• 23.04.2004 12:32

Williams: "Ayrton war ein bemerkenswerter Mensch"

Im ersten Teil des Interviews erinnert sich Teamchef Frank Williams an den dreimmalige Weltmeister Ayrton Senna

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Frank, Sie haben Ayrton schon 1983 einen ersten Vorgeschmack auf die Formel 1 gegeben. Warum haben Sie ihm damals die Testfahrt angeboten und wie lange hatten Sie zuvor bereits ein Auge auf ihn geworfen?"
Frank Williams: "Es ist nicht einfach für jemanden aus der Formel 1, permanent alle Nachwuchsserien in England geschweige denn in ganz Europa zu beobachten. Das wäre einfach zu viel. Also hält man nach jemandem Ausschau, der konstant gute Resultate erzielt. Ayrtons Background und seine Erfolgsbilanz waren beeindruckend. Ich habe ihn bei einem Formel-3-Rennen getroffen, und wir haben uns ein bisschen unterhalten. Was die Leute am meisten beeindruckt hat, war sein unbedingter Wille, sich durchzusetzen. Außerdem war er sehr clever, sprach gut Englisch, beherrschte das Auto und wollte es immer besser und besser verstehen."

Titel-Bild zur News: Ayrton Senna

Ayrton Senna wechselte für die Saison 1994 zum Williams-Team

"Er hat Patrick Head und mich gedrängt, ihm eine Chance bei uns zu geben. Zu diesem Zeitpunkt - zur Jahresmitte 1983 - haben wir gezögert, denn wir hatten bereits Fahrer unter Vertrag, was auch für 1984 galt. Wir konnten ihn einfach nicht ernsthaft testen oder ihm ein Cockpit anbieten, also wollten wir ihm nur ungern eine Gelegenheit gewähren. Am Ende hat sich seine Hartnäckigkeit jedoch ausgezahlt. Er hat schon in nur 22 Runden in Donington - bei seinem ersten Einsatz in einem Grand-Prix-Auto überhaupt - gezeigt, dass er alles hat, was ein Rennfahrer braucht. Das war eine ganz hervorragende Vorstellung."#w1#

Frage: "Können Sie sich daran erinnern, was genau Sie an ihm beeindruckt hat?"
Williams: "Unser regulärer Testfahrer zu dieser Zeit war Jonathan Palmer, der bekannt dafür war, sehr schnell unterwegs zu sein. Er testete ebenfalls in Donington. Ayrton fuhr - wenn ich mich recht erinnere - nach nur elf Runden dieselben Rundenzeiten. Nach 22 Runden war er sogar ungefähr eine Sekunde schneller. Ayrton kam in die Box zurück und sagte: 'Ich glaube, gleich wird etwas am Motor kaputt gehen. Ich höre jetzt besser auf.' Dann ging er nach Hause. Mit dem Motor war alles in Ordnung. Viele der jungen Fahrer krallen sich so lang wie möglich regelrecht an ihrem Auto fest, für den Fall, dass sie nie wieder eine Chance bekommen. Ich glaube, Ayrton wusste, dass er eine große Karriere vor sich hatte. Seine Selbstsicherheit hat sich gleich gezeigt."

Ayrton Senna, der "Schach-Großmeisters"

Frage: "Als er dann den Sprung in die Formel 1 geschafft hatte, was hat ihn dort zu einem besonderen Fahrer gemacht?"
Williams: "Ich konnte natürlich nicht ahnen, dass er leider nur für eine kurz Zeit für uns fahren würde. Während der Tests und im Rennen hat er zu jeder Zeit seinen Kopf eingesetzt. In zahlreichen Verhandlungen musste ich außerdem zu meinem Nachteil feststellen, dass er in geschäftlichen Angelegenheiten eher die Strategie eines Schach-Großmeisters verfolgte. Er hatte immer eine Reihe an Manövern und Kontermöglichkeiten geplant. Er war immer sehr gut vorbereitet und hat immer eine sehr beeindruckende Vorstellung abgegeben."

Frage: "Warum war er ihrer Meinung nach ein so herausragender Qualifier?"
Williams: "Man konnte es schon in seinen Augen erkennen, wenn er die Box verließ. Diese Augen vermittelten immer die totale Konzentration. Er hat keine Gnade gezeigt, und so war es nicht verwunderlich, dass die Fernsehkameras ihn während dieser Sessions permanent im Bild hatten. Ayrtons Konzentration hat seine Leistungen auf einer einzigen Runde zu einem einzigartigen Erlebnis gemacht."

