• 08.05.2008 20:33

  • von Dieter Rencken

Theissen über Kundenautos, Qualifying und Co.

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen durchleuchtet die Kundenautofrage, den harten Kampf der Topteams und blickt voraus auf Istanbul

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Herr Theissen, was erwarten Sie sich vom Rennwochenende in Istanbul und welche Problemfelder könnte es geben?"
Mario Theissen: "Ich rechne nicht mit Problemen, auch wenn wir durch die niedrigeren Temperaturen im Vergleich zum Vorjahr weniger Grip haben werden. Das trifft aber alle. Die Strecke selbst ist anspruchsvoll. Ich erwarte, dass wir im Vergleich zur Konkurrenz eine ähnliche Leistung bieten werden wie in den Rennen bisher. Ich sehe keine spezielle Streckencharakteristik, die uns bevorzugen würde."

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen ist und bleibt ein Gegner der kompletten Kundenautos

Frage: "Wie weit ist das BMW Sauber F1 Team noch vom ersten Sieg entfernt?"
Theissen: "Ich weiß es nicht. In Sachen Performance ist Ferrari im Vorteil. Wir waren in den vergangenen beiden Rennen gleich stark wie McLaren. Es ist schwierig, unseren Rückstand zu beziffern, weil ich mir nicht sicher bin, ob Ferrari wirklich alles gezeigt hat, aber der Rückstand wird sicher geringer. Ferrari braucht auch einen starken Tag, um ein Rennen zu gewinnen. Ich hoffe, dass wir zur Stelle sind, wenn sie es einmal nicht auf die Reihe bekommen."#w1#

Weitere Verbesserungen geplant

Frage: "Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft. Wie zuversichtlich sind Sie, dennoch den fehlenden Schritt machen zu können?"
Theissen: "Genauso zuversichtlich, wie ich im Winter war, dass wir das Auto bis zum ersten Rennen hinbekommen würden. Wir haben für die gesamte Saison einige Verbesserungen in der Pipeline. Wenn die genauso gut funktionieren wie die, die wir bereits vorgestellt haben, dann sollten wir auf Kurs sein."

Frage: "Sie waren bisher auf allen Strecken ähnlich konkurrenzfähig, aber Robert Kubica hat gesagt, dass euch etwas engere Strecken besser liegen müssten. Stimmen Sie dem zu?"
Theissen: "Es stimmt, dass wir in Barcelona speziell im engen dritten Sektor stark waren, aber das hängt ja auch vom Aero- und Chassissetup ab. Auf einer anderen Strecke kann das ganz anders sein. Für mich ist es noch zu früh, dazu etwas zu sagen."

"Ich muss zugeben, dass ich mit kürzeren ersten Stints gerechnet habe, als wir sie im Moment sehen." Mario Theissen

Frage: "Die drei Topteams lagen bisher immer unglaublich eng beisammen und es gab im Rennen kaum Überholmanöver. Verleitet das dazu, im Qualifying eine etwas aggressivere Strategie einzuplanen?"
Theissen: "Das glaube ich nicht. Ich muss zugeben, dass ich mit kürzeren ersten Stints gerechnet habe, als wir sie im Moment sehen."

Frage: "Wäre es nicht einen Versuch wert?"
Theissen: "Laut unseren Strategen nicht. Ich sehe eine Entwicklung, dass mehr und mehr Teams ihre Autos nicht mehr für wenig Benzin abstimmen, was wir schon seit dem Winter nicht mehr tun. Wenn du nämlich halbwegs sicher bist, ins dritte Qualifying zu kommen, dann macht es überhaupt keinen Sinn, mit geringer Benzinlast zu trainieren."

Frage: "Die Rennen werden momentan eher im Qualifying als im Rennen entschieden, nicht wahr?"
Theissen: "Die Länge des ersten Rennstints spielt auch eine Rolle, aber es stimmt, dass es unter den drei Topteams kaum Überholmöglichkeiten gibt. Ich hoffe, dass sich das nächstes Jahr mit dem neuen Aeropaket ändern wird."

Frage: "Ist das nicht frustrierend?"
Theissen: "Nein, es ist nicht frustrierend für die Ingenieure, aber die Fans sehen das vielleicht ein bisschen anders. Und sonderlich aufregend ist es natürlich auch für uns nicht. Für die Fahrer ist es auch frustrierend, denn als Fahrer spürst du, dass du nicht zum Vordermann aufschließen kannst."

Elektronische Geschwindigkeitsbegrenzung?

Frage: "Nick Heidfeld hatte in Barcelona Pech mit der neuen Safety-Car-Regel, da gab es heftige Diskussionen. Wie kann man dieses Problem lösen?"
Theissen: "Ich denke, die ultimative Lösung wäre eine Kontrolle durch das Auto selbst, genauer gesagt durch die Elektronik. Das wäre aber keine sofortige Lösung, denn so einen Geschwindigkeitsbegrenzer müsste man erst testen. Das wird in den nächsten paar Rennen nicht passieren. Charlie Whiting (Technischer Delegierter der FIA; Anm. d. Red.) hat den Vorschlag gemacht, eine minimale Sektorzeit für Sektoren mit gelber Flagge festzulegen, was man meiner Meinung nach sofort umsetzen könnte. Das wäre besser als der jetzige Zustand."

Frage: "Könnte man das noch vor Monaco umsetzen?"
Theissen: "Ich hoffe es, denn dort ist das Risiko eines Safety-Cars am höchsten. Ich glaube, das wird hier beim Treffen der Teammanager diskutiert."

"Durch die neuen Regeln spielt der Fahrer eine größere Rolle." Mario Theissen

Frage: "Was können Sie tun, um die Starts zu verbessern? Können Sie da am System arbeiten?"
Theissen: "Da geht es um Feintuning und Übung. Wir können sicher mit dem Motorenmapping etwas tun, aber auch die Fahrer müssen es üben. Es gibt da keinen Konzeptwechsel. Durch die neuen Regeln spielt der Fahrer eine größere Rolle. Jeder Start ist anders."

Frage: "Ist Ihr Expansionsprogramm schon abgeschlossen und haben Sie genug Ressourcen, um parallel das 2008er- und das 2009er-Auto zu entwickeln?"
Theissen: "Ja. Die zwei großen Themen sind KERS und das 2009er-Aeropaket. Wer jetzt noch nicht mit der aerodynamischen Arbeit begonnen hat, wird auch nicht mehr rechtzeitig hinkommen."

Frage: "Wie stark werden sich die 2009er-Autos von denen unterscheiden, die wir jetzt haben?"
Theissen: "Der Hauptunterschied ist sicher das Wegfallen von all den aerodynamischen Zusatzelementen. Das Bodywork wird auch anders aussehen, aber das ist nicht das große Thema."

Frage: "Das Motorenthema kommt gerade wieder ein wenig auf. Hat Ferrari da einen größeren Sprung gemacht als alle anderen?"
Theissen: "Sagen wir es so: Die Regeln lassen keinen großen Sprung zu, seit die Motorenentwicklung eingefroren ist. Ob da eine Weiterentwicklung stattgefunden hat, die zur Leistungssteigerung führt, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber nicht, dass Istanbul eine Strecke ist, auf der das speziell erkennbar wäre."

Ferraris PS-Sprung: Kein Betrugsverdacht

Frage: "Aber stellen Sie sich nicht auch die Frage, warum Ferrari diese Änderungen im Kolbenbereich und so weiter unter dem Aspekt der Haltbarkeit gestattet wurden?"
Theissen: "Die stellt man sich generell, klar. Es ist ja auch in der Regel so, dass Änderungen, die von der FIA genehmigt werden, vorher den anderen Teams dargelegt werden."

Frage: "Ist das in dem Fall passiert?"
Theissen: "Das weiß ich nicht. Da müsste ich nachschauen. Ich gehe davon aus, dass das passiert ist. Ich habe keinen Verdacht."

"Wir brauchen eine Mischung aus Herstellern und unabhängigen Teams." Mario Theissen

Frage: "Super Aguri ist diese Woche aus der Formel 1 ausgestiegen. Befürchten Sie, dass sich die Formel 1 aufgrund der hohen Kosten zu einer Herstellerserie entwickeln könnte und dass die Kleinen nicht mehr überleben können?"
Theissen: "Das glaube und hoffe ich nicht, denn wir brauchen eine Mischung aus Herstellern und unabhängigen Teams. Wir arbeiten ja an dieser Situation, wir arbeiten gerade an einer Budgetobergrenze. Der FIA-Vorschlag genießt unsere volle Unterstützung. Natürlich kann man nicht über Nacht alles ändern, aber meiner Meinung nach sollten wir in zwei Jahren bei Beträgen sein, die auch für unabhängige Teams leistbar sind."

