WEC-Chef: "Schwere Entscheidung", Vanwall abzulehnen

Vanwall fuhr in der WEC-Saison 2023 mit einem großen PS-Defizit und plante schon mit dem Pipo-Turbomotor - Doch nun darf das Team von Colin Kolles nicht starten

(Motorsport-Total.com) - Vanwall ist raus. Die Entscheidung, das Team von Colin Kolles nicht für die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zu berücksichtigen, wurde dem Team erst am Montag um 9.30 Uhr mitgeteilt - 90 Minuten bevor die Starterliste für die Saison 2024 veröffentlicht wurde. Bemerkenswerterweise ging der Anruf nicht an Colin Kolles, sondern an Einsatzleiter Boris Bermes.

Titel-Bild zur News: Dem Vanwall fehlte es die ganze Saison über an Leistung

Dem Vanwall fehlte es die ganze Saison über an Leistung Zoom

Offiziell klingt das beim ACO so: WEC-Chef Frederic Lequien zufolge sei es eine "sehr harte Entscheidung" gewesen, Vanwall abzulehnen. Die WEC stand vor dem Luxusproblem, mehr Interessenten als Startplätze zu haben. Gleichzeitig betont er, dass er "große Bewunderung und Respekt" für das Team hege.

"Ich hätte am liebsten alle im Feld, aber wir haben eine begrenzte Anzahl von Autos, also müssen wir Entscheidungen treffen. Ich denke, wir haben logische und richtige Entscheidungen getroffen, auch wenn sie nicht immer einfach waren."

"Ich werde diese Entscheidungen nicht im Detail kommentieren; wir müssen unsere Entscheidungen nach verschiedenen Kriterien treffen, die im Sportlichen Reglement klar festgelegt sind. Und für Vanwall Racing waren einige davon nicht in Ordnung."

Die vier Kriterien sind: Die Erfolgsbilanz des Teilnehmers, sein Interesse an der Meisterschaft, die regelmäßige Teilnahme an der Serie oder an ihrem wichtigsten Rennen, den 24 Stunden von Le Mans, und die finanzielle Situation des Teams bei den Veranstaltern.

Ein Teilnehmer in der Hypercar-Kategorie muss außerdem "ein Präsentationsdossier mit Informationen über die Marke" einreichen, da die Königsklasse der WEC Herstellern von Straßenfahrzeugen vorbehalten ist. Auf die Frage, ob Vanwall diese Kriterien erfülle, lehnte Lequien einen Kommentar ab.

60 Kilowatt zu wenig Leistung

Nach Informationen von Motorsport-Total.com ist die Ablehnung auf die sportlichen Leistungen des Herstellers zurückzuführen. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Der Gibson-Motor erwies sich als zu schwach. Ein Deal mit Pipo Moteurs, dem Motorenlieferanten des inzwischen eingestellten Glickenhaus-Projekts, war für 2024 bereits unter Dach und Fach.

Der Vanwall Vandervell 680 sollte neu homologiert werden, neben dem Motor gab es auch kleinere Änderungen an Fahrwerkskomponenten. Das sei mit dem Automobil-Weltverband FIA bereits abgeklärt gewesen, versichert Kolles. Doch allein der neue Motor hätte den Boliden deutlich näher an den Rest des Feldes gebracht.

Colin Kolles sagte in Bahrain gegenüber Motorsport-Total.com: "Wir sind von einer bestimmten Motorleistung ausgegangen, die wir erreichen können. Und dann haben wir leider festgestellt, dass uns im Schnitt rund 60 Kilowatt gefehlt haben." 60 Kilowatt entsprechen gut 80 PS. So wurde aus dem Vanwall Vandervell 680 (laut BoP zum Saisonende ein Vandervell 707) ein Vandervell 625.

Die Spitzengeschwindigkeiten in der Hypercar-Klasse bei den 8h Bahrain 2023

Die Spitzengeschwindigkeiten in der Hypercar-Klasse am Wochenende der 8h Bahrain 2023 Zoom

Die in der Balance of Performance festgelegte Leistung von 520 Kilowatt (707 PS) konnte das Team nie ausschöpfen. "Wenn wir mit 520 Kilowatt fahren dürfen, aber nur mit 460 Kilowatt fahren [können], dann haben wir ein Problem", sagt Kolles.

Ein Blick auf die Topspeeds in Bahrain unterstreicht das: Der Vanwall Vandervell 680 war mit Abstand das langsamste Auto geradeaus. Auf Toyota fehlten 16, auf Porsche zwölf, auf Cadillac, Ferrari und Peugeot acht bis neun Kilometer.

Nach Daten, die Motorsport-Total.com vorliegen, war der Vanwall Vandervell 680 in den meisten Kurven des Bahrain International Circuit auf Augenhöhe mit den anderen Hypercars oder knapp dahinter, verlor dann aber auf der Geraden gnadenlos.

Geschwindigkeit schnellste Quali-Runde Vanwall vs. Porsche (1. Sektor)

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Im Vergleich zum Porsche 963 zeigt sich, dass der Vanwall in den engen Kurven 1 und 4 sogar minimal schneller war, dann aber auf der Geraden massiv verlor. Natürlich, so könnte man argumentieren, fuhr der Porsche in diesem Fall eher eine "V"- als eine "U"-Linie - mit geringerer Geschwindigkeit im Scheitelpunkt, aber einem günstigeren Winkel beim Rausbeschleunigen.

