Red Bull selbstkritisch: In Melbourne "deutlich unterperformt"

Adrian Newey ist nicht der große Wurf gelungen, den sich Helmut Marko erhofft hätte, aber Red Bull reagiert schnell und bringt nach China erste Updates

(Motorsport-Total.com) - Große Hoffnungen hatte man sich bei Red Bull für den Formel-1-Saisonauftakt 2017 in Melbourne gemacht, schließlich waren Autos von Stardesigner Adrian Newey meistens dann am erfolgreichsten, wenn ein neues Reglement eingeführt wurde. Aber der Newey-Effekt ist diesmal ausgeblieben: Mehr als Platz fünf für Max Verstappen sprang beim Grand Prix von Australien nicht heraus.

Titel-Bild zur News: Max Verstappen

Red Bull war beim Saisonauftakt in Melbourne nur dritte Kraft Zoom

Die Enttäuschung über dieses Ergebnis ist bei Helmut Marko groß: "Uns ist klar, dass wir deutlich unterperformt haben. Was doppelt schade ist, weil Mercedes auch nicht in Topform war", ärgert er sich im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. Verstappens Trainingsabflug am Freitag, bei dem der Unterboden kaputt gefahren wurde, und Daniel Ricciardos Ausritt im Q3 am Samstag führten dazu, dass Red Bull "von einem geordneten Ablauf meilenweit entfernt" war.

Doppelt bitter: Ricciardo machte sich mit seinem Crash nicht nur die eigenen Hoffnungen zunichte, sondern auch Verstappen musste deswegen seine erste schnelle Q3-Runde abbrechen. Das bedeutet ein Handicap, denn: "Von der ersten auf die zweite Runde steigerst du dich normalerweise kräftig." Letztendlich sicherte sich der 19-Jährige den fünften Startplatz, 1,3 Sekunden hinter Polesetter Lewis Hamilton und 0,5 Sekunden hinter Kimi Räikkönen im langsameren der beiden Ferraris.

Red Bull kennt die Schwachstellen

"Und dazu kamen auch noch x andere Probleme. Etwa mit den Airbottles aufgrund des Motorenproblems", seufzt Marko. "Wir wissen, dass wir nicht das abgeliefert haben, was man von uns erwartet - was auch wir selbst von uns erwarten. Wir sind aber optimistisch, dass es in China und Bahrain schon besser laufen wird."

Denn immerhin tappen die Ingenieure in Milton Keynes nicht ganz im Dunkeln, was mit dem RB13 nicht stimmt. Punkt eins: "Wir hatten zu wenig Zeit", sagt Marko. "Unser Auto ist sehr, sehr spät fertig geworden. Das war bei unseren Autos schon immer so, aber diesmal war's wirklich am allerletzten Abdruck. Die Mechaniker haben die Nacht durchgearbeitet. Am nächsten Morgen sind wir nach Barcelona geflogen."

Dass der RB13 zumindest nicht aus dem Stand heraus ein Newey-Überflieger werden würde, der alles in Grund und Boden gewinnt, dämmerte den Red-Bull-Bossen spätestens am Donnerstag des zweiten Barcelona-Tests. "Oberbulle" Dietrich Mateschitz wurde eingeflogen, um sich von den Fortschritten ein Bild zu machen. An jenem 9. März fuhr Sebastian Vettel in 1:19.0 Minuten Tagesbestzeit. Ricciardo fehlten darauf 1,8 Sekunden.

Aha-Erlebnis in der zweiten Testwoche

"Eine relativ simple Verstellung hatte ungeahnte und nicht erwartete Auswirkungen", erinnert sich Marko an das Aha-Erlebnis. "Das Auto fühlte sich für Ricciardo gut an, obwohl die Zeit nicht kam, was immer ein schlechtes Zeichen ist. Auf der Stoppuhr fehlten eineinhalb Sekunden. Da haben wir schon festgestellt, dass wir nur in einem ganz kleinen Fenster die volle Performance des Autos abrufen können."

Genau auf dieses ganz kleine Fenster reagiert Red Bull sofort: "Es gibt für China die ersten Updates. Die neuen Teile ermöglichen ein breiteres Spektrum der Abstimmung. Dieses schmale Fenster, die schlechte Traktion, das hängt mit dem Kompromiss zusammen, den wir eingehen mussten. Entweder hatten wir keine Traktion oder Untersteuern", berichtet Marko und kündigt "zuerst Aero-Teile, später dann auch mechanische Updates" an.

