• 22.01.2008 08:40

  • von Pete Fink

Die NASCAR-Expertenrunde zur Saison 2008 (1)

'Motorsport-Total.com' hat vier NASCAR-Experten an einen Tisch gebracht und mit ihnen die wichtigsten Themen im Vorfeld der neuen Saison besprochen

(Motorsport-Total.com) - Richtige NASCAR-Experten muss man in Deutschland zwar mit der Lupe suchen, aber es gibt sie. 'Motorsport-Total.com' hat die vier Wichtigsten an einen Tisch gerufen, um in einer gemeinsamen Diskussionsrunde die entscheidenden Fragen der neuen NASCAR-Saison 2008 zu besprechen.

Titel-Bild zur News: Daytona

In 26 Tagen beginnt die neue Saison - was sagen die deutschen Experten?

Günther Steiner, der NASCAR-Teamchef von Red Bull, Klaus Graf, der einzige Deutsche, der jemals ein Cup-Rennen fuhr, Christian Kuhn, der deutsche Partner des NASCAR-Teams von BAM Racing und 'Premiere'-Kommentator Jacques Schulz gaben ihre Meinungen zum Besten - und nicht immer waren die Herren Experten einer Meinung.#w1#

Auf den Tisch kamen zwölf hochinteressante Fragen rund um die NASCAR Sprint Cup Saison 2008, die unsere Fachleute ausführlich für die Leser von 'Motorsport-Total.com' diskutiert und beantwortet haben - hier der erste von zwei Teilen der großen NASCAR-Expertenrunde zur Saison 2008.

Frage: "Wie wird sich Dale Earnhardt Jr. bei Hendrick Motorsports einfügen? Kann er im Team zu einem Herausforderer von Jimmie Johnson und Jeff Gordon werden?"
Klaus Graf: "Junior wird sich relativ schnell einfügen, zumal das erste Rennen mit dem Daytona 500 eine Spezialität von ihm ist. Er ist wirklich sehr stark auf den Restrictor-Plate-Strecken und kann da mit einem guten Resultat viel Selbstvertrauen für die Saison gewinnen."

Graf glaubt an schnelle Earnhardt-Erfolge

Günther Steiner: "Aber ich finde, er hat sich die Latte da sehr hoch gelegt, denn dort fahren zwei der besten NASCAR-Piloten überhaupt. Sicher, er hat ein schnelles Equipment und ich finde es sehr mutig von ihm, dass er sich dieser Herausforderung stellt. Er hat zwar seinen Crew-Chief mitgenommen, aber es ist trotzdem ein neues Team und ich denke, dass er eine Zeit brauchen wird. Mithalten wird er können - ob er sie schlagen kann, das muss man sehen."

Klaus Graf

Klaus Graf ist der einzige Deutsche, der bislang ein Sprint-Cup-Rennen bestritt Zoom

Jacques Schulz: "Er wird zumindest besser fahren, als in seinen Jahren bei DEI, weil da der psychologische Hausegen doch ein bisschen arg schief hing."

Graf: "Ich glaube, mitentscheidend wird sein, zu welchem Zeitpunkt er sein erstes Rennen für Hendrick gewinnen wird, um die Fans, das Team und sich selbst zu beruhigen. Wenn das früh in der Saison gelingt, ist alles möglich.

Christian Kuhn: "Also ich persönlich bin ein großer Earnhardt-Fan. Ich finde es toll, wie er sich den Fans gegenüber präsentiert, aber meiner Meinung nach wird er Jimmie Johnson und Jeff Gordon in der Endabrechnung nicht gefährden können. Er wird Rennen gewinnen, in den Chase kommen und nach wie vor der populärste NASCAR-Pilot bleiben."

Schulz: "Das sehe ich auch so. Einzelsiege sind drin, aber ob er in Sachen Meisterschaft einen Jimmie Johnson - der übrigens mein erneuter Topfavorit ist - herausfordern kann, das wage ich zu bezweifeln."

