Thema Formel-1-Nachwuchs: Das Michael-Stich-Schicksal

Deutschland hatte 2012 fünf Fahrer und zehn WM-Titel in der Formel 1, aber heute ist Tag X zu handeln, damit das auch nach der Generation Sebastian Vettel so bleibt

Titel-Bild zur News: Christian Nimmervoll

Christian Nimmervoll, Chefredakteur für Motorsport-Total.com und Formel1.de

Liebe Leser,

für den heutigen dritten Tag unserer Jahresrückblicke waren eigentlich, neben einem exklusiven Interview mit Nico Hülkenberg, zwei Kernthemen geplant: die triumphale Rückkehr des Williams-Teams auf das Siegerpodest samt anschließendem Boxenfeuer in Barcelona einerseits, deutsche Nachwuchsfahrer auf dem Sprung in die Formel 1 (Zur Fotostrecke: Der deutsche Formel-1-Nachwuchs) andererseits. Das Thema Williams mussten wir leider aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft seitens des Teams auf ein Minimum reduzieren.

Beim Thema Nachwuchsfahrer ging uns aber ebenfalls der Stoff aus. Am Anfang notierten wir nach einem Brainstorming die wichtigsten Namen deutscher Jung-Formelpiloten, um diese dann mit den wichtigsten Ergebnislisten des zurückliegenden Jahres abzugleichen. Dabei stellte sich bei mir die ernüchternde Erkenntnis ein: Bis auf Daniel Abt, der allerdings 2013 auch mindestens GP2-Rennen gewinnen muss, um seine Karriere auf Kurs zu halten, gibt es momentan keine einzige deutsche Nachwuchshoffnung, die auch nur in der Nähe der Formel 1 Runden zieht.

"Daniel Abt hat gute Ansätze gezeigt, aber er ist glaube ich noch zu weit weg", sagt mir unser Experte Marc Surer am Telefon. Und auch sonst teilt er meine Einschätzung, dass es mager aussieht auf dem deutschen Nachwuchsmarkt: "Die GP2 oder die Renault-World-Series sind die zwei Serien, die von der Performance her am nächsten an der Formel 1 dran sind und wo man ein bisschen was sehen kann. Aber da ist kein Deutscher dabei."

Eigentlich alle Voraussetzungen vorhanden

Dass der deutsche Unterbau der Formel 1 nicht breiter ist, verwundert auf den ersten Blick. Deutschland hat zehn der letzten 20 Weltmeisterschaften gewonnen, hatte 2012 fünf Fahrer in der Königsklasse, von denen vier in Autos saßen, die mindestens unter glücklichen Umständen potenziell siegfähig waren. RTL und Sky bieten eine hervorragende TV-Berichterstattung an - und trotzdem kommen am Renntag in Hockenheim weniger Fans an die Strecke (59.000) als am Freitag in Austin, obwohl der amerikanische Markt als besonders schwierig gilt.

Was 2013 noch mit vier Formel-1-Fahrern stattfinden wird, sind die Ausläufer des Schumacher-Booms. Die ersten Kartbahnen, die Mitte der 1990er-Jahre wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, sperren mangels ausreichenden Zulaufs wieder zu, und einige Sponsoren ziehen sich zurück, weil es denkbar schwierig geworden ist, einen Fahrer in die Formel 1 zu bringen. Michael Schumacher 1991 in Spa-Francorchamps das Grand-Prix-Debüt zu ermöglichen, kostete 150.000 Britische Pfund. Heute legt Pastor Maldonado bei Williams 30 Millionen auf den Tisch - und dabei ist der Venezolaner noch nicht mal ein Schlechter.

Daniel Abt

Daniel Abt ist derzeit die größte deutsche Nachwuchshoffnung unter der Formel 1 Zoom

Gleichzeitig geht die Schere zwischen Investment und Return auseinander, denn 150.000 Pfund eröffneten vor 20 Jahren noch die Chance auf eine medienpräsente Weltkarriere, wie Schumacher dann ja auch bewiesen hat. Dass Maldonado außerhalb Venezuelas jemals als internationaler Star wahrgenommen wird, ist, mit Verlaub, unwahrscheinlich. Und sogar der einfache Fan muss heute wesentlich mehr Geld auf den Tisch legen, um den 15. Grand Prix seines Lebens live zu erleben und nicht den ersten, der wegen des Aha-Effekts immer ein bisschen spannender ist als das, was danach kommt.

