Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Guim Roda (Kawasaki)

Ausbleibende technische Entwicklungen von Kawasaki und ein großes Fragezeichen über Jonathan Reas Zukunft: Bei Kawasaki gibt es momentan viele offene Fragen

Liebe Freunde der Superbike-WM,

Titel-Bild zur News: Jonathan Rea

Klebt die Startnummer 65 auch in der WSBK 2024 auf einer Kawasaki? Zoom

Wetterchaos, dramatische Wendungen in der Meisterschaft und der erste WM-Sieg der deutschen Nachwuchshoffnung Lennox Lehmann in der 300er-Klasse: Das WSBK-Wochenende in Most sorgte für gute Rennsport-Unterhaltung und lieferte einige Überraschungen.

Obwohl das Wetter deutlich schlechter als im Vorjahr war, fanden 45 Prozent mehr Zuschauer den Weg ins Autodrom unweit der Grenze zu Deutschland. Offiziell wurden 53.871 Besucher gezählt. Bei den deutschen Motorrad-Fans herrschte eine große Nachfrage, denn ein WSBK-Heimevent gibt es seit 2017 nicht mehr.

Nach den drei Tagen in Most haben sicher einige Beteiligte schlecht geschlafen. Da wären die Verantwortlichen von Pirelli, die am Sonntagabend erklären mussten, warum es Blasenbildung bei den Hinterreifen von drei Fahrern gab und warum Toprak Razgatlioglu unverschuldet ausfiel.

Toprak Razgatlioglu

Reifenschaden: Toprak Razgatlioglu schied sechs Runden vor Rennende aus Zoom

Toprak Razgatlioglus verlor 30 wichtige Punkte im WM-Duell. Bei einem Sieg wäre er mit 44 Punkten Rückstand in die Sommerpause gegangen und hätte damit noch gute Chancen gehabt. Doch 74 Punkte bedeuten, dass er aus eigener Kraft nicht mehr Weltmeister werden kann. Und das dürfte Alvaro Bautista eine sehr große Zuversicht bescheren.

Gleichzeitig sollte man nicht vergessen, dass Razgatlioglu gestern auch großes Glück hatte. Ich will mir nicht vorstellen, welche Folgen ein Reifenplatzer in der schnellen Linkskurve gehabt hätte. Die Auslaufzone ist an dieser Stelle im Verhältnis zu den gefahrenen Geschwindigkeiten absurd klein.

Philipp Öttl hat beim "Heimrennen" kein Glück

Ein weiterer Kandidat, der schlecht geschlafen haben könnte, ist Philipp Öttl. Für sein "Heimrennen" hatte sich Öttl einiges vorgenommen. Aktuell geht es für den einzigen deutschen WSBK-Stammfahrer darum, sich für die Saison 2024 zu empfehlen. Und das gelang Öttl aus verschiedenen Gründen nicht so gut.

Philipp Öttl

Fährt Philipp Öttl auch in der Saison 2024 in der Superbike-WM? Zoom

Die beiden Stürze in der Superpole erschwerten die Situation für die drei Rennen, denn vom letzten Startplatz war es für Öttl schwierig, sich nach vorne zu kämpfen. Zudem war das Risiko groß, in der ersten Schikane in Kollisionen verwickelt zu werden.

Philipp Öttl

Der Speed war da, aber das Glück war erneut nicht auf Philipp Öttls Seite Zoom

Als Lorenzo Baldassarri im Sprintrennen stürzte, war Öttl chancenlos. Die drei Punkte für P13 im zweiten Rennen waren ein schwacher Trost, denn vom reinen Speed her hatte Öttl in Most das Potenzial, um in die Top 10 zu fahren.

Wohin steuert Kawasaki in der Superbike-WM?

Doch alarmierender sind die Signale, die von Kawasaki ausgehen. Deshalb übernimmt Kawasaki-Teammanager Guim Roda stellvertretend für seine Mannschaft die Hauptrolle in dieser Kolumne.

Jonathan Rea

Der Sieg im Samstags-Rennen war eine absolute Meisterleistung von Jonathan Rea Zoom

Okay, Kawasaki hat am Samstag den ersten Saisonsieg sichergestellt und damit den bisher größten Erfolg in der laufenden Saison gefeiert. Doch das war kein Sieg von Kawasaki sondern eine Demonstration von Jonathan Rea und dessen Können.

Guim Roda

Muss Guim Roda bereits 2024 einen Ersatz für Jonathan Rea finden? Zoom

Vor dem Wochenende waren die Transfergerüchte des sechsmaligen Weltmeisters das bestimmende Thema im Fahrerlager. Rea wurde mit einem Wechsel zu Yamaha in Verbindung gebracht. Und wo Rauch ist, da ist auch irgendwo Feuer.