Für Montoya wird es ganz eng in Sachen Chase

Frage: "Wie geht es für Juan Pablo Montoya in seinem zweiten NASCAR-Jahr weiter? Kann ihm Chip Ganassi ein Auto hinstellen, mit dem er auch auf dem Oval gewinnt? Hat er eine Chance auf den Chase?"
Schulz: "Dass er das kann, hat er in Indianapolis schon bewiesen."

Christian Kuhn

NASCAR-Insider Christian Kuhn hält sehr viel von Juan Pablo Montoya Zoom

Graf: "Ja, aber die Konstanz bei den langen Ovalrennen muss bei Montoya dieses Jahr kommen. Der Speed war schon da, doch die Komplettheit als Team und als Fahrer über 500 Meilen hat 2007 meistens noch gefehlt, um konstant in den Top 10 zu landen. Wenn er das zusammen mit dem Team hinbekommt, hat er Chancen auf den Chase - aber es wird schwer."

Kuhn: " Ich traue ihm eine Platzierung um Position 15 herum zu. Ganassi hat mit Texaco und Wrigleys nun 22 Millionen Dollar für das Montoya-Auto eingesammelt. Das ist Top-Niveau und auch sein Crew-Chief Donnie Wingo ist ein guter Mann. Wie Klaus schon sagte, es geht um die Konstanz, und wenn er das hinbekommt, dann kann er es schaffen. In Indianapolis sehe ich ihn wieder ganz weit vorne, und früher oder später wird er auch auf dem Oval gewinnen."

Steiner: "Montoya kann Rennautos fahren, das ist gar keine Frage. Ganassi ist schon lange dabei, die Jungs sind gut, aber für ganz oben hat es nie gereicht. Deswegen würde ich sagen, er schafft es nicht in den Chase. Wo ich zustimme: Ein Ovalrennen kann er durchaus gewinnen - wenn er ein bisschen Glück hat."

Schulz: "Die entscheidende Frage wird sein, ob Ganassi in der Lage ist, aus diesem Mittelfeld herauszukommen. Montoya selbst wird besser abschneiden, als in seinem ersten Jahr. Ich glaube, dass er eine realistische Chance auf den Chase hat, wenn er es schafft, sich aus diesen Scharmützeln und Kleinigkeiten herauszuhalten. Wenn er also nicht mit diesem Auge-um-Auge-Gedanken in die Saison geht, wie zum Beispiel in Watkins Glen, bei dieser völlig überflüssigen Aktion mit Kevin Harvick. Chase ja, aber um den Titel wird er nicht mitfahren können."

Villeneuve und die große Unbekannte

Frage: "Jacques Villeneuve hat 2008 kein Auto, das in den Top 35 steht und muss sich daher qualifizieren. Was macht der ehemalige Formel-1-Weltmeister aus dieser schweren Ausgangsposition?"
Kuhn: "Ich denke, für die Fans ist das die spannendste Frage des Jahres. Entscheidend wird sein, ob Villeneuve noch der ist, den wir aus der Vergangenheit alle kennen. Ich habe ihn damals live gesehen, als er in der CART-Serie auf dem Oval gefahren ist, und es war fast schon beängstigend, wie mutig er da zu Werke gegangen ist. In Michigan sind sie damals über 370 Stundenkilometer im Schnitt gefahren. Auf den großen Ovalen, den Superspeedways, war er unvorstellbar schnell. Die größte Unbekannte ist: Wie gut ist die Mannschaft von Bill Davis Racing?"

Günther Steiner

Red-Bull-Teamchef Günther Steiner arbeitet über ein Jahr in der NASCAR Zoom

Graf: "Genau, leider ist er von allen Open Wheelern im schwächsten Team. Qualifizieren muss das primäre Ziel sein, um nach den ersten Rennen in die Top 35 zu kommen. Bei der starken Konkurrenz ist das keine leichte Aufgabe für ihn."

Schultz: "Bill Davis ist zumindest in der Lage, ihm ein gutes Qualifikationsauto hinzustellen und Villeneuve ist auf eine Runde schnell. Das haben das Talladega-Rennen und die Daytona-Tests bewiesen.

