Indien vor Formel-1-Aus: Gibt es nur Verlierer?

Indiens Bürokratie droht zum Stolperstein für die Formel 1 zu werden: Der Sport verpasst eine Chance, was sich für Indiens Image als Bumerang erweisen könnte

(Motorsport-Total.com) - Bereits drei Jahre nach der vielversprechenden Formel-1-Premiere in Indien stehen die Zeichen schon wieder auf Abschied. Die indische Bürokratie hat es dem Grand-Prix-Sport nicht einfach gemacht, schließlich müssen Teams und Fahrer wegen der eigenwilligen Gesetze ein 19tel ihres Einkommens in der größten Demokratie der Welt versteuern. Dazu kommt, dass der Grand Prix in Indien nicht als Sport- sondern als Unterhaltungs-Veranstaltung gilt. Daher gibt es für den privaten Veranstalter Jaypee Sports International (JPSI) keine Sonderkonditionen.

Titel-Bild zur News:

Die Formel 1 und Indien - bislang glückte die Symbiose nicht Zoom

Dieser soll aus diesem Grund einen enormen Schuldenberg angehäuft haben, der nun vom Obersten Gericht untersucht wird. Auch wenn dies als unwahrscheinlich gilt, soll sogar eine Absage nicht auszuschließen sein. Die Entscheidung darüber soll am Freitag fallen. Als McLaren-Pilot Jenson Button am Donnerstag mit diesem Szenario konfrontiert wird und gefragt wird, ob dies seiner Meinung nach ein Verlust wäre, kann er es kaum glauben: "Wahrscheinlich schon. Alle Formel-1-Teams sind hierhergekommen, um ein Rennen zu fahren. Wir wollen hier eine Show bieten. Wenn wir schon alle da sind und morgen nach Hause fliegen würden, dann wäre das natürlich ein schwerer Schlag."

Kaltenborn ärgert sich über Bürokratie

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn, die neben ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft auch indischer Herkunft ist, reagiert mit Verärgerung auf eine potenzielle kurzfristige Streichung des Rennens: "Es ist frustrierend, weil ich nicht verstehe, warum die Dinge so schwierig gemacht werden müssen. In anderen Ländern werden wir nach den bestehenden Regeln behandelt, die auch für die anderen Sportarten gelten. Und ich verstehe nicht, warum hier so eine große Diskussion veranstaltet wird. Das stört nur den Event unnötigerweise."

Zudem handle es sich nicht um Steuergelder, die für das Formel-1-Rennen in Anspruch genommen werden: "Es ist ein Privatunternehmen, das das Rennen hier durchführt." Fix ist bereits, dass das Rennen 2014 aus dem Kalender fliegt - ursprünglich argumentierte man, dass man versuchen werde, einen Termin in der ersten Saisonhälfte zu finden und dass es daher ungünstig wäre, nur wenige Monate nach der Austragung 2013 schon wieder in Indien zu fahren.

Kaltenborn: Indien-Zug für Formel 1 beinahe abgefahren

Kaltenborn geht aber nicht davon aus, dass die Formel 1 in Anbetracht all der Schwierigkeiten nach einem Jahr Pause auf den Buddh International Circuit zurückkehren wird. Ihrer Meinung nach kann man die Situation mit einem Grand Prix in Europa nicht vergleichen. Dort habe man in den meisten Ländern auch bei einer gewissen Zeit ohne Rennen "immer eine Art Erbe, weil wir in Vergangenheit lange dort waren. Aber hier ist das nicht so, weil wir erst seit drei Jahren hier sind. Wir haben den Sport nicht wirklich etablieren können. Ich denke, es wird sehr schwierig werden, hierher zurück zu kommen."


Fotostrecke: Daten & Fakten zum GP Indien

Sie fürchtet, dass der Zug abgefahren ist, sollten nicht besondere Umstände eintreten: "Es ist schwierig, die richtige Art von Werbung für eine Wiederaufnahme zu machen, wenn man bedenkt, dass Kricket so populär bleibt, wie es ist. Und Gott weiß, welche anderen Sportarten noch kommen werden. Ich denke, wir sollten das nicht unterschätzen." Bloß ein indischer Fahrer oder ein Konzern aus Indien, der viel Geld in die Bewerbung des Sports pumpt, könnten an der misslichen Lage etwas ändern, glaubt die Sauber-Teamchefin.

