• 25.08.2014 15:56

  • von Christian Nimmervoll & Patrick Storzer

Vettel lernt zu verlieren: Neue Rangordnung bei Red Bull

Der viermalige Weltmeister ist 2014 ein guter Verlierer geworden - Sebastian Vettel muss bei Red Bull langsam um seine Wohlfühloase fürchten

(Motorsport-Total.com/SID) - Die größte Demütigung blieb Sebastian Vettel beim Grand Prix von Belgien passenderweise durch einen Fehler erspart. Bevor die Box den viermaligen Champion auffordern konnte, seinen heranrasenden Teamkollegen Daniel Ricciardo auf dem Weg zu dessen drittem Saisonsieg passieren zu lassen, machte der Heppenheimer den Weg mit einem kleinen Missgeschick frei.

Titel-Bild zur News: Daniel Ricciardo, Sebastian Vettel

Sebastian Vettel gratuliert Daniel Ricciardo zum Sieg beim Grand Prix von Belgien Zoom

"Daniel wäre früher oder später wohl sowieso vorbeigekommen, weil er heute schneller war. Dann hatte ich einen kleinen Schlenker und er war vorbei", erklärt Vettel nach seinem fünften Platz in Spa-Francorchamps. Und er spielt auf seine teaminterne Position an, die längst nicht mehr von einer Aura des Unantastbaren umgeben wird: "Vielleicht hätte ich noch einen schönen Funkspruch bekommen. Den habe ich mir so erspart."

Vettel gibt sich nach dem zwölften sieglosen Rennen hintereinander zerknirscht, aber auch selbstkritisch: "Ich habe heute sicher alles getan, was in meiner Macht stand, bin aber auch der Erste, der eingesteht, wenn er einen Fehler gemacht hat. Der kleine Schlenker von mir, der dazu geführt hat, dass Daniel mich überholt hat, war sicher unnötig, hat am Ende den Bock aber sicher auch nicht abgeschossen."

Mit dem Holzknüppel zur Schießerei

Vielmehr fühlt sich der 27-Jährige einmal mehr von seinem Boliden im Stich gelassen: "Das Auto war genauso unberechenbar wie im Qualifying", klagt der Heppenheimer. "Es steht außer Diskussion, dass ich das Tempo von denen da vorne nicht mitgehen konnte. So schlecht, wie das Bild im Moment ist, so schlecht kann man ja gar nicht fahren. Man schickt mich an die Front, es wird scharf geschossen und es kommt mir vor, als hätte ich einen Holzknüppel in der Hand."

"So schlecht, wie das Bild im Moment ist, so schlecht kann man ja gar nicht fahren." Sebastian Vettel

Der viermalige Champion fühlt sich immer noch nicht angekommen in der neuen Formel 1. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen; auch nach der Sommerpause druckste Vettel in Spa-Francorchamps auf die Frage nach seiner Einschätzung der Königsklasse immer nur herum, um ja nicht erneut seinen ganzen Frust über Turbomotoren, Brake-by-Wire-Systemen, fehlendem Sound und zu wenig Power vom Stapel zu lassen.

Red Bull ist längst keine Wohlfühloase mehr für Vettel, dem Ricciardo sportlich inzwischen komplett den Rang abgelaufen hat. Passend dazu wurde am Sonntag bekannt, dass Vettels langjähriger Renningenieur Guillaume Rocquelin innerhalb des Teams befördert wird. Damit endet eine lange, erfolgreiche und auf viel Vertrauen beruhende Beziehung. Vettel muss sich vor der Saison 2015 erneut umstellen.

Statistik: Vettel gerät unter Druck

Neu ist auch die Situation als Nummer 2 im Team. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Neunmal in zwölf Rennen kamen beide Red-Bull-Piloten ins Ziel, und achtmal davon lag Ricciardo vor Vettel. Nach Punkten führt der Australier mit 156:98 - und der Abstand wäre noch größer, hätte er nicht 18 Zähler beim Saisonauftakt wegen Disqualifikation schuldlos verloren. Selbst im Qualifying-Stallduell hat er mit 7:5 die Nase vorne.

Das wirft bei Red Bull unangenehme Fragen auf, denn während Vettel als viermaliger Weltmeister eine geschätzte Jahresgage von mindestens 20 Millionen Euro kassiert, kostet Ricciardo das Team nur einen Bruchteil davon. Angesichts der Krise bei Mercedes-Führungsduo Nico Rosberg (220) und Lewis Hamilton (191) darf er sich sogar leise Hoffnungen auf den Titel machen. "Heute war ein großer Tag für uns", sagt der Australier. "Drei Siege, das übertrifft die Erwartungen."


Fotostrecke: F1 Backstage: Spa-Francorchamps

Ricciardo fühlt sich in seiner Haut wohl

Dass er das Duell mit Vettel dominiert, nimmt der Newcomer fast schon beiläufig zur Kenntnis: "Man kann sagen, dass das Teamduell ganz gut läuft", so Ricciardo. "Ich habe in den Qualifyings und jetzt auch in den Rennen Speed gezeigt. Ich habe Renninstinkt und Konstanz bewiesen. Das Team ist zufrieden, ich bin zufrieden, wir sind glücklich. Ich genieße es mehr denn je. Jedes Rennen, zu dem ich komme, macht mehr Spaß. Es ist eine geile Zeit."

"Man kann sagen, dass das Teamduell ganz gut läuft." Daniel Ricciardo

Immerhin nimmt Vettel seine Niederlagen wesentlich gelassener als in der Vergangenheit. Obwohl er seit nunmehr zwölf Rennen sieglos ist (die längste Durststrecke seit seinem ersten Grand-Prix-Sieg in Monza 2008), wirkt er 2014 ausgeglichen, flachst im Paddock mit Journalisten, erträgt vieles mit einem Lächeln. Beobachter gewinnen den Eindruck, dass das mit der Geburt seiner Tochter Emily im Januar zu tun haben könnte.

Fest steht: Drohte das Verhältnis zu seinem früheren Teamkollegen Mark Webber schon beim kleinsten Anlass wie ein Pulverfass zu explodieren, so scheint sich Vettel jetzt kaum daran zu stören, gegen Ricciardo eine Niederlage nach der anderen zu kassieren. Auch gestern in Spa-Francorchamps gratulierte er artig und freute sich aufrichtig über den Erfolg des Teams. Auch das ist 2014 neu: Der viermalige Weltmeister hat zu verlieren gelernt...

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