Tost: "Würden Sebastian gerne behalten"

Franz Tost spricht Klartext: Wie er den Kundenautostreit sieht, warum er Vettel gerne behalten möchte und wie es um den Toro-Rosso-Verkauf steht

(Motorsport-Total.com) - Franz Tost, ehemaliger Logistikchef bei BMW und von Dietrich Mateschitz und Gerhard Berger zum Teamchef von Toro Rosso bestellt worden, gibt nicht viele Interviews. 'Motorsport-Total.com' gewährte er in Hockenheim dennoch eine Privataudienz in seinem Büro im Motorhome, um zu einigen brisanten Themen Stellung zu nehmen.

Titel-Bild zur News: Franz Tost

Franz Tost blickt in die Zukunft - und zwar möglicherweise in eine ohne Red Bull...

Unter anderem sprachen wir mit dem 52-jährigen Österreicher über den Kundenautostreit mit Force India, den Tost ganz anders zu sehen scheint als Colin Kolles, aber auch über Sebastian Vettel, den er voraussichtlich an Red Bull Racing verlieren wird, sowie über die Probleme von Sébastien Bourdais. Außerdem bohrten wir nach, was in Sachen Ausstieg von Dietrich Mateschitz als 50-Prozent-Teilhaber der neueste Stand ist.#w1#

Kundenautostreit laut Tost beendet

Frage: "Franz, beginnen wir mit der Kundenautogeschichte. Es wurde berichtet, dass die Sache endgültig beigelegt ist. Stimmt das so?"
Franz Tost: "Mein Wissensstand ist, dass die Anklage von Force India zurückgenommen wurde und dass die Arbitration somit gestoppt wurde. Wir sind einerseits froh, dass das alles zu Ende ist, wir sehen aber eigentlich keine falsche Vorgehensweise unsererseits, weil wir eigentlich immer die Regeln respektiert haben. Damit war die Arbitration für mich eine absolut sinnlose Aktion. Aber es ist jetzt abgeschlossen und daher möchte ich gar keine weiteren Kommentare dazu abgeben."

"Es hat Kompensationsleistungen gegeben." Franz Tost

Frage: "Dafür, dass Force India die rechtlichen Schritte zurückgezogen hat, wird es vermutlich irgendeine Form von finanzieller Kompensation gegeben haben, nicht wahr? Im Raum stand etwas von vier Millionen Euro, auch wenn mir klar ist, dass du mir diese Zahl jetzt nicht bestätigen wirst..."
Tost: "Es hat Kompensationsleistungen gegeben, ja. Das ist richtig."

Frage: "In finanzieller Form?"
Tost: "Ja."

Frage: "Seid ihr mit dieser Lösung zufrieden?"
Tost: "Noch einmal: Wir sind eigentlich der Meinung, dass wir regelkonform unterwegs waren. Allerdings ist eine Streiterei vor Gericht immer sehr zeit-, geld- und nervenaufreibend. Deshalb sind wir alle froh, dass das beendet ist."

Frage: "Es hat also den Punkt gegeben, an dem man einfach einen Schlussstrich ziehen wollte?"
Tost: "Richtig."

Frage: "Welche Rolle hat Bernie Ecclestone dabei gespielt?"
Tost: "Die Rolle von Bernie Ecclestone ist wie immer in der Formel 1: Wenn es irgendwo brennt, kommt er mit dem Feuerlöscher und versucht, den Brandherd zu löschen. Das hat er auch hier gemacht."

Frage: "Wie hat er das genau gemacht?"
Tost: "Indem er vermittelt und geschaut hat, dass die Arbitration gestoppt wird."

Testphase im Winter fehlt schmerzlich

Frage: "Ihr habt seit Monaco das neue Auto. Wie weit seid ihr damit, das Potenzial des Autos auszuschöpfen?"
Tost: "Das dauert noch ein bisschen, weil uns die Testphase im Winter fehlt - und das ist eine sehr wichtige Phase in der Vorbereitungsperiode. Wir lernen das Auto von Test zu Test und von Rennen zu Rennen besser verstehen und die Fahrer gewöhnen sich auch immer besser daran. Das sieht man auch an den Resultaten - Silverstone war ja gut. Ich gehe auch davon aus, dass wir in der zweiten Saisonhälfte recht wettbewerbsfähig sein werden."

