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Kolumne zu den 24h Nürburgring 2025: Eine letzte Wahrheit gibt es nicht
War die Strafe gegen den "Grello" gerechtfertigt oder nicht? - Diese Frage wird leider niemand letztinstanzlich beantworten können
(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der "Grünen Hölle",

© Gruppe C Photography
Tragischer Held Kevin Estre: Der Autor dieses Texts wäre in diese Lücke ebenso rein gefahren Zoom
da wären wir also, ein paar Tage nach dem großen Rennen - und die Debatten reißen nicht ab. War die Strafe gegen den "Grello" berechtigt? Ist Kevin Estre ein schlechter Verlierer? Hat Mirko Bortolotti einen Promi-Bonus? Ist Walter Hornung ein schlechter Rennleiter? Und überhaupt: Ist das Rennen in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß?
Diese Fragen werden in Foren und sozialen Medien rauf und runter diskutiert. Unsere Aufgabe als Journalisten wäre es, einzuordnen. Wir müssten es doch schließlich wissen - oder?
Aber da muss ich enttäuschen: In manchen Fällen gibt es keine letzte Wahrheit. Die Meinungen zur "Grello"-Kollision sind nahezu 50:50 verteilt. Jeder Fahrer, Ex-Fahrer, Teamchef, der gefragt wird, könnte als Experte seinen eigenen Artikel bekommen. Doch wenn die Hälfte der Experten sagt "Strafe war korrekt" und die andere "völlig ungerecht", bleibt die Frage: Wer hat nun Recht? Hat überhaupt jemand Recht?
"Grello"-Kollision: Grenzfall mit klarem Hintergrund
Mit etwas Motorsporterfahrung (auch wenn fast 20 Jahre her), vielen Jahren im Sim-Racing und mittlerweile 15 Jahren im Motorsportjournalismus muss ich sagen: Die "Grello"-Szene war ein Grenzfall, wie ich ihn selten gesehen habe.
Ganz offen, mein erster Gedanke, als ich den Zwischenfall sah, war: "Ach du... Zum Glück muss ich das nicht entscheiden." Denn richtig oder falsch gibt es hier nicht. Eine Strafe war genauso vertretbar wie ein Freispruch. Solch einen Grenzfall erleben wir selten. Wer meine zwei Cent Meinung haben möchte: Der überholende Fahrer trägt die Verantwortung für das Manöver. Insofern geht eine Strafe okay.
Das eigentliche Problem kein neues. Schon nach dem Massencrash in der NLS im August 2024 habe ich diesem Problem eine Kolumne gewidmet: Die heutigen Profi-Fahrer haben nie gelernt, wie man klassische Langstreckenrennen fährt. Weil klassische Langstreckenfaktoren nicht mehr zählen. Die Langstrecke ist längst zum 24-Stunden-Sprintrennen mutiert - 110 Prozent Brechstange von Start bis Ziel.
Die rennentscheidende Kollision
Wer sich das Rennen 1999 anschaut, sieht, wie Hans-Jürgen Tiemann in der Anfangsphase mit der Viper komplett behutsam durch den Verkehr kurvt. Heute käme man so nicht einmal mehr in die Top 20. Damals wurde das Rennen mit fünf Runden Vorsprung gewonnen - heute mit fünf Sekunden.
Reiner Grundspeed ist alles. Wer als Werksfahrer in seinem Stint 30 Sekunden verliert, steht sofort in der Kritik. Hätte Estre abgewartet, wären fünf Sekunden weg gewesen. Macht man das zehnmal im Rennen, verliert man eine Minute. Der Racer in mir wäre auch in diese Lücke gestochen. Mit demselben Ergebnis.
Einen Weg zurück zum klassischen "Langstreckenfahren" wird es nicht geben. Schließlich lieben wir doch alle diese neue, spektakuläre Art des 24h-Sprintrennens. Am einen Wochenende waren Kevin Estre und Laurens Vanthoor Helden mit der übermenschlichen Leistung in Le Mans gegen die übermächtigen Ferrari. Am nächsten Wochenende wirft der eine das Auto am Freitag weg, der andere legt einen GT4 aufs Dach.
Hero und Zero liegen so nahe zusammen. Daher auch vollstes Verständnis für Kevin Estre, dass er nach der zweiten knappen Niederlage in zwei Wochen dermaßen angefressen war. Und ganz ehrlich: Solche ehrlichen Emotionen sind doch besser als abgedroschene PR-Phrasen.
