• 14.09.2008 13:02

  • von Stefan Ziegler

Tarquini im Interview: "70 Kilogramm sind etwas viel!"

Gabriele Tarquini im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' über die Situation in der Meisterschaft und das Erfolgsgewicht in der WTCC

(Motorsport-Total.com) - SEAT-Pilot Gabriele Tarquini kam als Führender in der Meisterschaft nach Brands Hatch, büßte dort aber seine Spitzenposition ein und liegt nunmehr an zweiter Stelle in der Gesamtwertung. Der Italiener gibt sich allerdings optimistisch, was den Saisonendspurt anbelangt und freut sich auf seine beiden Heimrennen in Imola und Monza. Gäbe es nicht das Zusatzgewicht für die schnellsten Fahrer der Rennserie, so würde Tarquini die Tourenwagen-Weltmeisterschaft noch etwas mehr mögen...

Titel-Bild zur News: Gabriele Tarquini

Gabriele Tarquini ist kein großer Fan des Erfolgsballasts in der WTCC

Frage: "Gabriele, du hast in Brands Hatch die Führung in der Gesamtwertung eingebüßt. Wie gehst du mit dieser Situation um?"
Gabriele Tarquini: "Das stimmt, aber das ist typisch für diese Meisterschaft. Die Rennserie ist prima, aber das Ballastsystem hindert einen in dieser Saison leider schon ziemlich daran, viele Punkte zu machen. Glücklicherweise hatte ich einen fantastischen Start in dieses Jahr und eine gute erste Saisonhälfte."#w1#

Tarquini hadert mit dem Ballastsystem

"Seit einem gewissen Moment schleppe ich allerdings ziemlich viel Gewicht mit mir herum. Es ist also nur verständlich, dass jemand zu uns aufschließen kann. Momentan sind mein Teamkollege Yvan Muller und ich nahezu gleichauf, haben aber reichlich Zusatzgewichte an Bord. Da kann leicht jemand von hinten wieder herankommen und zu uns aufschließen. Das ist relativ normal."

"Das Ziel ist aber, im Saisonendspurt selbst mit Maximalballast konkurrenzfähig zu sein. Das mag vielleicht den Titelfight noch aufregender gestalten, man könnte es aber auch als ziemlich unfair bezeichnen, wenn man so will. Die schnellsten Wagen werden durch das Handicap-Gewicht bestraft. Im Vergleich zu deinen Teamkollegen oder anderen Fahrern wirst du also in einem Rennen eine Strafe bekommen."

Frage: "Würdest du also ein anderes Gewichtssystem bevorzugen?"
Tarquini: "Das Beste wäre wohl, wenn es ganz ohne Handicap-Gewicht ginge (lacht). Wenn ich mich recht erinnere, dann haben wir mit 30 Kilogramm angefangen, haben 40 bekommen, danach 50, dann 60 - aktuell habe ich 70 Kilogramm extra an Bord. Die schiere Menge des Handicap-Gewichts ist einfach beträchtlich."

"Das liegt daran, dass unsere Autos nicht sonderlich kraftvoll sind. Uns stehen weniger als 300 Pferdestärken zur Verfügung. Wenn man sich also über 70 Kilogramm unterhält, dann ist das eine Menge Holz! In dieser Rennserie kann das Technische Büro einem Auto mehr oder weniger Gewicht verordnen. Das bedeutet, dass der Unterschied zwischen dem leichtesten und dem schwersten Auto in diesem Rennen 140 Kilogramm beträgt."

"Man könnte also sagen, dass du praktisch zwei Leute in deinem Wagen dabei hast - ich meine: zwei weitere Menschen, zusätzlich zum Fahrer. Das ist nun einmal die Meisterschaft, diese Regeln gibt es halt und sie sind für alle gleich. Ich glaube kaum, dass ich deswegen einen Nachteil habe. Manchmal ist es nicht ganz fair, aber das Zusatzgewicht könnte doch etwas geringer sein. 70 Kilogramm sind möglicherweise etwas viel. Das ist meine Meinung."

