganzes Universum von Rennserien. Die Marken der Volkswagen-Gruppe versuchen, das Interesse an Kundenfahrzeugen weltweit und möglichst profitabel abzudecken und entwickeln entsprechende Autos."


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"Mein Job ist die Gesamtübersicht über alle Aktivitäten der acht Marken im Auftrag des Vorstands in Wolfsburg. Es geht um den budgetären Überblick, um die Nutzung von Synergie-Effekten und strategische Ausrichtungen in reglementgebenden Gremien."

Frage: "Sie berichten also an den Vorstand, was die acht Marken so treiben, sitzen aber nicht in irgendwelchen Meetings zu neuen Regeln, sondern das machen dann die jeweils zuständigen Sportchefs?"
Enzinger: "Genau so ist es. Ich beschäftige mich mit den Fragen, die wir vorher besprochen haben: Wird Tourenwagensport oder wird Rallye elektrisch? Was läuft im weltweiten Formelsport mit und ohne Verbrennungsmotoren? Es gilt, Marken und Märkte zu bewerten. Das Gesamtbild des Konzern-Motorsports sollte dem Straßenbild ähnlich sein."

"Wenn beispielsweise in Ländern wie Deutschland immer mehr Autos elektrisch fahren, ist elektrischer Motorsport dort attraktiver als in Ländern, in denen es noch gar keine E-Mobilität gibt. Um diese Ausrichtungen geht's."

Synergien stehen im Vordergrund

"Genauso wichtig ist es, die Synergien zwischen den acht Marken zu nutzen. Manchmal nur strategisch. Ein Beispiel: Wenn in der Formel E diskutiert wird, ob in Zukunft jeder Hersteller seine Batterie selbst entwickeln soll, betrifft das sowohl Audi als auch Porsche. Momentan werden aus Kostengründen identische Batterien an alle Teams geliefert."

"Aber wäre es nicht interessant, wenn die Batterieherstellung Teil des Wettbewerbs würde und jeder mit seiner eigenen Zellenbasis käme? Und falls ja: Sollen die beiden Marken gegeneinander entwickeln oder gemeinsam? Was bringt dem Konzern den größten Entwicklungsschub? Oder ist der Weg, den man aktuell geht, doch der bessere? Solche Fragen diskutieren wir."

Frage: "Kann Synergie auch bedeuten, dass drei Marken bei einem externen Zulieferer einkaufen und man dann durch das höhere Volumen bessere Einkaufspreise erzielt?"
Enzinger: "Auch das. Größere Stückzahlen bei gemeinsamen Lieferanten können zur Kostensenkung beitragen. Da gilt es, von der Plattform-Philosophie der Serienentwicklung zu lernen und herauszufinden, welche Marken baugleiche Teile verwenden können."

Romain Dumas

Volkswagen hat auf der Nordschleife gerade einen neuen E-Rekord aufgestellt Zoom

"Der Wissenstransfer ist aber genauso wichtig. Nehmen wir das Pikes-Peak-Projekt von Volkswagen: Da haben Aerodynamik-Ingenieure von Porsche mitgearbeitet, und es hat einen Austausch rund um die Elektrik gegeben. Es ergibt keinen Sinn, dass im Konzern einer etwas entwickelt, was beim anderen schon im Regal liegt."

"Um das zu entdecken, muss einer den Überblick haben und die Zusammenführung anstoßen. Wenn zwei Marken gegeneinander fahren, hat natürlich jede den Auftrag zu gewinnen. Dann wird ein performancerelevanter Austausch nicht in dieser Form stattfinden. Aber die Synergiemöglichkeiten insgesamt sind enorm."

Frage: "Stoßen Sie dabei in Ihrer Funktion teilweise auch an Grenzen, weil die einzelnen Marken ihr Know-how aus Gründen des Abteilungsdenkens heraus nicht preisgeben wollen?"
Enzinger: "Für die Serienentwicklung ist dieser Austausch überhaupt kein Novum. Im Motorsport hat es das noch nicht so intensiv gegeben."

"Aber durch die Kosteneinsparungen führt daran kein Weg vorbei. Es wäre ein Unding, etwas mehrfach zu entwickeln. Der Informationsaustausch im Motorsport hat im Vorjahr begonnen und wird nach und nach intensiver. Gerade bei der E-Mobilität, siehe I.D. R Pikes Peak."