Vettel glaubt an Indien-Comeback

Zuversichtlicher ist da schon Weltmeister Sebastian Vettel: "Ich bin mir sicher: In der Zukunft kehren wir hierher zurück." Auch Button würde sich dies wünschen: "Es ist schade, dass wir nach nur drei Jahren hier nicht mehr weitermachen. Wir können nicht mehr tun als eine gute Show abliefern, und hoffentlich versuchen alle, das Rennen hier zu behalten. Vielleicht gibt es 2015 ein Comeback."

"Ich bin weder happy noch traurig, dass Indien nächstes Jahr nicht im Kalender ist." Nico Hülkenberg

Dem Briten ist vor allem der Kurs ans Herz gewachsen: "Ich liebe diesen Ort, und die Strecke ist sehr flüssig. Alle Fahrer denken da gleich. Es macht Spaß, hier zu fahren, die Rennen sind gut, die Strecke ist schnell. Es ist schön, in Indien zu fahren." Andere Fahrer wie Nico Hülkenberg stehen einem möglichen Formel-1-Aus in Indien gleichgültig gegenüber: "Den Kalender machen andere, nicht wir. Ich bin weder happy noch traurig, dass Indien nächstes Jahr nicht im Kalender ist. Das ist okay."

Hat die Formel 1 eine Chance verpasst?

"Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen der Märkte mit dem größten Potenzial." Max Chilton

Der Ticketverkauf war dieses Jahr im Vergleich zu den Vorjahren deutlich rückläufig - nur rund 30.000 Tickets dürften verkauft worden sein. Das sorgt bei Marussia-Pilot Max Chilton für Verwunderung: "In Indien lebt über eine Milliarde Menschen, und das ist - wenn ich richtig rechne - ein Siebtel der Erdbevölkerung. Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen der Märkte mit dem größten Potenzial, also ist es schade, dass wir kommendes Jahr nicht wiederkommen."

Auch Red-Bull-Pilot Mark Webber wundert sich, dass es in Indien trotz des Enthusiasmus' und des Fachwissens, das er immer wieder bemerkt, "nicht ausreicht, um die Veranstaltung zu etablieren. Hoffentlich kommen wir irgendwann wieder zurück."

Chandhok: Marke Indien ist beschädigt

Während einige Formel-1-Protagonisten also befürchten, dass die Königsklasse des Motorsports eine einmalige Chance verpasst, glaubt der indische Ex-Formel-1-Pilot Karun Chandhok, dass die Farce um das Rennen mit all den unangenehmen bürokratischen Nebengeräuschen negative Auswirkungen auf das Image seines Heimatlandes haben wird. "Die internationalen Medien werden über all das schreiben", sagt er gegenüber 'PTI'. "Das Rennen bereitet den Teams und den Fahrern viel Kopfzerbrechen - die Teams benötigen nur für den Grand Prix hier einen eigenen Anwalt. Die Leute hier sollten die Macht der Formel 1 und des Sport nicht unterschätzen."

"Aus irgendeinem Grund erkennt die Regierung nicht, wie viel positive Aufmerksamkeit das der Marke Indien bringen könnte." Karun Chandhok

Chandhok nennt ein weiteres Beispiel: "700 Journalisten kommen hierher, und zumindest 75 von ihnen haben mich angeschrieben, weil sie ihr Visum nicht rechtzeitig erhalten haben. Sie werden darüber schreiben, und die erste Geschichte wird sein, wie schwierig es ist, überhaupt hierher zu reisen. Durch die Formel 1 steht Indien im Scheinwerferlicht, und aus irgendeinem Grund erkennt die Regierung nicht, wie viel positive Aufmerksamkeit das der Marke Indien bringen könnte."

Die Negativwerbung könnte laut dem indischen Rennfahrer ungeahnte Folgen für das wirtschaftliche aufstrebende Land haben: "Man muss sich nur die Firmen ansehen, die in der Boxengasse vertreten sind - Fluglinien, Firmen wie Blackberry, Shell, milliardenschwere Unternehmen. All die Geschäftsführer, die hier sind, werden über die Probleme nachdenken, sie werden darüber diskutieren, ob man hier eine Firma aufmachen und 4.000 Menschen beschäftigen soll."