Frage: "Haben sich seine Qualitäten in irgendeiner Form auf die heutigen Fahrer ausgewirkt?"
Williams: "Absolut. Ich denke, er hat die Formel 1 von heute in vielerlei Hinsicht definiert. Er war der erste Fahrer, der erkannt hatte, wie wichtig es ist, gegenüber seinen Gegnern in allen Bereichen überlegen zu sein. Das gilt für die körperliche Fitness und den gesamten Aufwand, den er betrieben hat. Er hat stets seine Konzentration aufrechterhalten, die nahtlos von einem Rennen zum nächsten Test gewandert ist, immer auf der Suche nach einem Vorteil. Ayrton hat immer nachgedacht. Ich würde sagen, dass er durch diese Gewissheit der absoluten Überlegenheit seiner Zeit weit voraus gewesen ist. Und was diesen Vorteil angeht, war er unerbittlich. Er hat in dieser Hinsicht eine völlig neue Denkweise in den Sport eingebracht. Michael Schumacher nutzt dies heute mit großer Effektivität."

Williams:"Ayrton war nie gefährlich"

Frage: "Senna hat seine Unnachgiebigkeit auch in der langen Rivalität mit Alain Prost gezeigt. Glauben Sie, dass Geschehnisse wie in Japan 1989 seinen Ruf getrübt haben und den Sport zu jener Zeit in Verruf gebracht haben?"
Williams: "Die Senna/Prost-Rivalität war gut für die Formel 1, davon bin ich überzeugt. Sie hat den Sport berichtenswerter gemacht und für größere Beachtung der Formel 1 gesorgt, was in wirtschaftlicher Hinsicht nützlich war. Der Vorfall in Japan war schlecht für das Team und für die Fahrer (ganz sicher für Ayrton), aber es war zugleich eine sensationelle Geschichte. Wie sich diese beiden Fahrer aneinander gerieben haben, war absolut beeindruckend."

"Ja, ein Purist könnte die Geschichtsbücher durchforsten und sich am Zustandekommen des einen oder anderen Resultats von Ayrton stören. Niemand würde jedoch auf die Idee kommen, seinen einzigartigen Siegeswillen anzuzweifeln. Und gerade dieser zeichnet doch einen großen Sportler aus. Aus meiner Sicht war Ayrton nie gefährlich. Er ging sicherlich gern Risiken ein, aber zugleich nutzte er aus meiner Sicht Gelegenheiten im Rennen, auf die sich andere Kontrahenten nicht eingelassen hätten."

Frage: "Wie würden Sie den Unterschied zwischen Ayrton und seinem großen Rivalen beschreiben?"
Williams: "Das mag sich ketzerisch anhören, aber ich habe immer geglaubt, dass Alain größere Fähigkeiten besaß. Ich sage dies aus der Erinnerung heraus, dass Ayrton ganz sicher häufiger ans Limit gegangen ist als Alain. Alain hat sich nicht so regelmäßig und so erfolgreich am Limit bewegt. Er hat seine Risikobereitschaft sehr stark berechnet. Ayrtons Stil hingegen war eher extravagant. Er hat keine Gefangenen gemacht, wenn er im Auto saß ging es ihm nur um den Wettkampf und den Mut. So unterschiedlich die beiden jedoch auch waren, so waren sie sich auch in vielen Dingen ähnlich. Beide sind mit Köpfchen gefahren und waren große Strategen. Nur hat sich diese mentale Kontrolle unterschiedlich manifestiert."

Senna "hat einen neuen Standard gesetzt"

Frage: "Meinen Sie, Ayrton war einer der besten Fahrer überhaupt?"
Williams: "Er ist ganz sicher einer der größten Fahrer aller Zeiten. Es ist jedoch schwer zusagen, wer der Beste ist. In unterschiedlichen Zeiten gab es unterschiedlich Anforderungen. Er hat ganz sicher die Tür für Fahrer neuer Prägung geöffnet, die hochkonzentriert und auf einem hohen Entwicklungsstand zu Werke gehen. Er hat einen neuen Standard gesetzt."

Frage: "Wie haben Sie Ayrton abseits der Strecke erlebt, als Mensch außerhalb des Motorsports?"
Williams: "Ayrton war selbstbewusst und sich seines Namens, seines Ruhms und seines Erfolgs bewusst. Er verstand es meisterhaft, seine bemerkenswerten Eigenschaften sehr gezielt einzusetzen, immer getrieben von seinem gewohnten Vorwärtsstreben. Sein Erfolg auf der Rennstrecke spiegelte sich auch auf geschäftlicher Ebene wider - und das gibt es bei Sportlern nicht so oft. Brasilien lag ihm buchstäblich zu Füßen, er wusste um seinen Wert und nutzte seine Position und seinen Ruf sehr erfolgreich auch im Geschäftsleben. Wer weiß, wohin ihn sein Weg noch geführt hätte. Vielleicht wäre er in der Politik gelandet. Aber wir haben nie über solche Themen gesprochen. Er war ein bemerkenswerter Fahrer und ein bemerkenswerter Mensch."