Kolumne: Der Held, der keiner sein will

Chefredakteur Christian Nimmervoll begründet, warum Dietrich Mateschitz von 'Motorsport-Total.com' mit dem Ehrenpreis für das Lebenswerk ausgezeichnet wird

Liebe Leser,

Titel-Bild zur News: Dietrich Mateschitz

Dietrich Mateschitz ist der sechste Preisträger unseres Lebenswerk-Awards

bereits seit 2005 vergeben wir, parallel zu unseren Leserwahl-Awards, jedes Jahr auch einen Ehrenpreis für das Lebenswerk. Wer diesen erhalten soll, wird bei uns in der Redaktion diskutiert, meist ist uns die Wahl bisher aber sehr leicht gefallen. So leicht wie diesmal war es trotzdem noch selten, uns auf einen Kandidaten festzulegen.

Erster Preisträger war im Jahr 2005 Peter Sauber, von dem wir damals nicht gedacht hätten, dass wir ihn noch einmal am Formel-1-Kommandostand sehen würden. 2006 war sonnenklar, dass der mit großem Abstand erfolgreichste Formel-1-Pilot aller Zeiten ausgezeichnet werden muss: Michael Schumacher, zum Zeitpunkt der Award-Übergabe im Sommer 2007 bereits Ferrari-Berater, nahm damals gleich drei Trophäen entgegen: auch den für Fahrer des Jahres und Team des Jahres 2006. Genau wie Sauber kehrte auch er nach mehrjähriger Pause in die Königsklasse zurück.

2007 fiel unsere Wahl auf den an den Rollstuhl gefesselten, aber immer noch unglaublich leidenschaftlich zu Werke gehenden Teamchef Frank Williams; 2008 auf Ron Dennis, der zu dem Zeitpunkt gerade die McLaren-Hofübergabe an Martin Whitmarsh vorbereitete. 2009 schließlich legten wir uns auf Bernie Ecclestone fest, dem wir den Ehrenpreis für das Lebenswerk eigentlich anlässlich seines 80. Geburtstags überreichen wollten. Leider platzte der Termin, sodass wir die Übergabe erst dieses Jahr durchführen werden.

Klare Entscheidung der Redaktion

Das trifft sich nicht schlecht, denn für den 2010er-Ehrenpreis wird es keine offizielle Übergabe geben. Ich persönlich habe mich für Dietrich Mateschitz, den Weltmeistermacher von Red Bull, eingesetzt - und bin dabei auf null Widerstand beim Rest der Redaktion gestoßen. Doch der 66-Jährige lehnt es ab, die Auszeichnung entgegenzunehmen: "Herr Mateschitz bemüht sich um größtmögliche Einschränkung seiner persönlichen Medienpräsenz, was eine persönliche Entgegennahme des Preises leider nicht ermöglichen würde", ließ uns der "Oberbulle" ausrichten.

Christian Nimmervoll

Christian Nimmervoll begründet die diesjährige Entscheidung der Redaktion Zoom

Doch angesichts seiner Begründung kann man ihm wohl kaum böse sein: "Darüber hinaus versuchen wir bei Red Bull, das im Hintergrund für den Erfolg der Marke, unserer Produkte, unserer Events, Projekte und Athleten arbeitende Unternehmen sowie die handelnden Personen so weit wie möglich im Hintergrund zu halten - das auch und vor allem, um gerade den Athleten den Platz im medialen Fokus zu überlassen. Wir hoffen, du hast Verständnis dafür, dass Herr Mateschitz aus den genannten Gründen den sehr ehrenhaften Preis leider nicht entgegennehmen kann."

Natürlich werden wir den Ehrenpreis dennoch nach Fuschl schicken und hoffen, dass er irgendwo in einem Trophäenschrank ein ehrenwertes Plätzchen findet. Aber im Grunde bestätigt Mateschitz' Haltung zu einer öffentlichkeitswirksamen Übergabe nur die Wahl unserer Redaktion. Denn es tut gut, wenn einmal ein Mann Erfolg hat, der nicht primär in der Formel 1 ist, um sein Ego zu sonnen, sondern dem es vordergründig um sein Projekt und nicht um sich selbst geht.

Titelseiten, aber keine Interviews

Dass er anlässlich Sebastian Vettels Sternstunde in Abu Dhabi zumindest für die österreichischen (und von mir sehr geschätzten) Kollegen Ernst Hausleitner ('ORF') und Tanja Bauer ('Sky') von seiner strikten No-Interview-Politik abwich, "passierte" ihm nur in der ersten Euphorie. Doch wer dachte, dass dies der Anfang einer großen Mateschitz-Medieninszenierung sein würde, der irrte. Ganz im Gegenteil: Dagegen, dass er nach Abu Dhabi dutzende österreichische Titelseiten zierte, konnte er sich nicht wehren. Tatsächlich geredet hat er aber nur mit den wenigsten dieser Blätter.

