Cortese-Interview: Große Chance im Weltmeisterteam
Im Interview verrät Sandro Cortese, warum er 2008 so viele Starts verschlafen hat, wie er zu Stefan Bradl steht und was er sich im Weltmeisterteam vornimmt
(Motorsport-Total.com) - Wenn in Deutschland 2008 das Wort 125er-Klasse gefallen ist, fiel den meisten Fans spontan Stefan Bradl ein. Dabei galt vor Saisonbeginn eigentlich ein anderer Nachwuchsfahrer als größte deutsche Hoffnung auf Spitzenergebnisse in der Weltmeisterschaft: Sandro Cortese, ein 18-jähriger Berkheimer mit italienischen Wurzeln.

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Deutscher mit italienischen Wurzeln: Sandro Cortese aus Berkheim
Cortese erwischte im Emmi-Caffè-Latte-Aprilia-Team seines Managers Daniel Epp einen bescheidenen Saisonstart, sammelte aber trotzdem überall außer in Shanghai Punkte. In Assen zündete er dann seinen Turbo: Platz vier - und in den restlichen acht Rennen war er nie schlechter als Siebenter. Das bedeutete in der WM-Endabrechnung mit stattlichen 141 Zählern den soliden achten Gesamtrang.#w1#
Gleiches Material wie Bradl
2009 beginnt für Cortese eine neue Zeitrechnung, denn der Deutsche wechselt als Nachfolger von Weltmeister Mike di Meglio ins Derbi-Werksteam von Aki Ajo. Die Derbi, die er fahren wird, ist baugleich mit der Werks-RSA von Aprilia, die etwa Stefan Bradl bekommt - nur eben mit anderem Aufkleber. Darüber und über vieles mehr sprach der 125er-Pilot im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.
Frage: "Sandro, bei dir ist für 2009 schon seit einer ganzen Weile alles klar. Insofern gehe ich davon aus, dass du in den vergangenen Wochen einmal ausspannen konntest, richtig?"
Sandro Cortese: "Der letzte Saisonabschnitt war relativ hektisch, bis der Teamwechsel vollzogen war und die Sponsoren zugesagt haben. Nach Valencia, wo alles klar war, war es dann aber schon ziemlich ruhig."
Frage: "Du hast also viel Zeit für körperliches Training. In welchem Umfang passiert das bei dir momentan und was machst du?"
Cortese: "Jeden Tag. Momentan ist es nicht so viel - ungefähr zwei Stunden am Tag."
Frage: "Fährst du privat viel Motorrad? Und wenn ja, welches Modell?"
Cortese: "Ich habe nicht die Zeit dafür. Ich habe zwar den Motorrad-Führerschein gemacht, aber mir fehlt einfach die Zeit. Daher habe ich gar kein eigenes Motorrad. Wenn ich zu Hause bin, dann meistens nur für ein paar Tage - und da bewege ich mich eher mit dem Auto, weil ich da auch jemanden mitnehmen kann. Um einfach mal an einem Sonntag eine Tour zu machen, fehlt mir die Zeit."
Frage: "Reden wir über die vergangene Saison. Die Erwartungen waren sehr hoch, aber die Resultate haben am Anfang nicht ganz entsprochen, auch wenn du konstant gepunktet hast. Erst am Ende ging es besser. Wie lautet dein eigenes Fazit?"
Cortese: "Es war ein bisschen zäh. Ich bin wie du richtig sagst mit sehr hohen Erwartungen in die Saison gegangen, aber die Ergebnisse sind nicht so gekommen, wie ich mir das vorgestellt hatte."
Assen als Wendepunkt
"Dann habe ich mir selbst Druck gemacht, ich bin verkrampft. So hat es sich rausgezögert, bis die Ergebnisse gekommen sind. Mit dem ersten guten Ergebnis in Assen (vierter Platz im neunten Rennen; Anm. d. Red.) ist dann der Knoten geplatzt."
Frage: "Du hast die Weltmeisterschaft als Achter beendet. Zufrieden?"
Cortese: "Es geht. Auf Platz sieben hat mir nur ein Punkt gefehlt, was schade ist, aber letztendlich kann man damit doch ganz zufrieden sein."
Frage: "Was gefehlt hat, war ein Podium..."
Cortese: "Ja! In den letzten sechs Rennen habe ich das Podium sehr oft knapp verfehlt, teilweise um Tausendstel. Da hat nur das kleine bisschen Glück gefehlt."
Frage: "Du bist am Start einige Male zurückgefallen. Kannst du daran für nächstes Jahr arbeiten und wie?"
