NLS-Machtkampf eskaliert! Dunkle Zeiten am Nürburgring

Der Nürburgring steigt aus der VLN aus - Neue Langstreckenserie vor Gründung - Klassische NLS soll keine Termine mehr bekommen, aber ist das möglich?

(Motorsport-Total.com) - Eskalation im seit Monaten schwelenden Machtkampf um die Zukunft der Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS): Die Nürburgring-Besitzgesellschaft NR Holding steigt zum Jahresende aus dem Vertrag mit der VLN aus. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Machtpokers mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Interessen.

Titel-Bild zur News: Ein Machtkampf um die Zukunft der Nürburgring-Langstrecken-Serie läuft aus dem Ruder

Ein Machtkampf um die Zukunft der Nürburgring-Langstrecken-Serie läuft aus dem Ruder Zoom

Auf der einen Seite stehen der Nürburgring beziehungsweise die Besitzgesellschaft NR Holding um den russischen Pharma-Unternehmer Viktor Charitonin, der Automobilclub von Deutschland (AvD) und zwei DMV-Vereine, die die NLS bisher mitveranstaltet haben. Einem von ihnen stand bis vor kurzem der ehemalige Geschäftsführer der VLN Sport, Ralph-Gerald Schlüter, vor. Nennen wir dieses Dreierkonstrukt "Die Achse".

Auf der anderen Seite stehen die übrigen sieben Clubs der bisherigen VLN Sport. Sechs dieser sieben Vereine gehören dem ADAC an. An der Spitze dieses Pools steht Mike Jäger.

Was nun passiert ist: Die NR Holding hat die Verträge mit der VLN gekündigt, nachdem sich die sieben Clubs geweigert hatten, den Gesamtkomplex VLN/NLS in eine neue Gesellschaft zu überführen, an der sie nur noch mit 24 Prozent beteiligt gewesen wären.

Die Achse will nun eine eigene Langstreckenserie (offiziell ohne Beteiligung der NR-Holding, siehe unten) mit mindestens acht Rennen gründen. Die bisherige VLN wird von der Nürburgring 1927 GmbH & Co. KG, die als 99-prozentige Tochter der NR Holding das Rampenlicht bewusst auf sich zieht (die wirklichen Strippenzieher sind Michael Lemler und Viktor Martin von der NR Holding), ab 2024 keine Termine mehr zur Verfügung gestellt bekommen.

Die Frage ist nun, ob das überhaupt möglich ist, denn die NR Holding unterliegt einem Gesetz, das genau solche Fälle eigentlich verhindern soll. Es handelt sich um das sogenannte "Nürburgring-Gesetz" aus dem Jahr 2013.

Im Gesetzestext - nach offizieller Lesart "Landesgesetz zur Erhaltung der Zweckbestimmung des Nürburgrings" - heißt es in Paragraph 3:


Fotostrecke: Streit um Langstreckensport am Nürburgring: Die Gemengelage erklärt

"Wer eine in Paragraph 2 genannte Infrastruktur [Rennstrecke und die für eine bestimmungsgemäße Nutzung der Rennstrecke erforderlichen Einrichtungen] betreibt, ist verpflichtet, die diskriminierungsfreie Benutzung der Infrastruktur, zum Zwecke
1. des Sports, insbesondere des Breitenmotorsports,
2. von Touristenfahrten und
3. von Testfahrten der Automobilindustrie und -zuliefererindustrie
gegen angemessenes Entgelt zu gewähren."

Es ist aber davon auszugehen, dass die Achse diesen Gesetzestext mit Juristen sehr genau studiert hat, um mögliche Lücken zu finden.

Der Machtkampf erklärt

Aber worum geht es eigentlich? Mit dem geschlossenen Rücktritt der NLS-Führung im November 2022 ging das Machtspiel in seine heiße Phase. Schlüters Rücktritt war alles andere als freiwillig. Seitdem arbeitete er im Hintergrund an einem möglichen Comeback.

Ende März 2023 gab der AvD seinen Einstieg in die NLS bekannt. Dem AvD geht es darum, im Motorsport relevant zu bleiben, nachdem der ADAC im Winter die DTM gekauft hatte und der AvD damit aus dem Rennen war. Zuvor war er in der DTM für die Rennleitung und die Sportkommissare zuständig.

Der AvD, von der Mitgliederzahl her zehnmal kleiner als der ADAC, hat sich im Motorsport immer mindestens auf Augenhöhe präsentiert und für seine Größe Beachtliches geleistet. So organisierte er prestigeträchtige Motorsportveranstaltungen wie den Großen Preis von Deutschland in der Formel 1.

Doch seit einiger Zeit legt der ADAC eine neue Dynamik im Motorsport an den Tag, hat den Breitensport abseits der Nordschleife im ADAC Racing Weekend gebündelt und ist zunehmend im lukrativen historischen Motorsport aktiv. Dies zeigt sich insbesondere beim Hockenheim Historic/Jim Clark Revival, das der ADAC als Pilotprojekt bezeichnet hat.

Bei der DTM wehen seit diesem Jahr ADAC-Flaggen, der AvD wurde ausgebootet

Bei der DTM wehen seit diesem Jahr ADAC-Flaggen, der AvD wurde ausgebootet Zoom

Und auch beim Oldtimer Grand Prix auf dem Nürburgring verschwand das "AvD" aus dem Namen, allerdings ohne Beteiligung des ADAC. Die NLS war nun für den AvD ein willkommenes motorsportliches Betätigungsfeld mit Strahlkraft. Die Konstellation, dass der AvD eine Serie veranstaltete, in der sechs ADAC- und drei DMV-Clubs die Rennen ausrichteten, ließ wiederum beim ADAC die Alarmglocken schrillen.

Zumal mit der NR Holding bereits die Strukturen für eine neue Gesellschaft geschaffen waren, an der der Nürburgring 51 Prozent, der AvD 25 Prozent und die VLN Sport GmbH & Co. KG mit ihren neun Gesellschaftern - den neun Vereinen - 24 Prozent gehalten hätten. Der Geschäftsführer - oder einer der Geschäftsführer - hätte übrigens Ralph-Gerald Schlüter geheißen.

Damit wäre der ADAC, der schon 2017 mit seiner Idee einer neuen Langstreckenserie auf dem Nürburgring von der NR Holding ausgebremst worden war (es wurde die VLN VV gegründet, an der sie 60 Prozent und die VLN Sport 40 Prozent hielt), auf 16 Prozent geschrumpft - zwei Drittel von 24 Prozent.

Wenig überraschend stimmten die sechs ADAC-Ortsclubs, aber auch die Renngemeinschaft Düren DMV gegen diese Konstruktion. In dieser Konstellation wären die Vereine nur noch mit jeweils 2,67 Prozent an den Einnahmen beteiligt gewesen, da sie nur noch 24 Prozent hielten. Ein möglicher Versuch also, die Vereine endgültig loszuwerden?

Ein Gegenangebot der sieben Clubs war das andere Extrem: Die VLN hätte wieder die volle Hoheit über die Rennen auf der Nordschleife bekommen, der Nürburgring wäre nur noch als Vermieter der Strecke aufgetreten. Auch das lehnte der Nürburgring wenig überraschend ab.

Nordschleifen-Motorsport aktuell gespalten

Die NR Holding kündigte die Verträge, woraufhin die VLN Sport in der vergangenen Woche in einer Pressemitteilung bekannt gab, die Rennen der NLS wieder alleine zu veranstalten.

Mike Jäger wird mit den Worten zitiert: "Es ist nicht im Sinne unserer Gesellschafter, das Ruder der Serie, die sie in den vergangenen 47 Jahren mit viel Enthusiasmus und Herzblut aufgebaut haben, komplett aus der Hand zu geben. Vielmehr sehen wir unsere Zukunft darin, die Serie künftig wieder in Eigenregie durchzuführen, wie dies bereits bis einschließlich 2016 erfolgreich der Fall war."

Ralph-Gerald Schlüter

Ralph-Gerald Schlüter wirkt in der neuen Gesellschaft mit Zoom

Die Serienstruktur der Achse ist bereits gegründet. Sie heißt Nürburgring Endurance Serie GmbH (NES - die englische Abkürzung für NLS). Überraschenderweise - und vielleicht schon mit Blick auf das bereits thematisierte Nürburgring-Gesetz - taucht weder die NR Holding noch die Nürburgring 1927 GmbH & Co. KG als Gesellschafter auf.

Die Anteile gehören zu 76 Prozent dem AvD und zu 24 Prozent der ebenfalls neu gegründeten BS Motorsport GmbH & Co. KG. Das S steht für Ralph-Gerald Schlüter, das B für Peter Bonk. Letzterer fühlte sich bei der Ablösung Schlüters im vergangenen Jahr von anderen Gesellschaftern übergangen. Ihre jeweiligen Vereine - der Rheydter Club für Motorsport e.V. DMV und der MSC Münster e.V. DMV - waren die beiden Gesellschafter, die für das 51-25-24-Modell gestimmt hatten.

Damit gibt es nun zwei Rennserien am Nürburgring, und das in einer Situation, in der die Teilnehmerzahlen in der noch bis Ende 2023 vereinten Serie bereits in der Krise sind - bei der NLS4 (traditionell nach dem 24h-Rennen ein Tiefpunkt in der Saison) starteten ganze 97 Fahrzeuge ins Rennen.

Die Achse wird keine Probleme haben, die entsprechenden Termine an die neue Serie zu verteilen. Sie muss nun ein Reglement ausarbeiten, denn die Hoheit über die SP-Klassen liegt beim ADAC Nordrhein. Die Frage, ob Volker Strycek, der am geschlossenen Rücktritt der VLN-Führung 2022 beteiligt war und Sportpräsident des AvD ist, am Reglement mitarbeitet, verneint ein AvD-Sprecher gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

Wie ein Reglement ähnlich aufgebaut sein kann, zeigt die Rundstrecken-Challenge-Nürburgring (RCN) - nur dass eine SP3T dort RS3A heißt. Allerdings muss sich die neue Serie mit dem ADAC Nordrhein arrangieren. Denn der richtet das 24-Stunden-Rennen aus und hat damit eine gewisse Machtposition inne.

Die VLN wiederum hat nun die alleinige Hoheit über eine Rennserie, der der Nürburgring keine Termine zur Verfügung stellen will. Und selbst wenn, stellt sich die Frage, wie sie bei einer Aufspaltung des Motorsports auf der Nordschleife überleben soll. Eine Annäherung an den ADAC wäre logisch.

Verlierer der ganzen Gemengelage sind - wie so oft - die Rennteams und die Fahrer. Gewinner dürften die Rechtsanwälte sein.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, der AvD habe neben Rennleitung und Sportkommissaren auch die technischen Kommissare der DTM gestellt. Diese kamen aber von der Dekra. Wir haben die Stelle entsprechend angepasst.