Auch die Linienwahl von Rolf Scheibner war nachvollziehbar. Kein Blinker, keine Einladung - die Dreifach-Rechts ist der wohl letzte Ort, an dem man überholt werden möchte. Wer da Platz macht, muss heftig abbremsen und auf die dreckige Außenbahn. Bei drei GT3 im Rückspiegel wartet man lieber bis nach "Miss-Hit-Miss". Leider lässt die Ideallinie eine Lücke, und Amateure und Profis sprechen manchmal unterschiedliche Sprachen.
Ebenso nachvollziehbar ist die Entscheidung von Rennleiter Walter Hornung. Was hätte es für ein Bild abgegeben, wenn ein GT3 ein kleineres Auto aufs Dach legt und ungestraft bleibt? Auf anderen Strecken hätte es wohl keinen Überschlag gegeben, aber das ist eben die Nordschleife. Kleine Fehler können massive Auswirkungen haben.
Und ja: Der Ausgang einer Aktion fließt ins Strafmaß ein. Wer jemanden mit einem Messer verletzt erhält eine andere Strafe, als wenn das Opfer verstirbt. Auch bei diesem Manöver war die Konsequenz drastisch - und entsprechend hart fiel die Strafe aus.
Keine einfache Lösung in Sicht
Doch eine perfekte Lösung? Gibt es nicht. Wer die GT3 rauswirft, verliert das Aushängeschild. RTL Nitro würde niemals jedes Jahr eine Weltrekord-Übertragung nach der anderen machen, wenn die spektakulären Autos verschwinden.
Machen wir ein reines Profi-Rennen, bleiben vielleicht 50 Autos übrig. Zwei 24-Stunden-Rennen - eins für Profis, eins für Amateure? Wäre logistisch kaum machbar, weil der Nürburgring ausgebucht ist. Und die beiden Probleme würden bestehen bleiben.
Der Status quo ist daher der einzig gangbare Weg. So kann es nur irgendwie weitergehen wie bisher mit der Hoffnung, dass die Gangart der Profis nicht doch irgendwann ein größeres Opfer fordert. Mehr als 140 Nennungen (134 Starter im Rennen) zeigen, dass das Interesse weiterhin groß ist. Und der neue Zuschauerrekord beweist: Ganz so viel läuft nicht falsch.
24h Nürburgring 2025: 24 Stunden in 27 Minuten
Subjektiv fällt auch auf: Der Anteil weiblicher Besucherinnen scheint zu steigen - oft unter 30 und wirklich an der Materie interessiert. Sie sind längst kein Beiwerk des Partners, hier schlummert Potenzial. Der ADAC Nordrhein sollte genau hier ansetzen, denn das männliche Publikum hat man ziemlich ausgereizt.
Kritik an der Rennleitung: Ja, aber...
Bleibt die Frage nach den Entscheidungen der Rennleitung. Anders als in internationalen Serien entscheidet hier meist der Rennleiter selbst, die Sportkommissare kommen nur in bestimmten Situationen zum Einsatz. Bei über 140 Autos ist das oft die einzige praktikable Lösung. Schon so dauerte es lang genug, bis die Strafe gegen Estre stand. Dennoch sollte man darüber nachdenken, Walter Hornung vielleicht etwas zu entlasten.
Ich halte viel von ihm. Er hat in der Vergangenheit oft ein gutes Gespür bewiesen. Dass er an diesem Wochenende bisweilen schlecht ausgesehen hat, liegt nicht an ihm. Dass er Bortolotti nicht härter bestrafen konnte, dass im Fall van der Linde "neue Beweise" auftauchten, dass er bei "Grello" nur ungünstig entscheiden konnte - alles Dinge, die ihm nicht allein anzulasten sind.
Dennoch macht es natürlich keine Figur, wenn etwa der Fall rote Flagge schlicht und einfach im Strafenkatalog vergessen wird. Zwar habe ich schon einmal geschrieben, dass sich die Eifel nicht in Sportgesetze packen lässt, aber dass hier gar keine Handhabe vorlag, um einen der gravierendsten sportlichen Verstöße des Jahrzehnts zu ahnden, wirft kein gutes Licht auf die Organisation. Nachsitzen ist angesagt.
Letztlich aber: Kontroversen gehören zum Motorsport dazu. Sie sorgen für Diskussion, Relevanz, Emotion. Dieses Rennen wird noch lange Thema bleiben. Und das ist - bei aller Aufregung - auch ein Kompliment an die Veranstaltung.
In diesem Sinne: Freuen wir uns auf die nächsten Ausgaben.
Euer

PS: Eine Lösung, wie man zum klassischen "Langstreckenfahren" zurückkehren könnte: Das Rennen über mehrere Tage ausdehnen. Dann zählt wieder Zuverlässigkeit mehr, wenn es an die Laufleistung der GT3-Boliden geht. 72 Stunden hat es schon einmal gegeben. Warum nicht mal 100 Stunden fahren? Ach ja, leider nicht praktikabel.


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