Steiner: "Ich glaube, er hat die Motivation wieder gefunden, um über die Qualifikation ins Rennen zu kommen. Er wird sich schwer tun, wie wir alle, die wir uns in dieser Situation befinden, aber er wird kämpfen. In den beiden Rennen, für die er sich 2007 qualifizieren wollte, war er im Qualifying gut, er hatte mehr Probleme im Rennen. Und im Rennen kann es nur gut werden durch Erfahrung, wie wir mit A.J. Allmendinger gelernt haben."

Kuhn: "Ich sage es mal so: Sein Bill-Davis-Teamkollege ist Dave Blaney und das ist eine gute Meßlatte. Wenn er es schafft, ihn konstant zu schlagen, dann kann er um Platz 20 bis 25 herum landen."

Graf: "Er wird sich überwiegend im hinteren Mittelfeld aufhalten, da bin ich mir ziemlich sicher.

Schulz: "Aber ich sehe da auch noch ein großes finanzielles Problem im Team und ich denke, dass sie jetzt versuchen, mit extrem guten Leistungen zu überzeugen, um in die Rennen zu kommen und so Sponsorengelder zu generieren. Ich halte das für reine Quali-Leistungen mit Showcharakter, sogenannte Vorstandszeiten. Villeneuve wird sich dieses Jahr noch richtig hart tun."

Franchitti und Hornish Jr. nicht wie Montoya

Frage: "Dario Franchitti und Sam Hornish Jr. hingegen haben bei Ganassi und Penske ein Auto in den Top 35. Können sie davon profitieren und steht ihnen eine ähnlich positive Debüt-Saison ins Haus, wie es 2007 Montoya vorgemacht hat?"
Graf: "Franchitti traue ich das zu, Hornish hat mich bei den Stockcars bisher nicht so überzeugt. Auch muss man bei beiden abwarten, wie gut die Crews mit ihren Crew-Chiefs aufgestellt sind. Einen Top-35-Platz zu haben ist in den ersten fünf Rennen absolut ein Vorteil, danach muss die Leistung allerdings konstant kommen, sonst ist man da ganz schnell wieder raus."

Jacques Schulz

'Premiere'-Kommentator Jacques Schulz ist schon lange bekennender NASCAR-Fan Zoom

Schulz: " Kurt Busch und Sam Hornish Jr. haben nicht umsonst ihre Punkte getauscht, Dario Franchitti steht da besser da. Und was man auch nicht vergessen sollte: Franchitti hat DTM-Erfahrung, Dario traue ich mehr zu, als Hornish."

Kuhn: "Franchitti hat für mich das Problem, dass er bei Ganassi eben nur das zweite Team haben wird. Das ist in keinem Fall so gut, wie das Montoya-Team. Bei den Straßenrennen wird er glänzen können, aber ansonsten wird er keine große Rolle spielen. Ich sehe ihn um Platz 30 herum. Für Hornish gilt: Kampf um Platz 30 bis 35 und keine Highlights auf den Straßenkursen - beide werden keinesfalls so eine Debütsaison haben, wie Montoya 2007."

Steiner: "Das ist auch meine Meinung. Für einen NASCAR-Newcomer hat Montoya Maßstäbe gesetzt. Die Sache ist nicht so leicht, wie es von außen aussieht. In den Busch-Rennen habe ich übrigens Hornish ein wenig besser gesehen als Franchitti. Aber Montoya ist der Maßstab und Montoya zu toppen - das werden sie nicht schaffen."

Gibbs und Toyota - das neue NASCAR-Powerhouse?

Frage: "Was passiert mit Joe Gibbs Racing und Toyota? Ist die neue Kombination bereits im ersten gemeinsamen NASCAR-Jahr ein Siegkandidat? Kann einer oder mehrere der drei Piloten Tony Stewart, Denny Hamlin und Kyle Busch in den Chase gelangen?
Graf: "Absolut, ich sehe mindestens zwei Piloten von Gibbs im Chase."