Rekordfahrten haben eine besondere Bedeutung

Frage: "Sie haben den Pikes Peak erwähnt. Der 919 Hybrid hat verschiedene Rekordfahrten absolviert, am berühmtesten wurde die auf der Nordschleife. Welchen Stellenwert haben diese Sonderprojekte im Konzern-Motorsport von Volkswagen? Und wird es solche Projekte auch in Zukunft geben?"
Enzinger: "Prototypen für Rekordfahrten sind Forschungsprojekte von hoher Serienrelevanz, weil sie die Grenzen des Machbaren kompromisslos ausloten."

"Der I.D. R Pikes Peak als erster vollelektrischer Motorsport-Prototyp des Konzerns hat mit dem Rekord in den USA einen Meilenstein gesetzt - er pulverisierte ja nicht nur den Rekord für E-Autos, sondern den absoluten. 2019 stehen weitere Rekordfahrten an, zum Beispiel auf der Nordschleife. Das ist streckenspezifisch eine ganz andere Herausforderung. Bis diese Woche hat ein Nio mit einer Zeit von 6:45 Minuten den Rekord gehalten. Den haben wir jetzt gebrochen."


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"Das nächste Thema ist dann im September eine Rekordfahrt in China. Dort gibt es eine berühmte Bergstrecke, wo wir den elektrischen Rekord brechen wollen. Über das weitere Programm wird in den nächsten Wochen entschieden."

Frage: "Wäre zum Beispiel auch ein elektrischer Land-Speed-Record ein Thema für Volkswagen?"
Enzinger: "Es gibt da unterschiedliche Ideen. Wir wollen das ganze Spektrum des elektrischen Motorsports im Auge behalten."

"Besonders relevant ist die Ladezeiten-Entwicklung. Vielleicht entstehen Rennserien mit Boxenstopps für den Ladevorgang. Das ist derzeit ein sehr interessantes Thema für Volkswagen Motorsport. Es gibt verschiedene Ansätze für die acht Marken, die man verfolgen muss, um bei der großen Wende in der Automobilentwicklung am Ball zu bleiben."

Fritz Enzinger: Was man über ihn wissen muss

Zur Person: Ende 2011 begann Fritz Enzinger, geboren am 15. September 1956 in Oberwölz, Österreich, Porsches Rückkehr in den Spitzenmotorsport zu formen. Neue Gebäude, neues Personal, neues Fahrzeug. Vier Jahre später erlebt er die ganz großen Erfolge: Den 17. Gesamtsieg für Porsche in Le Mans, den Gewinn von Hersteller- und Fahrertitel in der WEC. Und 2016 gelingt es unter seiner Ägide, den Triumph auf ganzer Linie zu duplizieren.

Der Erfolg kam schneller als erwartet und fußt auf Enzingers großer Erfahrung: 30 Jahre lang war er zuvor in BMW-Diensten - im Bereich Unternehmensstrategie, Sponsoring, Personalstruktur, Teammanagement und Fahrerverpflichtung. Bei Tourenwagensiegen, beim Gesamtsieg in Le Mans 1999 und bei Formel-1-Erfolgen war er in verantwortlichen Positionen. Und dabei stets ein Mensch, der sich im Hintergrund hielt.

Fritz Enzinger

Fritz Enzinger, Jahrgang 1956, ist in Oberwölz in der Steiermark aufgewachsen Zoom

So ist er geblieben. Die Bürotür des Maschinenbau-Ingenieurs steht seinen Mitarbeitern offen, in Bluejeans und Hemd fühlt er sich wohler als mit Schlips und Kragen. Es war nicht die prestigeträchtige Bühne, die ihn zu Porsche zog. Ihn hat die ungeheure Chance gereizt, ein so großes Projekt von Grund auf gestalten zu können.

Seit 31. Januar ist Enzinger Leiter Konzern-Motorsport bei Volkswagen. Parallel dazu erfüllt er interimistisch weiterhin die Aufgaben des Porsche-Motorsportchefs. Diese Aufgaben wird er aber voraussichtlich Ende 2019 zurücklegen und sich voll und ganz auf seine Konzernrolle konzentrieren.

An den freien Wochenenden pendelt er zur Familie nach München. Islandpferde sind sein Hobby zur Entschleunigung, er teilt es mit seiner Frau und seiner Tochter.

Enzinger exklusiv: Das Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Wie Porsche Motorsport neu aufgestellt wird
Teil 2: Porsche und die Formel 1
Teil 3: "Dann hätte es mich nicht mehr gegeben!"
Teil 4: Wie Porsche die Formel E gewinnen will
Teil 5: Die Motorsport-Synergien im VW-Konzern
Teil 6: "Lieber Fritz, ich bin der Wolfgang!"

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