"Es ist nicht so, dass wir sofort jedes Teil nachbauen." Franz Tost

Frage: "Ihr bekommt von Red Bull laufend neue Teile. Werdet ihr dadurch gegen Saisonende hin auf einem ähnlichen oder sogar dem gleichen Stand sein wie Red Bull Racing?"
Tost: "Das wird sich herausstellen. Es ist nicht so, dass wir sofort jedes Teil nachbauen, sondern man muss auch die Vorteile erkennen können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Autos beider Teams ziemlich ähnlich."

Frage: "Ihr müsst ab 2010 ein neues Auto bauen, aber schon 2009 kommt KERS..."
Tost: "Da muss ich kurz einhaken: Das Auto bauen wir schon jetzt selbst, es geht nur um die Erstellung der Zeichnungen, um das Design. Die Fertigung passiert zum Großteil in Faenza."

Frage: "Stichwort KERS: Seid ihr da in die Entwicklung involviert oder werdet ihr einfach die gleiche Lösung wie euer Motorenlieferant Ferrari verwenden?"
Tost: "Wir werden die gleiche Lösung wie Ferrari verwenden. Das KER-System ist voll in das ganze Motorgeschehen integriert. Da können und wollen wir auch gar nichts anderes machen."

Frage: "Die Ferrari-Lösung wird von Ferrari selbst entwickelt oder von einem Partner wie Magneti-Marelli?"
Tost: "Es ist eine Kombination. Dazu kann ich aber weiter keine Auskünfte geben - a) weil wir selbst nicht im Detail wissen, wo Ferrari die einzelnen Teile herbezieht, und b), weil es natürlich auch ein Hinweis für die Wettbewerber wäre."

Toro Rosso plant mit KERS

Frage: "KERS wird ein bestimmtes Gewicht haben. Man hört, dass dieses Gewicht durch den Leistungsvorteil eventuell nicht kompensiert werden könnte. Überwiegen die Nach- die Vorteile?"
Tost: "Dem stimme ich nicht ganz zu. Das KER-System wird sicherlich um die 30, 40 Kilo an Mehrgewicht bringen, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben fast alle Autos irgendwo Zusatzgewichte verbaut, die höher als diese 30, 40 Kilo sind. Das heißt, dass dann halt die Zusatzgewichte wegfallen."

Franz Tost und Christian Nimmervoll

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost beim Interview mit 'Motorsport-Total.com' Zoom

Frage: "Was sich negativ auf die Gewichtsverteilung auswirkt..."
Tost: "Man verliert dadurch Einfluss auf die Gewichtsverteilung und könnte dadurch vom Setup des Autos eventuell Probleme kriegen. Das kann ich aber noch nicht hundertprozentig bestätigen, denn wir fahren nächstes Jahr mit Slicks. Da kann es sein, dass das Anforderungsprofil für diese Reifen ein anderes ist, gerade was die Gewichtsverteilung betrifft."

Frage: "Sébastien Bourdais hat sich recht lautstark über das neue Auto beschwert. Er habe zu viel Untersteuern und komme damit nicht zurecht. Er wirkt ein wenig resignativ und meinte auch, dieses Jahr kann man wahrscheinlich abschreiben..."
Tost: "Das würde mich wundern! Sébastien hat im Prinzip das gleiche Auto wie Vettel. Da muss man natürlich auch schauen, ob er mit dem Setup in die richtige Richtung arbeitet, um das Auto dort hinzubekommen, wo er es haben will. Er klagt manchmal über zu starkes Untersteuern, hat aber auch teilweise am Kurveneingang Probleme mit einem unruhigen Heck. Wir haben beim Hockenheim-Test wertvolle Erkenntnisse gewonnen und sind zuversichtlich, dass er für die nächsten Rennen von der Performance her recht gut aussehen wird."

Frage: "Hat Sébastien aufgrund seiner ChampCar-Vergangenheit und der Umstellungsphase bei euch eine längere Schonfrist als ein anderer Fahrer?"
Tost: "Ich spreche nicht von einer Schonfrist. Er muss ganz einfach die Leistung bringen, die man sich erwartet, die auch er selbst von sich erwartet. Dann wird man weitersehen."

Großes Lob für Vettel

Frage: "Die Leistungen eures zweiten Sebastians, Vettel, haben sich inzwischen stabilisiert, nachdem es im ersten Jahr mit dem Teamwechsel während der Saison doch ein bisschen schwierig für ihn war, nicht wahr?"
Tost: "Nein, ich sehe das nicht als Stabilisierung der Leistungen, sondern Sebastian hat einen ganz normalen Entwicklungsprozess durchgezogen. Er befindet sich in einer Lernkurve, die sehr, sehr steil nach oben geht. Bei einer Stabilisierung spricht man ja dann, wenn jemand auf seinem Niveau bleibt, aber Sebastian verbessert sich. Wir von Toro Rosso und von Red Bull sind sehr erfreut darüber, wie steil diese Lernkurve nach oben geht. Das Programm läuft genau so ab, wie wir es mit ihm vorgehabt haben."