Tony Stewart

Tony Stewart und Gibbs-Toyota sind für alle Experten ein heißer Tipp Zoom

Kuhn: "Mindestens. Ich denke, dass die alle drei Rennen gewinnen werden. Ich schätze Kyle Busch sogar noch einen Tick besser ein, als Denny Hamlin. Bei ihm ist nur die Frage, wie oft legt er das Ding in die Mauer? Wenn er nicht mehr so oft abbiegt, ist Kyle Busch für mich einer der zukünftigen Superstars der NASCAR und die große Frage ist, ob Tony Stewart gegen die zwei Youngsters seinen Nummer-eins-Status behalten kann."

Schultz: "Ich glaube, dass es Gibbs nahtlos gelingen wird, Toyota zu integrieren. Mit seinen Ressourcen und ihrer Erfahrung können die Gibbs-Leute das vermutlich sogar besser als - sorry Günther - Red Bull und ich halte alle drei Piloten für chase-tauglich, da müsste ich mich schon schwer täuschen."

Steiner: "Also ich würde sagen, dass zumindest einer fast sicher in den Chase kommen wird. Toyota macht Fortschritte, gegenüber dem letzten Jahr ist der Motor viel besser geworden. Ich muss Christian da Recht geben, auch für mich ist Kyle Busch der Fahrer der Zukunft. Er ist jung, er ist schnell und auch Tony Stewart kann es immer noch."

Schulz: "Vergesst Denny Hamlin nicht, er ist für mich einer der besten Rookies der letzten zwei Jahre. Ich sehe alle drei Autos im Chase. Gibbs ist für mich das Team, was Hendrick herausfordern wird."

Es wird krachen, nur wann und wie?

Frage: "Joe Gibbs hat mit Tony Stewart, Denny Hamlin und Kyle Busch eine explosive Fahrermischung. Geht das über die ganze Saison gut, oder muss der Coach wieder zum Schlichten eingeflogen werden, weil es wieder einmal gekracht hat?"
Steiner: "Jetzt hat der Coach ja mehr Zeit dafür, denn er hat sich ja von den Redskins zurückgezogen...(Anm. d. Red.: Joe Gibbs war der Headcoach des American Football Teams der Washington Redskins und führte diese NFL-Mannschaft dreimal zum Titel)"

Kyle Busch Joe Gibbs Racing

Gibbs-Neuzugang Kyle Busch ist für die Experten der kommende Mann Zoom

Schulz: "Er musste letztes Jahr ja auch einmal kommen, bei "Smoke" weiß man das nie. Eines ist sicher: Tony Stewart hat sicherlich die härteste Opposition aller Zeiten im Team."

Kuhn: "Die Situation dort vergleiche ich, wie wenn ein Kettenraucher mit seinem Auto unterwegs ist und ein Loch im Benzintank hat. Das muss explodieren, die Frage ist nur wann? Aber nur auf der Strecke, intern wird Joe Gibbs das immer beruhigen können.

Graf: "Keiner der Drei gibt gerne nach, da kann es sicher zu Reibereien kommen, sollten sie sich auf der Strecke in die Quere kommen. Joe Gibbs hat eine komplette NFL-Mannschaft in den Griff bekommen, da wird er sicherlich drei NASCAR-Stars unter Kontrolle halten."

Steiner: "Genau. Es sind alles sehr emotionale Charaktere, aber so etwas gehört zum Sport. Die haben das im Griff, die kriegen das geregelt, wenn es mal kracht."

Schulz: "So etwas kann ja auch einen reinigenden Effekt haben. Insofern glaube ich schon, dass das eine oder andere Wort nötig ist, aber das wird nicht die gesamte Performance überschatten."

Kuhn: "Eines möchte ich ganz grundsätzlich noch sagen: Toyota hat sich da die absolute Topkombination Fahrer/Team gekauft. Ich halte Gibbs-Toyota für den zukünftigen Widersacher von Hendrick. Die drei Jungs werden die ganz großen Gegner von Johnson und Co."

Teil zwei der großem Expertenrunde zur neuen NASCAR-Saison folgt am Donnerstag auf 'Motorsport-Total.com'. Dann geht es um Fragen in Bezug auf Red Bull, Ford und Dodge und es wird auch geklärt werden, wann man mit einem deutschen NASCAR-Piloten rechnen kann.