Technischer Stillstand bei Kawasaki, neue Motivation bei Yamaha?

Ich unterhielt mich am Donnerstag lange mit Yamaha-Teammanager Paul Denning und erfuhr, dass man Rea mit offenen Armen aufnehmen würde, obwohl es Yamaha-intern ein groß aufgezogenes Nachwuchsprogramm gibt (zur Exklusiv-Story). Aber klar, wenn man einen derart erfolgreichen Fahrer verpflichten kann, dann muss man die Chance nutzen.

Toprak Razgatlioglu

Yamaha-Teammanager Paul Denning muss nach einem Nachfolger für Toprak Razgatlioglu suchen Zoom

Fakt ist, dass Rea bei Kawasaki nicht mehr glücklich ist. Der technische Stillstand und die damit verbundene Gewissheit, aus eigener Kraft nicht mehr gewinnen zu können, haben Rea die Motivation geraubt, auch 2024 für Kawasaki zu fahren.

Toprak Razgatlioglu; Jonathan Rea

Wie viel besser ist die Yamaha R1 im Vergleich zur Kawasaki ZX-10RR? Zoom

Theoretisch hat er für 2024 einen Vertrag. Doch warum hat sich Rea im Vorjahr überhaupt für zwei weitere Jahre bei den "Grünen" entschieden? Der Abwärtstrend war damals bereits deutlich. Hat Kawasaki Versprechungen (wie eine komplett überarbeitete ZX-10RR) gemacht und nicht eingehalten?

Liebäugelt Jonathan Rea mit einem Ende seiner Karriere?

Rea gilt als äußerst loyal. Das wurde deutlich, als er Honda jahrelang treu blieb und somit einige Jahre seiner Karriere "vergeudete". Deshalb kommen die Gerüchte über einen Wechsel trotz bestehendem Vertrag überraschend.

Jonathan Rea

Jonathan Rea will in der Sommerpause entscheiden, ob er weitermacht Zoom

Im Laufe des Wochenendes stellte sich immer mehr die Frage: Macht er überhaupt weiter? Die Chance, ihn auch 2024 auf einer Kawasaki zu sehen, wurde in den zurückliegenden Wochen immer geringer.

Am Sonntag drückte sich Rea sehr präzise aus, als er auf seine Zukunft angesprochen wurde und meinte, dass er mit vollem Herzen überzeugt sein muss. Und was liefert ihm Kawasaki, um vollkommen überzeugt zu sein?


Fotos: Superbike-WM 2023: Most (Tschechien)


Ein Wechsel zu Yamaha könnte für neue Motivation sorgen. Aber wenn man sich anschaut, wie hart Toprak Razgatlioglu kämpfen muss, dann stellt sich die Frage, ob Rea eine gemeinsame Zusammenarbeit mit Kawasaki auch nach seiner aktiven Karriere aufgibt, um am Ende WM-Zweiter zu werden.

Gelingt Kawasaki ein Neuanfang, wenn Jonathan Rea geht?

Kawasaki steht vor schwierigen Zeiten, denn ohne Jonathan Rea ist man nur noch Mittelmaß. Ales Lowes zeigte erneut ein sehr unauffälliges Wochenende. Die Kawasaki-Kundenteams sind ohnehin seit Jahren bis auf wenige Ausnahmen im hinteren Teil des Feldes zu finden. Ducati zeigt, wie man es besser macht. Die privat eingesetzten Panigale V4R waren in Most sehr stark.

Alex Lowes

Wann bringt Kawasaki ein umfassendes Modellupdate? Zoom

Aus Japan gibt es momentan keine Impulse für einen Neustart des WSBK-Projekts. Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was das Bekenntnis von Kawasaki zur Superbike-WM angeht. Und auch einige konkurrierende Hersteller teilen diese Sorge und überlegen, wie man die Balance in der Serie so verbessern kann, damit alle Beteiligten zufrieden sind.

Kawasaki-Teammanager Guim Roda dürfte momentan jedenfalls einige Kopfschmerzen haben, wie er sein Projekt sicher durch die kommenden Jahre navigieren kann. Die Nachfolge von Jonathan Rea ist da nur eine von vielen Baustellen.

Wohin steuert Kawasaki Ihrer Meinung nach? Sind die glorreichen Zeiten für immer vorbei oder finden die ehemaligen Serien-Weltmeister zu alter Stärke? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky