Kolumne zur Superbike-WM 2024: Der Abstand zur MotoGP wächst weiter

Die Superbike-WM hat in der Saison 2024 nur ein Überseerennen und gastiert auf fragwürdigen Strecken: Behandelt Rechteinhaber Dorna die WSBK zu stiefmütterlich?

(Motorsport-Total.com) - Bei den Fahrern und Teams der Superbike-WM war das Erstaunen groß, als die Serienverantwortlichen am 26. Oktober 2023 den Kalender für die Saison 2024 präsentierten. Viele Fans witzelten über den neuen Kalender und stellten den WM-Status der Serie in Frage. Es war mehrfach von einer Superbike-EM die Rede.

Titel-Bild zur News: WSBK Start

Die Superbike-WM bestreitet nur ein Wochenende außerhalb von Europa Zoom

Denn nach dem traditionellen Saisonauftakt in Australien folgen in diesem Jahr ausschließlich Events in Europa. Zudem wird auf einigen für eine Weltmeisterschaft fragwürdigen Strecken gefahren. Das bevorstehende WSBK-Debüt auf der bisher lediglich für nationale Veranstaltungen verwendeten Anlage in Cremona sorgte für viele hochgezogene Augenbrauen.

Der starke Fokus auf Europa ist für die kleineren Teams sicher eine gute Nachricht, senkt es doch im Vergleich zu einem Kalender mit vielen Überseerennen erheblich die Kosten. Doch für die beteiligten Hersteller ist der WSBK-Kalender 2024 wenig attraktiv.

Wichtige Absatzmärkte wie Asien. Nordamerika und Südamerika fehlen komplett. Im Fahrerlager hörte man viele kritische Stimmen. Hat sich Rechteinhaber Dorna zu wenig bemüht, einen attraktiven Kalender für die WSBK-Saison 2024 auf die Beine zu stellen?

Zu wenig Überseerennen: Verlieren die Hersteller das Interesse?

Mit Yamaha, Kawasaki und Honda sind in der Superbike-WM drei japanische Werke vertreten. Ein Event in Japan wird seit Jahren von vielen gewünscht, doch laut Dorna-Verantwortlichen findet sich kein Promoter. Zu gering ist das Interesse an der seriennahen Meisterschaft.

WSBK Start

Nach dem WSBK-Auftakt auf Phillip Island folgen elf Europa-Events Zoom

Zwischenzeitlich gastierte die Superbike-WM im wichtigen Absatzmarkt Asien und besuchte unter anderem Thailand, Indonesien und Malaysia. Doch keines dieser Events konnte sich dauerhaft im Kalender behaupten.

Fehlende Rennen in Asien sind nicht das einzige Problem des WSBK-Kalenders. BMW wünscht sich zudem die Rückkehr in die USA. Die Kultstrecke Laguna Seca passte meiner Meinung nach gut zum Oldschool-Charakter der Superbike-WM. Doch zwischen dem Promoter und der Dorna soll es einige Differenzen geben, heißt es.

Laguna Seca Start

Laguna Seca war 2019 zum bisher letzten Mal ein Teil des WSBK-Kalenders Zoom

Aber vielleicht wäre der neue Flatrock Motorsport Park in Tennessee eine Alternative? Die Superbike-WM sollte unbedingt in Nordamerika gastieren. Und auch Südamerika hat ein Rennen verdient.

Wie wichtig sind Superbikes für die Hersteller?

Klar, die Verkäufe von Sportmotorrädern sind rückläufig und das wirkt sich auch auf die technische Entwicklung in einer seriennahen Meisterschaft aus. Andererseits verhelfen Erfolge in der Superbike-WM den Marken zu einem sportlichen Image. Drei der fünf Hersteller sind in der MotoGP vertreten. Bei den beiden anderen Marken erkenne ich aktuell große Unterschiede, was die Hingabe zum Rennsport angeht.