Zusatzballast spielt eine große Rolle

Frage: "Du hattest also ziemlich viel Gewicht an Bord, bist im Qualifying aber auf die zweite Position gefahren. Wie kannst du dir das erklären?"
Tarquini: "Das bedeutet, dass ich auf der Pole-Position hätte stehen können, wenn ich nicht so viel Ballast an Bord gehabt hätte. Ich wäre wahrscheinlich schneller gewesen. Es hängt allerdings eher damit zusammen, dass ich diese Strecke sehr mag."

"Ich stand hier schon im vergangenen Jahr mit einem Benziner auf der Pole. Ich bin also recht gut auf dieser Strecke und müsste also vorne liegen. Natürlich ist es mit 70 Kilogramm nicht gerade einfach, vorne mit dabei zu sein. Ich bin also sehr zufrieden damit, in die erste Reihe gefahren zu sein."

Frage: "Kannst du etwas erläutern, was es bedeutet, 70 Kilogramm mehr Gewicht an Bord zu haben? Welche Auswirkungen hat das auf die Balance des Wagens und auf die Fahrzeug-Ausrichtung auf der Strecke?"
Tarquini: "Glücklicherweise können wir diese Gewichte frei im Cockpit verteilen. Wir können das also auch benutzen, um die Gewichtsverteilung des Wagens zu verändern - die Gewichtsverteilung der TDI-Wagen ist nicht wirklich toll. Das liegt daran, dass der Dieselmotor deutlich schwerer ist, wodurch unsere Autos auch mehr wiegen als die Benziner. Das Gewicht steckt hauptsächlich in der Front und das wiederum tut der Gesamtbalance nicht besonders gut."

"Wir benutzen also diese Extragewichte, um eine gute Balance in der Gewichtsverteilung herzustellen. Was die Performance angeht, so spürst du das Gewicht natürlich beim Bremsen und auch beim Einlenken, denn der Wagen ist viel träger als ein leichtes Auto. Bei der Beschleunigung spürt man den Effekt nicht so sehr, um ehrlich zu sein. Das schlägt sich aber am meisten in der Reifenabnutzung nieder. Das ist bei unserem Auto der größte Bereich."

Zwei Heimrennen für Tarquini

Frage: "Nach Oschersleben stehen Imola und Monza auf dem Programm. Was denkst du über deine beiden Heimrennen?"
Tarquini: "Ich freue mich sehr, wieder einmal nach Imola zu gehen. Monza mag ich nicht so sehr, Imola gefällt mir viel besser und ich sehe es auch als mein Heimrennen an. Es liegt einfach näher an meiner Heimat. Ich habe jede Menge positiver Erinnerungen an Imola aus der Vergangenheit. Das trifft sowohl auf Tourenwagen zu, aber dort habe ich auch mein erstes von vielen Formel-1-Rennen gefahren. In Imola fühle ich mich also immer besonders wohl."

"Die Strecke ist allerdings etwas verändert worden. Ich weiß nicht genau, was im Einzelnen getan wurde, ich habe das neue Layout noch nicht gesehen. Das wird sicherlich eine schöne Überraschung, denn wir haben dort in der kommenden Woche einen Medientag. Ich werde mit einem Straßenfahrzeug über die Strecke fahren, nur um mir einen Überblick zu verschaffen. Laut meinen Informationen wurde der Kurs allerdings nicht so sehr umgestaltet."

Frage: "Was denkst du über die verbleibenden Saisonrennen?"
Tarquini: "Ich glaube, Imola könnte für uns eine sehr gute Strecke sein. Monza vielleicht nicht unbedingt, obwohl wir dort im vergangenen Jahr recht flott unterwegs waren. Die Regeln haben uns allerdings des flachen Unterbodens beraubt. Außerdem ist unser Wagen bei den Topspeeds nicht sonderlich gut. Das liegt an der Form des Autos, die ist einfach zu voluminös."

"Okayama kenne ich nicht, denn dort war ich noch nie. Das wird also für alle eine Überraschung darstellen. Dann haben wir noch Macau. 2007 waren wir in Macau sehr gut unterwegs. Damals hatten wir allerdings noch den flachen Unterboden, der vor allem bei hohen Geschwindigkeiten geholfen hat. Ich denke aber, dass wir in den anstehenden Rennen konkurrenzfähig sein können."