Fünf Kilogramm über Mindestgewicht

Punkt zwei: Der RB13 ist noch zu schwer. "Wir waren über dem Mindestgewicht. Um rund fünf Kilo", gibt der Österreicher zu. "Genau kann ich es nicht sagen, weil wir verschiedene Teile ausprobiert haben, die um bis zu eineinhalb Kilo variieren. Wenn für Montreal der Upgrade-Motor von Renault mit einer neuen Version der MGU-K kommt, wird das Gewicht deutlich sinken."

Renault hatte vor, in Melbourne eine neue MGU-K einzusetzen, diese musste jedoch aufgrund von Zuverlässigkeitsproblemen ausgebaut werden. Also rüsteten alle Renault-Teams auf die 2016er-Version zurück, die um rund fünf Kilogramm schwerer ist. Fünf Kilogramm über Mindestgewicht kosten im Albert Park etwa zwei Zehntelsekunden. Ganz davon zu schweigen, dass die Ingenieure am liebsten deutlich unter Mindestgewicht liegen, um mit geschickt platzierten Ballastgewichten die Balance feintunen zu können.


Fotostrecke: GP Australien, Highlights 2017

Punkt drei: "Renault", sagt Marko gegenüber 'Motorsport-Total.com', "war im Motorenbereich immer am zuverlässigsten. Bei den Tests hatten wir aber doch einige Motorschäden." Die MGU-K sei im Zuge dessen "dreimal adaptiert" worden: "Hat nichts genützt. Am Donnerstag vor Melbourne wurde entschieden, die alte MGU-K-Version zu verwenden. Was insofern ein Problem ist, als diese alten Motoren um fünf Kilo schwerer sind."

Erstes Renault-Update in Barcelona

Aber viel schwerwiegender ist: "Aufgrund dieser Zuverlässigkeitsprobleme ist Renault mit der Leistung nicht ans Maximum gegangen." Die für Melbourne vorgesehene MGU-K-Spezifikation ist "erstmal vom Tisch. Es kann aber sein, dass für Barcelona eine Zwischenversion kommt. Die wird etwas leichter sein und kann auch im Rennen für längere Zeit mit einem schärferen Modus gefahren werden", hofft Marko. Ein größeres Renault-Update ist dann für Montreal geplant.

Auch wenn man sich von Newey den großen Wurf erhofft hatte, auf den momentan wenig hindeutet: Nicht alles in Melbourne war schlecht. So riskierte Verstappen im zweiten Stint beispielsweise als einziger Topfahrer, auf weichere Reifen zu wechseln - und kam damit durch. Und der Rennspeed beider Autos war in bestimmten Phasen konkurrenzfähig. Marko: "Je weniger Sprit drin war, desto besser konnten wir mithalten."

Melbourne: "Nicht unser wahrer Speed"

"Das, was wir in Melbourne gesehen haben, ist sicher nicht unser wahrer Speed in den nächsten zwei, drei Rennen", sagt er. "Wir glauben zu wissen, woran es liegt. Jetzt folgen in Schritten die nötigen Anpassungen. Wir bleiben trotzdem bei unserem schlichten Konzept ohne vertüfteltes Flügelwerk, wie es die anderen haben. Ich glaube, dass schon China ein deutlicher Fortschritt sein sollte."

"Das Auto ist wahnsinnig komplex, obwohl das die schlichte Außenhaut nicht vermuten lässt. Aufgrund der wenigen Kilometer bei den Tests sind wir in Melbourne nicht annähernd dort hingekommen, dass wir das Auto in eine Balance gebracht hätten. Wir glauben, das Konzept ist richtig. Wir sind auch schneller auf den Geraden. Jetzt müssen wir nur noch diese Schwächen ausmerzen."


Max Verstappen und Helmut Marko in Graz

Und weiter: "Wir haben in Melbourne nur in den schnellen Kurven Zeit gewonnen. Wir haben das, was eigentlich unsere Stärke ist, nämlich die Traktion in langsamen Kurven, gegenüber Ferrari und Mercedes verloren." Dafür glänzte Red Bull plötzlich in einem anderen Bereich: "Unser Topspeed war trotz des Sicherheitsmodus von Renault in Ordnung. Das spricht für unser Konzept", analysiert Marko. Der Vollständigkeit halber: Im Qualifying fehlten Verstappen 3,7 km/h auf Hamilton.