• 08.10.2008 12:12

Speedway: "Das sind alles Ästheten"

Vor dem Finale Auf Schalke: Interview mit dem früheren Speedway-Weltmeister Egon Müller über die Faszination seiner Sportart

(Motorsport-Total.com) - Egon Müller ist bislang der einzige Deutsche, der Speedway-Weltmeister werden konnte - 1983 in Norden. Vor dem diesjährigen WM-Finale am Samstag in der Arena Auf Schalke äußert sich der Kieler über die Faszination Speedway und das Herausforderungsprofil seiner möglichen Nachfolger.

Titel-Bild zur News: Nicki Pedersen

Nicki Pedersen und Kollegen sind am Samstag Auf Schalke in Action

Frage: "Warum muss man am Samstagabend zum Finale der Speedway-WM in die Veltins-Arena Auf Schalke?"
Egon Müller: "Der Grand Prix ist die Parade-Veranstaltung für den deutschen Bahnsport schlechthin. Wenn einer dort zum ersten Mal ein Speedway-Rennen besucht - der braucht zwei Wochen, um all das zu verarbeiten, was er dort in zweieinhalb Stunden geboten bekommt. Speedway ist ja ohnehin die Königsdisziplin im Bahnsport. Und im Vergleich zu offenen Grasbahn-Rennen in Deutschland ist der Grand Prix Auf Schalke in etwa so wie ein Rod Stewart-Konzert im passenden Ambiente verglichen mit einem Freddy Quinn-Konzert irgendwo aufm Dorf - da liegen Welten dazwischen. Schalke ist die beste Gelegenheit, den Sport mit all seinen Facetten mal richtig kennenzulernen. Der Speedwaysport hat eine viel bessere Entwicklung genommen als etwa der Langbahnsport. Mit dem hätte es genau so vorwärts gehen können - wenn sich da auch ein guter Renndirektor gefunden hätte."#w1#

Frage: "Der Aufschwung des Speedway geht also vor allem auf Ole Olsen zurück - den Permanenten Renndirektor der WM?"
Müller: "Ja. Ich kenne Ole Olsen ja noch aus unserer gemeinsamen aktiven Zeit. Und ich war damals beileibe nicht mit allem einverstanden, was er gemacht hat. Aber vor dem, was er aus der Grand Prix-Serie geholt hat, kann man nur den Hut ziehen. Das konnte aber wahrscheinlich auch nur einer wie er. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er als junger Fahrer ohne viel Geld mit einem Volvo und einer einzigen Maschine zu den deutschen Rennen gefahren kam. Damals musste er sich erst noch einen Namen machen. In solch einer Situation lernst du Promotion und PR von der Pike auf. Das sind Erfahrungen, die nimmt dir keiner mehr weg. Um den Speedwaysport nach vorn zu bringen, musste einer her, der genau diese praktischen Erfahrungen gesammelt hatte. Eine normale Werbeagentur hätte da gar nichts bewirkt."

Frage: "Sie gewannen 1983 in einem denkwürdigen WM-Finale im ostfriesischen Norden den Titel - als bislang einziger Deutscher. Wo sind Ihre Nachfolger?"
Müller: "Der Stand des deutschen Speedwaysports ist immer noch bescheiden. Sobald sich ein kleines Sternchen irgendwo herauskristallisiert, wird der betreffende Fahrer gleich von Leuten aus der Szene bestürmt und mit guten Ratschlägen überhäuft. Dadurch ist er als junger Fahrer gleich verunsichert. Dabei gibt es einen ganz klaren Weg, wie man Weltmeister wird."

Frage: "Und zwar?"
Müller: "Man muss seinen Körper daraufhin trainieren. In jedem Körper stecken riesige Kräfte. Die müssen mobilisiert werden. Eine gute Vorbereitung ist das A und O - und zwar körperlich wie geistig. Als ich 1973 in Lüdinghausen zum ersten Mal Deutscher Meister wurde, habe ich mir noch auf dem Siegertreppche Gedanken gemacht: Was muss ich jetzt tun, damit ich auch Weltmeister werde? Man freut sich beim Nachhause-Fahren zwar über den Sieg - ist aber in Gedanken schon einen Schritt weiter. Ich hatte zum Beispiel von Anfang an einen guten Draht zu Journalisten von den Kieler Nachrichten und von Bild Hamburg. Daneben habe ich nächtelang auf einer alten Schreibmaschine mit dem Zweifinger-Suchsystem alle möglichen Namen aus Anzeigen herausgeschrieben, die als Sponsoren für Speedway infrage kämen. Man muss als junger Fahrer in allen Bereichen hart arbeiten und entschlossen sein. Sonst wird das nichts. Ich musste mir dabei früher alles selbst erarbeiten, und ich habe dabei teilweise viel Lehrgeld bezahlt. Aber heutzutage gibt es Seminare und Fitnesstrainer. In diese Bereiche müssen die jungen Fahrer viel mehr Zeit investieren. Es reicht nicht mehr, nur im Kreis zu fahren. Die Begleitumstände müssen auch stimmen - und die innere Einstellung."

Frage: "Der Bayer Martin Smolinski fährt am Samstagabend als Gaststarter im WM-Finale mit. Stimmen bei ihm diese Rahmenbedingungen?"
Müller: "Er ist aus deutscher Sicht sicher die richtige Wahl. Ich beobachte ihn schon seit seinem 15. Lebensjahr. Er hat ein klares Ziel vor Augen. Und er hat auch die Möglichkeit, weit zu kommen. Aber wenn er einen persönlichen Trainer hätte, der ihn direkt da hin steuert, wo er hin will, dann würde er sicher noch schneller noch weiter kommen."

Frage: "Welche Chancen hat er beim Grand Prix?"
Müller: "In Gelsenkirchen kriegen alle eine Lehrstunde. Auch er. In allererster Linie muss er im Training am Freitag was probieren. Er muss nicht nur stur seine Linie fahren, sondern auch mal gucken, ob er abseits der Ideallinie Griff findet. Nur wenn er experimentierfreudig ist, kann er auch in den Rennen was riskieren. So haben sich schon früher immer wieder Fahrer wie Chris Morton herauskristallisiert; das waren Leute, die nie aufgegeben haben. Solche Leute brauchen wir auch in Deutschland. Es gibt zu viele, die zu einfallslos sind. Smolinski nimmt solche Ratschläge an. Aber im Grand Prix herrscht natürlich ein ganz besonderer Druck. Mit dem muss er auch noch klarkommen. Ein Lauf wird im Staub enden. Er ist ein harter Kämpfer - aber mit dieser Kategorie Fahrer ist er noch überfordert. Wenn er sich drei bis vier Punkte erkämpft, ist das schon gut. Andererseits: Mich hat man vor Wembley 1981 auch ausgelacht, weil alle dachten, ich käme mit dem Druck von 100.000 Zuschauern nicht klar - und ich holte acht oder neun Punkte. Vielleicht gelingt ihm ja auch so was..."

Frage: "Was fehlt ihm im Vergleich zur absoluten Weltspitze noch?"
Müller: "Wenn du ein Ziel vor Augen hast, musst du nicht erst fünf verschiedene Tuner durchprobieren und dir Gedanken machen, welcher Rahmen zu welcher Bahn passt. Du musst in erster Linie an dir selbst arbeiten - an deinem Körper. Der rechte Oberschenkelmuskel ist der grösste Schwellkörper in einem Menschen. Mit dem rechten Bein musst du auf dem Motorrad tanzen können wie Rastelli. Das Motorrad wird im Speedway nur mit dem rechten Bein und dem Öberkörper gesteuert. Die Fahrer in der WM bewegen sich in Regionen, von denen selbst Langbahn-Fahrer sagen: Mit so starken Motoren können wir nicht mehr fahren. Die Speedway-Stars aber können das. Du musst es schaffen, so viel Gewicht wie möglich aufs Hinterrad zu verlagern. Nur dann ist Traktion angesagt. Das sind aber Bruchteile von Gramm-Unterschieden, wie weit du auf dem Sitz bis zum Schutzblech rutschst - der Grad zwischen Traktion und sich nach hinten überschlagen ist verdammt schmal. Das muss trainiert werden. Und dazu muss die innere Einstellung stimmen. Wenn du einem Porsche Petroleum in den Tank schüttest, läuft er nicht. Mit dem menschlichen Körper ist es das Gleiche."

Frage: "Wie gehen die regulären Starter mit einem Wild Card-Fahrer um, der plötzlich in ihrer Mitte fährt?"
Müller: "Die werden ihn sich natürlich sehr genau angucken. Denn die Stammfahrer können sich untereinander sehr genau einschätzen. Das sind ja alles Ästhethen. Die fahren sich bis auf wenige Millimeter gegenseitig an den Körper ran und wissen genau, wie weit sie im Zweikampf gehen dürfen. Wenn da jetzt auf einmal einer kommt, von dem sie nicht so genau wissen, wie der am Limit reagiert - dann lassen sie den im Zweifel lieber erstmal ziehen, anstatt sich auf Gedeih und Verderb mit dem anzulegen und womöglich dabei zu stürzen. Gerade bei Nicki Pedersen und Jason Crump, wo es um die WM geht, aber auch beim Kampf um die achte Stelle kann ich mir vorstellen, dass die im Zweifel eher zurückstecken. Das kann dann für Smolinski wieder gut sein. Vielleicht ist das die Chance zu der einen oder anderen Überraschung."

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