• 01.08.2010 21:54

  • von Wittemeier, Nimmervoll und Rencken

Schumacher vs. Barrichello: Duell mit tiefen Wurzeln

Das Duell zwischen Michael Schumacher und Rubens Barrichello in der Analyse: Strafe, Gefahr, Vorbild und die Ursachen aus der Ferrari-Zeit

(Motorsport-Total.com) - Die Augen waren auf Mark Webber gerichtet, die Vettel-Fans hofften auf ein Manöver ihres Stars gegen Fernando Alonso - da rückte plötzlich ein ganz besonderes Duell in den Fokus der Zuschauer des Grand Prix von Ungarn. Michael Schumacher wehrte sich gegen seinen ehemaligen Adjutanten Rubens Barrichello mit allen erlaubten und - aus Sicht der Rennstewards - auch teils nicht erlaubten Mitteln. In diesem Duell ging es nominell um den letzten WM-Punkt, doch eigentlich um viel mehr.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher, Rubens Barrichello

Kurz vor Ende des Grand Prix von Ungarn: Schumacher drückt Barrichello

"Rubens hatte noch etwas zu beweisen. Deswegen hat er sein Leben dort riskiert", sagt Ex-Formel-1-Pilot Alexander Wurz im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Diese Auseinandersetzung in der 66. Runde am Hungaroring hatte seine Wurzeln nicht in einem lahmenden Mercedes, oder einem schnellen Williams auf frischen weichen Reifen, sondern in den zahllosen unbeglichenen Rechnungen der gemeinsamen Jahre in Rot.#w1#

Ferrari-Zeiten leben in Ungarn auf

Zu oft schon hatte sich Barrichello hinter Schumacher anstellen müssen, zu oft schon hatte der Deutsche im Rampenlicht gestanden, der Brasilianer im Schatten. Dies war beiden Piloten in jener Situation bewusst. Es ging für Barrichello um Wiedergutmachung, Vergangenheitsbewältigung und Ehre. Bei Schumacher stand einmal mehr der Ruf als unantastbarer Champion auf dem Spiel. "Es war eine extrem gefährliche Situation", urteilt Wurz und schüttelt mit dem Kopf.

"Was mich noch mehr gestört hat als die Situation selbst, war die Tatsache, dass Michael seinen Blick auf den letzten 200 Metern im Rückspiegel hatte. Er wusste ganz exakt, was Barrichello macht. Der hatte seine Nase schon seitlich daneben", sagt der Österreicher. "Er macht das ganz bewusst. Das macht es noch schlimmer. Er denkt, dass es okay ist. Nun muss man ihm sagen, dass es eben nicht okay ist, damit er für die Zukunft lernt."

"Er macht das ganz bewusst. Das macht es noch schlimmer." Alexander Wurz

Genauso sahen es auch die Rennstewards. Schumacher wurde für seine Fahrweise bestraft. In Spa-Francorchamps geht es für ihn zehn Startplätze zurück. Barrichello hatte zuvor bei den Kommissaren vorgesprochen und genau jenes Argument vorgebracht, das auch Wurz nennt: Schumacher brachte seinen Kollegen ganz bewusst in größte Gefahr. "Zum Glück war die Mauer dort zu ende, denn es fehlten wirklich nur Millimeter", berichtet der Williams-Pilot, nachdem er sich vom Schreck erholt hat.

Das gefährliche Spiel mit der Angst

"Ich mag faire Zweikämpfe. Aber das war nicht fair", sagt der Rekordstarter nach seinem Sieg über den Rekordweltmeister. "Ich habe den Stewards erklärt, dass wir über einen der erfahrensten Piloten überhaupt sprechen. Und wenn Michael so etwas macht, dann denken die Kids, dass man so etwas machen darf. Das ist aus meiner Sicht falsch. So etwas traut man vielleicht einem Fahrer zu, der gerade mal zehn Rennen auf dem Buckel hat."

Aus Sicht von Barrichello habe sich Schumacher auch selbst großer Gefahr ausgesetzt. Wäre es zur Berührung gekommen, dann wäre eher der 41-jährige Deutsche kopfüber auf der Mauer gelandet. "Du darfst keinem vor das Auto fahren, sonst stirbt irgendwann einer. Wenn nicht ein Fahrer, dann ein Unbeteiligter durch umherfliegende Teile", erklärt Wurz. Das Manöver sei eines siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters keinesfalls würdig gewesen.

"So etwas traut man vielleicht einem Fahrer zu, der gerade mal zehn Rennen auf dem Buckel hat." Rubens Barrichello

"Mit der Angst oder Risikobereitschaft eines Konkurrenten zu spielen? Nein, in solchen Zeiten leben wir doch wohl nicht mehr", sagt der frühere Grand-Prix-Pilot, der sie Situation als wirklich ernst einstuft. "Ich habe es nicht genau gesehen, aber es schien, als ob Rubens da seine Freude gehabt hat", rutscht Red-Bull-Teamchef Christian Horner da im Freudentaumel nach dem Webber-Sieg ein Satz heraus, der nun so gar nicht passt.

Auch Mercedes reagiert vorsichtig

Nicht einmal im Lager von Mercedes kann man sich beim Blick auf die Fernsehbilder vom Duell ein Lächeln abringen. Aber man steht dem Superstar in der strittigen Situation zur Seite. "Man kann es so oder so sehen", sucht Norbert Haug nach einer Erklärung. Der Mercedes-Motorsportchef erklärt: "Michael ist bekannt als taff und das war taff. Es war eng, gar keine Frage. Vielleicht war es ein Missverständnis. Es ist keiner verletzt worden, das ist das Wichtigste."

"Hartes Manöver von Michael, aber auch ein hartes Urteil der Stewards", winkt Teamchef Ross Brawn ab. Haug wechselt schnell den Betrachtungswinkel und offenbart damit, dass auch bei Mercedes jedem klar ist, dass es in jenem Duell um mehr ging als um einen WM-Punkt. "Rubens nutzt natürlich die Gelegenheit, um das zu sagen, was er aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit mit Michael gerne sagt", meint Haug. Er fügt hinzu, dass man von einem Rekordweltmeister außerdem "nicht erwarten darf, dass er Geschenke verteilt". Schumacher selbst meint lapidar: "Er hätte die Linie wechseln können."

Rubens Barrichello, Michael Schumacher

Höhepunkt der Ferrari-Spiele: Barrichello gibt Schumacher den Sieg in Österreich Zoom

"Ich bin ein Racer. Ich werde in einer solchen Situation niemals vom Gas gehen", verteidigt Barrichello seine konsequente Linie. War das nun die nötige Genugtuung? Hat der kleine Sieg von Ungarn die großen Wunden der Vergangenheit geheilt? Nein. "Ich werde nicht mit ihm sprechen. Das würde nichts ändern. Man weiß doch, wie Michael ist. Du kannst mit ihm reden, aber er meint am Ende immer noch, dass er richtig liegt. Er ist nach drei Jahren Pause immer noch der gleiche Kerl", sagt Barrichello und zieht sich in den Kreis der Familie zurück.