Kolumne: Was ist ein Paydriver?

Ab wann ist ein Paydriver ein Paydriver? Chefredakteur Christian NImmervoll erklärt, warum diese Frage nicht schwarz-weiß, sondern nur grau beantwortet werden kann...

Titel-Bild zur News: Christian Nimmervoll

Chefredakteur Christian Nimmervoll sucht nach einer Paydriver-Definition Zoom

Liebe Leser,

der Begriff Paydriver ist an Stammtischen und in themenbezogenen Internetforen in den vergangenen Jahren fast zu einem Schimpfwort geworden, auf jeden Fall zu einem sehr negativ behafteten Begriff. Aber kaum jemand weiß wirklich, was dieser Begriff überhaupt bedeutet - was vielleicht auch daran liegen mag, dass er vom Duden nicht definiert wird. Also machte ich mich am Rande der Rennwochenenden in Belgien und Italien dazu auf, selbst nach einer stimmigen Definition zu suchen.

"Schwierig", kam gleich mein erster Gesprächspartner, Valtteri Bottas, ins Grübeln. Vielleicht auch, weil der Williams-Rookie ohne finnische Sponsoren vermutlich nicht schon 2013 in der Formel 1 gelandet wäre. Aber er versucht es dann doch, den Begriff für sich zu definieren: "Ein Paydriver ist vielleicht ein Fahrer, den das Team hauptsächlich aufgrund seiner finanziellen Mitgift auswählt." Hauptsächlich also. Aha.

Überschattet viel Geld die sportliche Leistung?

Doch gerade an diesem schwammigen Begriff "hauptsächlich" scheiden sich die Geister. Ist Pastor Maldonado "hauptsächlich" in der Formel 1, weil er vom Staat Venezuela so stark unterstützt wird wie noch kein anderer Grand-Prix-Pilot vor ihm, oder hätte er es dank seiner spektakulären Siege auf der Fahrerstrecke Monaco so oder so in die Königsklasse geschafft? Wäre er auch in die Formel 1 gekommen, wenn er nur drei statt 35 Millionen Euro Mitgift hätte? Würden wir ihn dann immer noch ein Paydriver schimpfen?

Fahrermanager reagieren allergisch, wenn man das Wort Paydriver in ihrer Nähe auch nur in den Mund nimmt. Kein Wunder, denn im Paddock gilt eine alte Binsenweisheit: Zahlst du einmal, zahlst du immer! Das wusste schon Schumacher-Manager Willi Weber. Der Stempel Paydriver ist ein Stigma, das sich nicht so leicht loswerden lässt. Maldonado kann ein Liedchen davon singen: Obwohl er in Barcelona 2012 vor Alonso im Ferrari gewonnen hat, kommt er aus der Schublade nicht raus.

Pastor Maldonado

Wird den lästigen Stempel "Paydriver" einfach nicht los: Pastor Maldonado Zoom

Dabei ist heutzutage schon fast jeder, der in die Formel 1 kommt, ein Paydriver, denn der direkte Sprung aus der GP2 in ein Topteam, wie ihn Lewis Hamilton einst geschafft hat (von ART zu McLaren), ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Und alle anderen Teams haben finanziell dermaßen zu kämpfen, dass sie fast gezwungen sind, Rookies um eine entsprechende Mitgift zu bitten. Ein Max Chilton muss bei Marussia allerdings mehr zahlen als ein Valtteri Bottas bei Williams.

Paydriver: Das sagt Wikipedia

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was ist ein Paydriver? Wikipedia beantwortet diese so: "Ein Paydriver (deutsch Bezahlfahrer) ist ein Rennfahrer für ein professionelles Autorennteam, der, anstatt vom Teameigner bezahlt zu werden, ohne Gehalt fährt und durch eigene Sponsoren (Kontakte zur Industrie beziehungsweise durch die Familie) selbst Geld mit in das Team bringt, um den Betrieb des Rennstalls aufrechtzuerhalten."

Der Preis für ein Paydriver-Cockpit ist jedoch von vielen Faktoren abhängig. Erstens einmal: Nicht jeder Hanswurst kann Grand-Prix-Pilot werden. Würde zum Beispiel ich selbst 150 Millionen Dollar bei Marussia auf den Tisch legen, so würde sich das Team auf einen solchen Deal ziemlich sicher einlassen, doch die FIA würde mir nie und nimmer eine FIA-Superlizenz ausstellen - auch wenn ich mich zumindest für einen halbwegs passablen Kartfahrer halte und schon probeweise Formel BMW und Formel Renault gefahren bin.

Sprich: Man muss schon ein gestandener Rennfahrer sein, um in die Formel 1 zu kommen. Dass gestandener Rennfahrer nicht gleich gestandener Rennfahrer ist, zeigt der Unterschied zwischen Sebastian Vettel und Taki Inoue, der es durch japanische Sponsorengelder Mitte der 1990er-Jahre irgendwie in die Königsklasse geschafft hat. Vor ein paar Monaten wurde er von einem britischen Fachmagazin zum schlechtesten Formel-1-Fahrer aller Zeiten gewählt. Trotzdem kann er sicher viel besser Rennfahren als ich.


Fotostrecke: Die wertvollsten Paydriver

Die Welt ist grau, nicht schwarz-weiß

Also: Je schlechter der Fahrer, desto höher das "Schmerzensgeld", das das Team verlangen wird, um ihn zu engagieren. Und je mehr Schulden das Team hat, desto eher wird es geneigt sein, einen schlechteren Paydriver mit viel Geld einem durchaus talentierten Paydriver mit weniger Geld den Vorzug zu geben. Der Formel-1-Paddock ist in dieser Hinsicht längst nicht mehr schwarz-weiß, sondern grau - mit ganz vielen Schattierungen.

Die für mich beste Paydriver-Definition hat mir Caterham-Teamchef Cyril Abiteboul in Monza diktiert: "Ein Fahrer, dessen finanzieller Wert höher ist als sein sportlicher Wert. Wer ein super Fahrer ist und ein bisschen Geld mitbringt, ist für mich kein Paydriver. Also würde ich es so definieren. Ich finde sogar, das ist eine sehr treffende Definition!" Es kommt also aufs Gesamtpaket an, halte ich fest - und gebe freiwillig einen Euro ins Phrasenschwein der Formel 1.

Cyril Abiteboul

Caterham-Teamchef Cyril Abiteboul ist derzeit noch auf Paydriver angewiesen Zoom

Ein Paydriver wäre demnach nur dann ein Paydriver, wenn ihn beispielsweise ein Team für eine Million Euro nicht verpflichten würde, er aber drei Millionen Euro mitbringt und den Zuschlag erhält. Er ist aber kein Paydriver, wenn ihn das Team schon für eine Million Euro nehmen würde, er aber drei Millionen im Angebot hat. Verstanden? Laut Abitebouls Definitionsansatz kann man ein Diagramm aufzeichnen. X-Achse: Sponsorengeld. Y-Achse: fahrerisches Talent.

Gibt es eine magische Formel?

Was mich zu dem Gedanken führt, ob es in der Formel 1 eine magische Zehntel-gegen-Millionen-Formel gibt, etwa: Fahrer B ist um drei Zehntelsekunden pro Runden langsamer als Fahrer A, bringt aber um drei Millionen Euro mehr mit. Also nehmen wir Fahrer B, weil uns sein Geld unterm Strich mehr bringt, als uns sein fahrerisches Talent helfen könnte. In diesem konkreten Fall würde die Formel lauten: eine Million für eine Zehntelsekunde.

Aber: "So eine magische Formel gibt es nicht", winkt Abiteboul ab und liefert die Erklärung warum gleich mit: "Die Fahrerentscheidung hängt ja immer auch davon ab, wo man gerade in der Meisterschaft steht und wie die mittelfristige Entwicklungsperspektive aussieht. Wir zum Beispiel hatten für dieses Jahr bestimmte Erwartungen, aber die sind für nächstes Jahr ganz anders - und damit verändert sich auch die Formel."

Was er damit sagen will, aber nicht sagen kann: Weiß man schon im Vorhinein, dass das Auto nicht um vordere Positionen mitfahren kann, dann kann man ebenso gut auf talentierte Fahrer verzichten und lieber jemanden ins Cockpit setzen, der wenigstens ein bisschen Geld mitbringt. Denn, ganz ehrlich: Mit dem aktuellen Caterham würde auch Heikki Kovalainen keine Bäume ausreißen. Und Giedo van der Garde trägt wenigstens etwas zum Budget bei...

Christian Nimmervoll

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