Cortese: "Eigentlich hatte ich nur am Anfang der Saison das Problem, dass ich mich in der ersten Runde nicht so durchsetzen konnte. In den letzten drei, vier Rennen waren die Starts richtig gut. Da habe ich mir gesagt: 'Jetzt halt mal rein und versuch es einfach!' Es ist ja bekannt: Wenn man etwas einmal geschafft hat, dann geht es plötzlich. Und so ist es dann auf einmal gegangen."
Frage: "Hat dir da der Killerinstinkt gefehlt?"
Cortese: "Ich war zu vorsichtig, habe mir gedacht: 'Vielleicht passiert dann etwas, aber das Rennen ist lang.' Dann habe ich wie gesagt in der ersten Kurve und in der ersten Runde einfach reingehalten - und schon beim zweiten Rennen, in dem ich das gemacht habe, habe ich gemerkt, dass die Gegner Respekt vor mir hatten. Das gibt einem viel mehr Selbstvertrauen und dann kommt es ganz automatisch."
Weiterhin Zusammenarbeit mit Epp
Frage: "Du wechselst für 2009 ins Weltmeisterteam von Mike di Meglio, zu Aki Ajo. Deine Verbindung zu deinem bisherigen Teamchef Daniel Epp ist aber auch nicht ganz gekappt. Wie sieht diese Konstellation denn nun aus?"
Cortese: "Daniel bleibt mein Manager, kümmert sich zum Beispiel um Sponsoren und Presse. Er hat mir wieder den Hauptsponsor gebracht und dafür gesorgt, dass das Geld da ist. Außerdem ist er mit Aki Ajo gut befreundet. Daniel hat gesagt, er macht nächstes Jahr nur noch die 250er-WM, also ist das mit uns eigentlich ein freundschaftlicher Deal."

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Der vierte Platz in Assen war für Sandro Cortese so etwas wie der Durchbruch Zoom
Frage: "Das heißt, es gibt keine technische Zusammenarbeit mehr und du wirst komplett von Ajo betreut, richtig?"
Cortese: "Genau. Daniel macht das ganze Management und Aki arbeitet mit mir im Team."
Frage: "Du wirst bei Ajo eine Derbi fahren. Gibt es da Unterschiede zur Aprilia RSA, wie sie zum Beispiel Stefan Bradl fahren wird?"
Cortese: "Es ist genau das gleiche Motorrad, nur steht halt Derbi drauf. Es ist ein Aprilia-Motor und ein Aprilia-Motorrad, nur der Aufkleber ist von Derbi."
Frage: "Bekommst du auch Werksmaterial?"
Cortese: "Ja."
Frage: "Stehst du schon in laufendem Kontakt mit deinem neuen Team? Wie wurdest du aufgenommen?"
Cortese: "Ich habe fast wöchentlich Kontakt zu Aki. Dann erzählt er mir, was es Neues gibt, was sich im Team so tut. Er fragt, was ich daheim mache. Es geht darum, den Kontakt aufzubauen."
Vorfreude auf das Ajo-Team
"Im Januar werde ich dann noch mal nach Finnland gehen, um die Mechaniker richtig kennen zu lernen. Einmal war ich schon in Finnland. Ich wurde sehr, sehr herzlich aufgenommen - es sind sehr nette und professionelle Leute. Von außen hat dieses Team auf mich immer sehr professionell, ruhig und konzentriert gewirkt. Ich freue mich darauf!"
Frage: "Ich nehme an, im Team wird Englisch gesprochen. Ein Problem für dich?"
Cortese: "Ja, wir sprechen Englisch miteinander. Das ist aber kein Problem, denn ich hatte drei Jahre lang einen Engländer als Riding-Coach. Mein Englisch ist relativ gut."
Frage: "Mit Stefan Bradl und dir gibt es in der 125er-WM zwei deutsche Topfahrer. Daraus ergibt sich eine gewisse Rivalität, zum Beispiel wenn es um Sponsoren geht. Wie siehst du vor diesem Hintergrund dein Verhältnis zu ihm?"
Cortese: "Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Die Rivalität wird eher von den Medien gepusht. Es gibt in keinster Weise irgendeinen Neid - wer besser ist, hat sich das einfach erkämpft."
"Es gibt zum Beispiel 15 Italiener oder so. Die verstehen sich untereinander auch super. In Deutschland sind wir halt nur zu zweit, deswegen wird das gepusht. Wenn da noch ein dritter oder vierter starker Fahrer wäre, dann wäre das allen vollkommen egal."
Frage: "Schaust du in den Ergebnissen immer, wo Stefan steht? Und ist es ein Anreiz, noch schneller zu fahren, wenn er vor dir ist?"
Cortese: "Eigentlich macht es keinen Unterschied, denn Stefan ist ein Fahrer wie jeder andere. Ich versuche, für mich selbst so weit wie möglich nach vorne zu kommen. Aber klar ist: Jeder von uns will der Beste von allen sein - und da ist es für Stefan wie auch für mich gut, wenn wir uns gegenseitig pushen."
Aufschwung im deutschen Motorradsport
Frage: "Es gibt neben euch beiden noch einige andere Leute in der deutschen Motorradszene. Ich denke etwa an Max Neukirchner bei den Superbikes, an Jonas Folger, an Robin Lässer. Siehst du den deutschen Motorradsport nach der Krise in den vergangenen Jahren wieder im Aufschwung?"
Cortese: "Ja, auf jeden Fall. Es hat sehr lange gebraucht, denn wir hatten ja sogar Jahre, in denen überhaupt kein Deutscher dabei war. Dass jetzt der Aufschwung wieder da ist, freut mich, auch wenn man merkt, dass es immer noch ein bisschen zäh ist. Das Interesse ist aber viel größer als in den letzten drei Jahren."
Frage: "Merkt ihr das erhöhte Medienaufkommen bei der Sponsorensuche?"
Cortese: "Nein. Das ist leider genauso schwierig wie am Anfang."
Frage: "Zurück zum Sportlichen. Du fährst für das Weltmeisterteam und hast auf dem Papier sehr gute Voraussetzungen. Mit welcher Zielsetzung gehst du in die neue Saison?"
Cortese: "Ich bin dieses Jahr sehr oft knapp am Podium gescheitert, was eigentlich mein Ziel war. Also will ich von Rennen zu Rennen denken, versuchen, auf das Podium zu fahren - und dann schauen wir, was dabei herauskommt. Dann sollte die Platzierung am Ende des Jahres ganz gut sein."
Frage: "Wen siehst du als Favoriten in der 125er-WM?"
Cortese: "Das kann man bei uns so nicht sagen, denn wenn man von 2007 auf 2008 schaut, dann haben 2008 Fahrer Rennen gewonnen, die man schon abgeschrieben hatte. Man muss abwarten. Vielleicht kann man nach den ersten Tests oder nach dem ersten Rennen mehr sagen. Bei uns ist sogar nach dem vierten oder fünften Rennen noch nicht klar, wer Weltmeister wird, denn die Dichte ist so groß, dass sich das Feld erst aussortieren muss."
Frage: "Wie sieht dein Testprogramm für den Winter aus?"
Cortese: "Der erste Test findet wie immer im Januar in Jerez statt - am 26. Ich denke, da werden alle Fahrer dabei sein. Dann wird die Pause auch relativ lang gewesen sein, denn zum letzten Mal bin ich im Oktober in Valencia gefahren."
MotoGP als Fernziel
Frage: "Bei fast jedem Rennfahrer spukt im Hinterkopf das Gespenst MotoGP herum. Ist das bei dir auch so?"
Cortese: "Klar! Jeder, der mit dem Rennfahren anfängt, will mal in der Klasse mitfahren!"

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Sandro Cortese und sein Ajo-Vorgänger Mike di Meglio beim Malaysia-Grand-Prix Zoom
Frage: "Ich will damit auf folgendes hinaus: Wenn du 2009 deine Ziele erreichst, muss eigentlich die 250er-Klasse der nächste Schritt sein..."
Cortese: "Ja, das denke ich auch, dass dann ein Wechsel angebracht wäre. Aber jetzt schauen wir mal, dass das nächste Jahr gut wird, dann könnte die 250er-Klasse anstehen."
"Man muss jedoch abwarten, wie sich die Klasse entwickelt. Es heißt, dass 2009 250er und 600er gemeinsam fahren werden (Interview wurde vor der Dorna-Bekanntgabe geführt; Anm. d. Red.) - so wie in der MotoGP früher die Zweitakter und Viertakter. Da muss man abwarten, was sich ergibt. Wenn es ein Übergangsjahr wird, in dem niemand weiß, was er machen soll, dann habe ich lieber noch ein Jahr Erfolg in der 125er und steige später um."
Frage: "Und die 250er- oder 600er-Klasse - wie sie auch immer aussehen wird - ist auf jeden Fall um ein Eck teurer als die 125er-WM..."
Cortese: "Genau. Da muss man auch schauen, ob man einen Hauptsponsor findet."
Frage: "Wo wirst du dieses Jahr Weihnachten und Silvester feiern?"
Cortese: "Weihnachten daheim, da kommt die Familie aus Italien."
Frage: "Und Silvester? Hast du einen Neujahrsvorsatz?"
Cortese: "Ich weiß noch nicht, was ich an Silvester machen werde - ich plane gerade etwas mit meinen Freunden. Einen Vorsatz? Puh, das ist schwierig, weil man es dann doch nie einhalten kann. Keine Ahnung. Ich habe noch keinen Vorsatz, ganz ehrlich."