Toprak Razgatlioglu

Kann Toprak Razgatlioglu auch mit BMW um Siege kämpfen? Zoom

BMW startete jüngst zu einer regelrechten Offensive. Mit Ex-Weltmeister Toprak Razgatlioglu hat man das wohl größte Talent der WSBK verpflichtet. Zudem wird hinter den Kulissen kräftig umstrukturiert, um die M1000RR zum Erfolg zu führen. Für das neu formierte Testteam konnte man mit Sylvain Guintoli und Bradley Smith zwei hochkarätige Fahrer verpflichten.


Fotostrecke: Die erfolgreichsten Hersteller der Superbike-WM: Von Ducati bis Bimota

Ducati ist natürlich weiterhin der Favorit. Mit der Panigale V4R gewannen die Italiener in den beiden zurückliegenden Jahren die Meisterschaft. Aber etwas Sorgen bereiten mir die Projekte der japanischen Hersteller.

Honda verpasste der Fireblade ein leichtes Update und muss 2024 endlich abliefern. Vier Jahre lang blieb das HRC-Projekt deutlich hinter den Erwartungen zurück. In der MotoGP scheint es für den weltgrößten Hersteller dank einem kompletten Neustart und den Concessions bergauf zu gehen, aber wie wichtig sind Erfolge in der Superbike-WM wirklich?

Honda CBR1000RR-R Fireblade 2024

Neu für 2024: Honda verpasste der CBR1000RR-R Fireblade ein Update Zoom

Yamaha hat mit der R1 ein siegfähiges Motorrad, zumindest wenn es von Toprak Razgatlioglu pilotiert wird. Kann Yamaha mit Jonathan Rea erneut um die WM kämpfen? Bei den bisherigen Tests konnte Rea noch keine Bäume herausreißen, aber unterschätzen sollte man den Rekord-Champion keinesfalls.

Jonathan Rea

Jonathan Rea konnte die Yamaha R1 bereits in Jerez testen Zoom

Wird Rea auf der Yamaha stärker sein als Razgatlioglu auf der BMW? Diese Frage wird die Saison 2024 beantworten. Zu Saisonbeginn sehe ich Rea auf der ausgereiften Yamaha klar im Vorteil, aber wenn BMW das Entwicklungstempo wie erwartet beschleunigt, dann wird sich Razgatlioglu im Saisonverlauf deutlich steigern.

Der Abstieg von Kawasaki: Wie geht es weiter?

Sorgen bereitet mir die Situation bei Kawasaki. Die glorreichen Tage mit Jonathan Rea sind Geschichte. Ich erkenne durchaus Parallelen zu Honda in der MotoGP, die ab 2024 ohne Superstar Marc Marquez auskommen müssen. Nur dass sich Kawasaki im Gegensatz zu Honda in der MotoGP weiterhin im Winterschlaf befindet. Die in die Jahre gekommene ZX-10RR bleibt für 2024 bis auf kleine Details unverändert.

Kawasaki ZX-10RR

Kawasaki ZX-10RR: Das Konzept ist vergleichsweise alt Zoom

Bei Kawasaki ist Alex Lowes der neue Teamleader. Ja, genau der Fahrer, der im Vorjahr die Sturzstatistik anführte und seit Februar 2020 kein Rennen mehr gewinnen konnte. Es würde mich überraschen, wenn Lowes aus dem Schatten von Rea treten und Kawasaki zu einem Neuanfang verhelfen kann.

Alex Lowes

Alex Lowes steht vor einer wegweisenden Saison Zoom

Gespannt bin ich, wie stark Neuzugang Axel Bassani auf der Kawasaki sein wird. Bassani wollte nach einigen erfolgreichen Jahren mit Motocorsa-Ducati unbedingt den Werksfahrer-Status. Dafür bezahlt der Italiener vermutlich mit dem sportlichen Abstieg ins Mittelfeld, vielleicht sogar ins hintere Mittelfeld.

Ich frage mich, ob Kawasaki auf die Probleme reagiert und im Herbst eine modernere Version der Ninja präsentiert. Oder verabschiedet man sich langsam aber sicher aus der Superbike-WM? Abgesehen vom Werksteam verwendet in diesem Jahr nur noch Puccetti das Material von Kawasaki. Zugeständnisse vom Reglement werden nicht ausreichen, um das Paket langfristig konkurrenzfähig zu machen.

Warum die WSBK-Saison 2024 dennoch spannend wird

Axel Bassani

Axel Bassani ersetzt Jonathan Rea bei Kawasaki Zoom

Sechseinhalb Wochen vor dem Saisonstart will ich aber nicht zu viel Pessimismus verbreiten. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es einige Änderungen, die Spannung versprechen. Da wäre zuerst das neue kombinierte Gewichtslimit zu nennen.

Alvaro Bautista

Neues Gewichtslimit: Alvaro Bautista muss einige Kilogramm zuladen Zoom

Wie gut kann sich Ducati mit Weltmeister Alvaro Bautista auf das neue Mindestgewicht einstellen? Machen sich die etwa sieben Kilogramm Ballast wirklich bemerkbar? Aus dramaturgischer Sicht hätte ich nichts dagegen, wenn er die Marke von 27 Siegen aus 36 Rennen in diesem Jahr nicht wiederholt.

Toprak Razgatlioglu

Sehen wir weiterhin derart spektakuläre Manöver von Toprak Razgatlioglu? Zoom

Die große Frage lautet: Wie stark wird BMW mit Toprak Razgatlioglu sein? Sehen wir ähnlich spektakuläre Manöver wie mit der Yamaha? Oder wird die Umstellung zum BMW-Superbike für Probleme sorgen? Ich befürchte, dass Razgatlioglu mit der BMW einige Rückschläge verkraften muss. Doch gleichzeitig traue ich dieser Paarung auch einiges zu.

Dominique Aegerter

Dominique Aegerter steht vor seiner zweiten WSBK-Saison Zoom

Und dann gibt es noch die deutschsprachigen Fahrer. Dominique Aegerter erlebte beim Saisonfinale sein mit Abstand bestes WSBK-Wochenende und deutete an, dass man 2024 mit ihm rechnen muss. Ich würde mich freuen, den sympathischen Schweizer regelmäßiger auf dem Podium zu sehen.

Philipp Öttl kam bei GMT94-Yamaha unter und pilotiert ebenfalls eine R1. Aktuell testet Öttl eine Stock-Yamaha in Spanien und macht sich mit dem Charakter des Motorrads vertraut. Im Vergleich zur Ducati muss sich Öttl an einige Änderungen gewöhnen. Vielleicht kann er bei einigen Events für Überraschungen sorgen.

Klare Abtrennung von der MotoGP ist auch eine Chance

Zu ihrer Hochphase machte die Superbike-WM der MotoGP durchaus Konkurrenz. Davon ist man aktuell weit entfernt. Nicht nur der Kalender zeigt, dass der Abstand zur MotoGP weiter wächst. Ja, die Superbike-WM hat aktuell einige Hürden zu bewältigen, aber andererseits kann das auch eine Chance sein.

Paddock-Show

Tolles Vor-Ort-Erlebnis: Die Paddock-Show zieht viele Fans an Zoom

Andererseits mag ich den Oldschool-Charakter der Serie. Zudem punktet die Superbike-WM mit ihrem offenen Fahrerlager, das den Fans Motorsport zum Anfassen bietet.

Um den Rennsport mache ich mir in der Superbike-WM deutlich weniger Sorgen als in der MotoGP. Die absurden Reifendruck-Limits und die komplexe Aerodynamik mit all ihren Nachteilen beim Kampf um Positionen limitieren das Erlebnis erheblich.

Michelin

MotoGP 2024: Das Unterschreiten des Luftdrucks soll zur Disqualifikation führen Zoom

Deshalb ist meine Vorfreude groß auf eine spannende WSBK-Saison 2024 mit hoffentlich ähnlich epischen Duellen, wie wir sie im Vorjahr sehen konnten. In 47 Tagen startet das erste Rennen der neuen Saison!

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky