• 03.01.2008 13:15

  • von Pete Fink

Red Bull und die NASCAR (1)

Die NASCAR-Teamführung von Red Bull gab gegenüber 'Motorsport-Total.com' einen exklusiven Rückblick auf ihre erste NASCAR-Saison - und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Pete Fink traf sich in Salzburg zu einem ausführlichen Gespräch mit Red-Bull-Teamchef Günther Steiner, der mit Sportdirektor Elton Sawyer und dem Technischen Direktor John Probst noch zwei hochrangige Red-Bull-Teammanager als Verstärkung mitbrachte.

Titel-Bild zur News: A.J. Allmendinger

Red Bull geht mit voller Kraft in die zweite NASCAR-Saison

Sawyer ist im Red-Bull-Team für die gesamte NASCAR-Rennmannschaft verantwortlich. Der 47-Jährige fuhr 20 Jahre lang in der Busch-Serie und kennt die NASCAR-Szene aus dem Eff-Eff. Nach seiner aktiven Karriere leitete er das Dodge-Forschungsprogramm, als die damalige Daimler-Chrysler-Marke den Wiedereinstieg in die NASCAR unternahm, bevor er 2006 zu Red Bull wechselte.#w1#

Probst verdiente sich seine ersten Motorsportmeriten in den Formel-1-Teams von Jackie Stewart und Jaguar, bevor er für Ford deren ChampCar-Programm in Sachen Chassis, Setup, Software und Simulationen übernahm. Bei Red Bull zeichnet er jetzt verantwortlich für alle technischen Belange des Toyota Camry.

Neben einer Analyse der ersten Red-Bull-Saison und einem Vorausblick auf die Anforderungen, die das zweite NASCAR-Jahr für das in Mooresville, North Carolina, beheimatete Team bringen wird, kamen an diesem sonnigen Nachmittag noch viele andere NASCAR-Themen auf den Gesprächstisch.

NASCAR und der Rest der Welt

Juan Pablo Montoya A.J. Allmendinger

Juan Pablo Montoya und A.J. Allmendinger - zwei Ex-Formelstars Zoom

Denn natürlich sorgen auch im Red-Bull-Lager die aktuellen NASCAR-Tendenzen für einigen Gesprächsstoff und das einzige NASCAR-Team unter europäischer Führung hat einen ganz besonderen Blick auf die mittelfristigen Konsequenzen, die zum Beispiel die NASCAR-Ankunft von Juan Pablo Montoya und Jacques Villeneuve haben werden.

Frage: "Realisiert NASCAR den globalen Effekt, den Leute wie Montoya oder Villeneuve in die NASCAR bringen?"
Günther Steiner: "Ich denke schon, dass sie das realisieren, aber ich glaube nicht, dass sie erkennen, wie groß das Potenzial dahinter ist. Sie denken, dass alleine die Tatsache, dass die Leute jetzt dort fahren, ein Erfolg ist. Aber da kann man noch viel mehr erreichen. Ich glaube nicht, dass sie schon realisieren, wie viele Leute sich für die NASCAR interessieren könnten, denn sie stehen immer noch auf dem Standpunkt, dass dies eine rein amerikanische Serie ist, die sonst keinen interessiert."

"Das wird sich sicher irgendwann ändern, doch das dauert wohl noch eine Weile. Aber NASCAR ist ein richtig großer Sport. Der Vorteil, den sie zum Beispiel gegenüber dem American Football haben, ist, dass sie mittlerweile eben internationale Athleten wie Montoya oder Villeneuve haben. Im American Football gibt es nur Amerikaner."

"Im Basketball, in der NBA ist das anders. Es gibt einen Dirk Nowitzki aus Deutschland, dort drüben ist er ein Superstar und wegen ihm schauen die Deutschen die NBA. Natürlich nicht in dem Maße, wie beim Fußball, aber es gibt eine durchaus große Anhängerschaft. Das Gleiche gilt für Kanada, es gibt eben einen Steve Nash, die Chinesen haben dort Leute, auch Kroatien ist vertreten. Und ich denke, NASCAR ist im Begriff, das nachzumachen und sie werden damit sehr viel Erfolg haben."

Langstreckenpokale oder NASCAR?

Start Charlotte

NASCAR-Start in Charlotte vor über 160.000 Zuschauern Zoom

Frage: "Glauben Sie, dass diese Tendenz fortgeführt wird? Das letzte Beispiel war David Coulthard, der sein Interesse signalisiert hat."
Steiner: "Ja, das habe ich gelesen. Ich glaube, dass jeder dort dabei sein will, wo der Erfolg ist. NASCAR war ja weitgehend unbekannt, dann wechselte Juan Pablo dorthin und plötzlich hatte NASCAR eine ganz andere Aufmerksamkeit. Nun wissen die Leute, dass dies ein sehr erfolgreicher Sport ist, der Image und Geld bringen kann. Was soll man denn machen? Langstreckenpokale fahren oder in die NASCAR gehen?"

"Ich denke durchaus, dass da viel Interesse besteht. Aber ich denke auch, was NASCAR nicht machen sollte, ist, denselben Fehler zu machen, den die IndyCars, also die CART-Serie früher gemacht hat, als irgendwann überhaupt keine Amerikaner mehr gefahren sind. Das interessiert die Leute dann nicht mehr. Aber das ist die alte Geschichte, man braucht halt immer eine gewisse Balance."

Frage: "Wie beurteilt man denn das Auftreten von Montoya aus der rein amerikanischen NASCAR-Sicht?"
Elton Sawyer: "Er hat sich wirklich gut verkauft. Es kommen nicht viele rüber und haben gleich im ersten Jahr den Erfolg, den er hatte. Klar fuhr er für ein etabliertes Team, aber er ist wirklich gut gefahren, er hat wirklich ein großes Talent."

Frage: "Was viele Leute in Europa so neugierig macht, ist, dass man die Schwierigkeit nur schwer versteht, die dann kommt, wenn man im Oval plötzlich um Tausendstelsekunden kämpfen muss. Oder wie es Coulthard gesagt hat: Ist auf einem Superspeedway zu fahren eine größere Herausforderung, als in Monaco unterwegs zu sein?"
Steiner: "Dazu kann ich nur sagen, dass auch ich das anfangs unterschätzt habe. Ich würde das gar nicht einmal als Arroganz bezeichnen. Denn bevor man diese Speedways nicht mit eigenen Augen sieht, kann man gar nicht wissen, wie schwer es ist, dort zu fahren. Es ist halt ganz anders, als wir Europäer es von der Formel 1 her gewohnt, aber es ist richtig schwierig."

17 Hundertstelsekunden in 13 Rennen

Brian Vickers

Brian Vickers musste erfahren, wie eng die NASCAR-Qualifikation ist Zoom

John Probst: "Nur um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Brian Vickers hat in dieser Saison die Qualifikation zu 13 Rennen verpasst und ist dabei - zusammengezählt - um insgesamt 0,169 Sekunden gescheitert. So eng geht es in der NASCAR zu und das unterschätzt man leicht."

Frage: "Grundsätzlich gefragt: Wie wichtig ist denn der Fahrer in der NASCAR?"
Steiner: "Der Fahrer hat in der NASCAR einen ganz anderen Input, als in der Formel 1, denn es gibt keine Datenübertragung. Der Druck ist immens, denn man hat nur eineinhalb Stunden Training, vor das Qualifying losgeht. Am Samstag hat man dann noch einmal zwei Stunden Training und das ist dann alles. Man kann nicht einfach zum Computer gehen und sich die Daten anschauen, man kann nur darüber sprechen. Das ist alles völlig anders."

Sawyer: "In der NASCAR gibt es einige Teams, die das Budget und die Ressourcen haben, um eigentlich alles richtig zu machen. Aber sie haben halt nicht den richtigen Fahrer. In der nächsten Saison werden zum Beispiel einige Leute ein richtiges Verständnis von NASCAR bekommen, wenn Dale Earnhardt Jr. zu Hendrick Motorsports wechselt."

"Denn Hendrick ist wahrscheinlich die am besten aufgestellte Organisation in der NASCAR. Sie haben Jimmie Johnson und Jeff Gordon, aber sie haben auch zwei andere Autos. Das Nummer-5-Auto und das Nummer-25-Auto, aber die konnten nicht auf dem Level operieren, was die Nummer 24 und die Nummer 48 geleistet haben."

Vickers und die Young-Guns

Elton Sawyer Red Bull

Elton Sawyer (links) überwacht die technische Abnahme des Red-Bull-CoT Zoom

"Das Equipment ist aber im Prinzip dasselbe, was macht also den Unterschied aus? Die Kommunikation zwischen Fahrer, Crew-Chief und Ingenieur. An einem Rennwochenende versuchen die drei exakt durchzuarbeiten, was der Fahrer sagt. Wo er untersteuern hat, wo er übersteuern hat, zu welchem Grad das Auto in der Kurvenmitte nicht einlenken will und so weiter."