Man weiß über Dietrich Mateschitz, dass er für den Gewinn beider WM-Titel jedem Red-Bull-Mitarbeiter in Milton Keynes - bis "hinunter" (ein Wort, das ich eigentlich nicht mag) zur Putzfrau - 10.000 Britische Pfund Erfolgsprämie ausbezahlt hat. Das mag für einen Mann, der laut 'Forbes'-Liste der reichsten Menschen der Welt (Platz 208) drei Milliarden Euro schwer ist, auf den ersten Blick nicht viel Geld sein, aber bei 550 Mitarbeitern summieren sich 10.000 Pfund auf umgerechnet fast sechseinhalb Millionen Euro. Kein Pappenstiel.

¿pbvin|512|3300||0|1pb¿Zumindest meines Wissens nach ist das in der Geschichte der Formel 1, in der zwar alle reich sein und das auch zeigen wollen, aber doch knausern bis zum Geht-nicht-mehr, einzigartig. Bei Teamchef Christian Horner haben sich viele Mitarbeiter per SMS für ihre neue Küche oder ihr neues Wohnzimmer bedankt - schließlich muss man sich vor Augen halten: Für eine Putzfrau bedeutet eine WM-Prämie in dieser Höhe möglicherweise sogar ein verdoppeltes Jahresgehalt...

Beeindruckt hat mich aber auch die WM-Party am Hangar-7 in Salzburg, einen Tag nach der Sternstunde von Abu Dhabi, wo 'Motorsport-Total.com' als eines der wenigen Medienoutlets eingeladen war. Denn während im Eventsaal die komplette österreichische High-Society mit Red-Bull-Cocktails auf die neuen Champions anstieß, saß Mateschitz mit einer Handvoll Freunden und Bekannten ein, zwei Etagen höher und entzog sich dem Blitzlichtgewitter.

Kein eigener Parkplatz für Journalisten

Allerdings ließ er es sich nicht nehmen, die Kosten für die gigantische Party zu übernehmen und auch die österreichischen Red-Bull-Mitarbeiter einzuladen. Für die war dann auch ein Parkplatz vorhanden, für uns Journalisten hingegen nicht. Nervig? Ja. Aber in Wahrheit sympathisch, denn dieser Mensch schert sich nicht primär um die Medien, die ihn eines Tages auch wieder fallen lassen werden, wenn es nicht mehr so gut läuft, sondern vor allem um sein größtes Kapital: die eigenen Mitarbeiter.

DJ Ötzi und Roman Hagara

Alle kamen sie zur WM-Party: Im Bild DJ Ötzi mit Olympiasieger Roman Hagara Zoom

Ein solcher hat mir vor gut einem Jahr eine Geschichte erzählt, die Dietrich Mateschitz gut beschreibt. So dürfte vor einiger Zeit ein hochrangiger Mitarbeiter in Fuschl eine Arbeitszeitenerfassung für die ihm unterstellten Mitarbeiter eingeführt haben. Mateschitz, der regelmäßig den persönlichen Kontakt zu allen Ebenen seiner Belegschaft sucht, blieb das natürlich nicht verborgen - und schaffte das System sofort wieder ab. Er soll gesagt haben: "Meine Mitarbeiter sind am besten, wenn sie jederzeit kommen und gehen können."

Daher wundert es mich auch nicht, dass eine frühere Disco-Bekanntschaft von mir, die neuerdings in Fuschl arbeitet und eigentlich mit der Formel 1 nichts am Hut hat, bei der Hangar-7-Party von "unseren Jungs" gesprochen hat, als es um Sebastian Vettel, Mark Webber und Co. ging. Klar, in der Stunde des Erfolgs geht einem ein "Wir" schneller über die Lippen als in Krisenzeiten, aber Red Bull macht tatsächlich den Eindruck einer großen Familie auf mich.

Mateschitz und die Goldhauben

Michael Schumacher

Michael Schumacher räumte im Jahr 2006 gleich mehrere unserer Awards ab Zoom

Abschließend möchte ich noch eine Anekdote über Dietrich Mateschitz erzählen. Denn wie es der Zufall so will, zählt er zu den Bekannten der Goldhauben-Vorsitzenden meines österreichischen Heimatorts. Und als die Vorderweißenbacher Goldhauben-Gruppe ihn einmal in Fuschl besuchte, lud Mateschitz die Reisegruppe spontan in ein Fuschler Gasthaus ein. Als "Gegenleistung" ließ er sich von der Vorsitzenden eine Mühlviertler Speckjause servieren. Bei ihr zu Hause, in ganz bescheidenen vier Wänden.

Kaufen könnte sich Dietrich Mateschitz alles - wenn er nur wollte. Trotzdem sind ihm Werte wichtiger, die man nicht für Geld bekommt. Das macht ihn für mich zu einem würdigen Träger unseres Ehrenpreises für das Lebenswerk. Den kann ich ja vielleicht irgendwann einmal der Vorderweißenbacher Goldhauben-Gruppe mitgeben - ganz ohne Journalisten und Fotografen im Gepäck...

Ihr

Christian Nimmervoll