• 11.03.2013 19:58

  • von Dominik Sharaf

Schöne neue Welt: Taschenrechner schlägt "Popometer"

McLarens Sportdirektor Sam Michael relativiert den Einfluss des Fahrers bei der Fahrzeugentwicklung und trauert Technikchef Paddy Lowe nicht nach

(Motorsport-Total.com) - Nach den Präsentationen der Boliden für die Saison 2013 waren sich die Technikexperten der Formel 1 einig: McLaren hatte neben Sauber den radikalsten Ansatz gewählt, um sich für die anstehenden 19 Grands Prix an der Spitze des Feldes zu positionieren. Glaubt man Sam Michael, dann gab es für die Strategen in Woking keine andere Möglichkeit, schließlich schienen die Möglichkeiten des Vorgängers MP4-27 ausgereizt und damit die Reserven für Evolutionen statt Revolutionen erschöpft.

Titel-Bild zur News: Sam Michael

Michael sieht die Fahrerrolle bei der Entwicklung eher emotional als technisch Zoom

Deshalb wählten die Verantwortlichen bereits im Sommer einen Ansatz, der neues Potenzial freisetzt. "Wir glauben, dass alles, was wir hinzugefügt haben, besser ist als im vergangenen Jahr", sagt McLarens Sportdirektor im Gespräch mit 'Sky Sports F1'. Die wichtigsten Innovationen nennt Michael die Zugstrebenaufhängung an der Vorderachse, die Ferrari im Vorjahr einführte, die neue Hinterradaufhängung, die mehr Abtrieb generieren soll, sowie die überarbeiteten Seitenkästen und die novellierte Frontpartie.

Probleme als Jobgarantie

Eine lange Liste. "Das sind schon eine Menge Neuerungen", überlegt Michael vor dem Hintergrund eines stabilen Reglements und glaubt, dass sich die Arbeit im Kampf um die WM-Krone auszahlen wird. Aber haben er und sein Team damit eine gute Frühform, wie sie sich andere Teams mit ihren altbewährten Lösungen versprechen, geopfert? "Unser Ziel ist es, das erste Rennen zu gewinnen", erteilt der Sportdirektor dieser Überlegung eine deutliche Absage und erkennt nur Vorteile in der Herangehensweise.

Schließlich sind die "Chrompfeile" in der Lage, im Saisonverlauf nachzulegen. "Der Nachteil ist vielleicht, Herausforderungen für die Ingenieure zu schaffen. Aber das ist in unserem Job die Lebensversicherung", ergänzt der frühere Williams-Mann. McLaren wird in Melbourne nicht mit allem verfügbaren Material antreten, bestimmte Updates behält man vorerst in der Hinterhand. "Wir haben gelernt, nicht zu verraten, was wir haben, bis es in einem Grand Prix zum Einsatz kommt", hüllt sich Michael in Schweigen.

Neuer McLaren kein Button-Auto

Nachdem dem Abgang Lewis Hamiltons witterten viele Beobachter einen McLaren, der ganz auf die Wünsche Jenson Buttons zugeschnitten ist. Sam Michael sieht das anders: "Man braucht keinen Fahrer, der einem erzählt, dass mehr Abtrieb schneller mache", bremst er die Spekulationen und nennt das Feedback zum Handling auf der Strecke die wichtigste Aufgabe eines Piloten. "Einer mit Jensons Erfahrung ist da wichtig", so Michael weiter. Er betont, dass Button sogar über mehr Routine verfüge als Hamilton.


Fotos: McLaren, Testfahrten in Barcelona


Der 41-Jährige warnt davor, den zwischenmenschlichen Faktor bei der Teamarbeit zu unterschätzen und nennt es eine "Fußballmentalität", dass ein Pilot als Führungspersönlichkeit mit seinem Willen, seiner Hingabe und seiner Ansprache im Team ein Feuer entfachen kann. "Wir haben 600 Angestellte in der Firma und das, was jeder Einzelne tut, lastet auf den Schultern unserer beiden Piloten." Trotzdem habe der Einfluss in der modernen Formel 1 Grenzen, insbesondere bei der Entwicklung.

Goss für Lowe, ein Wechsel unter Freunden

Jenson Button

Hat der MP4-28 wirklich das Potenzial für weltmeisterliche Ehren? Zoom

Michael schränkt ein: "Er berichtet, was wir tun, aber der Fahrer würde niemals in eine technische Entscheidung einbezogen, die auf Telemetrie, grundlegenden Prinzipien und dem Wechselspiel mit der Steifigkeit basiert. Das baut auf Berechnungen auf und nicht auf einem Gefühl." Umso enttäuschter müsste er sein, dass McLaren einen Technikguru wie Paddy Lowe verliert. "Er wird sich 2014 anderen Dingen widmen, aber so ist das Leben. Wir wünschen ihm alle nur das Beste", gibt sich Michael abgeklärt.

Dank seiner nachhaltigen Personalpolitik sei McLaren in der Lage gewesen, den Verlust zu kompensieren, menschlich allerdings hinterlässt der scheidende Technikchef eine Lücke: "Paddy ist jemand, den man einfach gerne mag. Dazu ist er auch noch intelligent und solche Menschen sind großartig." Mit Tim Goss allerdings sei ein Nachfolger aus den eigenen Reihen gefunden worden, der für den Posten "wie geschaffen" sei. "So, wie er ein sehr kluger Ingenieur ist, ist er auch ein enger Freund", meint Michael.