"Diese ganzen Faktoren bringen ihn schlussendlich auf das Leistungsniveau, auf dem er sich jetzt befindet." Franz Tost

Frage: "Mit Stabilisierung meinte ich eher, dass er im Vorjahr zum Beispiel das Setup nicht an jedem Rennwochenende getroffen hat, dass die Schwankungen größer waren, weil er neu im Team war. Das ist besser geworden, oder?"
Tost: "Ja klar. Das bringt die Erfahrung mit sich. Das bringt die Rennerfahrung, die Testerfahrung mit sich, die Erfahrung, die er in der Zusammenarbeit mit den Technikern macht. Diese ganzen Faktoren bringen ihn schlussendlich auf das Leistungsniveau, auf dem er sich jetzt befindet, und damit sind wir sehr zufrieden."

Frage: "Würdet ihr ihn gerne behalten?"
Tost: "Sebastian ist ein Red-Bull-Fahrer. Er wird in einem dieser Teams fahren. Klar würden wir ihn gerne behalten."

Frage: "Dass er nächstes Jahr in einem der beiden Red-Bull-Teams fahren wird, kann man also schon jetzt definitiv sagen?"
Tost: "Davon gehe ich aus, weil er einen Red-Bull-Vertrag hat."

Frage: "Dietrich Mateschitz hat vor einiger Zeit bekannt gegeben, dass er seine 50 Prozent Anteile an Toro Rosso verkaufen will. Ist es richtig, dass ihr davon aus der Zeitung erfahren habt?"
Tost: "Über die Zeitung erfahren ist übertrieben. Fakt ist folgendes: Als Dietrich Mateschitz Ende 2005 das Minardi-Team gekauft hat, hat man ihm von allen Seiten - sowohl von der FIA, als auch von der FOM - zugesichert, dass ab 2008 vier identische Fahrzeuge fahren können."

Berger oder Ultimate: Wer lügt?

"Dann hat Dietrich Mateschitz eine sehr clevere Strategie vertreten und hat gesagt: 'Gut, wir haben in England ein Entwicklungszentrum. Die machen Design und auch Fabrikation. Und dann haben wir zwei Teams.' Und das funktioniert auch. In der Zwischenzeit wurde das Reglement wieder geändert. Jetzt müssten die Teams hundertprozentig unabhängig voneinander operieren. Das macht natürlich irgendwann einmal keinen Sinn mehr. Deshalb hat sich Mateschitz entschieden, sich darüber Gedanken zu machen, Toro Rosso zu verkaufen. Wie weit das alles gediehen ist, ob es Verhandlungen gibt oder nicht, das weiß ich nicht, um ehrlich zu sein."

"Ich kann nur sagen, ich kenne wirklich niemanden aus diesem Team." Franz Tost

Frage: "In den Medien tauchen verschiedene Käufer auf, einer davon ist das Ultimate-Team. Es gibt Aussagen von Barry Walsh, dass Gespräche stattgefunden haben, was von Gerhard Berger dementiert wurde. Irgendjemand sagt da die Unwahrheit..."
Tost: "Ich kann nur sagen, ich kenne wirklich niemanden aus diesem Team. Ich bin diesbezüglich aber auch nicht der Ansprechpartner, sondern das ist Dietrich Mateschitz. Deshalb kann ich dazu eigentlich nur sagen, dass ich davon nichts weiß."

Frage: "Gibt es von Gerhard Berger eine feste Zusage, dass er auch ohne Dietrich Mateschitz an Bord bleiben wird?"
Tost: "Das musst du Gerhard fragen! Das ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern es muss auch finanziell gelöst werden. Wenn die Finanzen da sind, ist es keine Frage, dass er weitermachen wird."

Frage: "Gerhard hat schon geäußert, dass ein Automobilhersteller natürlich bevorzugt wäre als Partner..."
Tost: "Klar. Es muss das Endziel eines jeden Privatteams sein, mit einem Hersteller zusammenzuarbeiten - gerade jetzt, mit diesen enormen technischen Herausforderungen, die in Zukunft anstehen: KERS, ein neuer Motor ab 2013, vielleicht schon früher. Das KER-System wird auch noch ausgeweitet. Es gibt also eine Fülle an Informationen. Ohne Hersteller steht man da eigentlich auf verlorenem Posten."