Der Zweite hat es immer schwerer

Sebastian Vettel ist dreifacher Weltmeister, international beliebt, mobilisiert in Deutschland aber nur die Hälfte der Fans nach Hockenheim, die Schumacher einst geschafft hat. Das Phänomen ist das gleiche wie in anderen Sportarten: Nach Boris Becker und Steffi Graf waren Michael Stich und Anke Huber auf dem Tenniscourt immer nur die Nummer 2 der Herzen, bei der Tour de France wurden die Sprintsiege von Erik Zabel nie auch nur annähernd so wahrgenommen wie die Gesamtwertungs-Erfolge von Jan Ullrich, und im Boxring reichte Axel Schulz in der öffentlichen Sympathie nie ganz an Gentleman Henry Maske heran, der den Boxsport in Deutschland erst gesellschaftsfähig gemacht hat.

"Es ist eine gewisse Sättigung da, was deutsche Fahrer angeht", erklärt mir Marc Surer. "Der Reiz, jemanden hochzubringen, ist auch ein bisschen verblasst, weil es inzwischen so viele gibt, dass es schwierig wird, noch einen Deutschen in die Formel 1 zu bringen. Wer immer da Geld investiert, muss sich wirklich fragen: Schaffe ich es, neben so vielen Deutschen noch einen zusätzlichen Deutschen da reinzukriegen? Vielleicht ist das auch ein bisschen ein Motivationsproblem, wenn es schon so viele Deutsche in der Formel 1 gibt."


Daniel Abt zeigt seinen früheren Arbeitsplatz

Daniel Abt, Sohn einer Rennfahrer-Dynastie, ist also relativ nahe dran - wenn seine Karriere perfekt verläuft, könnte er 2014 oder eher 2015 in die Formel 1 aufsteigen. Bei Pascal Wehrlein stimmt zumindest die grob eingeschlagene Richtung - aber dann ist auch schon Schluss mit unserer Liste. Christian Vietoris und Marco Wittmann waren bis vor kurzem auf dem richtigen Weg, schafften aber den letzten Schritt nicht und entschieden sich daher für die DTM. Der Weg zurück vom geschlossenen Cockpit ins offene ist einer, der als schwierig gilt nur selten gegangen wird.

Entweder direkt oder gar nicht

"Ich glaube, man muss in der Regel schnell hochkommen, denn man sucht für die Formel 1 Supertalente. Die machen meistens einen ziemlich direkten Weg durch die Nachwuchsformeln", analysiert unser Experte. "Deswegen gehören die zwei nicht dazu. Die sind beide gut und könnten auch einen Formel 1 bewegen - sogar gut bewegen. Aber es ist nicht so, dass sie sich aufdrängen. Leider gibt es so viele Nachwuchsleute und zu viele Nachwuchsserien, als dass ich große Hoffnung hätte, einen von denen in der Formel 1 zu sehen."

Ralf Glaser, Christian Vietoris, Christian Nimmervoll und Carsten Gerber

Christian Vietoris bei einem Besuch in der Redaktion von Motorsport-Total.com Zoom

Doch malen wir den Teufel nicht an die Wand. Im deutschen Nachwuchsbereich gibt es viele engagierte Menschen, und selbst wenn die infrastrukturellen Möglichkeiten langsam bröckeln, ist das Ausgangsniveau aufgrund der goldenen Schumacher-Jahre so hoch, dass Deutschland immer noch besser dasteht als jeder andere Motorsport-Markt in Europa - Großbritannien mit seinem Formel-1-Cluster rund um Silverstone vielleicht mal ausgenommen.

Und: Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg sind 25 Jahre alt, Nico Rosberg ist 27, Timo Glock 30. Weil sie in der Branche zu den Besseren gehören, sollten deutsche Fahrer in der Formel 1 zumindest in den nächsten zehn Jahren noch prominent vertreten sein. Zeit genug für die Zehnjährigen von heute, sich ins Kart zu setzen und zu trainieren zu beginnen...

Ihr

Christian Nimmervoll

(Chief Editor Portals, SPORT MEDIA SERVICE GROUP)

PS: Folgen Sie meinem Insider-News-Channel auf Twitter!