"Und wenn man die unterschiedlichen Fahrer über das Wochenende einmal scannt, und einem Jeff Gordon zuhört, der einem sagt: 'Hier habe ich Untersteuern, hier habe ich Übersteuern', und er trotzdem auf Platz fünf fährt, und ein Anderer genau dasselbe berichtet, aber nur auf Platz 25 fährt, dann weiß man, wo der Unterschied ist."

Frage: "Das führt uns zu Brian Vickers. Im Prinzip ist er einer aus der Riege eines Kasey Kahne, Kyle Busch oder Denny Hamlin, also einer der Young-Guns. Er hat 2006 in Talladega gewonnen, aber im Vergleich zu den drei oben genannten, wo ist er einzuordnen?"
Sawyer: "Er fährt für uns, wir halten extrem viel von ihm."

Frage: "Aber seine Situation ist, wieder verglichen mit den anderen Drei, eine ganz andere. Während sie um Siege kämpfen, muss Vickers am Freitag durch die Qualifikationsmühle. Wie hält man so einen Fahrer motiviert?"
Sawyer: "Das ist eine gute Frage. Ich denke, das hat sehr viel zu tun mit der Beziehung zwischen Fahrer und Crew-Chief. Und natürlich muss er selbst motiviert bleiben. Er muss am Freitagmorgen um sieben Uhr an die Strecke kommen und sagen: 'Das Spiel geht los.'"

Die Stellung eines Rock-Stars

Talladega Bump Drafting

Brian Vickers (rechts) gewann 2006 in Talladega noch in Hendrick-Farben Zoom

Probst: "Diese Frage kann man aber auch umdrehen. Man könnte auch fragen, wie Kyle Busch oder Denny Hamlin motiviert bleiben, denn sie wissen ja, dass sie jede Woche fix dabei sind. Für uns ist es jeden Freitag ein echter Kampf, für uns reduziert sich die ganze Woche auf die Zeit zwischen elf Uhr morgens und halb ein Uhr am Freitagmittag."

Sawyer: "Wir mussten ganz schnell lernen, dass wir alle am Freitagmorgen mit voller Kraft an der Strecke auftauchen müssen, sei es von Seiten der Autovorbereitung oder in Sachen Motivation der Individuen. Fahrer, Crew-Chief, jeder Einzelne muss topmotiviert sein. Für uns ist es völlig egal, was am Samstag passiert und das ist eine ganz andere Ausgangssituation."

Frage: "Aber wie fühlt sich denn einer der Young-Guns wie Vickers in dieser Situation?"
Steiner: "Meine Meinung ist die, dass er - genau wie wir alle - nicht vorausgesehen hat, wie schwer es werden wird, in die Top 35 vorzudringen. Wir waren uns alle ziemlich sicher, dass wir es in die Top 35 schaffen werden. Ich denke auch, dass man sich das Ganze nicht so recht vorstellen kann, wie viel Stress das alles ist, wenn man nicht mittendrin steckt."

"Für ihn gilt genau das Gleiche und nun hat er realisiert, wie schwer das alles ist. Und dieser Druck, sich qualifizieren zu müssen, hält seine Motivation aufrecht. Auch dem Team dabei zu helfen, zu wachsen, denn wenn er es schafft, dass das Team dieses Ziel erreicht, dann erreicht er quasi die Stellung eines Rock-Stars."

Das beste Auto im Feld

Brian Vickers

Brian Vickers führte beim Coca Cola 600 in Charlotte 76 Runden lang Zoom

"Das andere Beispiel wäre ja, wenn er das Auto von Jimmie Johnson oder Jeff Gordon nehmen würde, dann würden die Leute ja sagen: 'Wir wissen, warum er gewinnt.' Sie würden sagen, dass er einfach das beste Auto hat und es eben nicht an ihm liegt. Und so kann er irgendwann einmal sagen, dass er etwas erreicht hat, was noch keiner vor ihm geschafft hat."

"Das ist vielleicht auch ein Teil seiner Motivation, das er es eben angeht, und so irgendwann zeigen kann, dass er es zusammen mit einem ganz neuen Team geschafft hat. Denn dann hat er wirklich etwas bewiesen. Wenn er jetzt bei einem Siegerteam fahren würde, dann könnte er seine Situation ja nur verschlechtern. Denn wenn er gewinnt, dann bleibt dort alles gleich, die Leute sagen, dass sie nicht anderes erwartet haben."

"Und: Man kann ja nicht sagen, dass wir keine Chance hätten, zu gewinnen. Wir sind ein brandneues Team und haben in Charlotte lange geführt (76 Runden; Anm. d. Red.), das sollte man nicht vergessen. Aber es kam leider nicht so und daher vergessen es die Leute schnell, denn es sind ja 36 Saisonrennen."