"Darüber hinaus kommen wir aus zwei Richtungen, denn die Einführung von KERS im nächsten Jahr ist nicht nur für die Hersteller gut, die davon für die Serienentwicklung profitieren, sondern die Formel 1 kann sich dadurch neu positionieren. Die Formel 1 bekommt ein neues Image und wird möglicherweise neue Sponsoren anziehen, die sich heute noch nicht mit ihr identifizieren können. Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Ich hoffe, die Schritte sind auch groß genug."

Frage: "Ist es nicht gewissermaßen ein Widerspruch, dass das Budget reduziert wird, aber speziell die unabhängigen Teams in Sachen KERS und so weiter auf einem höheren technologischen Niveau entwickeln müssen als je zuvor?"
Theissen: "Ich sehe es bei KERS so, dass ein unabhängiges Team in Zukunft nicht mehr nur den Motor, sondern den ganzen Antriebskomplex geliefert bekommt - inklusive Motor, Getriebe, KERS und Elektronik. Natürlich wird das mehr kosten als das Paket ohne KERS, aber KERS wird sicher nicht der größte Teil davon sein. Ich bin der Ansicht, dass die Chance, neue Sponsoren zu gewinnen, die Mehrkosten durch KERS für ein unabhängiges Team überragen."

BMW plant nicht mit einem Kundenteam

Frage: "Ist BMW dazu bereit, nächstes Jahr ein zweites Team mit so einem Antriebskomplex auszurüsten?"
Theissen: "Wir sehen uns nicht aktiv nach Kunden um. Die Nachfrage ist nicht hoch. Ich denke, dass die Teams für nächstes Jahr aufgestellt sind. Vielleicht wird es 2010 wieder Änderungen geben."

Frage: "Haben Sie auch Druck vom Vorstand, die Kosten zu reduzieren und mehr Geld von Sponsoren zu holen?"
Theissen: "Natürlich. Wir haben unser Budget auf Antriebsseite schon reduziert und werden mit der Budgetobergrenze im Chassisbereich weiter runterkommen. Das kommt im Unternehmen natürlich gut an."

"Der Kundenautoansatz, wie er bisher da war, hätte genau zum Verschwinden der unabhängigen Teams geführt." Mario Theissen

Frage: "Zum Thema Kundenautos: Wäre es nicht doch vernünftig, diese zuzulassen, wenn man plötzlich Gefahr läuft, nur noch 16 Autos im Feld zu haben?"
Theissen: "Die bessere Alternative ist für mich, die Kosten zu drücken. Wenn es wirklich nur mit Kundenautos geht, dann ist es für mich zwingend notwendig, dass man sicherstellt, dass das wirklich unabhängige Teams bleiben. Der Kundenautoansatz, wie er bisher da war, hätte genau zum Verschwinden der unabhängigen Teams geführt, weil die großen Teams die Kontrolle über die kleinen Teams übernehmen. Das wäre am Ende nichts anderes, als wenn man nicht mehr mit zwei, sondern mit vier oder sechs Autos fährt und mit diesen strategische Spielchen spielt."

Frage: "Aber welche Kundenteams gibt es denn heute überhaupt noch?"
Theissen: "Wir haben immerhin noch zweimal Red Bull, Force India und Williams."

Frage: "Würde es nicht Sinn machen, die Teams stärker am Einnahmentopf zu beteiligen als mit den derzeitigen 50 Prozent?"
Theissen: "Darüber würde ich mich nicht beschweren! Wir haben schon um diese 50 Prozent sehr hart kämpfen müssen."

Frage: "Wie sieht es mit Ihrer Fahrerpaarung für 2009 aus?"
Theissen: "Das werden wir im Sommer bekannt geben."

Frage: "Und mit dem Sponsorenportfolio?"
Theissen: "Auch das ist weitgehend geklärt. Da werden wir auf der sicheren Seite sein."

Frage: "Wird die Credit Suisse an Bord bleiben?"
Theissen: "Das weiß ich noch nicht."