Doch auch wenn der Vanwall am Scheitelpunkt langsamer war, fehlte auf der anschließenden Geraden Geschwindigkeit. Dies zeigt der Vergleich mit dem Ferrari 499P. Hier war der Vanwall in Kurve 1 und Kurve 8 am Scheitelpunkt langsamer. Trotzdem fehlten am Ende der anschließenden Geraden mehrere km/h.

Während Skeptiker den Unterschied zwischen den Kurven 1 und 4 noch mit der kleinen Schikane (Kurven 2 und 3) erklären mögen, gibt es für die Bergaufpassage zwischen den Kurven 8 und 10 nur die Motorleistung als Erklärungsansatz.

Geschwindigkeit Vanwall vs. Ferrari schnellste Qualifyingrunde

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Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Vergleich mit dem Peugeot 9X8. In Kurve 1 ist der Vanwall im Scheitelpunkt langsamer, in Kurve 4 schneller. Trotzdem ist die Spitzengeschwindigkeit vor dem nächsten Bremspunkt in beiden Fällen beim Peugeot etwas höher.

Immer wieder Ärger mit dem Motor

Die fehlende Leistung erklärt, warum die Vanwall-Piloten oft Schwierigkeiten hatten, schneller zu fahren als die LMP2-Boliden. Diese haben zwar noch weniger Leistung, sind aber 80 Kilogramm leichter. Doch warum war der Vanwall nicht nur langsam, sondern auch unzuverlässig?

Für Kolles ist das eine direkte Folge des Leistungsdefizits: "Das Zuverlässigkeitsproblem kam, als klar wurde, dass wir zu wenig Leistung haben. Man testet und denkt, man ist im normalen Bereich. Erst wenn man merkt, dass man zu wenig Leistung hat, versucht man, vom Motorenhersteller mehr Leistung zu bekommen."

"Dadurch sind wir ins Risiko gegangen. Dann sind drei Motoren kaputt gegangen. Le Mans-Qualifying, Le Mans-Rennen [nach 15 Stunden] und Monza. Die Zuverlässigkeit ist jetzt wieder da, weil wir mit weniger Leistung fahren." Gibson Technologies wollte sich auf Anfrage vom Motorsport Network nicht äußern.

Vanwall vs. Peugeot: Die Vanwall-Linie ist leicht nach rechts verschoben

Vanwall vs. Peugeot: Die Vanwall-Linie ist leicht nach rechts verschoben Zoom

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Vanwall (vormals PMC GmbH) Probleme mit dem Motor hat. "Wir haben da einfach kein glückliches Händchen", heißt es aus Teamkreisen. Der Enso CLM P1/01 aus der LMP1-Klasse (ursprünglich Lotus T129) begann mit einem Motor von AER.

Dieser erwies sich im Bereich der Direkteinspritzung als anfällig: Durch Vibrationen schossen Hochdruckpumpen durch den Ventildeckel, außerdem gab es Probleme mit den Injektoren. Die Folge waren mehrere Brände in den Jahren 2014 bis 2016.

Deshalb wechselte das ByKolles-Team 2017 auf den Cosworth-Motor aus dem zwischenzeitlich eingestellten Nissan-LMP1-Projekt. Während der Motor im Nissan-LMP1-Projekt als einzig brauchbare Komponente galt, bereitete das Aggregat im Enso Probleme.

Der Grund: Im Nissan GT-R LM Nismo war der Motor vor dem Fahrer montiert und kein tragendes Teil. Das war bei den Prototypen in normaler Bauweise mit dem Motor hinter dem Fahrer anders. Als Strukturbauteil war der Motor jedoch den G-Kräften ausgesetzt, was zu Verwindungen und damit zu zahlreichen Motorschäden führte.

Mit dem Gibson-Motor schien sich die Situation deutlich zu verbessern und der 4,5-Liter-V8-Sauger funktionierte im LMP1 gut. Doch für die Leistungskurve der Hypercar-Klasse war das Aggregat nicht mehr geeignet. Laut Kolles waren 500 Kilowatt versprochen worden, bekanntlich lief der Motor aber mit 460 Kilowatt.

Ärger mit dem Motorlieferanten zieht sich wie ein roter Faden durch die Teamgeschichte

Ärger mit dem Motorlieferanten zieht sich wie ein roter Faden durch die Teamgeschichte Zoom

Nach dem Rückzug von Glickenhaus und der Absage von Vanwall ist neben den großen Herstellern nur noch Isotta Fraschini als Kleinserienhersteller vertreten, doch dieses Projekt ist bereits vor dem ersten Rennen in finanzielle Engpässe geraten.

Wie Vanwall auf die Absage reagieren wird, bleibt abzuwarten. Denkbar wäre ein Einzelstart bei den 24 Stunden von Le Mans. Allerdings ist dies nicht mehr so einfach wie in der jüngeren Vergangenheit, da enorm viele Startplätze blockiert sind. Zusätzlich zu den 37 WEC-Nennungen sind 15 Plätze für die LMP2 reserviert. Und zusätzliche Hypercars der in der WEC eingeschriebenen Hersteller dürften gegenüber Vanwall den Vorzug erhalten.

Ein großer Fokus von Vanwall wird nun auf der Auslieferung von Straßenfahrzeugen liegen, die laut Kolles im ersten Quartal 2024 starten sollen. Allerdings wird nicht das Straßenderivat des Hypercars den Anfang machen, sondern das kompakte Elektroauto Vanwall Vandervell.

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