Warum ein eigenes Red-Bull-Team?

Günther Steiner Red Bull

Günther Steiner ist der europäische Teamchef von Red Bull in der NASCAR Zoom

Frage: "Sie haben immer betont, dass Red Bull ein neues Team ist und auch das einzige unter europäischer Führung. Ist dies in den USA ein Thema?"
Steiner: "Ich denke, dass viele Leute das wissen, dass es ihnen aber auch egal ist. Ich glaube, dass die Amerikaner in diesen Dingen sehr liberal sind. Solange du dich an die Regeln hältst und das respektiert, was sie machen, ist alles in Ordnung. Solange wir ein Teil der Show sind und mithelfen, sie zu verbessern, etwa dabei helfen, internationaler zu werden, solange sind wir herzlich Willkommen. Keiner wird das jemals gegen uns in die Waagschale werfen, aber deswegen bekommen wir auch keine bevorzugte Behandlung."

Frage: "Historisch gesehen, was war denn eigentlich der Beweggrund, warum Dietrich Mateschitz ein eigenes NASCAR-Team gegründet hat? Hatte es vielleicht etwas mit dem bestehenden Formel-1-Team zu tun, denn er hätte ja ebenso als Sponsor auftreten können, wie er es zum Beispiel bei den ChampCars macht oder in Indianapolis gemacht hat?"
Steiner: "NASCAR kann man nicht mit den ChampCars oder den Indy Cars vergleichen, das ist eine ganz andere Dimension. Es ist ja auch so, dass Red Bull ein GP2-Auto sponsort und dort kein eigenes Team hat. NASCAR ist aber eine der absoluten Top-Serien im internationalen Motorsport."

Frage: "Das klingt aber nach dem Motto: Formel 1 ist die Nummer eins auf der Welt und NASCAR ist die Nummer eins in den USA, und in beiden Top-Serien will Red Bull einen Top-Auftritt haben?"
Steiner: "Kann gut möglich sein, aber da müsste man ihn selbst dazu befragen. Sicher ist nur eines, NASCAR ist in den USA die absolute Nummer eins und die Formel 1 im Rest der Welt - außer eben in Amerika. Vielleicht war dies einer der Gründe, aber das kann ich nicht beantworten, weil ich ihn nicht danach gefragt habe. Aber man könnte durchaus zu diesem Schluss kommen. Ob das richtig ist oder nicht, das weiß ich nicht. Aber er wird dazu sicher eine Meinung haben."

Allmendinger und seine erste NASCAR-Saison

A.J. Allmendinger

A.J. Allmendinger kam im Laufe der Saison immer besser zurecht Zoom

Frage: "Was in der abgelaufenen Saison sehr interessant zu beobachten war, war die Performance von A.J. Allmendinger. Wenn man nur auf die reinen Zahlen blickt, dann könnte man den Eindruck bekommen, dass er auf den Short-Tracks besser ist, als auf den großen Speedways. Täuscht dieser Eindruck?"
Sawyer: "Nein, das denke ich nicht ganz. Zu Saisonbeginn musste sich A.J. erst einmal an die Strecken gewöhnen. Später im Jahr ist er zum Beispiel in Atlanta ein ganz starkes Rennen gefahren, und Atlanta ist eine der schnellsten Strecken, die wir überhaupt im Kalender haben. Auch in Charlotte wurde er zum Beispiel 15."

"Was man aber durchaus sagen kann, ist, dass seine Lernkurve auf den Short-Tracks schneller vorangeschritten ist, aber ich würde ihn nie als einen Short-Track-Spezialisten einstufen wollen. Ich denke, dass er soviel Talent hat, um auf allen Strecken zu bestehen."

Probst: "Ein wesentlicher Punkt dabei ist noch die Frage, ob es nur um den Vergleich Short-Track oder Intermediate Track, oder zusätzlich nicht auch um die Frage Car of Tomorrow versus Car of Yesterday geht. Denn in der vergangenen Saison wurde im alten Auto fast immer auf den Intermediate Tracks gefahren und da ist A.J. nun einmal gegen die Piloten gefahren, die dieses Fahrzeug über viele, viele Jahre auf genau diesen Strecken bewegt haben. Im Car of Tomorrow waren zu Beginn aber alle im gleichen Boot und das sollte man nicht vergessen."

Der zweite Teil des großen NASCAR-Interviews mit der Red-Bull-Teamführung erscheint in wenigen Tagen. Dann wird es ausschließlich um die bevorstehende NASCAR-Saison 2008 gehen.

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